Tag 1 - Die ersten Schritte
Die Vogesenwanderung ist für fünf Tage angesetzt und gleichzeitig meine erste längere Tour. Begleitet werde ich von meinem Freund Jan, dessen Wanderungen hier im Magazin bereits ebenfalls zu finden sind. Seine Füße bewältigten dabei schon über 20 Mehrtagesrouten. Ich bin gespannt auf unsere gemeinsame Tour!
Unser Startpunkt liegt in Colmar - einer kleinen, charmanten Stadt mit Ursprung im 13. Jahrhundert. Lange Gassen führen zu Denkmälern und kleinen Cafés. Insider-Tipp: Das von der Familie betriebene Restaurant Hammerer.
Am Morgen begeben wir uns zum Bahnhof. Im letzten Augenblick vor der Abfahrt gelingt es uns zum Glück noch, durch die Türen des Zuges zu springen. Bereits 40 Minuten später empfängt uns das Dorf Metzeral: In einem kleinen Supermarkt decken wir uns mit Pfirsichen ein und lassen uns den Weg zum GR 5 zeigen, da wir nur eine Karte des nördlichen Teiles mitgenommen haben. Eine Karte der gesamten Vogesen wäre vielleicht sinnvoller gewesen ...
Die Kilometer einer Landstraße führen uns über eine Holzbrücke zum ersten Wegweiser - links abbiegen, dem roten Rechteck folgen!
Vor uns ein Gemälde aus Hügeln, Wäldern und moosbewachsenen Felsen, die darauf warten entdeckt zu werden. Vorbildliche Beschilderungen leiten uns über steinige Pfade in einen märchenhaften Wald: Ein sprudelnd klarer Bergbach lässt mich von Unendlichkeit träumen. Jan ist pragmatischer und füllt unsere Wasservorräte auf ...
Wir folgen dem Tipp eines Wanderers und gehen in Richtung Fischboedle: Bewaldete Hügel rahmen den leicht abgelegenen See ein. Wer aus dem kleinen überdachten Pavillon blickt, entdeckt einen sanften Wasserfall in der Ferne. Aus der Idylle heraus beschließe ich, dass der Pfad viel zu langweilig ist. Ein Berghang aus Steingeröll zieht meine Aufmerksamkeit auf sich. Da will ich rüber! Gedacht - getan: 1,5 Stunden vergnügen wir uns daraufhin im Hagel und Regen mit Rutschen, Klettern und Schürfwunden sammeln ...
Um eine Erfahrung weiser, gelangen wir innerhalb kürzester Zeit auf den rechten Weg zurück. Dunkle Gewitterwolken folgen uns über Abgründe und Felder. Jan hat seine Regenjacke zu Hause vergessen - nett von ihm, dass er nicht das Wander-Ass raushängen lässt!
Vom Sturm getrieben, eilen wir vorbei am Lac de Schiessrothried, bezwingen weitere 800 Höhenmeter und halten für einen Augenblick am Petit Hohneck (1.289 m) inne.
Unseren Weg kreuzen mehrere Bergziegen, die sich wenige Meter vor uns auf die Hinterbeine stellen und im Grün der Bäumchen verschwinden. Die Witterungsbedingungen scheinen sie nicht zu beunruhigen. Es dämmert. Und endlich erblicken wir das Refuge Frankenthal: Geschlossen. Der überdachte Vorsprung erfüllt dennoch alle Wünsche, die noch geblieben sind. Zelt auf Beton - die Nacht kann kommen.
Tag 2 - Vom Felsenweg zum Lac Blanc
Ein weiterer Regentag beginnt. Nur vereinzelt erstrahlt die Sonne hinter den Wolken. Beobachtet von einer professionellen Schuhtestgruppe packen wir unsere noch immer feuchte Ausrüstung zusammen und schreiten in Richtung unseres heutigen Zieles - des Lac Blancs.
Zuerst dürfen wir uns am anspruchsvollsten Felspfadweg der Vogesen erfreuen: Der Klettersteig, Sentier des Roches, umrandet den Krappenfels. Immer ein Schritt vor den anderen - schmal und wackelig, dafür geschmückt mit atemberaubenden Aussichten in Hügel und Tal …
Über Stock und Bach klettern wir Höhenmeter um Höhenmeter. Eine Leiter führt uns zu einer Pforte aus Stein. Von der Sonne beleuchtet, funkeln die Wände des Felsens bläulich und leiten uns auf die andere Seite. Hier empfängt uns ein Holztisch, der keine andere Wahl lässt, als unverzüglich Platz zu nehmen und in dieser Gebirgskulisse einen Mittagssnack zu genießen.
Bald darauf sind wir bereits am Ausgangspunkt für diverse Tagestouren. Der Pass "Col de la Schlucht" bietet viele Parkmöglichkeiten und dürfte in den Wintermonaten die perfekte Location für Aprés-Ski darstellen. Wir speisen in einem französischen Imbiss - wie erwartet: teuer und süß.
Gestärkt folgen wir den Wegweisern durch helle Wälder, Sträucher und Felsenformationen. Weitläufige Panoramen lugen hinter jeder zweiten Anhöhe hervor. Das letzte Stück bildet ein langer Feldweg, der uns vorbei am kleinen Lac Noir zur Auberge du Blancrupt führt.
Die herzlichen Gastgeber der Herberge freuen sich mit Ratschlägen zur Seite zu stehen: Nach kurzer Zeit steht unser Routenverlauf für die nächsten Tage fest. Für die Nacht dürfen wir unser Zelt auf der riesigen Wiese vor dem Grundstück aufbauen und bekommen eine hauseigene Rotweinflasche als Souvenir geschenkt ...
© 2017 Eva Kaznelson