Zweites Zwischenziel: Cevennen
Am nächsten Tag erwachen wir in dichtem Nebel und können an den Aussichtsbalkonen an der Ardecheklamm mangels Sicht getrost vorbeifahren. Erst weiter flussaufwärts und später am Vormittag gibt es wieder Sightseeing an eindrucksvollen Felsen und einer Naturbrücke bei Vallon-Pont-d´Arc.
Danach geht es aber endlich in die Cevennen, und zwar von Nordosten her über die kleine Stadt Villefort, an einem Stausee gelegen mit aktuell sehr niedrigem Wasserstand. Dort steht eine kleine Offroadpiste auf meinem Plan, im MDMOT-Führer ist es die Nummer 20a, die dort als See-Berg-Piste bezeichnet wird. Dabei handelt es sich im Prinzip um eine Forststraße, die vom westlichen Ende des Stausees einspurig, steil, in engen Kehren und ohne lohnende Seeblicke auf eine waldwirtschaftlich genutzte einsame Hochebene führt. Nur die ersten 3 Kilometer sind spannend und zwingen meinen Bremach in engen Kehren zu manchen Reversierungen. Die nördliche Abfahrt von dieser Höhe dient den Holzlastern als Transportweg und ist entsprechend breit ausgebaut mit weiten Kurven und ohne größere Steigung. Aber als Auftakt und um wieder ein Gefühl für die Möglichkeiten und Grenzen eines Wohnmobils auf Bremach zu gewinnen, ist diese kurze Strecke nicht schlecht ...
Auf dem Rückweg nach Villefort sehen wir links auf einer Anhöhe alte Gemäuer eines kleinen mittelalterlichen Dorfes und fahren kurzentschlossen dorthin: Le Garde-Guèrin wurde im 10.Jahrhundert gegründet, verfiel 400 Jahre später ganz langsam und wird seit 1965 von einem Verein wieder restauriert. Heute dient es als Museumsdorf, in dem man authentisch das Ambiente und die Bauweise des Mittelalters studieren kann. Einen Besuch ist es allemal wert.
Villefort dagegen will heute nicht von uns besucht werden: Wir brauchen einen Campingplatz für Duschen, Wäsche etc., doch der Platz am Ort ist zwar offen, hat aber seine Wasserhähne schon abgesperrt. Pech!
Also fahren wir weiter bis Le Pont-de-Montvert, na ja, Grünbergbruck auf gut Deutsch. Das ist ein netter kleiner Ort an der Kreuzung von drei Tälern und Flüssen mit einigen kleinen Läden und Restaurants, einer kurzen Flanierstrecke am Fluss, einem zentral gelegenen, aber hässlichen Park- oder Stellplatz und einer alten Bogenbrücke über den Fluss Tarn. Die ist sehr schmal, führt jedoch ohne jede Gewichtsbeschränkung zum einfachen, aber sympathischen Camping Municipal. Wie immer zwängen sich die weißen Straßenschiffe eng zusammen auf dem kostenlosen Stellplatz und lassen wegen der 15 Euro den gemütlichen CP fast leer. Muss ich extra erwähnen, dass ich kein Freund von Wohnmobilstellplätzen bin ..?
Grünbergbruck ist Basislager zahlreicher Wanderungen ins Lozèregebiet, der höchsten Erhebung der Cevennen (maximal 1.699 m), und zu anderen attraktiven Wanderzielen. Auch Robert Louis Stevenson, Autor der "Schatzinsel", ist an dieser Stelle im Jahr 1878 durchgekommen auf seiner "Reise mit dem Esel durch die Cevennen" (siehe Buchtitel rechts).
Ebenfalls hier startet eine der schönsten Offroadstrecken der Cevennen, die Panoramapiste C18 im MDMOT-Führer, die nach einem kurzen steilen Anstieg (Mitte Bild oben rechts) etwa 30 km lang in einer Höhe zwischen 1.300 m und 1.500 m verläuft und damit nur wenig unter den höchsten Cevennengipfeln entlang führt - gigantische Ausblicke inbegriffen!
Dies soll der Leckerbissen für morgen sein. Zusätzlich hatten wir
uns das nach Carnac in der Bretagne
zweitgrößte Menhirenfeld Europas
Cham des Bondons
ausgewählt, von der D35 in wenigen Wanderkilometern gut zu
erreichen.
Heute machen wir es uns aber erst einmal gemütlich
auf dem kleinen Campingplatz, frei
stehen ist ja verboten im
Nationalpark Cevennen, und genießen WLAN
und all den sonstigen Komfort eines gut ausgerüsteten Wohnmobils.
Dabei beobachten wir einen etwa 70jährigen Franzosen, der mit
seinem Büroanzug aussieht wie ein Buchhalter, direkt neben uns
sein Zelt aufbaut, die Luftmatratze aufbläst und auf einem kleinen Kartuschenkocher sein Nudelwasser zum Kochen bringt. So
haben wir als Schüler seinerzeit auch gezeltet, viele Jahrzehnte ist das her
..!
Die Nacht bringt eine Wetterverschlechterung mit Kälte und Regen, die mehrere Tage anhalten wird. Unser Nachbar baut am nächsten Morgen sehr früh sein nasses Zelt ab und verschwindet. Aber gegenüber kommen neue Campinggäste an. Wieder Leute, über die wir uns nur wundern können: Drei Männer, allem Anschein nach zwei Brüder um die dreißig und ein älterer Herr, vielleicht ihr Vater. Auch sie bauen neben ihrem PKW ein kleines Zelt auf, in dem aber nur zwei von ihnen Platz finden, der dritte schläft im Auto. Wir bleiben bei strömendem Regen zwei ganze Tage auf dem Platz, die drei Männer auch. Der Campingplatz hat leider keinen Aufenthaltsraum und die drei Franzosen sitzen den ganzen Tag hinter den beschlagenen Fenstern ihres kleinen Autos und unterhalten sich. Wieder reichen unsere Sprachkenntnisse nicht, die Männer ein wenig auszuhorchen und so bleibt uns nur das Staunen ...
Diese zwei Tage entschleunigen unsere Reise erheblich: Faul liegen wir bis weit in den Vormittag in den Betten, lesen in Buch oder Internet, kochen und essen gemütlich, nutzen Waschmaschine und Trockner am Platz und gönnen auch Kasper ein paar kleine Spazierrunden - viel nicht, denn es regnet und regnet ... Zwischendurch beobachten wir dann wieder staunend und mitfühlend die drei Männer, die sich aus ihrem Auto kaum einmal heraustrauen. Schade, dass wir davon kein Bild gemacht haben. Man würde allerdings auch nicht viel darauf erkennen, von dem winzigen Zelt und dem PKW mit beschlagenen Fensterscheiben einmal abgesehen ...
So wie die Reise uns dort Zeit ließ, in dem hervorragenden Cevennen-Reiseführer (siehe rechts) zu lesen, so soll auch hier ein winziger Rückblick in die lebhafte Geschichte dieser Region gestattet sein. Manch einer kennt die Ballade "Die Füße im Feuer" von Conrad Ferdinand Meyer, die von den brutalen Methoden der Hugenottenverfolgung in den Cevennen handelt. Die Hugenotten oder Calvinisten, also die französischen Protestanten, suchten in den abgelegenen Bergregionen Schutz vor den Verfolgungen durch die fundamentalistischen Katholiken von König und Papst. Sie wurden zwar reihenweise gefasst und hingerichtet, man konnte sie aber trotzdem nicht ausrotten, ja sie wurden sogar stärker durch die Verfolgungen. Noch zu Zeiten der Reise von Stevenson im ausklingenden 19. Jahrhundert gab es verbitterte und emotional ausgetragene Glaubensdispute, schön beschrieben von Stevenson im Kapitel über die Pensionsgäste in der Abtei von Notre-Dame-des-Neiges.
Das Wetter wird nicht besser, knapp oberhalb von Le Pont de-Montvert beginnt die dichte Wolkendecke und unsere Ziele hier in den Cevennen bleiben unerreichbar. Aber die Wetterkarte zeigt auch unmissverständlich, dass es weiter südlich, im Gebiet unseres eigentlichen Zieles Pyrenäen, noch viel schlechter ist und bleibt.
Ein starkes Tiefdruckgebiet über dem westlichen Mittelmeer, das sich gemeinsam mit einer riesigen Hochdruckzone über Mitteleuropa festgesetzt hat, saugt unaufhaltsam feuchte Luftmassen aus dem Mittelmeer an und bringt Stürme sowie Starkregen von Portugal bis Griechenland mit sich, dazu noch massive Überschwemmungen von Carcassonne bis Oberitalien: Also insgesamt kurz- bis mittelfristig keinerlei Hoffnung auf Besserung ..!
Eines wird klar: Weiterfahren wie geplant ist sinnlos: Wir müssen dem schlechten Wetter nach Norden ausweichen. Gemeinerweise genießt derzeit ganz Mitteleuropa einen herrlichen goldenen Oktober, auch die im letzten Herbst so verregnete Ostsee ist wolkenlos und unsere Enkelkinder in Oberbayern spielen während der ganzen drei Wochen täglich im sonnenüberfluteten Garten ...
Zufällig habe ich einen Reiseführer über die Auvergne dabei, die Region nördlich der Cevennen, die laut Satellitenbild gerade noch außerhalb der Wolkenfronten liegt. Das Titelbild dieses Buches zeigt eine Kirche auf dem Gipfel eines steilen Felsen in Le Puy-en-Velay und inspiriert uns, dort hinzufahren. Wir werden dann anschließend langsam nach Hause trödeln und dabei noch eine erweiterte Frankreichtour mitnehmen. Le Puy wird nun unser erstes Ziel, gerade einmal 100 Kilometer nördlich von hier.
Wir verlassen also Grünbergbruck mit dem Versprechen, bald wiederzukommen, um die ausgefallenen Fahr- und Wanderziele nachzuholen. Wir geben aber dem Wetter noch eine letzte Chance und machen einen kleinen Umweg über St-Jean-du-Gard, eines der touristischen Zentren der Cevennen.
Dort gibt es ein modern konzipiertes und sehr empfehlenswertes Museum zum Nationalpark und die frühere Seidenraupenzucht in den Cevennen. Wenige Kilometer südlich davon kommt man nach Anduze, wo der große Bambusgarten Prafrance mit einer netten, möglicherweise aber erfundenen Geschichte zu seiner Entstehung im Jahr 1856 aufwartet: Die Stadt Anduze habe damals zwei Pandabären als Geschenk mit "Pferdefuß" erhalten. Die Ernährung dieser schönen Tiere, die ja nur Bambussprossen fressen, habe sich nämlich als sündteure Angelegenheit gestaltet, bis jemand auf die Idee kam, den Bambus selber anzubauen. Möglicherweise erfunden ist diese Geschichte deshalb, weil eine ähnliche historisch belegt ist: Der deutsche Bundeskanzler Willy Brandt erhielt im Jahr 1980 von der chinesischen Regierung tatsächlich zwei Pandabären für den Berliner Zoo und es war eine logistische Herausforderung für die Zoomanager, die Nahrung für diese Tiere zu besorgen. Der Bambus kam schlussendlich aus dieser Bambouseraie in Anduze.
Die Pandabären in Anduze gibt es schon lange nicht mehr, der Bambuswald gedieh aber prächtig und wurde zum Hobby und zuletzt zur Profession der Betreiber dieses Gartens. Heute ist er eine Besucherattraktion und beherbergt auch sehr seltene Bambusarten, die man außerhalb von China nur an wenigen Orten bestaunen kann. Wir staunen jedenfalls auch und dafür lohnt sich der Eintrittspreis auf jeden Fall ...
© 2019 Sepp Reithmeier