Noch zur anderen Nachbarschleuse: An der "Emborrel"
Ein letzter Tag bis zur Rückkehr nach Toulouse: Warum also trotz gestrigem Marathon nicht auch noch die weitere Umgebung erkunden?
Wieder verlassen wir Port Lauragais zu Fuß und schon auf den ersten Metern wird deutlich, dass die gestrige Strecke doch wohl eine längere war. Als die Beschwerden schließlich nachlassen, stehen wir bereits wieder an der Brücke nach Avignonet-Lauragais: Hier kann man erneut auf die andere Kanalseite wechseln und den Treidelweg benutzen, diesmal in anderer Richtung als gestern.
Schon auf den ersten Blick wird deutlich, dass hier der ehemalige Treidelweg Richtung Atlantik etwas anders ausgestaltet ist: Breit und schnurgerade verläuft er Richtung Nordwesten am Kanal entlang parallel zur Autobahn A61. Deutlich als Radweg gekennzeichnet, dem man von hier aus offensichtlich bis in Toulouser Vororte folgen kann, erweist er sich auch schnell als ein solcher: Jede Menge Fahrer kommen vorbei, man sollte regelmäßig nach vorn und hinten schauen, wenn man hier langgeht. Ab und zu sieht man auf dem Kanal heute auch Touristenboote: Mal so eines mit der üblichen x-Mann-Crew, mal auch ein großes mit gleich einer Hundertschaft Touris an Bord ...
Auf der anderen Seite kann man den Anblick der wundervollen Kirche von Avignonet genießen, die sich ständig verändert im Wechsel von Sonne und Schatten bei vorbeiziehenden Wolken. Es geht weiter in Richtung unseres ersten heutigen Ziels, zur nächsten Schleuse. Die fällt namenstechnisch etwas aus dem Rahmen, da offensichtlich niemand genau weiß, wie sie sich wirklich schreibt: In einem Kanalführer und auf dem Namensschild der 4.157 Flussmeter entfernten Nachbarschleuse L´Océan nennt man sie Emborel, im anderen Kanalführer Embourrel und schließlich auf dem Schild der Schleuse selbst Emborrel.
Nun, solche Feststellungen zählen hier wohl eher als
Erbsenzählerei und so halten wir uns mit derartigen
Betrachtungen nicht weiter auf, als wir die fast 5 km vom Hotel
aus zurückgelegt haben und am Schleusenbecken stehen: Auch bei
dieser Automatikschleuse sehen wir das gerade gefüllte, wie
üblich ovale Becken und die Namen der Nachbarn. Die L´Océan
kennen wir seit gestern bestens, und zur nächsten, der 1.560 m
entfernten Zweikammer-Schleuse D´Encassan werden wir
heute bestimmt nicht mehr wandern ...
Während wir hier noch stehen, nähern sich zwei Touristenboote
aus Richtung Toulouse/Atlantik und der Encassan: Ein
Radfahrer, der offensichtlich zur Crew des ersten Bootes gehört,
ist bereits vorher eingetroffen und betätigt nun in Anbetracht
der Zuschauer, die sich jetzt eingefunden haben, stolz wie Oskar
den Automatikknopf der Schleuse. Zunächst muss er das Becken
leeren, das einen Hub von 3,10 m bietet. Mit dem bei etwas
unerfahrenen Boots-Touris üblichen Bohei erfolgt das Anlegen in
der Schleuse, das zweite Boot fährt ebenfalls ein und oben
springen gestresste Crewmitglieder aufgeregt mit Leinen
hin und her - für uns erwartungsgemäß hier und heute ein leicht
belustigender Anblick. Wie ebenfalls immer wieder nett
anzusehen, die üblichen Damen- und Herrenkränzchen der
überschüssigen Besatzung auf dem Achterdeck beim Beobachten der
vielfältigen Aktivitäten rund um ihre Boote über das
pflichtgemäße Glas Sekt hinweg ...
Der Radfahrer füllt nun wieder das Schleusenbecken, die Boote
legen nach Öffnen der Tore mit den üblichen Problemen wieder von
der ovalen Wand ab und verlassen die Schleuse, gefolgt von ihrem
Radfahrer an Land in Richtung L´Océan: Ist das nun mehr
Bootsfahren oder doch eher Radwandern ..?
Wir machen uns wieder auf den Rückweg, diesmal weg vom Kanal und hinein in unseren Nachbarort Avignonet - da der Tag noch jung ist, haben wir noch mehr vor dort. Wenn man schon mal in der Gegend ist, wollen wir uns schließlich doch auch noch das "Grand Bassin" des Kanals anschauen!
Besuch am "Grand Bassin": Nach Castelnaudary
Heute fürs erste schon genug gewandert und deshalb soll nun eine Busfahrt folgen: Castelnaudary ist nicht allzu weit und scheint ein interessantes Ziel zu sein auch für "Kanalforscher". In diesem Ort am Canal du Midi in Richtung Mittelmeer (und unserer Endstation vom Vorjahr Carcassonne) befindet sich nicht nur die zweitgrößte Schleusentreppe des Kanals, sondern auch das so genannte "Grand Bassin".
Dieses Bassin ist der größte See des Kanals, der vor allem aus zwei Gründen angelegt wurde: Zum einen sollte er die Vierkammer-Schleusentreppe Saint-Roch mit Wasser versorgen, zum anderen einen größeren Anlandungshafen für Getreide aus dem Lauragais bieten. Eine künstliche Insel am Westrand des Bassins, die "Île de la Cybelle", wurde zusätzlich aufgeschüttet, um leeren Schleppkähnen bei der Einfahrt Schutz vor dem unangenehmen Tramontane-Wind zu bieten. Dies ist ein böiger Fallwind, der hier im Département Aude besonders bekannt ist und solche Kähne ohne Schutz durchaus gegen die Kaimauer treiben konnte. Da Castelnaudary neben dem Bassin auch einen "normalen" Hafen hat, erscheint der Ort mitsamt seiner Schleusentreppe für uns ein interessantes Ziel im Rahmen dieser Erkundung zu sein ...
Die Bushaltestelle in Avignonet-Lauragais wirkt
zunächst einmal "typisch französisch": Streckenabschnitte auf
den angedeuteten Fahrplänen enden abrupt an irgendwelchen
regionalen Grenzen, Fahrpläne sind recht verwirrend und in
unserem Fall und an unserer Haltestelle erst gar nicht
vorhanden. Zum Glück hatten wir irgendwann eine Fahrtauskunft
aus dem Internet ausgedruckt: Entsprechend dieser Info sollte
um diese Zeit herum ein Bus Richtung Castelnaudary
fahren und da wir grundsätzlich immer alles glauben, was im
Internet steht, sitzen wir nun einfach mal hier und warten ...
Und das Wunder geschieht auch, selbst für fahrplanverwöhnte
Piefkes: Ungefähr um die erwartete Zeit hält tatsächlich ein Bus
an unserer Haltestelle, und da man nirgendwo, weder außen noch
innen einen Fahrschein lösen kann, nimmt uns der Fahrer sogar
kostenlos mit: Lebensqualität auf französisch!
Auf dem Kanal hätten wir von der Avignonet-Schleuse Emborrel (Kilometermarke PK47-48) bis zum Bassin von Castelnaudary (PK 65) fast 18 km fahren müssen, mit dem Bus haben wir es einfacher: Vor dem Bahnhof des Ortes befindet sich auch der Busbahnhof, nicht weit vom Bassin entfernt, und wir können bereits den Fahrplan studieren in Hinblick auf die geplante Zugfahrt zurück nach Avignonet. Doch vorher wollen wir Castelnaudary, den wohl berühmtesten Ort auf der Route des Cassoulets, ein wenig näher erkunden ...
Das Bassin selbst erweist sich ebenfalls als gelungenes
Reiseziel, in aller Ruhe kann man es samt seiner Umgebung
ausgiebig untersuchen. Von einer "Werft" mit Trockendock bis hin
zur Schleusentreppe Saint-Roch stoßen wir auf viele
sehenswerte Details, und selbstverständlich begleiten wir auch
einen ausführlichen Schleusengang mehrerer Boote 9,42 m aufwärts
Richtung Bassin, der von einem Schleusenwärter aus einem "Tower"
am Rande der vier Becken gesteuert wird. Auch für Bootsfahrer,
die wie wir bereits die größte Schleusentreppe des Kanals
Fonserannes hinter sich haben, ist eine solche Schleusung
natürlich wieder ein Erlebnis, und das sogar als Fußgänger!
Eine Geschichte am Rande übrigens zur Schleusentreppe
Saint-Roch: Diese soll im Zweiten Weltkrieg von den Deutschen
(!) mit Elektroantrieb versehen worden sein, um den
Schiffsverkehr zu beschleunigen. Angeblich wurden die dort
vorhandenen Bosch-Elektromotoren erst in jüngster Zeit durch
modernere Maschinen ersetzt - was hätte wohl
Pierre-Paul Riquet zu all dem gesagt ..?
Wir umrunden später das Becken und kehren in einem Café
mit Seeblick ein, bei dem wir tatsächlich - recht ungewöhnlich
für Frankreich - einen Rotwein mit Weißweintemperatur serviert
bekommen, der erst nach umfangreicher Anwärmung trinkbar wird.
Bäcker müssen offenbar beim Weinverkauf über keine Lizenz als
Sommeliers verfügen!
Der anschließende Besuch im "normalen" Hafen des Ortes ist natürlich ein "Muss", auch an den Anlegestellen hier herrscht eine angenehme lockere Atmosphäre, die den Besucher zum Verweilen einlädt.
Doch irgendwann ist auch für uns bei diesem Besuch einmal
Schluss: Nach einem Abschiedsbier am Bahnhof von Castelnaudary
steigen wir in den Zug Richtung Avignonet, wo wir bereits nach
wenigen Minuten ankommen. Dass vom uns bekannten Bahnhof erst
einmal wieder der bekannte Fußmarsch von gut zwei Kilometern zu
unserem "Hotel"-Hafen Port Lauragais fällig ist, muss vermutlich
nicht besonders erwähnt werden. Auch nicht, dass wir heute Abend
natürlich wieder ausführlich speisen im Hausrestaurant im
"Maison de la Haute-Garonne". Und dass wir am kommenden Morgen
tatsächlich erstmals Taxi fahren werden (!) schon wieder zu
diesem Bahnhof - dann aber wird´s endgültig Richtung
Toulouse gehen und nur noch wenige Fußmärsche geben: Bei
der Weinreise auf dem "Flickenteppich
guter Tropfen" ...
© 2017 J. de Haas