Samstag, 25. Oktober 2008: Das Böse ist immer und überall
Ich überquerte vor einigen Tagen unsere Hauptstraße in Dokki, die von Süd nach Nord verlaufende Sharia al Dokki. Das ist eine meistens mit vier Spuren in jeder Richtung befahrene Hauptverkehrsachse mit sehr dichtem Verkehr hier in Kairo. Wir waren Einkaufen und ich war mit vier Einkaufstüten beladen. Das Überqueren einer solchen Straße heißt in Kairo in Ermangelung irgend welcher Übergänge oder Zebrastreifen, sich durch den fließenden Verkehr zu schlängeln.
Wie schon erwähnt, suche ich mir bevorzugt Stellen mit Speedbraker, da dort die Autos abbremsen müssen. Man nimmt Blickkontakt mit dem Fahrer des nächsten Fahrzeugs auf und huscht in einer gedachten Linie durch die Lücken zwischen den Autos und den Fahrspuren. Das klappt auch in der Regel mit gegenseitiger Rücksichtnahme ganz gut. Bis auf die Busfahrer, die ohne Gnade für Fußgänger und ohne zu verzögern oder zu bremsen einfach fahren.
Bei diesem Gang strauchelte ich wegen eines Lochs in der Fahrbahn und wäre beinahe gestürzt. Der mit etwa 40 km/h ankommende Bus verfehlte mich nur deshalb, weil mich ein neben mir laufender Ägypter herzhaft am Arm packte und aus der Schusslinie des Busses zerrte. Der Busfahrer hätte reichlich Zeit und Strecke gehabt, normal abzubremsen. Er tat es nicht und hätte mich sehenden Auges umgenietet.
Inshallah, meint der Ägypter. Für mich ist das Tötungsabsicht und das passiert in Kairo täglich tausendmal ...
Anmerkungen zum Thema arabische Gelassenheit:
Zu der viel besungenen arabischen Gelassenheit habe ich meine eigenen Beobachtungen. Für mich existiert die schlicht nicht. Geht es um den eigenen Vorteil, erlebe ich die Araber äußerst ungeduldig und uncool. An Fähren, Grenzen, im Straßenverkehr und sonstigen Orten, wo gewartet, angestanden oder Rücksicht gezeigt werden muss, drängeln Araber sich rücksichtslos vor. Gelassen geht es nur zu, wenn der Araber in der Position ist, wo man etwas vom ihm will oder braucht und er keine eigene Not hat.
Für meine europäische Sozialisierung ist das ein eher antisoziales Verhalten. Mein Eindruck ist, dass nur die eigene Familie wichtig ist und nur dort Rücksicht und Verantwortung übernommen wird. Das erklärt auch, dass es im arabischen Haus immer sehr ordentlich und sauber ist, während auf der Straße vor dem Haus sich der Müll türmt ...
Die Gehsteige in Kairo, oder: Die sicherste Methode, sich ein Bein zu brechen
Ich bitte die schlechte Qualität der Fotos zu entschuldigen: Die Bilder sind mit einer billigen Taschenkamera gemacht. Außerdem reagieren viele Menschen mit Ärger, wenn auf der Straße fotografiert wird, so dass ich die meisten Bilder aus der Hüfte "schießen" musste.
Zu welchem Zweck die Gehsteige in Kairo da sind, konnte ich noch nicht ergründen. Deshalb machte ich mich zuerst einmal schlau, was Gehsteig, auch genannt Gehweg oder Bürgersteig, eigentlich bedeutet. Frei nach Wikipedia: Der Gehsteig ist der Teil der Verkehrsfläche einer Straße, der für den Fußverkehr vorgesehen ist. Ich weiß noch nicht, was Gehsteig auf arabisch heißt, für Fußgänger sind sie jedenfalls nicht vorgesehen und nicht mal annähernd dafür geeignet.
Als disziplinierter Mitteleuropäer versucht man erst einmal darauf zu laufen, wie wir das von Zuhause gewohnt sind. Das geht aber nur partiell und dann mit äußerster Konzentration und Achtsamkeit. Während des Gehens nach einem Geschäft oder nach einer der seltenen Hausnummern Ausschau zu halten, ist lebensgefährlich. Jeder Hausbesitzer gestaltet seinen Gehsteigbereich frei nach seinem Gutdünken. Das führt zu bemerkenswerten Inkompatibilitäten zu den angrenzenden Häusern. Der gemeine Fußgänger kämpft deshalb mit Höhenunterschieden von bis zu 40 cm, Löchern jeder Größe und Tiefe und mannigfaltigen Hindernissen ...
Meistens beginnt eine Tiefgaragenabfahrt an der Bordsteinkante der Straße, so dass man einen Meter tief fallen kann, wenn man sich in der Nähe der Hauswand auf dem Gehsteig bewegt und dieser breit genug ist. Über diversen Gruben, etwa 60 x 60 cm, deren Sinn mir bisher verborgen bleibt, fehlen mehrheitlich die Deckel oder haben ausgebrochene Stellen, so dass der Deckel bei Belastung am Rand einfach nach unten klappt. Fehlt der Deckel, ist die Grube randvoll mit Müll aller Art.
Waren ein Verkehrsschild, eine Werbewand oder andere Dinge auf dem Gehsteig am Boden verschraubt, bleiben nach der Demontage die Gewindebolzen stehen. Diese übersieht man leicht im schmutzigen Bodengrau und schlägt sich schmerzhaft die Zehen an, falls man mit Sandalen unterwegs ist. Durchschnittlich alle zwanzig Meter steht ein Auto wegen der chronischen Parkplatznot in jeder Einfahrt und blockiert den Gehsteig vollkommen. Die Parker haben dabei nicht den Hauch eines Unrechtsbewusstseins. Im ägyptischen Kastensystem steht der Autofahrer weit über dem Fußgänger. Manchmal parken die Autos an Straßeneinmündungen so dicht, dass als Fußgänger kein Durchkommen ist. Man muss zurück laufen und bei der nächsten passierbaren Lücke auf die Fahrbahn ausweichen. Die Parkplatznot verschärft sich in Kairo wegen der Autoleichen, die etwa 30% der abgestellten Fahrzeuge ausmachen. Dabei beziehe ich mich nur auf die Fahrzeuge, die sich eindeutig nie mehr aus eigener Kraft bewegen werden.
Besonders unappetitlich sind die Müllhaufen auf dem Gehsteig an vielen Straßenecken. Dort kippt jeder seinen Hausmüll hin und der Müllberg wächst kontinuierlich. Die Entsorgung läuft folgendermaßen: Zuerst kommen die wilden Katzen und fressen alles Genießbare, dann folgen die wilden Hunde und fressen alles Verdauliche. Darauf folgen die Kopten und ziehen alle Wertstoffe aus dem bereits stinkenden Müll. Und irgendwann, inshallah, kommt ein Müllauto und trägt den Müllberg ein Stück ab. Keine halbe Stunde später beginnt der Haufen wieder zu wachsen. Generell liegt unglaublich viel Müll auf den Gehsteigen und den Fahrbahnrändern. Die Ägypter lassen jeden Abfall oder die Verpackung einfach fallen. Ein Ägypter würde sich niemals bücken und seinen Abfall von der schmutzigen Straße aufheben. Zuweilen sieht man Straßenkehrer, die lustlos und ohne sichtbares Ergebnis mit Reisigbesen am Straßenrand herum stochern. Inzwischen habe ich immerhin schon zwei Straßenreinigungsfahrzeuge im Einsatz gesehen. Kürzlich hat jemand eine LKW-Ladung Bauschutt auf den Gehsteig vor der Schule gekippt. Der lag dort gute zwei Wochen und blockierte den Gehweg vollständig.
Wegen all dieser Hindernisse laufen die Fußgänger selbst auf den Hauptstraßen trotz des wahnwitzigen Verkehrs mehrheitlich auf der Fahrbahn. Sucht man etwas in einer Straße oder wendet man den Blick in die Schaufenster bei gleichzeitigem Weitergehen, ist das brandgefährlich und ein Beinbruch vorprogrammiert. Zum Blicke schweifen lassen sollte man unbedingt stehen bleiben.
Weitere Hindernisse zum zügigen Einherschreiten sind die Wachhäuschen, die vor jedem offiziellen Gebäude oder den Häusern mit etwas betuchteren Besitzern stehen. Ebenso Kartentelefonhäuschen, die ohne Gnade einen schmalen Gehsteig blockieren. Ein besonderes Augenmerk muss man auf die kleinen Pfützen auf den Gehsteigen richten. Missachtet man diese ohne auszuweichen, tropft es ordentlich auf den Kopf und in den Nacken von diversen Klimageräten. Zum Trost weiß man, es ist kondensierte Luftfeuchte und chemisch rein.
Kurzum, es gibt mannigfaltige Hindernisse, Fallgruben, Obststände, Müllberge, Verkaufsbuden, Autoleichen und dreiste Gehsteigparker, so dass ich die Gefahr, mir als Fußgänger ein Bein zu brechen, deutlich höher einschätze, als vom Minibus beim Überqueren der Fahrbahn tot gefahren zu werden ...
Billig ist nicht immer preiswert
Auf dringendes Anraten unseres Führers in Libyen hatten wir kurz vor der Grenze nach Ägypten noch mal vollgetankt. Immerhin sei der Diesel in Ägypten unglaublich teuer. Fast das Doppelte wie in Libyen. Recht hatte er. Bezugnehmend auf den Preis für einen Liter Diesel in Libyen von umgerechnet 0,08 Euro ist der Diesel in Ägypten mit 0,14 Euro geradezu unverschämt teuer.
So fahren wir seit August mit libyschem Diesel durch die ägyptische Landschaft. Irgendwann sind auch mal die Unimogtanks leer und es steht der erste Besuch an einer ägyptischen Tankstelle an. Die libysche Sparaktion rächt sich nun bei fast leeren Tanks bitter: In der günstigen Brühe aus Libyen schwimmt abgeblätterter Lack in großen Lackfetzen. Mit den fast leeren Tanks wird der Dreck nun angesaugt und verstopft nicht den Vorfilter, sondern schon das Leitungssystem vor dem Filter. Gestern, bei der freitagsüblichen Papataxifahrt meiner Töchter zum Reitstall im Süden Kairos tuckerte der Unimog mit dem Restsprit aus den Hauptfiltern gerade noch auf den Parkplatz des Reitstalls. Dort warf sich der Alte, bayrische Flüche ausstoßend, in seinen Blaumann und versuchte während der Reitstunde den Unimog wieder flott zu bekommen. Das macht im Sand bei spiegelnder Brille vom Hellen ins Dunkle schauend und bei in den Ärmel laufendem Diesel besonderen Spaß.
Das Prozedere dauerte letztendlich 2,5 Stunden, bis der Unimog wieder lief. Das heißt: Vorfilter ausbauen und zerlegen, Dreck aus den Kanälen popeln, Leitungssystem öffnen und mit Druckluft durchblasen. Ohne Druckluft zum Freiblasen der Dieselleitungen hätte ich keine Chance gehabt. Das Drama ist damit noch keineswegs ausgestanden. Nun muss ich einen Grobfilter installieren, bis der Dreck über etliche Tankfüllungen wieder aus den Tanks gespült ist. Allahs Zorn über Gaddafis Tankstellen!
Tanken auf Arabisch
Das Wochenende vom Freitag, den 31. Oktober bis einschließlich Sonntag, den 2. November ist bei uns langes Wochenende mit drei Tagen frei. Deshalb planten wir, diese drei Tage in der Wüste zu stöbern. Dazu wollte ich nachtanken und zwei Liter Motoröl nachfüllen. Also habe ich den Unimog angeworfen und bin zu einer der wenigen Tankstellen mit Dieselzapfsäulen gefahren. Die nächste ist etwa 1 km von unserem Wohnort entfernt. Die selbe übrigens, an der die Unimog-Waschaktion statt fand.
Ich fuhr also an die Zapfsäule und der freundliche Tankwart dirigierte mit in die optimale Position für den Zapfschlauch. Ich erklärte ihm mit arabobayrisch, dass ich zweihundert Liter in den linken Tank möchte und zweihundert Liter in den rechten Tank. Das hat er fix kapiert und ich öffne den Tankdeckel. Er steht schon mit der Zapfpistole bereit und will das Grobsieb heraus nehmen, damit der Zapfpistolenfeststeller nicht ständig auslöst. Ich hindere ihn daran und versuche ihm den Sinn des selbigen zu vermitteln. So entbrennt eine hitzige Diskussion, wieder in arabobayrisch, in der ich mich durchsetze. Das Grobsieb bleibt drin, vor allem nach meinen libyschen Erfahrungen mit der Sauberkeit des Diesels.
Nach dem links zweihundert Liter getankt sind, wende ich den Unimog und der rechte Tank wird gefüllt. Natürlich löst ständig wegen des Grobsiebs der Zapfpistolenfeststeller aus und der Tankwart muss während des ganzen Tankvorgangs dabei bleiben und eigenhändig die Zapfpistole führen.
Der Liter Diesel kostet zur Zeit 1,10 EP, das sind etwa 0,13 Euro. Ich gebe ihm also für die vierhundert Liter fünf Hunderterscheine, die er sorgfältig in seiner Geldtasche verstaut. Er wendet sich darauf dem nächsten Kunden zu. Ich warte, bis er dessen Auto betankt hat und frage ihn nach dem Wechselgeld. Mürrisch rückt er einen 50 Pfundschein raus. Ich will nicht kleinlich sein, akzeptiere und packe den 50 Pfundschein sorgfältig in meinen Geldbeutel und steige in meinen Unimog. Der Tankwart stellt sich an meine Türe und fragt nach Bakschisch. Ich erkläre ihm ruhig, dass er mir 10 Pfund zuwenig raus gegeben hat und damit sein Bakschisch schon bekommen hätte. Er nickt und geht. Wir lernen daraus: Man kann es ja mal probieren ...
© 2008-2009 Franz Murr