Aufbruch: Mit dem Linienbus ins Nichts ...
Wir haben uns entschieden, das beliebte Teilstück zwischen dem See Hvitarvatn und den Thermalquellen von Hveravellir in vier Tagen zurückzulegen. Ein schnelleres Durchwandern ist durchaus möglich, aber wir wollen jede Etappe mit ihren Hütten genießen.
In Reykjavik steigen wir in einen Hochlandbus und lassen uns mit ein paar Umwegen in das Hochland kutschieren. Unterwegs machen wir noch ein paar Stopps: So zum Beispiel in Geysir und beim Wasserfall Gullfoss.
Wie nicht anders zu erwarten, kann man in Geysir die wunderschönen Heißwasserfontänen bewundern. Alle fünf bis zehn Minuten speit die Erde ein Säule Wasser vor den Augen der Touristen gen Himmel. Anschließend geht es zum Gullfoss, einem der Naturwunder dieser Erde. Der Gullfoss ist ein Wasserfall am Fluss Hvita, der in den Bergen entspringt.
Die schier unglaubliche Naturgewalt dieser Wassermassen kann man an dieser Stelle eindrucksvoll auf sich wirken lassen. Nach solchen kleinen Pausen an den Sehenswürdigkeiten auf dieser Busstrecke fahren wir nun direkt ins Hochland.
Doch langsam aber sicher macht sich der Schrecken in uns breit: Hier oben gibt es nur eine schier unendlich scheinende Steinwüste. Und hier irgendwo wollen wir wandern?
Plötzlich, aus nicht direkt zu erklärenden Gründen, bleibt der Bus einfach auf der Strecke in diesem Niemandsland stehen. Eine Bushaltestelle! Mitten im diesem Nichts steht ein Bushaltestelle. Unser Ausgangspunkt, wie der Fahrer uns erklärt. Wir steigen aus, schultern die Rücksäcke und sehen dem Autobus nach, bis er hinter den nächsten Felsen verschwunden ist - wir sind allein in der Einsamkeit!
Mit unserem Gepäck, einer Karte und einem Kompass ausgerüstet, versuchen wir uns zu orientieren - bis wir, Gott sei Dank, einen Wegweiser entdecken, der die Richtung zu unserer ersten Hütte zeigt. Es wird sich um den ersten und zugleich einen der letzten Wegweiser auf dieser Tour handeln: Auf den nächsten 50 Kilometer gibt es nur noch drei weitere Richtungsschilder und diese befinden sich nur an wirklich wichtigen Stellen.
Unser Weg ist nicht sehr interessant, nur Steine und Staub umgeben uns. Hier im Hochland weht auch im frühen Sommer ein rauer Wind. Wir sind heilfroh, dass es nur acht Kilometer bis zur ersten Hütte sind, wo wir übernachten wollen. Hoffentlich wird die Natur in den nächsten vier Tagen nicht so öde bleiben ..!
Die einzige Abwechslung, die wir hier haben, sind die verschieden aussehenden Steinwachen: Diese wurden bei der Neumarkierung der Strecke aufgebaut und liebevoll von Touristen in Stand gehalten.
Nach rund zwei Stunden gemütlichen Spazierens sehen wir in der Ferne den Gletscher Langjökull, der kleine Eisberge in den See Hvitarvatn kalbt. Hier entsteht der Fluss Hvita, dessen imposante Kraft hinter der Entstehung des Gullfoss-Wasserfalls steht.
Direkt am See haben wir in der kleinen Hütte unser Quartier bezogen (Anm. der Red.: Vor dieser Hütte hat einst auch das Explorer Team bei der Tour Island 95 gecampt, der Versuch, den Gletschersee zu erreichen, scheiterte damals ...). Vor der Hütte hatten wir Wanderer aus beiden Richtungen kennen gelernt und sofort Erfahrungen ausgetauscht: Die Trecker, die aus der Richtung kamen, in die wir am nächsten Tag aufbrechen werden, hatten alle von der Strecke und der Natur geschwärmt. So ist unser Frust über die heutige erste kleine Teilstrecke schnell vergessen. Nach den Schilderungen werden die nächsten Tage all unsere Erwartungen erfüllen.
Am Abend genießen wir es, die Sonne zu beobachten, wie sie langsam hinter dem Gletscher verschwindet und mit ihren letzen Strahlen die Oberfläche des Sees streichelt und so ein Zeichen zum Schlafen gehen gibt ...
Zweiter Tag: Lichtspiele am Berg Hrutfell ...
Am Morgen kitzelt uns bereits sehr früh die Sonne aus den Schlafsäcken: In den Sommermonaten wird es hier nah am nördlichen Polarkreis niemals richtig Nacht. Die Sonne hat soviel Energie, dass sie schon fast mitten in der Nacht wieder im vollen Glanz am Firmament erstrahlt, wenn sie in der Nähe des Horizontes hängen bleibt.
Mit den Informationen der Wanderer vom Vortag finden wir den Weganfang problemlos: Die heutige Etappe hat eine Länge von rund 12 Kilometern. Ohne aktuelles Kartenmaterial und einen Kompass sollte man sich nicht auf den Weg begeben: Da sich in Island relativ schnell Landschaftsstrukturen und auch Wege ändern, ist es wichtig, eine aktuelle Karte dabei zu haben. Das isländische Landesvermessungsamt bietet in allen Büchereien und Touristengeschäften das entsprechende Material an. Diese Karten helfen auf jeden Fall, die "richtige" Richtung zu finden, da Wege und Steinwarten oft nicht erkennbar sind.
Sehr wichtig ist es auch, zu wissen wie ein Hochlandwanderweg aussieht: Man kann diese Wege nicht mit den uns bekannten Pfaden vergleichen. Da diese Passagen auch seit Jahrhunderten von Reitern benutzt werden, um Pferde und Schafe von Nord nach Süd und umgekehrt zu führen, handelt es sich bei den "Wegen" um echte Pferdtrampelpfade. Dies bedeutet, dass man über Wege trabt, die einer Pferdespurbreite entsprechen und oft rund einen halben Meter tief sind ...
Das erste Teilstück des zweiten Tages führt über eine riesige Grünfläche, die mit kleinen Bächen durchzogen ist. An diesem Tag machen wir dann auch unsere ersten Furtversuche - auch die Wege der nächsten Tage werden noch öfter Bäche kreuzen, die man in Furten überqueren kann.
Die erste große Herausforderung ist es den Weg zu finden: Die Pferdespuren und die Steinwarten sind die einzigen Wegweiser während der nächsten Tage. Manchmal verlieren wir den Weg aus den Augen und einfache Fußspuren zeigen uns den korrekten Weg wieder. Die heutige Strecke führt uns am Fluss Hvita entlang zu einer kleinen Schlucht. Der Abgrund ist nur zwei bis drei Meter breit, aber in der Tiefe tobt ein reißender Wildbach. Doch diese Schlucht kann dank einer Brücke problemlos überquert werden. Im Anschluss daran ist der letzte Kilometer bis zur Hütte Pverbreknamuli sehr gut mit Pfosten gekennzeichnet.
Die Hütte ist in einem exzellenten Zustand, auch wieder an einem Gewässer gelegen. Hier genießen wir bei einer improvisierten Spaghettiparty und gemeinsam mit Wanderern aus verschiedenen Ländern den Abend. Die Unterkunft liegt zwischen den Bergen an einem kleinen See. Die Sonne spielt hier abends ihre Spiele mit den Bergen und der Wasseroberfläche. Wir genießen diese Spiele, bis die Sonne sich kurz hinter den Berg Hrutfell zurückzieht.
Beim Kaffee erkundigen wir uns über die bevorstehenden Etappen: Ein italienischer Wanderer empfiehlt den Weg über den Mular. Der Mann schwärmt uns so lange von dem unvergesslichen Panorama vor, bis wir uns schließlich auch entscheiden, diesen Weg zu nehmen. Die Alternative wäre zwei Kilometer zurück zu laufen und um den Berg herum zu gehen. Der Anstieg auf den Mular ist dagegen recht einfach und nicht sehr steil ...
Dritter Tag: Leuchtendes Grün hinter dem Pjotafell ...
Die Aussicht ist zwar ein wenig trüb am folgenden Morgen, aber trotzdem wunderschön. Lediglich der anschließende Abstieg ist recht kurz und anstrengend. Am Fuß des Bergs führt eine kleine Brücke über die Hitva wieder zurück auf den ursprünglichen Weg.
Nun führt uns der Weg durch eine wunderschöne Steinlandschaft. Hinter jedem Felsen, der einem die Sicht versperrt, haben wir kurz darauf eine neue fantastische Aussicht: So sieht man hinter dem einem Felsen nur eine Sandwüste, bis diese hinter der nächsten Erhöhung schon von einer grünen Wiese abgelöst wird. Der ganze Weg ist so abwechslungsreich, wie es die Fantasie kaum möglich erscheinen ließ ...
Am Schluss der Etappe geht es westlich am Pjotafell entlang durch eine Dünenlandschaft hinein in ein grünes Tal. Hier am Fuße dieses Höhenrückens kann man noch einen Abstecher ins Tal Beinaholl unternehmen: Genau hier kamen vor rund 225 Jahren die 5 Reiter mit ihren Tieren in einem Unwetter ums Leben. Noch heute kann man an dieser Stelle die Skelette der verendeten Tiere finden.
Wir freuen uns nur noch auf unsere Unterkunft hinter dem Pjotafell. Das Tal, in dem die Hütte liegt, leuchtet in einem glänzenden Grün. Schnell finden wir auch den Grund für diese Farbenpracht: Es handelt sich um ein morastisches Feuchtgebiet.
Wir erkennen die Hütte Pjofadir mit ihrem orangefarbenen Dach schon von weitem, aber wir finden keinen direkten Weg zum Haus. Erst nach ein paar vergeblichen Versuchen kommen wir trockenen Fußes an. Durch unsere Abkürzungsversuche in diesem Tal sind aus den ursprünglich 14 Kilometern nun doch ein paar mehr geworden.
Diese Hütte ist die einzige ohne fließendes Wasser: Dies bedeutet, man muss sich im Bach bedienen. Dafür ist diese Hütte auch mit 1.200 isländischen Kronen die günstigste von allen bisherigen. An diesem Abend ist es nichts mit den Sonnenspielen: Es regnet!
Vierter Tag: Naturbad in Hveravellir ...
Am nächsten Morgen sieht die Welt schon wieder viel besser aus. Unser bisheriger Wegbegleiter am Himmel ist auch wieder bei uns - was will man mehr! Schon nach wenigen Kilometern verlassen wir diese grüne Oase und somit auch das Naturschutzgebiet ...
Nun führt der Weg über und neben einem Jeeptrack zum Ziel unserer Etappe. Hier kann man die bizarrsten Steinskulpturen bewundern: Diese Steinbilder sollen die Überreste versteinerter Kobolde sein - wenn einer dieser Nachtgeister nicht vor dem Sonnenaufgang Schutz gefunden hat, wird er zu Stein. An diesem Stück des Weges gibt es ganze Armeen von solchen versteinerten Schreckgespenstern und so werden wir unwillkürlich schneller - wer will dieses Schicksal schon teilen ..?
Wir orientieren uns an den Fußabdrücken anderer Wanderer, um den kürzesten Weg zur einzigen bewirteten Hütte im Hochland zu finden, der von Hveravellir. Schon von weitem können wir aufsteigende Dampfsäulen erkennen: Unser Ziel ist in Sicht.
Hveravellir ist bekannt für seine heißen Quellen. Hier erwartet uns eine riesige Naturbadewanne mit angenehm heißem Wasser. Die Gedanken an diese Entspannung lassen uns alle Strapazen der letzen Tage vergessen.
Nach der Bad in den heißen Quellen stärken wir uns, während wir auf den Bus warten, der uns zurück bringen soll, mit einer deftigen Mahlzeit und einem wohlverdienten Bier ...
Weitere Infos:
Alle Hütten auf dieser Strecke verfügen über ein Plumpsklo. Außer in der Hütte Pjofadir gibt es überall auch fließendes Wasser. Neben allen Unterkünften gibt es die Möglichkeit zu zelten. Informationen und aktuelle Preise erhält man beim isländischen Wanderverein.
Hveravellir verfügt über eine eigene Webseite mit weiteren Informationen und Möglichkeiten verschiedener Touren.
Aktuelles Kartenmaterial des isländischen Vermessungsamtes ist ein absolutes Muss für eine derartige Wanderung. Busfahrpläne zur An- und Abreise liegen z.B. bei BSA vor.
© 2005 Nico Brettner