Auftakt in St. Emilion ...
Unsere Wandlung zum Bordeaux-Kenner beginnt also in St. Emilion, einem idyllischen mittelalterlichen Ort, der kaum noch bewohnt wird. St. Emilion liegt auf dem Nullmeridian auf halber Strecke zwischen Pol und Äquator und auch auf dem berühmten Jakobsweg. Mitten im Ort erwartet uns das Hotel "Au Logis des Remparts" an einem sonnigen und angenehm warmen Tag.
Wir sind so früh da, dass genug Zeit bleibt für einen ersten Rundgang durch den Ort: Es ist Vorsaison, das hat den Vorteil, dass der Ort noch leer ist und man sich kaum vorstellen kann, dass im Sommer hier Ströme von Touristen zu finden sind, die sich durch die Straßen zwängen.
Das Wetter ist so herrlich, dass man draußen im Freien an einem Restaurant einen Imbiss nehmen muss - mit unserem letzten Glas Bier für die nächste Tage ...
Am Nachmittag wird die ganze Reisegruppe im idyllischen Innenhof des Hotels von unseren Veranstaltern Gerhild Burkard und Hans Rettich begrüßt. Ein Großteil der Gruppe besteht aus "Wiederholungstätern", die bereits gemeinsam das Burgund bereist haben. Und schon laufen sich die "Profi-Weinreisenden" warm, es werden bereits die ersten Käufe verkostet, auf Kork geprüft, über Geruch nach Pferdestall und Leder diskutiert. Mit Mengen an Infomaterial ausgestattet werden wir schließlich zu einem großen "Weingarten" (das Gegenstück zu unserem bayrischen Biergarten) geleitet. Dort serviert uns Frau Burkard traumhaft leckere Canelés - ein Gebäck aus St. Emilion, das wie winzige "Guglhüpfe" aussieht mit erfrischendem Crémant. Wir erhalten einen Überblick zum Reiseprogramm, bei dem wir unter anderem auch ein Weingut besichtigen werden, das ansonsten nur "Profis" als Besucher akzeptiert.
Nun ja, immerhin haben wir in der Gruppe zusammen mit Fr. Burkard insgesamt drei geprüfte Sommeliers, mit Hr. Rettich einen Weinhändler, wir vom Explorer Magazin decken die Ecke "Weinjournalismus" ab () und der Rest verfügt mindestens über professionell gefüllte Weinkeller ...
Damit wir alle aber wirklich professionell wirken können, besuchen wir nach dem gelungenen Auftakt die "Ecole de Vin" (Weinschule), damit wir das korrekte Schwenken, Schnüffeln, Beäugen und Schmatzen lernen sowie Grundlagenwissen zu Anbau, Regionen, Rebsorten, Aromen und Klassifizierungen der Gegend aufbauen können. Gerhild Burkard übersetzt in bewährter Weise unseren "Weinlehrer", womit die Tour auch für diejenigen unter uns ein Erfolg wird, die nicht in ausreichendem Maße Französisch sprechen.
Das Bordelaise zieht sich ca. 200 km entlang der Flüsse Gironde und Dordogne bis an die Mündung in den Atlantik. Es werden zwei "Klassifikationsregionen" unterschieden: "Saint Emilion Grand Cru" und "Classement de 1855 du Médoc". Ein wesentlicher Unterschied zum Burgund liegt darin, dass im Burgund die einzelnen Lagen klassifiziert werden, im Bordeaux dagegen das ganze Weingut.
Jedoch unterscheiden sich auch die Verfahren der Klassifizierung im Bordeaux: Beim "Saint Emilion Grand Cru" werden die Weine alle 10 Jahre begutachtet und die Klassifizierung durchgeführt. Also kann man hier z.B. bei einem Wein der "Grands Crus Classés", davon ausgehen, dass er gewisse Qualitätskriterien erfüllt. Es werden für die Rotweine vor allem die Rebsorten Merlot und in geringerem Umfang Cabernet Franc gekeltert. Folgende Klassen sind hier zu finden:
- Premiers Grands Crus Classés A
zur Zeit nur Château Ausonne und Château Cheval Blanc, hier sollte man über vierstellige Preise nicht erstaunt sein ... - Premiers Grands Crus Classés B
zur Zeit 13 Châteaux - Grands Crus Classés
zur Zeit 56 Châteaux - Appellation Saint-Emilion Grand Cru Controllée
zur Zeit ca. 100 Châteaux - Appellation Saint-Emilion Controllée
zur Zeit ca. 700 Châteaux
Anders verhält es sich beim "Classement de 1855 du Médoc" am anderen Flussufer (im Gegensatz zum obigen Bereich "Rechtes Ufer" auch als "Linkes Ufer" bezeichnet): Hier wurden die Weine im Jahr 1855 für eine Weltausstellung auf Betreiben von Napoleon III hin klassifiziert. Seitdem hat es nur ein einziges Mal eine Änderung gegeben: 1973 wurde Lafite Rothschild in die oberste Klasse "1er Grands Crus Classés" aufgenommen. Die Rotweine bestehen hier überwiegend aus Cabernet Sauvignon. Folgende Klassen gibt es dabei:
- 1er Grands Crus Classés
5 Châteaux - 2ème Grands Crus Classés
14 Châteaux - 3ème Grands Crus Classés
14 Châteaux - 4ème Grands Crus Classés
10 Châteaux - 5ème Grands Crus Classés
18 Châteaux
Da sich seit 1855 doch eine Menge geändert hat und die Weine nicht regelmäßig in Hinblick auf ihre Klassifizierung geprüft werden, empfiehlt es sich bei "Classement de 1855 du Médoc", sich selbst durch die Châteaux zu probieren. Und wir verraten kein Geheimnis, dass auch außerhalb dieser Klassifizierung äußerst gute Weine angeboten werden, da braucht es nicht einmal den Zusatz "Für Kenner". Allen voran der berühmte Pétrus, der ebenfalls im vierstelligen Preissegment liegt und keine Klassifizierung trägt ...
Wir lernen nun die Beurteilung von Weinfarbe (Glas schwenken und am besten vor eine weiße Serviette oder ähnliches halten), von Geruch (wir schnuppern uns durch eine Aromabar) und Geschmack (von animalisch, rauchig über chemisch bis hin zu fruchtig und mineralisch). Zum Abschluss erhält jeder ein Diplom, nun sind wir vorbereitet für die Keller der Region!
Und gleich geht es schon los zum ersten Ausflug: Ein kurzer Stop bei Pétrus, dann sind wir schon am Château Beau-Séjour Bécot (Premiers Grands Crus Classés B). Der Empfangsraum von Beau-Séjour Bécot erinnert an eine Kirche und man kann sich einer gewissen Ehrfurcht nicht ganz entziehen.
Wir werden zu den Gärtanks geführt, bekommen erläutert, wie hier der Wein hergestellt wird und besichtigen anschließend den Weinkeller. Der 2010er Wein lagert in modern gestalteten Kellern in neuen Fässern. Aber von dort aus gelangt man zu den "echten" Kellern: Das Gebiet rings um St. Emilion ist durchzogen von kilometerlangen Kalksteinhöhlen, die von den Weingütern seit Jahrhunderten als Aufbewahrungsort für den Wein verwendet wurden und werden. In diesen Kellern lagern Weine aus uralten Zeiten und so manche Nische wird genutzt für Maria oder einen Heiligen, der seinen Schutz gewähren soll. Sinnsprüche zum Wein runden die Gestaltung ab.
Der Verkostungsraum ist umgeben von einer riesigen Terrasse, "Schlossherrengefühl" macht sich breit mit einem Glas 2008 Château Beau-Séjour Bécot in der Hand - und der schmeckt wirklich ... Was für ein Auftakt!
Am Abend öffnet für uns das Lokal "Logis de la Cadène": Die Wirtin verzichtet für uns auf den Ruhetag (wäre solches in Deutschland möglich?). Spezialität ist Rippenstück vom Rind auf Weinwurzeln gegrillt. Der Koch hatte im Vorfeld darauf hingewiesen, dass er es nicht schätzen würde, wenn Gäste darauf bestehen würden, dass das Fleisch durchgegrillt werden soll ...
Gut, dass er das gesagt hat, nicht alle mögen solches Fleisch und die werden vom Koch mit frischen Fischen, Kalbskotelett und Entenbrust verwöhnt. Es wäre keine echte Weinreise, wenn wir uns dazu nicht aus der Weinkarte den einen oder anderen hervorragenden Tropfen aussuchen würden. Trotz oder gerade wegen der Weinseligkeit machen wir gut gesättigt schließlich noch einen nächtlichen Rundgang, um danach dann im Hotel schnell in tiefen Schlaf zu fallen ...
Der Morgen erwartet uns erneut mit herrlichem Wetter: Nach dem Frühstück ist ein Rundgang durch St. Emilion und eine Besichtigung der beeindruckenden Felsenkirche geplant.
Die mittelalterliche Altstadt mit ihren Häusern, Plätzen, Kirchen, Weingeschäften, Bäckereien und Lokalen ist wirklich sehenswert. Man sollte gut zu Fuß sein, denn die Gassen mit ihren Kopfsteinpflastern sind steil und teilweise extrem glatt.
Ein Blick in die Schaukästen der Immobilienmakler lohnt sich, denn hier werden Häuser angeboten mit Angaben zum Verhältnis der Rebsorten (z.B. 80 % Merlot, 20% Cabernet Franc) und deren Alter im stets zugehörigen Weinberg.
Hier vor Ort kann man sich noch mit Canelé und der einen oder anderen Flasche Wein eindecken: Jeder Weinhändler bietet den Service an, den Wein nach Hause zu versenden. Dies lohnt sich jedoch erst ab einer bestimmten Mindestmenge, da die Versandkosten zwischen 40,- und 70,- Euro liegen. Man erkennt an den fremdsprachlichen Hinweisen, aus welchen Ländern die zahlungskräftige Kundschaft erwartet wird. Deutsch ist nicht dabei ...
Wir treffen uns bei der Felsenkirche. Doch keine Kirchenbesichtigung ohne einen Exkurs zur Geschichte: Bereits 35.000 Jahre vor unsere Zeitrechung gab es Spuren von Bewohnern in St. Emilion. Benannt wurde der Ort nach dem bretonischen Mönch Emilion, der hier im 8. Jhdt. die Bevölkerung evangelisierte. Zu seiner Zeit befand sich an dieser Stelle jedoch nur ein Wald, in dem er Zuflucht suchte. In den Höhlen in der Nähe soll er als Eremit gewohnt haben. Hier begann dann auch der Bau der Felsenkirche, die in den Kalksandstein gehauen wurde. Die angeschlossenen natürlichen Höhlen wurden erweitert und genutzt zur Bestattung der Leichen, und damit die Seelen einfach in den Himmel empor steigen können, wurde hier auch ein "Seelenkamin" installiert.
Auf dem ausgehöhlten Kirchenschiff ragt der gewaltige Turm mit seinen stattlichen 133 m Höhe. Gänsehaut macht sich breit bei dem Gedanken, dass die Mönche damals wohl kaum Berechnungen zur Statik angestellt haben. Aber wir werden beruhigt, die Fundamentsäulen sind mittlerweile mit moderner Technik abgesichert, so dass wir nicht befürchten müssen, dass diese Kirche auch unser Felsengrab wird.
Zur Geschichte des Weins erhalten wir ebenfalls einen kurzen Überblick: Bereits die Römer haben hier schon Wein angebaut, der Boom erfolgte aber erst richtig ab dem 12. Jhdt. dank der Engländer, mit denen St. Emilion eine Art "Bündnis des Weins" (Jurade) einging. Die Engländer stellten sicher, dass die Oberen von St. Emilion ihre Rechte in Wirtschaft, Politik und Jurisdiktion wahrnehmen konnten, im Gegenzug konnten die Engländer bevorzugt Unmengen an Wein von hier in ihr Königreich importieren.
Bis zur französischen Revolution 1789 blieb diese Jurade bestehen. Ab 1948 wurde an diese Tradition angeknüpft, eine Bruderschaft des Weins gegründet und Botschafter des Weins verkünden weltweit den Ruf des regionalen Weins.
Wir jedoch müssen diesen Ort nun leider verlassen und ziehen weiter in den Médoc - der längere Teil unseres Aufenthaltes im Bordeaux steht bevor ...
© 2011 Sixta Zerlauth