Frankreich:
Schwerpunkt Hinterlassenschaften - Stille Zeugen am Atlantikwall
Auf unserer Fahrt Richtung Clohars-Carnoet und zu dem Camp im benachbarten Le Pouldu wollen wir in Anbetracht unserer nur rund 70 km kurzen Tagesetappe zunächst einige Zeugen des Zweiten Weltkriegs besuchen - der "Atlantikwall" ist wieder einmal nah!
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Atlantikwall: Erneut also sind wir bei den verbunkerten Artillerie- und Verteidigungsstellungen - einer Tausende von Kilometern langen Linie von befestigten Stellungen entlang der Küsten des Atlantiks, des Ärmelkanals und der Nordsee. Der Atlantikwall wurde im Zweiten Weltkrieg von den deutschen Besatzern in Frankreich, Belgien, den Niederlanden, in Deutschland, Dänemark und Norwegen sowie auf den britischen Kanalinseln im Zeitraum von 1942 bis 1944 geplant und teilweise erbaut; er sollte diese Gebiete vor einer alliierten Invasion schützen.
Der Bauherr war hierbei in der Regel die Organisation Todt, eine nach militärischem Vorbild organisierte Bautruppe, die den Namen ihres Führers Fritz Todt trug. Die 1938 gegründete Organisation wurde vor allem für Baumaßnahmen in den von Deutschland besetzten Gebieten eingesetzt, so z.B. beim Ausbau des "Westwalls" und der U-Bootstützpunkte an der französischen Küste sowie auch des Atlantikwalls. Auf derartige "Hinterlassenschaften" waren wir bereits bei anderen Reisen gestoßen: So z.B. bei Skandinavien 2000 oder auch Island 2003 ...
Nicht weit von unserem Übernachtungsplatz in Carnac entfernt kommt man nach Plouharnel. Dort am nahen Strand liegt die Batterie, und die wollen wir trotz oder gerade wegen des widrigen Wetters nun auf uns wirken lassen. Da sich hier eine Piste für Ultralightflieger befindet, von wo aus man Rundflüge über das Gelände machen kann (heute nicht!), trifft man an verschiedenen Stellen sowie in Karten auch auf die Bezeichnung "Base Ulm".
Wir erreichen einen Schartenbunker, der einst die Zufahrt zur Halbinsel Quiberon sicherte. In geringer Entfernung davon ein weiterer Bunker, der bereits zur "Batterie von Plouharnel" gehört, wie die Anlage offiziell heißt. Direkt daneben befindet sich ein Museum, das (natürlich! ) derzeit geschlossen ist. Am Eingang steht ein Schild, das auf Schlachten um die berühmte Halbinsel in früheren Zeiten hinweist: Während der französischen Revolution kämpften hier im Sommer 1795 Republikaner gegen Royalisten - ein wahrhaft historischer Boden!
Nach kurzer Fahrt über eine alte Militärstraße in ein Dünengelände Richtung Meer kann man nach wenigen Minuten am Sockel der ehemaligen Radarstellung vom Typ "Würzburger Riese" in der Nähe des Hochleitstands der Batterie parken. Heftiger Wind, einzelne letzte Schauern und eine tief hängende Bewölkung geben dem ganzen Areal eine beklemmende Atmosphäre und man weiß nicht so recht, weshalb genau hier dem Betrachter der eine oder andere kalte Schauer den Rücken herunter läuft ...
Die Batterie von Plouharnel gehörte einst zur Marine-Artillerie-Abteilung 264 und damit auch zum Bereich der Festung Lorient, einer U-Boot-Basis, die im August 1944 durch alliierte Truppen eingeschlossen wurde. Im Archiv des Atlantikwalls Frankreich finden sich Übersichten und Informationen zur Anlage und deren Gelände, so dass wir an dieser Stelle auf ähnliche Erläuterungen hierzu verzichten wollen.
Nach Beginn der Belagerung der Festung Lorient wurden die Geschütze der Batterie so umgebaut, dass sie nicht nur wie bisher in Richtung See feuern konnten, sondern auch noch zur Landseite. Nach Angriff auf die Belagerungstruppen durch Beschuss des über 20 km entfernten Bahnhofs von Vannes sowie von feindlichen Batteriestellungen zog die Anlage von Plouharnel im Jahr 1945 nun ihrerseits schweres feindliches Feuer auf sich.
Hierbei wurden die drei 16 Meter langen 34 Zentimeter-Eisenbahngeschütze der Batterie schließlich zerstört, die noch aus französischer Produktion des Jahres 1912 stammten und bereits zu Beginn des ersten Weltkriegs im Herbst 1914 in Flandern gegen deutsche Truppen eingesetzt worden waren.
Man kann es als Ironie der Geschichte betrachten, dass diese Ungetüme von den Deutschen erst erbeutet wurden, als die Franzosen im Jahr 1940 ihre Batterien im Elsass verlassen hatten, wo die Geschütze noch auf die Städte Karlsruhe und Pirmasens ausgerichtet waren. Nach Abtransport zu den Krupp-Werken in Essen kamen die Geschütze nach Bau von Küstendrehgestellen schließlich wieder zum Einsatz - und diese drei im Frühjahr 1942 eben zur Artillerie-Abteilung 264 nach Plouharnel - absurde Welt der Militärs ..!
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Wir stapfen zunächst zum Leitstand der Anlage, einem Hochbunker, um den der Wind nun doch wieder sturmartig derart pfeift, dass sich Fotos fast nur im Windschatten machen lassen.
Die Anlage verfügte neben einer eigenen Energieversorgung auch über ein Lazarett und Munitionsbunker. Neben den drei Eisenbahngeschützen hatte die Batterie weitere Zwei-Zentimeter Flakgeschütze 28 Oerlikon und 4 cm Flak Bofors M1. Die Batteriebesatzung bestand aus 310 Artilleristen. Der Material- und Munitionstransport wurde über eine Schmalspurbahn abgewickelt. Wir erkennen noch die Einschüsse an diesem Leitstand, die durch die Beschießung der Batterie im Jahr 1945 entstanden sind - stumme Zeugen einer recht grausigen Vergangenheit ...
Weiter führt unser Rundgang: Wieder zurück zum Radarstand und vorbei an einer ganzen Anzahl von Mannschafts- und Munitionsbunkern, weiter zu der gewaltigen Panzersperrmauer im Norden der Stellung, die neben Stacheldrahthindernissen, Minenfeldern und Pakgeschützen einst das weitläufige Gelände absicherte. Mittlerweile ist die Sperrmauer zum Teil zugeschüttet und an etlichen Stellen überwachsen.
Bei heftigem Wind balancieren wir oben auf der Mauer und machen uns Gedanken: Selbst Jahrzehnte nach Kriegsende bekommt man hier und heute, wenn auch begünstigt durch das Wetter und die Stimmung, die über dem weitläufigen Gelände liegt, noch eine Gänsehaut, wenn man sich das Szenario vor Augen ruft, das hier einst zum Schutz der Festung Lorient gegen von Süden vorrückende Feinde aufgebaut war ...
Beim heutigen Wetter wirkt es auch nicht tröstlich, den kurzen Weg Richtung Strand weiter zu fahren und hier über einen Dünenweg in Richtung Meer gehen zu können: Im Atlantik brodelt die Gischt, der Wind pfeift scharf herüber und man möchte hier und heute nicht unbedingt von See her einen Landungsversuch machen - selbst wenn man dabei nicht unter Beschuss gerät ...
© 2009 J. de Haas