Rettung am Gardon ...

Auch am nächsten Morgen hat der Wetterbericht keine guten Nachrichten: Wie angekündigt weht der Mistral aus Nordwesten durch das Rhônetal, die Wetterstation zeigt die Stärke mit 4 Balken an, was der Stärke "Sturm" entspricht. Das wird für die nächsten zwei Tage so bleiben, und für uns bleibt da nur die Flucht nach Süden.

Werden die knapp 80 km der nächsten Etappe, die in der Nähe von Carpentras enden soll, reichen? Ein Platz in Mazan ist das Ziel mit direktem Blick auf den Mont Ventoux und umgeben von Weingärten. 

Auf zum Teil einsamen kurvigen Landstraßen durch typische südfranzösische Dörfer und Landschaften führt der Weg in Richtung Provence. Heute wären Autobahnen keine Alternative ...

Typisch Südfrankreich ... ... Lavendelfelder im Herbst ...

Von Zeit zu Zeit gibt sich die Sonne alle Mühe, das Rhônetal mit seinen Lavendelfeldern schön zu beleuchten. Vielleicht gibt es ja auf dem Platz ein windgeschütztes, schattiges Eckchen für uns - und ein Schlückchen guten Rotwein, für den am Straßenrand geworben wird.

Bei Ankunft ist die Rezeption geschlossen, Mittagspause bis 15 Uhr, das nehmen die Franzosen genau ...

Der Platz hat große Bäume, die vom Mistral geschüttelt werden - und dieses Camp ist nahezu voll belegt! Lauter Holländer haben sich hier niedergelassen, wohl weil der Platz in einem niederländischen Campingführer sehr empfohlen wird. Wir machen einen Rundgang: Schöne Stellplätze gibt es keine mehr. Zwischen den Bäumen weht der Mistral ungebremst hindurch. Zwar hat der Betreiber auch eine Wiese mit Hecke im Angebot. Da ist es bodennah ein klein wenig windgeschützt, aber auf Balghöhe des Explorers bläst es weiter kräftig. Dazu steht man auch noch in der prallen Sonne, eingequetscht zwischen holländischen Wohnwagenträumen. Zusätzlich hat das Restaurant trotz Vollbelegung des Platzes geschlossen, schließlich ist Nachsaison. Der nächste Ort ist zu allem Übel nur mit einem längeren Fußmarsch erreichbar. Ratlosigkeit macht sich breit rund um den Explorer: Soo schön kann der Blick auf den Mont Ventoux auch nicht sein ...

Ein schönes Camp - bei Tag und Nacht Der Pont du Gard ...

Unser nächstes Ziel wäre das nahe gelegene Avignon. Da ist es aber windtechnisch auch nicht besser. Aber dann kommt ganz plötzlich die Idee: Nach dem Aufenthalt in Avignon ist ein Ausflug zum Pont du Gard als nächste Station unserer Reise geplant. Der römische Aquädukt liegt im Tal des Gardon und dieses Tal verläuft quer zur Mistralrichtung. Hier könnte man vielleicht dem Sturm entrinnen, Avignon läuft schließlich nicht davon und kann auch noch anschließend besucht werden, wenn der Mistral mal nachlassen sollte ... Gedacht, gesagt, getan und schon wird die Flucht fortgesetzt, vorbei an Avignon in das Tal des Gardon.

Die Einfahrt zum Campingplatz La Sousta ist gesichert durch einen Wachposten, der allerdings nicht so aussieht, als würde man ihm gerne seine Wertsachen anvertrauen, vielmehr würde er eine Rolle als Ghetto-Rapper hervorragend besetzen. Aber vielleicht schreckt das die Gauner hier ab ...

Der Campingplatz ist riesig und voller traumhafter Pinien, die so wunderbar duften. Die Belegung vom Platz ist schwach, man hat freie Auswahl unter den Bäumen, die tatsächlich nur ein wenig schaukeln. Die Rechnung ist aufgegangen!

Auf so viel Camping-Idyll hätte man gar nicht zu hoffen gewagt: Hier kann man eine schöne Zeit verbringen, bis der Mistral sich ausgetobt hat ...

... viel geboten ringsum ... Ein Blick aus dem Restaurant kann sich lohnen ...
Rest des Wasserkanals von unten und von oben ... Des Wassers Lauf ...

Geboten wird genug: spazieren gehen am Gardon, paddeln auf dem Gardon, den Aquädukt besichtigen und schließlich im Informationszentrum Kunstausstellungen und Infofilme anschauen. Baguetteservice am Morgen und Restaurants in Fußgängerreichweite komplettieren den Luxus.

Sobald das Camp eingerichtet ist, führt der Weg zum Aquädukt, vorbei an riesigen Parkplätzen, die fast leer sind, aber einem klar machen, welche Mengen an Touristen hier zur Hochsaison "abgewickelt" werden.

Am Aquädukt findet ein Fest statt, bei dem Köche in weißen Uniformen mit roten Schärpen die Gäste kulinarisch mit Paella aus riesigen Pfannen verwöhnen. Sogar ein Eisschnitzer sorgt für den festlichen Anstrich. Auf kleinen Pferdewagen wird man über die "Nebenbrücke" aus dem Jahr 1747 kutschiert. Zu schauen gibt es genug.

Auch der Besuch des Informationszentrums lohnt sich: Anhand wunderhübscher Modelle und vieler Pläne erfährt man alles zur Entstehung des Pont du Gard, der Korruption beim Bau, sowie seines Zwecks und der Probleme des Betriebs. Diese führten später letztlich zur Aufgabe des Wasserkanals und zu dunklen Jahrhunderten ohne auch nur eine vergleichbare Wassertechnologie. Alles in allem eine Geschichte, wie sie auch heute noch ablaufen könnte ...

Ebenfalls hier eindrucksvoll dokumentiert ist die Flutkatastrophe des Jahres 2002, die seinerzeit alles rings um den Pont verwüstete.

Mit seinen 49 m Höhe und seiner 142 m - 275 m langen Spannweite gehört der Aquädukt zu den größten gut erhaltenen Wasserkanälen der Römer in Frankreich. In der obersten Ebene kann man den Wasserkanal besichtigen und an den Wänden nach geheimen Zeichen Ausschau halten, wie zum Beispiel dem Hasen oder was auch immer die Leute sich darunter vorstellen.

Im umliegenden Wald findet man noch Reste der Wasserleitung nach Nîmes: Unvorstellbar, mit welchem Aufwand das Wasser 50 km weit transportiert wurde, um den Reichen den Badeluxus in den Thermen zu ermöglichen.

Besuch im Informationszentrum ... Das Tal des Gardon ...
Am Pont du Gard bei Nacht ...

Ein Besuch im nahegelegenen Restaurant ist zu empfehlen: Zum einen hat man den herrlichen Blick auf den Pont, zum anderen erfreuen  die Köstlichkeiten der Küche. Wir haben noch Glück und können einer Gruppe von Vermessern(?) Statikern(?) Bauingenieuren(?) oder Archäologen(?) zuschauen, die auf dem obersten Bogengang mit viel Gerätschaften arbeiten.

Am Abend wird es dann sehr romantisch-kitschig mit dem Pont im Sonnenuntergang; im Sommer wird das imposante Bauwerk auch danach noch beleuchtet. Im Herbst empfiehlt es sich dagegen, die besten Taschenlampen auszupacken, dann hat man den Pont für sich und kann seine eigene Lichtshow machen ...

Der Mistral lässt am zweiten Ruhetag etwas nach und es wird Zeit, diesen schönen Ort zu verlassen und nach Avignon zu wechseln - damit hinein ins Stadtgetümmel: Nach so viel Natur wird man es schon ertragen!


© 2011 Text/Bilder Sixta Zerlauth