Westlich der Askja und Dyngjufjalladalur

Beim Myvatn musste es kurz vorher geregnet haben - ein kurzes Stück auf der Straße 1 reichte aus, um mich dermaßen einzusauen, dass ich meine Farbe auf schmutzignasssandgelbbraun wechselte. Die paar entgegenkommenden Autos zogen eine riesige Gischtwolke hinter sich her, der man nicht ausweichen konnte. So verdreckt fragte ich in der Schule Skjólbrekka in Skutustadir südlich des Myvatn nach einer Sleepingbag accommodation, weil ich keine Lust hatte, das Zelt aufzubauen. Ich rechnete mit Regen.

Bald beginnt das Lava-Climbing ...

Die Hausmeisterin schaute mich sehr skeptisch von oben bis unten an und sagte dann sehr freundlich, dass man voll sei und keinen Platz mehr habe - aber im 1. Stock hätte sie noch eine Möglichkeit. So bezog ich für 1.000 ISK den Werk- und Abstellraum der Schule und ich hatte 80 qm für mich ganz allein ...

Allein, so weit das Auge reicht ...

Eigentlich wollte ich am nächsten Tag unbedingt einen Ruhetag einlegen. Die Brandstelle am Bein hatte sich entzündet und die Hände und Arme schmerzten - das tägliche Fahren forderte seinen Tribut. Doch der nächste Tag brachte einen tief blauen Himmel und kein Wölkchen war in Sicht. Ich überlegte noch und schließlich überkam es mich doch, denn ich war zum Motorradfahren hier und nicht zum Faulenzen. So startete ich kurz nach Mittag zu meiner anstrengendsten Tour während der ganzen Reise - aber das wusste ich zu diesem Zeitpunkt glücklicherweise noch nicht ...

Ich fuhr die Abkürzung westlich des Myvatn, die ich schon kannte: "MYV4" - "843", von da ein kurzes Stück auf der 843 nach Südost bis "SU1", von da die Seitenstraße bis "SU2". Hier war der Einstieg in die Piste, die parallel zur Sprengisandur östlich des Skjalfandafljót nach Süden verläuft. Eine tolle Strecke mit sehr hohem Spaßfaktor: Anfangs eine Erdpiste mit vielen Lavasteinen und immer etwas zu klettern - für eine "richtige" Enduro alles kein Problem. Eine Reiseenduro könnte allerdings stellenweise hängen bleiben. Und die Isländer fahren die Strecke mit ihren Geländewagen auch - der 4WD-Tourist aus Deutschland könnte sich an manchen Stellen Sorgen um seine neuen Reifen und den Unterboden seines Autos machen ...

Zum Umdrehen besteht jedoch häufig die Gelegenheit, alle Furten sind problemlos fahrbar. Weiter im Süden wird’s wieder leichter, aber die Landschaft bleibt interessant. So stelle ich mir Island vor: Allein, so weit das Auge reicht, tolle Landschaft und keine aufgefüllte, fade Schotter-Wellblech-Straße. Im Süden stieß ich bei Punkt "F910-S" auf die sogenannte Gaesavatnaleid nydri, also die neue F910. Ich hatte den Punkt als nächsten Waypoint gemäß den Karten eingegeben und war nicht überrascht, als ich feststellte, dass der Punkt ca. 1,6 km nördlicher liegt - irgendwann gewöhnt man sich an die Ungenauigkeiten der Karten. Der F910 folgte ich dann östlich bis zum Punkt "DYNG1", dem Einstieg zur Dyngjufjalladalur.

Nördlich von DYNG1 ... Gaesavatnaleid nydri

Ein Wort zur Strecke "F910-S" bis "DYNG1": Dieser Abschnitt ist für ein Motorrad nicht so einfach. Der weiche Sand allein ist nicht das eigentliche Problem. Aber wenn überall spitze und scharfkantige Lavabrocken (auch im Sand versteckt) auf die Reifen oder auf den Fahrer lauern, kommt man von der im Sand gewohnten Fahrweise - mit Vollgas und möglichst schnell - aus Sicherheitsgründen besser ab, weil man nicht zielgenau fahren kann. Stürze kann man sich bei einem Untergrund aus spitzer Lava einfach nicht leisten. Also wird man meistens langsam solche Stellen fahren und wer langsam fährt, gräbt sich wieder leichter ein. Wer mit einer schweren Reiseenduro und mit Gepäck diese Gaesavatnaleid nydri fahren möchte, sollte sich das vorher gut überlegen, da es anstrengend werden kann ...

Bei "DYNG1" steht an der F910 ein richtiger Wegweiser und zeigt zur Dyngjufjalladalur. Diese Strecke verläuft westlich der Askja in Nord/Südlicher Richtung und ist ein Traum für sich. Es gibt hier sagenhafte Fotomotive - vor allem in der späten Nachmittagssonne. Es liegen dann große gelbe Sandsteinkugeln mit langen Schatten auf schwarzer Lavaasche, so richtig was fürs Fotoalbum. Hier ist alles gut zu fahren. Etwas unangenehm wird’s im Norden. Hier beginnt ein Lavaclimbing. Es gibt keinerlei Markierungen und man folgt irgendwelchen Spuren, die aber oft falsch sind. So lange das Wetter mitspielt, geht das noch, weil man bei guter Sicht auf der Lava oft glänzende Reifenspuren sieht. Die Abdrücke im Sand oder im Boden zwischen der Lava hatte der starke Wind allerdings restlos verweht.

Pseudokrater am Myvatn ... Der Wandertag tat richtig gut ...

An den Pferden: Millionen von Mücken ...

Irgendwann sah ich plötzlich eine Markierungsstange und folgte dieser natürlich freudig, obwohl mir mein GPS eine ganz andere Richtung vorgab. So etwa bei "DYNG4" muss das gewesen sein, hier fuhr ich also in nördlicher Richtung, was leider falsch war. Da mißtraut man einmal der modernen GPS-Technik und verfährt sich prompt!

Ich war plötzlich viel zu weit nördlich. Diesen Fehler habe ich bei dem Punkt "027" wieder korrigiert, ich wollte möglichst schnell auf die 843, um Zeit aufzuholen. Gerade dieses Stück von "027" über "028", "FARM0" und "FARM" bis zur 843 hatte es wieder in sich. Starker Wind wirbelte den Sand auf, der mir teilweise die Sicht nahm. Dabei war die Strecke fantastisch: Gewaltige Erosionen mit Auswaschungen der Piste stellenweise bis mannstief. Eine sandige Erdpiste - die schönste, die ich je fuhr. Einmal blieb ich an einer überhängenden Böschung mit dem Lenker hängen und die Böschung stürzte ein, Wiederausgraben des Motorrades war angesagt ... 

Gefahrene Kilometer an diesem Nachmittag: nur 230. Aber wegen Vorschädigung der Greiforgane etwas anstrengend. Man sollte schon einen vollen Tag einplanen, für Geländewagen besser mehr als einen Tag. Alles fahrbar. Warnung vor Nebel bei der Lavakletterei. Mit die schönste Strecke, die ich in Island gefahren bin - fahrerisch und landschaftlich. Der Wandertag am Myvatn tat dann richtig gut!


© 2001 Hans-Jürgen Weise