In Nagaland
Die nächsten Tage sind wir also auf dem Weg Richtung Nagaland, eine selbständige Provinz wie Arunachal Pradesh. Dazu müssen wir wieder einmal durch die Ebene in Assam und reisen über Dibrugarh Richtung Mon nach Nagaland ein.
Schon knapp hinter der Grenze auf dem Weg nach Mon merkt man dramatische Unterschiede zu Assam - die Straßen sind in einem desaströsen Zustand, 100 km sind eine anstrengende Tagesetappe, offensichtlich wird die ablehnende Haltung der lokalen Verwaltung zur indischen Zentralregierung durch Kürzung der Mittel bestraft.
In Nagaland erwartet uns eine Gesellschaft ehemaliger Kopfjäger: Angeblich noch in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts soll vereinzelt noch die Kopfjagd betrieben worden sein. Auch hier gibt es wieder die zeitliche Nähe zum Frühlingsvollmond und wir haben erneut das Glück, an dem einen oder anderen Fest teilnehmen zu können. Diese finden einerseits im Rahmen von größeren Dorffesten, aber andererseits auch im kleinen Familienrahmen statt ...
Nach heftiger Missionsarbeit, finanziell unterstützt vor allem von amerikanischen Kirchen, sind die Naga-Stämme mittlerweile weitgehend zu Christen konvertiert. Die archaischen Wurzeln, die man an vielen Details in den Festen erkennt, wurden dadurch aber nicht ausgelöscht. Als weitere Konsequenz dieser Missionsarbeit erkennt man bei näherer Betrachtung aber auch zahlreiche Probleme in den Dörfern. Eine unübersehbare Entwurzelung der Bevölkerung und Entfremdung von den Traditionen ihrer Vorfahren ist nicht zu übersehen und führt zu Alkoholismus und Drogenkonsum, da nutzt auch das offizielle Alkoholverbot nichts.
Direkt an der Grenze zu Burma bei Longwa besuchen wir ein winziges "Königreich", bringen dem Ang (= König) als Gastgeschenk ein Paket Tee mit und stehen direkt an der Grenze zu Burma mit einem Bein in Indien und dem anderen in Burma. Es gibt keinerlei Hinweise, dass man sich bereits in Burma befindet, auch keine Grenzkontrolle oder ähnliches.
Im Rahmen unserer Audienz beim König, der erkennbar ist am Ozelot-Hut und den Türkisketten unterhalb des Knies, treffen wir auf die Berater und Minister, die meisten gezeichnet vom Opiumkonsum - auch während des "Ministerrates" genehmigt sich ein jeder sein Pfeifchen. Opium, das über die Grenze aus Burma geschmuggelt wird, wird überall offen konsumiert. Auch wir werden auf ein Pfeifchen eingeladen, das wir dankend ablehnen - eine Portion mit nur 30-40 Cent wäre jedenfalls wohlfeil.
Die Folgen der Droge sind in der Dorfgesellschaft deutlich sichtbar. Nirgendwo während der ganzen Reise haben wir soviel Aggression erlebt wie hier. Arbeitslose lungern herum, trinken oder rauchen, die Arbeit lastet weitgehend auf den Schultern der Frauen.
Beim Aoling Fest des Konyak-Stammes in Mon werden wir von den Veranstaltern als Gäste offiziell freundlich begrüßt und auch zum anschließenden Essen eingeladen - wo es die lokale Spezialität gibt: Fleisch und vor allem Haut von Mitun (eine Kreuzung von Rind und Büffel). Mitun Fleisch schmeckt uns nicht schlecht, Konsistenz und Geschmack von Mitun Haut ist für europäische Gaumen, na, sagen wir, ungewohnt - da es als seltene Spezialität gilt, machen wir den Gastgebern die Freude und essen eifrig.
Während des Fests führen Gruppen der diversen Konyak Dörfer der Umgebung in ihren traditionellen Trachten traditionelle Tänze auf. Besonders die Frauen eines jeden Dorfes unterscheiden sich durch bunte Stoffe (jetzt wissen wir auch, was Naga-Männer unter ihrem Röckchen tragen! ). Zu den Rhythmen der großen Baumtrommel tanzen Gruppen von Männern und Frauen, jeweils getrennt, ihre Tänze.
Um in den benachbarten Teil von Nagaland zu gelangen, müssen wir die ganze Straße wieder zurück nach Assam - wegen des üblen Straßenzustands eine Qual für meine Bandscheiben. Wenig später geht es wieder Richtung Nagaland nach Mokokchung.
Wir besuchen noch ein paar Dörfer der Ao, staunen über die Vielfalt der Trachten bei den Festen und bereiten uns in Kohima, der Hauptstadt von Nagaland, seelisch auf die Rückreise vor. Keinesfalls versäumen sollte man zuvor aber in Kohima den Markt ...
Eine kurze Fahrt bringt uns am letzten Tag nach Dimapur, dem nächsten kleinen Flughafen, der schon wieder in Assam liegt. Leider hat das für seine Hundespezialitäten bekannte Restaurant, das wir uns für den Abschluss aufgehoben hatten, an diesem Tag geschlossen ...
Der schon bekannte kurze Flug von knapp zwei Stunden bringt uns wieder zurück nach Kolkata. Die Temperatur hier steigt tagsüber jetzt bereits auf über 40°C, selbst am Abend, auf dem Weg zum Abendessen, hat es immerhin noch 36°C.
Zum Abschied genehmigen wir uns noch ein köstliches indisches Abendessen und ein letztes Kingfisher Bier und versuchen - vorerst vergeblich - das Erlebte zu begreifen bzw. zu verstehen. Das aber wird wohl noch einige Zeit erfordern ...
© 2014 Reinhard Temmel
Anm. der Red.: Weitere Beiträge von Reinhard Temmel zu anderen Touren sind ebenfalls bei uns zu finden:
- Albanien 2011: Auf Tour mit der "tartaruga"
- Skandinavien/Baltikum 2013: Die "tartaruga"-Abschiedstour