Wo es den Päpsten schon gefiel ...
Dem Mistral ist heute endlich (!) etwas die Luft ausgegangen: Zwar sind wir noch ca. 3-4 Windstärken von der Flaute entfernt, aber das reicht, um nach Avignon umzuziehen ...
Der städtische Campingplatz liegt ideal auf der Insel Île de la Barthelasse in der Rhône. Nur eine Brücke trennt den Besucher von der Altstadt, die vom riesigen Papstpalast beherrscht wird. Der eingezäunte Platz ist mäßig belegt, man kann sich ein Plätzchen aussuchen, wo der Mistral einen nicht sofort aufspürt. Bald kennen wir alle näher und weiter weg gelegene Camper, denn an unserem Stellplatz befindet sich die zentrale Stromzapfstelle, an der alle mit ihren Kabeltrommeln andocken. Ohne auch nur einen einzigen Anschluss hier zu belegen (die Sonne reicht vollkommen für unsere zusätzliche mobile Solaranlage), haben wir bald einen unglaublichen Kabelwust unter unserer Kontrolle, da könnte man vermutlich so manchen ärgern ...
Ein großartiges Camp aufzubauen lohnt nicht, denn der Stellplatz ist sehr begrenzt in seinen Ausmaßen (20 Kabel und ein Pickup samt Explorer passen grad so drauf); und außerdem wird man viel unterwegs sein.
Also los in die Stadt: Auf der Brücke merkt man den Wind nun doch noch recht deutlich. Am Ende erwartet einen ein vollkommen unübersichtliches Straßengewirr, auf dem eine Unmenge an Verkehr von rechts nach links und umgekehrt rast. Nur an die Fußgänger hat keiner gedacht: Keine Bürgersteige, keine Zebrastreifen, keine Ampeln, nur Verkehr! Auf den ersten Blick scheint es unmöglich, heil über die Straßen zu kommen. Aber nach und nach erarbeitet man sich ein Verfahren, wie man im "geschlossenen Sprung" von Straße zu Straße und von Verkehrsinsel zu Verkehrsinsel gelangen kann.
Der Weg führt durch ein Tor in der Stadtmauer und durch die engen Gassen zum Place de Palais, wo der Papstpalast steht. Päpste in Avignon? Ja, die gab es im 14. Jahrhundert, als es hoch her ging im alten Rom. Damit das Ganze noch verwirrender wird, gab es Zeiten, in denen der avignonesische Papst von allen anerkannt wurde und Zeiten, in denen er als Gegenpapst tätig war. Das Chaos endete erst 1429, als sich Papst Martin V mit dem damaligen Gegenpapst einigte ...
Auf dem Platz tobt das Leben: Fahrradakrobaten nutzen die Treppen für ihre Show. Ein Elefant steht Kopf. Als Papst verkleidete Künstler erteilen Segen gegen einen Obulus, eine kleine Bahn wartet, mit der man eine Stadtrundfahrt machen kann. Über Kopfhörer werden die Erläuterungen eingespielt, die u.a. auf Deutsch, aber auch in Chinesisch ausgewählt werden können. Bei der Fahrt mit der Bahn ist es ratsam, weder Beine noch Arme raus zu strecken, denn sie saust mit unglaublichem Tempo nur wenige Zentimeter an den Hausmauern vorbei.
Nach der rasanten Rundfahrt sollte man sich die Zeit für langsamere Erkundungen der Altstadt nehmen. Cafés und Restaurants laden zum Verweilen ein. Die Stadt steht im Zeichen des Lavendels. Überall gibt es die duftenden Säckchen, mit denen die Schränke wohlriechend gemacht werden und den Motten das Dasein vergällt wird. Auf den köstlichen Lavendelhonig kann man nicht verzichten, er ist wirklich erheblich günstiger zu bekommen als bei uns.
Auch lohnt es sich, mal etwas früher aufzustehen, um die Markthalle zu besuchen, um all die Köstlichkeiten zu bestaunen, die aus der Region kommen. Man bekommt kleine Kostproben, damit die Entscheidung leichter fällt. Ein kurzer Halt am Weinstand für ein Gläschen Côte du Rhône mit kleinen Snacks muss sein! An einem Stand gibt sich der Verkäufer sogar alle Mühe, uns in Deutsch zu bedienen und hat sichtlich viel Spaß dabei. Wie haben sich die Zeiten geändert! Es fällt auf, dass man in Frankreich Deutschen gegenüber viel aufgeschlossener geworden ist und sich Mühe gibt, verschüttete Schulkenntnisse der deutschen Sprache wieder aufzufrischen.
Wer einen Blick auf den "Hausberg", den Mont Ventoux erhaschen will, der muss sich in den Park zum Palast begeben. Dort kann man einen kleinen Felsenhügel erklimmen, von wo aus man einen herrlichen Weitblick über die Rhône hat bis nach Châteauneuf-du-Pape und der Schleuse von Avignon.
Auf der gegenüberliegenden Seite liegt die Burganlage Le Fort Saint André in Villeneuve-lès-Avignon, der Neustadt von Avignon aus dem 13. Jahrhundert, erbaut von Philipp dem Schönen. Daneben der Turm La Tour Philippe Le Bel mit Spuren an der Wand, die deutlich zeigen, wo sich einst der Abort befand. Alles letztlich Baumaßnahmen, um die Brücke von Avignon zu kontrollieren ...
Die Brücke von Avignon Pont St.-Bénézet wurde bereits im 12. Jhdt. erbaut: Der Legende nach hat ein Hirte namens Bénézet auf göttliche Weisung hin den Brückenbau begonnen. Nun, die Götter hatten schon immer ein Händchen für lohnende Projekte, besonders, wenn es ihren Vertretern auf Erden zu Gute kam. Im 17. Jhdt. ist die Brücke aber durch eine Hochwasserflut zerstört worden und seitdem steht der Rest in der Rhône, auf dem man laut eines Operettenliedes so schön tanzen kann ...
An der Rhône liegen endlos lange Dampfer, mit denen die Touristen der Flusskreuzfahrten durch die Provence geschippert werden. Avignon ist da ein fester Ausflugspunkt mit Landgang.
Da das Wetter traumhaft ist, bietet es sich an, eine kleine Rhônerundfahrt zu machen, hinauf zur Pont St.-Bénézet - rund um die Insel an Burg und Turm von Philipp dem Schönen vorbei.
Zum Abschluss gibt es ein Abendessen in einem Gartenlokal direkt an der Rhône: Man kann es aushalten, denn der Mistral hat eine Pustepause eingelegt. Bei einem guten Essen mit einem schönen Rotwein kann man den Blick auf das beleuchtete Avignon auf der anderen Seite der Rhône genießen.
Zurück am Campingplatz fällt auf, dass einige Womos vor dem Campingplatz parken. Wildcamper, die die Gebühren für den Platz sparen wollen, aber die kurzen Wege zu Sanitär- und Wasseranschlüssen nutzen wollen? Da Avignon sicherheitstechnisch eher als kritisch einzustufen ist, gibt es im Internet Berichte, dass solche Womos regelmäßig aufgebrochen werden. Wir schütteln über so viel Geiz und Leichtsinn den Kopf ...
Der Campingplatz selbst ist rund um die Uhr bewacht und nach 22 Uhr muss man nach dem Wachmann klingeln, damit man noch auf den Platz kommt.
Obwohl der Platz nur mäßig belegt ist, wirkt das Waschhaus stark frequentiert, insbesondere der "weibliche" Teil. Noch rätselhafter wird das Ganze beim Blick in die offenen großen Abfallkörbe, die am Morgen fast bis zum Rand(!) mit benutzten Kondomen gefüllt sind. Die Abfallkörbe im "männlichen Teil" sind eher leer. Was ist denn hier los? Gang Bang in Avignon? Vielleicht ein "etwas anderer" Flashmob, den die Franzosen für Saufgelage regelmäßig praktizieren ..?
Kurze Zeit später, als wir den Platz für einen Ausflug verlassen, wird alles klar, denn nun räkeln sich an den Womos leicht bekleidete "Wildcamperinnen". Das ist hier einfach der Strich von Avignon, der sich offensichtlich großen Zuspruchs erfreut und wohl offensichtlich eine gewisse Unterstützung durch den städtischen Campingplatz erhält ...
Nun haben wir schon seit Tagen durchaus guten Wein getrunken, aber es wäre doch schade, wenn man nicht noch ein bisschen mehr berühmten Wein aus dieser Region probieren könnte. Die Touristinformation bietet kleine halbtägige Weinreisen an. Wir nutzen das Angebot, auch wenn wir verwöhnt sind von Rettichs Weinreisen und wissen, dass dieser Standard nicht geboten werden kann. Trotzdem, wir buchen den Trip ...
© 2011 Text/Bilder Sixta Zerlauth