Mývatn
21.08. Atlavík - Reykjahlíð, 210 km, 18° C, Sonne, mäßiger Wind
Nachdem wir unsere ersten Fahrten in Island erfolgreich hinter uns gebracht hatten, stand heute die erste lange Etappe mit dem Wohnwagen auf dem Plan: Auf der Ringstraße sollte es über das Hochland zum Mývatn (Mückensee) gehen. Als Vorbereitung hierzu musste im Wohnwagen alles rüttelfest verstaut werden, denn der Großteil dieser Strecke ist nicht asphaltiert. Weiterhin schützten wir die gefährdeten Fenster des Wohnwagens gegen den erwarteten Steinschlag. Die ersten 30 km hinter Egilsstaðir folgten wir einer Empfehlung von Martin, auf der Parallelstraße (Nr. 924) zur Ringstraße, um einer langen Baustelle auszuweichen, auf der schwierige Straßenverhältnisse zu befürchten waren.
So holperten wir mit 30 km/h mit dem Wohnwagen über eine Straße mit Schlaglöchern, Waschbrettbelag und grobem Schotter, die die Qualität eines besseren Feldweges hatte. Anfangs waren wir noch unsicher, wie der Wohnwagen sich verhalten würde, aber auch auf solchen Straßen lief er gut hinter uns her und so konnten wir langsam die Geschwindigkeit steigern. Nachdem wir wieder die Ringstraße erreicht hatten, kamen wir immer weiter in das Hochland hinein. Die Straße war wieder passabel, zwar weiter ungeteert, aber zügig mit 80 km/h zu befahren. Ich hatte die gesamte Straßenbreite zur Auswahl und musste mehr auf Schafe als auf Gegenverkehr achten, der sich auf wenige Fahrzeuge in der Stunde beschränkte und durch Staubfahnen schon weit am Horizont zu erkennen war.
Die Landschaft hatte sich gewandelt und wir fuhren jetzt durch unendlich weites Ödland, bestehend aus Geröll, Asche, Sand und Lava. Da das Wetter hier rasch umschlagen kann und orkanartige Sandstürme auftreten können, stehen auf einzelnen Passhöhen Rettungshütten für den Notfall bereit. Diese sind mit automatischen Funkverbindungen ausgestattet und alarmieren bei Eintritt in die Hütte sofort den Rettungsdienst.
Die Aussicht war grandios, Weite wohin das Auge reicht, eine unglaubliche Fernsicht durch klare und saubere Luft. Die Bilder konnten dies nur unzureichend einfangen, wir waren völlig überwältigt und eingenommen von dieser Landschaft. Das schöne Wetter unterstrich dies noch. Das dies keine Selbstverständlichkeit war, bewies die Beschreibung von Martin, der diese Strecke vor einigen Tagen bei Nebel und Regen fuhr und anschließend eine Stunde lang sein Gespann vom Lehm der Straße befreien musste.
Auf der Passhöhe am Miklafell machten wir Mittagspause und jedes der Kinder baute ein Steinmännchen. Ich kuppelte den Wohnwagen ab, da ich eine Fahrzeugspur, die auf einen Berg hinauf führte, gesehen hatte. Diese wollten wir mit dem Auto erklimmen. Mit Allrad und Geländeuntersetzung war es kein Problem, diese steile und aus lockerem Gestein bestehende Piste zu bezwingen: Das Fahrzeug fährt sich wirklich traumhaft im Gelände und es macht einfach Spaß. Auf dem Gipfel hatten wir einen 360° C Blick bis hin zur Herðubreið und dem Vatnajökull in der Ferne. Die 1682 m hohe Herðubreið, die "Breitschultrige", ist ein einzeln in der Landschaft stehender Tafelvulkan und zugleich einer der markantesten und schönsten Landmarken Islands. In der Mythologie ist er der Sitz der Götter, die Götterburg Asgard.
Wir rollten den Berg wieder vorsichtig hinunter, kuppelten den Wohnwagen an und fuhren weiter Richtung Mývatn zum nächsten Haltepunkt: Die Solfatarenfelder von Námaskarð. Das bekannteste Hochtemperaturgebiet Islands umgibt ein beißender Geruch nach Schwefel. Stellenweise ist die Erdwärme richtig zu spüren und es schimmert in sattem Gelb bis hin zu kräftigem Orange. Dazwischen mischt sich das rotbraune Eisenoxid, in Verbindung mit strahlend blauem Himmel ein echtes Eldorado an Farben. Das gesamte Gelände ist frei zugänglich, die hellen Stellen können jedoch brüchig sein und sind deshalb teilweise abgesperrt.
Wir bestiegen den Námafjall (Minenberg), vom aus wir uns das Solfatarenfeld nochmals von oben anschauen konnten. Bis Mitte den 18. Jahrhunderts wurde hier Schwefel abgebaut, dann waren die Vorräte erschöpft. Auf der anderen Seite des Berges sahen wir bereits den Mývatn, unser heutiges Reiseziel und nächster Standplatz des Wohnwagens für unsere kommenden Ausflüge.
Der Mývatn ist der viertgrößte See Islands, hat eine Fläche von 37 km2 und ist durchschnittlich nur 2 m tief. Durch unterirdische Warmwasserzuflüsse friert der flache See auch im Winter nicht ganz zu und erwärmt sich im Sommer rasch. Dies ist sicher eines der Gründe für die Namensgebung des Sees: Mývatn heißt Mückensee und Myriaden von diesen können bei wenig Wind über die Besucher herfallen, die sich oftmals mit einem Ganzkörperschutz einschließlich Gazenetz über dem Kopf schützen. Zum Glück stechen die Tiere kaum, sie sind einfach nur lästig. Mir reichte meistens eine Mütze, die aber die Ohren abdecken musste, damit die Tiere dort nicht eindrangen. Der See ist bei Ornithologen für seinen Vogelbestand berühmt und dies wird durch weitläufige Naturschutzgebiete unterstützt.
Wir fanden in Reykjahlíð einen tollen Stellplatz mit herrlichem Blick auf das Wasser. Der Platz hatte sogar Duschen, diese jedoch mit Vorsicht zu genießen - wir waren in einem Hochtemperaturgebiet. Dirk konnte leider kein Englisch und er verbrannte sich beim Duschen. Auf dem Schild stand: "Be careful, the hot water is very hot."
Der See liegt im vulkanisch aktivsten Gebiet Islands, der letzte Ausbruch in diesem Gebiet war erst 1975. Abends marschierten Sonny und ich noch zur kleinen Kirche von Reykjahlíð, um die Auswirkungen des Mývatnfeuers vom 27.08.1729 zu besichtigen:
"Die Legende erzählt, dass die Bewohner sich aus Furcht vor dem Vulkanausbruch in ihre Kirche flüchteten; die glühendheiße Lava floss um die Kirche herum. Zwar türmten sich damals glühende Lavaberge rund um die Kirche auf, aber alle Einwohner blieben unversehrt". Die Grundmauern der damaligen Kirche sind erhalten geblieben und man konnte deutlich die meterhohen Lavafelder rund um die Mauern erkennen.
22.08. Reykjahlíð (Rundfahrt nach Ásbyrgi), 205 km, 14° C, leicht bewölkt
Das Wetter war uns weiterhin wohlgesonnen und wir rüsteten uns für die nächste Tour. Eigentlich wären wir heute gerne in Richtung Askja gefahren. Die Strecke war jedoch nur inoffiziell freigegeben und die Anmerkungen des Pinnebergers noch im Hinterkopf, verzichteten wir auf diese sicherlich eindrucksvolle Tour, denn diese hätte direkt am Herðubreið vorbei geführt (siehe hierzu Island 97).
So entschlossen wir uns, die Wasserfälle der Jökulsá á Fjöllum (Dettifoss, Selfoss) sowie die Landschaftsformationen von Ásbyrgi zu besichtigen. Dieser gewaltige Gletscherfluss bringt Unmengen Geröll und Sand vom Vatnajökull und hat damit einen beeindruckenden 25 km langen, 500 m breiten und bis 120m tiefen Canyon in das Lavagestein gefräst.
Es ist die größte Schlucht Islands und der Dettifoss ist mit einer Fallhöhe von 44 m der größte Wasserfall Europas.
Zuvor jedoch sollte es noch zum Vulkan Krafla und seinem Kratersee Viti gehen, der in den Jahren 1724 bis 1729 (Mývatnfeuer) durch Ausbrüche entstand. Wir bestiegen den Kraterrand und staunten über die kräftigen Farben des Sees. Das Magma ist hier nur 3-5 km von der Erdoberfläche entfernt und die Erdwärme wird durch ein geothermisches Dampfkraftwerk genutzt.
Irgendwie waren wir froh, als wir eines der geologisch aktivsten Gebiete Islands wieder verlassen hatten. Wir fuhren weiter und nach 30 km nervenaufreibendem Geschüttel auf einer ziemlich rauhen Piste erreichten wir die Westseite des Dettifoss.
Von unserem Parkplatz mussten wir noch gut 20 Minuten durch ein Flussbett aus vergangenen Jahrhunderten wandern, um den von weitem schon zu hörenden Wasserfall auch zu sehen. Eine riesige Gischtwolke zeugte von den Energien, die hier freigesetzt werden und der Blick auf die stürzenden Wassermassen ließ mich fast schwindelig werden.
Diese Wasserfälle sind Teil des Nationalparks Jökulsárgljúfur. In den Parks ist das Campieren verboten und die Natur wird hier von Isländern sehr sorgfältig gepflegt. So war eine Gruppe von Helfern damit beschäftigt, Fahrspuren von Fahrzeugen abseits der Pisten zu beseitigen. Hierzu muss man wissen, dass diese Spuren in dem lockeren Gestein und Boden oftmals über Jahrzehnte erhalten bleiben und Fahrer angehalten sind, die vorgegebenen Pisten nicht zu verlassen. Auf der anderen Seite ist der Anreiz, abseits der Wege zu fahren groß, weil der Boden weich ist und es lange nicht so rüttelt und schüttelt wie auf den festgefahrenen Pisten.
Durch diese Naturschutzarbeiten will man die Fahrer nicht weiter ermuntern, die Pisten zu verlassen. Leider haben wir auf späteren Fahrten im Hochland oftmals kilometerlange Spuren neben den Pisten gesehen, wo sich kein Mensch an diese Auflagen gehalten haben dürfte. Nach einer weiteren langen Rüttelpiste, die unter anderem durch eine Reihe ausgetrockneter Flussbetten verlief, die bei entsprechendem Niederschlag zu durchqueren gewesen wären, erreichten wir Ásbyrgi, bekannt durch seine eindrucksvolle Felsformation.
Diese besteht aus einer hufeisenförmigen, 6 km langen und mehrere 100 m breiten Felsenbucht, deren senkrechte Felswände bis zu 100 m hoch sind. In der Bucht selbst wächst Gras und gibt es ausgedehnte Birkenwälder. Eine isländische Sage erklärt diese Formation wie folgt: Ásbyrgi sei der Hufabdruck von Odins achtbeinigem Pferd Sleipnir. Geologisch gesehen ist Ásbyrgi der Überrest eines gewaltigen Wasserfalls der Jökulsá á Fjöllum, die hier direkt in das Meer mündet.
Wir unternahmen einen Spaziergang durch diese Felsenbucht bis zu deren Ende, an der sich ein kleiner See befindet.
Die Rückfahrt erfolgte auf der Ostseite des Canyons Jökulsá á Fjöllum. Sonny fuhr zurück und scheuchte den Defender mit einer langen Staubfahne über die Wellblechpiste zum Campingplatz am Mývatn, am dem die Mücken bereits wieder auf uns warteten. Die erschöpfte Mannschaft duschte sich den Staub des Tages mit leicht schwefelhaltigem Wasser ab, anschließend gab es noch Pfannkuchen und Kartoffelpuffer, dann fielen die Kinder erschöpft in die Betten.
Eine Menge kleiner Trekkingzelte hatte den Platz bevölkertet, aufgebaut von Rucksacktouristen, die mit Motorrad, Bus oder auch Fahrrad unterwegs waren. Bei den hier oftmals vorherrschenden Wetterverhältnissen fanden wir es immer wieder beeindruckend, mit wie wenig Ausrüstung man unterwegs sein kann und welche Einschränkungen viele Reisende auf sich nehmen, um diese Naturschönheiten erleben zu können ...
23.08. Reykjahlíð, 35 km, 12° C, leicht bewölkt
Nach zwei Tagen mit viel Fahrerei war heute ein Ruhetag angesagt. Ausschlafen, Lesen und Einkaufen stand auf dem Programm. Nachmittags besichtigten wir die Erdspalte Grjótagjá, die sich genau an der Grenze der beiden Kontinentalplatten befindet und mit 60°C heißem Wasser gefüllt ist. Die Kinder hatten ihren Spaß mit einem Schritt von Amerika nach Europa zu schreiten.
Nicht weit entfernt ist Dimmuborgir, dort staute sich vor 2.300 Jahren ein 20 m dicker Lavasee auf. Die heiße Lava brachte das Grundwasser zum Verdampfen und bildete pittoreske Lavaformationen, von denen Einheimische berichten, dass dort Trolle hausen. Wenn man sich die bizarren, braun-schwarzen Formen anschaut, könnte man dies sogar glauben!
Vor dem Besuch im örtlichen Schwimmbad und den "Hot Pots" war noch ein Rundgang durch ein hervorragend ausgestattetes Touristenzentrum angesagt: Pädagogisch sehr gut aufbereitet, wird der Reisende über die geologischen und biologischen Besonderheiten dieser Landschaft informiert.
Der Abend verwöhnte uns mit einem weiteren sehr schönen Sonnenuntergang über dem See, der jedoch auch wieder Myriaden von Mücken anlockte ...
© 2001 Hans-Jörg Wiebe