Nachträge Wrackbesuch: Die letzte Runde ..? (1)
© Bildvorlage: Christian Niehoff
13. Nachtrag, Oktober ´06: Der "Dummy"-Schlot ist verschwunden ...
Es geschah bereits vor Mitte September: Unsere Leser Siegfried Gerbode, Sebastian A. Schmitz, Nadine, Holger Oeser und Friedrich Föste schickten uns ihre aktuellen Fotos, und Friedrich war der erste, der es bemerkt hatte: Der "Dummy"-Schlot ist verschwunden - weggespült von den Gewalten der See.
Während das Bild von Siegfried Gerbode vom 06.09. noch die untergehenden Reste zeigt (siehe oberes Bild), ist nur wenige Tage später bereits alles versunken. Das Bild von Friedrich Föste vom 11.09. (auf unteres Bild von Holger Oeser klicken) zeigt nur noch eine Lücke auf dem nun völlig verzerrten Deck, wo einstmals der vordere "Schornstein" saß, der keiner war - es geht dahin ..!
14. und 15. Nachtrag, immer noch Oktober ´06: Was geschah mit dem Heck?
Groß war das Erstaunen nicht nur in der Redaktion, als Christian Niehoff von HELITOURS S.L. kürzlich mehrere Bilder eines Fluges vom August 2006 präsentierte, den er durchgeführt hatte. Auch auf den beiden Bildern unten, die er uns freundlicherweise überließ, ist ein Szenario zu erkennen, das so wohl noch nie während der letzten Jahre fotografiert wurde: Es handelt sich um einen sonnigen Augusttag, an dem das Wrack noch über seinen "Dummy"-Schornstein verfügt.
Das Meer ist an diesem Tag derart ruhig und klar, dass man in bisher ungekannter Deutlichkeit das Heck der AMERICAN STAR erkennen kann - aber in einer Art und Weise, wie wir es eigentlich nicht erwartet hätten.
Schon häufiger konnte man auf Luftbildern gewisse Umrisse des abgebrochenen Heckbereichs erkennen (siehe z.B. Luftbild vom Oktober 2004 im Beitrag "Der Zahn der Zeit"), aber dieser neue Anblick war dann doch mehr als verblüffend! Wir setzten uns sofort mit Bill Lee in Verbindung, der als Experte für die "Autopsie" der AMERICAN STAR ebenfalls überrascht war, wie die Übersetzung seiner Analyse zeigt ...
Ich habe einige Probleme damit, genau sagen zu können, was man da wirklich sieht. Wie man auf Bildern etwa aus dem Jahr 1996 erkennen kann (siehe dazu z.B. unser Bild aus dem "Autopsie"-Beitrag), rollte das abgerissene Achterschiff zunehmend auf die Backbordseite (ähnlich wie heute der Bug) und versank schließlich. Aber diese Bilder erwecken den Eindruck, als wäre das Heck mehr oder weniger gerade "auf Kiel gelegt". Und schließlich zeigen die Bilder eine Art "Decksplan", wie man es nennen könnte.
Könnte der mysteriöse "Decksplan" möglicherweise die tiefer liegenden Bereiche des Achterschiffs zeigen, da hier eine entfernte Ähnlichkeit mit der Aufteilung des dortigen "D"-Decks sichtbar zu sein scheint (siehe auch dazu den "Autopsie"-Beitrag), was allerdings auch keine Erklärung für die Lage des Hecks liefert? Könnte es sein, dass dieser Teil nach dem Sinken wieder "zurückgerollt" ist?
Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Vielleicht war es so, vielleicht ist aber das Heck weiter zerfallen. Sogar nach dem Sinken könnten die relativ leichten Aufbauten (insbesondere die Erweiterungen, die von den Griechen im Jahr 1965 hinzugefügt wurden) weiter zerstört und weggerissen worden sein - z.B. durch Stürme. Insgesamt entsteht der Eindruck, dass die leichteren Strukturen der oberen Decks nach Steuerbord getrieben worden sind und dort nun ein Trümmerfeld einer gewissen Größe erzeugt haben. Um das jedoch genau festzustellen, müsste man tauchen und Unterwasserfotos machen - aber was wir nicht brauchen ist jemand, der bei einer solchen Aktion möglicherweise verletzt oder gar getötet wird ...
Wir können uns der Analyse von Bill nur anschließen - eine andere Interpretation lassen die Bilder von Christian Niehoff kaum zu, die alle Betrachter in ihren Bann schlagen.
Natürlich haben wir trotzdem noch Thomas von FuerteFunFactory nach seiner Meinung gefragt, da sie schließlich Tauchexkursionen auf der Insel anbieten. Und auch Thomas warnte vor derartigen Aktivitäten: Offiziell ist ihm keine Möglichkeit bekannt, dort zu tauchen. Sicherlich könnte es jemand auf eigene Faust versuchen, aber derjenige sollte sich dabei nicht erwischen lassen. Es gibt dort regelmäßige Kontrollen von Polizei und Militär. Auch würde er nicht unbedingt empfehlen, gerade dort zu tauchen. Hinzu kommt, dass an der gesamten Westküste nur bei optimalen Bedingungen getaucht werden sollte.
Nun, so wird sich zeigen müssen, was die AMERICAN STAR in Zukunft noch an Geheimnissen preisgibt - wir sind jedenfalls gespannt!
Doch was nun wohl nicht mehr lange dauern kann, ist der weitere Zerfall des Bugs - wie uns das Bild rechts von Torsten Feix von Anfang Oktober zeigt, wird sich die See nicht mit dem abgerissenen "Dummy"-Schornstein begnügen ...
Ergänzung: Nur wenige Tage nach Veröffentlichung der obigen Bilder sandte uns Stephan Robmann seine Version der "Untergangsgeschichte" vom Achterschiff - und sie passt hervorragend zu all unseren bisherigen Erkenntnissen!
16. Nachtrag, November ´06: Letzte Ölung ...
Erste Tage im November: Die Aufbauten sind weiter abgerutscht, die Brücke steht nun mittlerweile senkrecht. Der hintere Decksaufbau, den man auf dem Bild von Friedrich Föste vom 11.09.06 recht gut erkennen kann, ist inzwischen ebenfalls bis zur Wasseroberfläche gerutscht und sitzt dort nun ähnlich auf wie noch vor kurzem der "Dummy"-Schlot. Auch diese Teile werden in Kürze sicherlich den selben Weg gehen wie der Schornstein-Stumpf.
Auf dem Bild von Jens Schröer unten links (Standbild aus einem Film) vom 06.11.06 zeigt sich eine Trümmerlandschaft. Auch das Bild von Kathrin Mein (unten rechts), die zwei Tage nach Jens und ein Jahr nach ihrem letzten Aufenthalt ebenfalls wieder vor Ort war und dort erschrak, wie sie uns schreibt, zeigt diesen Sachverhalt sehr eindrucksvoll.
Und dann schrieb uns Jens noch etwas sehr Berührendes und nach einigen Mails waren wir uns einig, dass es zur Situation passt ...
Hallo Explorer-Team,
ich bin vor ziemlich genau einer Woche schweren Herzens von Fuerte zurückgekehrt. War zweimal "illegal" mit dem PKW bei meiner heimlichen Liebe. Sie hat durch ihre veränderte Lage etwas von ihrer majestätischen Erscheinung verloren, aber dennoch ist sie das größte Kleinod der Westküste für mich. Selbst wenn sie irgendwann im Atlantik versunken sein wird, unter Sand und Legenden begraben, würde ich sie besuchen, wie das Grab eines Menschen, den es einmal für mich gab, der mir wichtig war.
Jedes Mal, wenn ich dort weilte, ergriff mich eine so unbeschreibliche Melancholie, eine wunderbare Art von Fernweh und Freiheit, und die Gewissheit über die Vergänglichkeit alles Seins auf dieser Welt und die Nichtigkeiten, die meinen Alltag zur Hölle machen. Hätte ich nur so einen ähnlichen Ort der Besinnung hier ... Niemand auf dieser Welt bräuchte Weihnachten, um sich darüber klar zu werden, dass er lieben kann, auch wenn es nur Augenblicke sind, die das ausmachen. Hab meine Lady gefilmt und eine erstaunliche Entdeckung gemacht. Ich muss dieses Bild aus meinem Video isolieren, war wirklich unglaublich, was ich da sah, aber vielleicht haben es auch andere Hingerissene schon bemerkt. Oder sollte ich wirklich der Erste sein, dem das aufgefallen ist ...
Es ist mir schon klar, dass dies eine von Korrosion und Zerstörung hervorgerufene Erscheinung ist, aber dieses Bild eines betenden Mönches (meine Sichtweise) entbehrt doch nicht einer gewissen Erhabenheit; ein Geistlicher erteilt dem Schiff die letzte Ölung! Selbst wenn oder gerade weil dies Bild einzig und allein die Wogen des Atlantiks und das Salz in der Luft geschaffen haben, die Tage der alten Lady sind gezählt und es erscheint "jemand", der sie zur Ruhe bettet ...
Auf jeden Fall bin ich dankbar für Eure Seite und verfolge interessiert alles, was sich um mein "Schiff" dreht. Danke dafür. Macht weiter so.
Danke für deine Mail, Jens, und: Wir machen weiter ..!
17. Nachtrag, Dezember ´06: Mystik und Realität - die Brücke ist verschwunden
Wunderschöne Stimmungsbilder des Wracks bekommen wir ab und zu ebenfalls zugeschickt. So z.B. die beiden Bilder mit Abendstimmungen von Ulf Jungjohann aus dem Oktober ´06 (unten links) oder aber das von Mario Staffeld (unten rechts) aus dem November - die Mystik dieser Fotos ist trotz des Wrack-Zustands ungebrochen.
Doch dann gibt es noch die Realität des Dezembers: Bereits am letzten Novembertag gab es keine Brücke mehr am Wrack, wie die beiden nachfolgenden Bilder von Jürgen Keller und seine Mail zeigen - die Realität ist das Wasser, das sich seinen Weg erbarmungslos durch den Rumpf bahnt ...
Hallo,
seitdem ich Anfang des Jahres auf diese Seite gestoßen bin, ließ mich die Geschichte nie mehr los. Ich wollte unbedingt noch vor Ort sein, bevor sie ganz den Wellen zum Opfer fällt. Als es darum ging, das Urlaubsziel für dieses Jahr auszuwählen, stand Fuerteventura ganz oben auf der Liste. Auf Fuerteventura angekommen habe ich mir sofort einen geländegängigen Wagen gemietet und mich auf die Suche gemacht. Da ich aus dem Süden kam, nahm ich die erste Abfahrt, durch das Militärgebiet ... war schon das erste Abenteuer. Dann stand ich vor ihr bzw. vor dem traurigen Rest ...
Anm. der Red.: Wir können nur davon abraten, das militärische Sperrgebiet bei Pajara, das als NATO-Übungsgebiet ausgewiesen ist, bei der Fahrt zum Wrack zu durchqueren. Die Sicherungen mit Ketten und Schlössern weisen darauf hin, dass man es ernst meint. Hier können sich außerdem Blindgänger von Übungen befinden und auch Streifenfahrten von Polizei oder Militär stattfinden - also ein u.U. teures Vergnügen, dort aufgegriffen zu werden ...
18. Nachtrag, Jahresende 2006: Blick zurück und Blick nach vorn ...
Wir waren erstaunt, als uns Dirk Evers mitteilte, dass die American Star jetzt sogar als Titelmotiv für das DVD-Cover eines alten Films herhalten muss: "Nacht fiel über Gotenhafen" heißt der deutsche Spielfilm von Frank Wisbar aus dem Jahr 1959/1960, in dem u.a. Sonja Ziemann, Brigitte Horney, Günter Pfitzmann und Dietmar Schönherr mitspielen. In dem Streifen geht es um das Schicksal der Wilhelm Gustloff, eines deutschen Schiffs, das kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs im Januar 1945 mit Tausenden von Flüchtlingen an Bord torpediert wurde und sank.
Die Wilhelm Gustloff war ursprünglich ein Kreuzfahrtschiff mit einer Länge von mehr als 200 Metern und lief im Jahr 1937 vom Stapel, also nur zwei Jahre vor der SS America. Aber es war wohl eher die Fantasie, die die Macher dieser neuen alten DVD dazu verleitete, das Wrack der American Star auf den Titel zu nehmen: So ähnlich könnte es vielleicht in jener Nacht am 30. Januar 1945 ausgesehen haben, dachte man sich wahrscheinlich, als jenes russische U-Boot die Wilhelm Gustloff torpedierte und versenkte.
Die heute genannten Zahlen von ca. 8.000 - 9.000 Toten in jener Nacht weisen auf die vermutlich größte Katastrophe der Schifffahrtsgeschichte hin - hat die gute alte SS America alias USS Westpoint alias American Star das verdient, auf der zu Kriegszeiten nicht ein einziger Kriegstoter (durch Feindeinwirkung) zu beklagen war ..?
Nun ja, über Geschmack lässt sich bekanntlich trefflich streiten und sicher wird das DVD-Cover der im Dezember ´06 gerade erschienenen Scheibe vielen eher zusagen als noch die alten Bilder der VHS-Videokasse der neunziger Jahre, auf der sich der selbe Film befindet ...
Nach diesem "Blick zurück" nun ein ebenfalls wenig erfreulicher Blick nach vorn: Stephan Robmann, der uns bereits bekannt ist durch seine hervorragende Darstellung der möglichen Vorgänge rund um das Heck der American Star, hat erneut etwas geliefert: Diesmal befasst er sich mit der "Weiterentwicklung" des Wracks, und die lässt ja wie wir alle wissen, nur wenig Gutes erwarten.
Seine 3 folgenden Skizzen hat Stephan wie folgt beschrieben:
Bild 1 (Dezember ´06, unten links):
Die Aufbauten haben nachgegeben und sind in die See gestürzt. Der verbliebene Rumpf wird sehr wahrscheinlich durch die Wellenschläge "ausgehöhlt". Verblieben ist die Vorpiek mit den massigen Ankerwinden (eine davon hätte ich gerne als Deko ) auf dem Vorderdeck. Der Wellenbrecher. Vermag die Wellen etwas abzudämmen, jedoch nicht für sehr lange. Als nächstes werden die beiden Lastkräne auf dem ehemaligen Welldeck verschwinden ...
Bild 2 (links):
Das Vorderdeck wurde von der See nun mehr als bis zur Hälfte abgetragen und verblieben ist der massive Bugsteven, der sich noch mehr zur See geneigt hat. Wie lange der Anker noch sichtbar bleibt, ist davon abhängig wie lange es dauert, bis die noch verbliebene Abstützung in der ehemaligen Backbordseite ebenfalls nachgibt.
Bild 2 (rechts):
Verblieben ist der Steven mit ein paar Resten der Rumpfbeplankung. Er hat am längsten durchgehalten, wird aber spätestens in wenigen Jahren verschwunden sein. Vielleicht werden bei Ebbe noch ein paar Überreste sichtbar werden. Von oben würde man ähnlich wie beim Heck einen Umriss des verdrückten Rumpfes erkennen können.
Bild 3:
Nur ein Vergleich - und weil sie so schön war ...
Dem voraussichtlichen Ablauf, wie ihn Stephan Robmann sieht, bleibt wenig hinzuzufügen. Vielleicht noch eines: Die See tut alles, um Stephans Vorhersagen zu erfüllen. Dies zeigen die Bilder von Egbert Scholtis aus der 47. Kalenderwoche - mehr als deutlich wird anhand dieser Bilder, warum mittlerweile die Aufbauten verschwunden sind ...
Mit diesen dramatischen Bildern beenden wir die Berichterstattung rund um die American Star im Jahr 2006. Wir wünschen allen Lesern und Fans des Wracks an der Westküste ein gutes neues Jahr 2007 - ein Jahr, in dem wir natürlich wie bisher weiter berichten werden ..!
© 2006 Explorer Magazin