Adieu "Handgurke" - Willkommen "Push to Talk" Handy!CQ, CQ, irgendwer QRV für Hekla mobil ..? |
Wir packen unsere Fahrzeuge und wollen im Konvoi durch die Lande Richtung Kroatien aufbrechen: Es werden die CB-Funk-Antennen montiert für unsere alten Handgurken an Bord, damit wir von Fahrzeug zu Fahrzeug kommunizieren können. Jeder stellt Kanal 18 ein, ein kurzer Test - alles funktioniert ...
Aber ein Teilnehmer mit neuem Auto im Tross wirkt wenig begeistert: Muss ich denn jetzt echt noch so eine Antenne montieren? Gibt es sowas heute überhaupt noch? Weiß schon gar nicht mehr, wo meine Handgurke geblieben ist. Gibt´s es da nicht was Moderneres? Gibt´s denn nicht ne App auf'm Handy, so 'n Handy kann doch alles!
Nun, das ist eine berechtigte Frage. Den Spruch "Das haben wir schon immer so gemacht, das hat schon immer funktioniert" verkneift man sich besser, stattdessen ist das ein guter Anlass, sich endlich mal schlau zu machen über die aktuellen Möglichkeiten der Fahrzeug-Fahrzeug-Kommunikation.
Die Idee mit dem Handy war schon mal gut!
Das magische Konzept lautet nämlich "Push to Talk Over Cellular" oder auch kurz "POC" bzw. "PTToC".
Im Mobilfunk gibt es neben dem leitungsorientierten Protokoll, das für die Telefonie genutzt wird, auch Protokolle für Datenaustausch wie
- SMS-Versand
- MMS-Versand
- M2M (Datenaustausch für IOT - Internet Of Things - )
- Surfen im Internet.
Zu diesen Protokollen gehören
- GPRS - General Packet Radio Service
- UMTS - Universal Mobile Telecommunications System
- EDGE - Enhanced Data Rates for GSM Evolution
- LTE - Long Term Evolution
- usw.
Bei diesen Standards werden die Daten beim Sender in einzelne Pakete unterteilt, an den Empfänger übermittelt und dort wieder zusammengesetzt.
Die Idee bei POC war es nun, die Sprache ebenfalls in Paketen unterteilt an einen Server zu verschicken, der die Pakete an die angeschlossenen Empfänger weiterleitet - ähnlich zu VoIP (Voice over Internet Protocol). Die Kommunikation erfolgt Halbduplex, was bedeutet, dass immer nur einer reden kann, die anderen hören zu - das kennen wir ja schon vom CB-Funk. Anders als beim CB-Funk kommt es aber durch den Umweg über den POC-Server zu Verzögerungen, manchmal hat man den Eindruck, man würde aus dem Weltraum funken.
Statt der Kanäle gibt es Gruppen, in denen sich die Teilnehmer zusammenfinden - dazu weiter unten mehr.
Die Nutzung war mit speziellen sogenannten PTT-fähigen Geräten seit 1999 in den USA möglich und wurde dann Anfang der 2000er Jahre auch in Europa von den großen Telekommunikationsanbietern übernommen (PTT = Push to Talk). Der anfängliche Hickhack um die Standards erschwerte den flächenweiten Einsatz, aber immerhin wurde 2005 durch die OMA (Open Mobile Alliance) ein Standard verabschiedet.
Dennoch konnte sich POC auf Basis der dedizierten Geräte nicht durchsetzen.
Doch nun, seit es Smartphones gibt, die alles an Bord haben was für POC benötigt wird, bieten verschiedene Unternehmen Apps an, mit denen das Smartphone für PTT genutzt werden kann. Taxi- und Transportunternehmen, aber auch Betriebsfunkbetreiber und Rettungsunternehmen sind Anwender solcher POC-Apps - überwiegend in den USA, eher weniger in Europa.
Nicht nur Smartphones können mitfunken, auch Laptops mit Sim-Karte, Mikrofon und Lautsprecher sind dabei.
Aber auch für uns "Normal-Anwender" ist PTT mit dem Smartphone möglich - das Smartphone mutiert zum Walkie-Talkie, auch als Handgurke bezeichnet. Es funktioniert in vielen Ländern Europas, wir haben es erfolgreich in Deutschland, Österreich, Ungarn und Slowenien ausprobiert.
Ein großer Vorteil gegenüber CB-Funk ist die Reichweite, die ist nämlich aufgrund des Mobilfunknetzes nahezu grenzenlos. Ein kurzes Funkgespräch von Berlin nach Wien ist kein Problem - da muss man nicht mehr auf DX-Wetter (Wetter mit Überreichweite) warten.
POC ist nicht gedacht für endlose Funkdurchgänge (= Dauergequassel), da kann es passieren, dass man vom POC-Server ausgebremst wird und eine "Zeitsperre" bekommt. So was haben wir uns früher manchmal beim CB-Funk gewünscht! Aber für die Kommunikation bei z.B. Fahren oder Schippern im Konvoi ist POC durchaus geeignet.
POC wird im Gegensatz zu einem Telefonat über das Datenpaket des Mobilfunkvertrags abgerechnet.
Wie ein QSO (Funkgespräch) mit POC abläuft, kann man im Bild oben sehen. Zunächst muss sich jeder Teilnehmer anmelden und authentifizieren und bekommt eine Bestätigung vom POC-Server, der alle Teilnehmer, Gruppen und QSOs verwaltet. Dann kann der erste lossprechen, die anderen hören zu. Im Wechsel können die Teilnehmer sprechen und zuhören. Alles wird immer über den POC-Server abgewickelt.
Nach so viel Theorie nun aber an die Praxis:
Wir installieren zunächst die App "Zello" aus dem Google Play Store, dem Apple Shop oder Microsoft Store.
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Apple |
Microsoft |
Beim ersten Start registrieren wir uns, das Übliche: Benutzername und Passwort. Bereits mit dem Benutzernamen bildet man eine Gruppe, der Name der Gruppe ist identisch mit dem Benutzernamen.
Jeder, der nun funken will, kann in Zello die Gruppe mit diesem Benutzernamen suchen und eine Verbindung aufbauen. Wer mehr will, kann eine Gruppe anlegen und sie durch ein Passwort schützen, falls er die Gruppe nicht öffentlich zugänglich machen will. Übrigens: Bei Zello heißen die Gruppen Kanäle - wohl damit sich die Funker wie zu Hause fühlen ...
Mit "Teilen" kann man seine Freunde z.B. per E-Mail einladen oder sie per QR-Code in die Gruppe aufnehmen.
Damit man nun aktiv werden kann, drückt man auf den "Einschalter", es wird das Mikrofon mit gelbem Kreis angezeigt. Bei langem Drücken auf das Mikrofon, ertönt ein "Beep", der Kreis wird rot und man kann losreden bis man das Mikrofon wieder loslässt. Die anderen hören zu. Redet ein anderer Teilnehmer, wird der Kreis grün.
Das Dauerdrücken auf das Symbol am Handy während des Redens entspricht zwar dem Verhalten bei Benutzung einer Handgurke, ist aber während der Fahrt nicht wirklich praktisch und sogar gefährlich. Speziell für diesen Einsatzzweck hat Zello den "Car-Modus" vorgesehen: Aktiviert wird er durch Drücken auf das Fahrzeugsymbol. Nun muss man nur noch kurz auf das Mikrofonsymbol drücken, reden und wenn man fertig ist, wieder auf das Symbol drücken.
Aber es geht noch besser: Zello verfügt über einen Automatikmodus. Diesen muss man aber in den Optionen wie folgt aktivieren (siehe animiertes Bild unten links).
Döner-Menü → Optionen → Push-to-talk-Schaltfläche → Vox button
Hier kann man nun einstellen, dass das Symbol für den Automatikmodus
(Vox button = Wellensymbol) immer angezeigt wird und zur Verfügung
steht. Zusätzlich kann man noch an den Parameter zur
Empfindlichkeit drehen und die Dauer zur Erkennung des Sprechbeginns
und des Sprechendes anpassen.
Ist die Option aktiviert, drückt man nur noch auf das Wellensymbol neben dem Fahrzeugsymbol, dann überträgt Zello automatisch Geräusche, die ertönen. Aber keine Angst, Motorengeräusche werden zuverlässig unterdrückt!
Ein eingeschaltetes Autoradio sollte man sich allerdings verkneifen, sonst wird man zum rollenden Rundfunksender - eine Art Piratensender auf der Autobahn. Ansagen der Navis wurden aber bei unseren Tests zuverlässig übertragen - da darf man sich nicht verwirren lassen. Komfort genießen Navibesitzer mit Bluetoothverbindung zum Smartphone, denn die Ansagen des Navigators haben höhere Priorität als das Geplapper über Funk.
Insgesamt ist man gut beraten, Funkdisziplin einzuhalten.
Beim Beenden des QSO muss der Automatikmodus explizit wieder deaktiviert werden, ein Abmelden und Beenden der App allein reicht nicht - Zello kann immer noch mithören!
Damit die App nicht ständig aktiviert - und vielleicht sogar unkontrolliert - auf dem Handy läuft, empfehlen wir folgende Einstellungen unter Menü Optionen → Verhalten.
Wichtige Einstellungen deaktivieren!
Batterieoptimierung im Betrieb deaktivieren, |
Hat man die App installiert und einige Trockenübungen gemacht, geht es ab ins Auto, ausgestattet mit
- einer 12 Volt Mehrfachsteckdose, am Besten mit USB-Anschluss.
- 1 USB-Kabel
- 1 Smartphone-Halter oder Ablage möglichst nah beim "Funker"
- 1 Smartphone mit Zello-App und SIM-Karte
- 1 Kopfhörer mit Mikrofon. (optional).
... und schon kann es los gehen ...
Und so sieht es bei uns im Cockpit aus:
CQ, CQ, irgendwer QRV für Hekla mobil?
Aber auch die Daheimgebliebenen können ganz ohne Smartphone an den QSOs teilnehmen, wenn sie ein Gerät mit Zello-App, Mikrofon, Lautsprecher und Internetverbindung z.B. über WLAN haben. Da bleibt das Mobil-Datenvolumen unberührt, man kann sogar die Option "Mobile Daten" im Handy abschalten.
Zello kann sowohl mit Mobilfunknetz als auch direkt über das Internet Kommunikationskanäle aufbauen und verwalten, sogar der Mischbetrieb ist kein Problem. Ab sofort wird diese App ein kleiner Reisebegleiter sein, aber aufpassen, dass man rechtzeitig abschaltet: Damit nicht alles, was gesagt wird, auch in die Welt hinausposaunt wird!
© 2023 Sixta Zerlauth
Anm. der Red.: Weitere Beiträge von Sixta finden sich in unserer Autorenübersicht!