Schöner leben in der Transfer-Union ..?

oder: Augen auf beim "Für-Dumm-Verkauf"


Man wagt uns zu sagen, der Staat könne die Kosten dieser sozialen Errungenschaften nicht mehr tragen. Aber wie kann heute das Geld dafür fehlen, da doch der Wohlstand so viel größer ist als zur Zeit der Befreiung, als Europa in Trümmern lag? Doch nur deshalb, weil die Macht des Geldes - die so sehr von der Résistance bekämpft wurde - niemals so groß, so anmaßend, so egoistisch war wie heute, mit Lobbyisten bis in die höchsten Ränge des Staates. In vielen Schaltstellen der wieder privatisierten Geldinstitute sitzen Bonibanker und Gewinnmaximierer, die sich keinen Deut ums Gemeinwohl scheren. Noch nie war der Abstand zwischen den Ärmsten und den Reichsten so groß. Noch nie war der Tanz um das goldene Kalb - Geld, Konkurrenz - so entfesselt. ...

Mischt euch ein, empört euch! Die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft, die Intellektuellen, die ganze Gesellschaft dürfen sich nicht kleinmachen und kleinkriegen lassen von der internationalen Diktatur der Finanzmärkte, die es so weit gebracht hat, Frieden und Demokratie zu gefährden.

Aus: "Empört Euch", Stéphane Hessel, Ullstein 2011


Mancher Reisende und Urlauber aus D reibt sich derzeit manchmal die Augen: In Ländern, wo er noch vor kurzem überall willkommen war, ist er heutzutage mancherorten als Buhmann angesehen - der Deutsche ist nicht mehr unbedingt willkommen in Ländern wie Griechenland, Irland, Portugal oder Spanien. Dies alles waren einst erste Adressen für den Touri aus Alemania, der zum Zahlmeister all dieser Länder geworden zu sein scheint und der dafür auch noch Undank erntet - fahren wir demnächst besser woanders hin ..?

Griechenland: Etwa alle bei der Arbeit ..?Noch befremdlicher wird das Ganze, wenn man sich die Gründe für die neue Abneigung anschaut: Wutbürger dieser einst befreundeten Nationen blicken erzürnt auf Politiker wie Merkel & Co., die nicht müde werden, darauf hinzuweisen, dass es nicht sein könne, dass Spanier, Portugiesen und Griechen auf der faulen Haut liegen, eine Unmenge an Urlaub bekommen und in jungen Jahren offenbar schon in Rente gehen - und das natürlich alles irgendwie auf unsere Kosten, auf Kosten der arbeitsamen deutschen Bevölkerung, die seit Jahren nun schon klag- und revolutionslos begrenzten Urlaub und wohl bald Rente mit 69 auf sich nehmen soll.

Und der staunende deutsche Arbeitnehmer gibt ihr dabei natürlich vollkommen recht: Er muss sich seine paar Urlaubstage schließlich hart erarbeiten, alles wird immer teurer und nun auch noch die faulen Nachbarn unterstützen? Die es sich gutgehen lassen auf unsere Kosten? Merkel hat recht wie immer und deshalb wird sie sicherlich im Politbarometer bald schon wieder steigende Zustimmung erfahren ...

So weit, so gut? Oder eher so weit, so grottenschlecht? Nun, wieder mal ist zu beobachten, dass wir vielleicht einer gigantischen Volksverdummung aufsitzen, und das wirklich nicht zum ersten Mal. Leider gilt das auch für die Gastgeber bei unseren Reisen ins benachbarte Ausland. Deutsche, Spanier, Griechen, Portugiesen, Iren - Europäer vielleicht oft einheitlich schlichten Gemüts und einheitlich gering beteiligt an Korruptionserlösen und Profitmaximierung: Ihr seid das Volk! Und zur Stimme dieses Volkes hatte schon der selige Franz Josef Strauß als echter Lateiner und nicht geklauter CSU-Doktor gewusst: "Vox populi - vox Rindvieh" - die Stimme des Volkes ist in Wahrheit die Stimme des Rindviehs.

Und wie recht er damit hatte! Eine Gewissheit, die sich nicht nur Platitüden-Mamsels an der Regierungsspitze zunutze machen, sondern auch ein großer Teil der politisch-populistischen Klasse: Einfacher kann die Volksverdummung nicht mehr funktionieren!

Dabei hatten wir alles erst vor kurzem in Erstauflage, sprich vor weniger als 20 Jahren: Nach Angliederung der DDR an den bundesdeutschen Erfolgsstaat machte die Mär vom Ost-West-Gegensatz die Runde. Viele der "Neubürger" glaubten selbstverständlich, bei den festzustellenden Ungleichheiten handele es sich um ein West-Ost-Problem und sehr viele haben sehr lange gebraucht, bis sie merkten, was es wirklich war: Das immer wieder alte Lied von Oben gegen Unten, Reich gegen Arm, diesmal nur gut verpackt und politisch-populistisch versteckt. Sowohl im Westen wie im Osten gab und gibt es nur "Arm", "Reich" und immer weniger dazwischen - im Schatten eines vermeintlichen Ost-West-Gegensatzes ließ es sich trefflich weiterarbeiten an der berühmten Schere zwischen beiden Lagern und in jenen Jahren wurde sie in angeblich "blühenden Landschaften" ungestört weiter geöffnet. Bis die Bürger hier wie dort gemerkt hatten, dass sie schlicht einheitlich für dumm verkauft wurden, vergingen Jahre.

Und heute? Nun, wir erleben dasselbe Spielchen in Neuauflage, und das in noch weit größerer, europäischer Dimension: Nun heißt die Geschichte nicht mehr Ost gegen West, sondern Nord gegen Süd, Deutschland gegen Griechenland, Portugal und Spanien - die Aufrechten im Norden eben gegen die faulen "Pigs" aus dem Süden - man hatte es ja schon immer geahnt und auch gewusst, dass es so kommen würde, spätestens seit Einführung des Euro ...

Spanien: Nur verantwortungslose Immobilienhaie?

Doch wie sieht es tatsächlich heute aus? Mit Finanz-, Banken- und Eurokrisen wird derzeit die gigantischste Umverteilung aller Zeiten von unten nach oben nicht nur europa-, sondern weltweit praktiziert - und wie man sieht, erfolgreich und ohne Konsequenzen für die Verursacher. Bankenschonung ist dabei angesagt, Schuldenprobleme werden allein bei Bürgern und den Steuerzahlern abgeladen. Das Geld ist ja nicht weg, nur eben in anderen Taschen, könnte man sich vielleicht trösten. Doch wie heißt es so schön im Lateinischen: "Cui bono?" Das ist die Frage, wem es nutzt. Und dafür muss man nicht lange suchen: Natürlich denkt man zuerst an verantwortungslose Immobilienhaie, skrupellose Banker, korrupte Politiker und aufgeblähte Beamtenapparate, doch reicht das?

Früher ahnte man, wer sie waren, die wirklichen Besitzer des Landes, heute werden sie immer anonymer, die wahren "Besitzer" der Welt: Eine hochschnellende Anzahl von Multimilliardären etwa, oder von Vorständen von Großkonzernen, die heute viele Hundert mal mehr verdienen als ihre Angestellten - ein Vielfaches von dem, was noch vor 20 Jahren üblich war, wo bereits ebenfalls nicht unbedingt die Gesetze des Anstandes die Welt regierten. Superreiche aus den EU-Schuldenländern sind derzeit dabei, ihr Geld aus dem Lande zu bringen: Bei Luxusimmobilien in London etwa kommt nach Reuters derzeit nahezu die Hälfte aller westeuropäischen Investoren aus den Ländern Spanien, Italien und Griechenland. Ansonsten eine Amerikanisierung der Gesellschaften: Zunehmender Reichtum in wenigen privaten Händen und Verfall und Zusammenbruch öffentlicher Infrastruktur. Kommunen, die nicht einmal mehr das Geld haben, nötigste Reparaturen an Schulen oder Straßen durchzuführen ...

Irland: "Your Leisure" auf unsere Kosten?Märkte, Banken, Großkonzerne und eine politische Klasse, die als Mätresse oder als Popanz und willige Marionette dieser "wahren" Herren agiert, im besten Fall noch eingebettet in Folkloredemokratien und manchmal sogar gekoppelt mit einem "Rechtsstaat".

Was einem dabei sofort einfällt, ist die Geschichte der Entstehung eines solchen "Rechtsstaates": Wenn die organisierten Verbrecherbanden das Land unter sich aufgeteilt haben, werden Gesetze erlassen, die das Ganze auch für die restliche Bevölkerung festschreiben - Gummiknüppel später nicht mehr erforderlich in solchen Systemen, die vom globalen Kapitalismus viel erfolgreicher gemacht wurden als Diktaturen, die auf ihre Bürger einprügeln müssen. Der Straf- und Gebührenbescheid der Staatsmacht ist für Sozialhilfeempfänger und geringfügig Beschäftigte, die sich mit mehreren Jobs nur mühsam über Wasser halten, wesentlich wirkungsvoller, geräuschloser und eben "demokratischer" als alles andere - moderne Methoden in modernen Systemen eben ...

Aber was sind das für Systeme, die den Bürger für dumm verkaufen und im Hintergrund alles tun, um wirkliche demokratische Rechte nach Möglichkeit wieder einzukassieren, Systeme, die angebliche Grundrechte immer mehr zu einer Farce werden lassen? Und das möglichst unauffällig im Schatten ständig wechselnder angeblicher Bedrohungen und von Pappkameraden, die man aufbauen müsste, wenn es sie nicht tatsächlich gäbe?

Nun, solche "modernen" Systeme sind auch ganz einfach nur Systeme, die nach Jahrhunderte altem Vorbild die legale Sklaverei betreiben wollen - ein Heer von geringfügig Beschäftigten und anderen, gelenkt von einigen wenigen, die profitieren.

Im Gegensatz zu früheren Jahrhunderten und Jahrtausenden müssen diese Sklaven heutzutage nicht mehr verprügelt werden, um zu funktionieren - der Fortschritt macht es von ganz alleine! Und gegen die wahren Verursacher von Krisen wie die aktuellen muss man dann auch nichts mehr unternehmen - oft reicht es eben, wenn man nur ordentlich Stimmung im Volke macht gegen vermeintliche Schmarotzer und Schädlinge und täglich eine neue Sau durchs Dorf jagt ...

Manchmal spielen natürlich auch kulturelle Probleme mit hinein, die der Vereinfachung entgegen kommen: So war es in manchen der von der Schuldenkrise ganz besonders betroffenen Länder während des letzten Jahrzehnts auch für "Normalbürger" selbstverständlich, sich zu verschulden, in überteuerte Immobilien zu investieren, Sparsamkeit für kleinbürgerlich zu halten und die Jugend natürlich studieren zu lassen anstatt ordentliche Lehrberufe anzubieten. Doch trotz allem eint nun Deutsche, Iren, Griechen, Portugiesen und Spanier einiges, falls sie denn erkennen, was europaweit und ganz solidarisch heute mit ihnen geschieht.

Beitrag für eine Veranstaltung anderer ...Zunehmende Jugendarbeitslosigkeit, Lohn- und Sozialkürzungen, steigende Hypothekenzinsen, sinkende Zinsen für kleine Sparkonten und vor allem eine immer weiter um sich greifende schleichende Verarmung bei sinkenden Realeinkommen: Das ist ihr Beitrag für eine Veranstaltung anderer, die sie eigentlich nicht besuchen wollten, wonach sie aber heute niemand mehr fragt.

Keine Politiker, keine Banken-, Strom-, Pharma- und Mineralölbosse, keine Atomlobby, keine organisierten Verbrecher an der Spitze mächtiger Organisationen - sie alle sind zufrieden, wenn sie weitgehend ungestört und in immer größerem Umfang ihre Vorstellungen von Macht und Profit in die Tat umsetzen können, was mehr bedeutet, als nur die "Weltherrschaft der Krämerseele"...

Wenn wir all dies bedenken, stellt sich mehr denn je die Systemfrage, und die ist nicht nur ein Stresstest für unsere so genannten fortschrittlichen "Demokratien", die in immer schnellerem Tempo noch vorhandene Reste sozialer Marktwirtschaft einem ungebremsten Manchester-Kapitalismus opfern.

Und wer dieses gleiche Schicksal vieler mit seinem Gastgeber beim nächsten Aufenthalt im Nachbarland einvernehmlich erkennen und vielleicht sogar besprechen kann, der tut möglicherweise mehr für ein gut-nachbarschaftliches Verhältnis als mit dem Nachplappern vom faulen Gesell, der es so viel besser hat dort - und bei dem man aber trotz allem auch in diesem Jahr noch einmal Urlaub macht ...


... Doch die Demonstranten werden wiederkommen, womöglich in größerer Zahl. Sie werden erneut ihre Transparente enthüllen, mit Parolen wie: "Paris, wach auf!" Und sie werden wieder in die Megaphone rufen, dass sich die Regierungen zu Vollstreckern des Finanzkapitals machen ließen und den Sozialstaat zerstörten. ...

Ob in Lissabon, Athen, Budapest, Wien oder Berlin, überall verabreden sich "Empörte" über das Internet und das soziale Netzwerk Facebook, um gegen Sparhaushalte, Sozialabbau, Korruption, eine ungerechte Verteilung des Reichtums und die politischen Eliten zu protestieren. ... Hohe Jugendarbeitslosigkeit und miserabel bezahlte Praktikumsjobs plagen Spanier, Italiener und Franzosen, von Griechen und Portugiesen ganz zu schweigen. In all diesen Ländern ist das Vertrauen in Parteien und Regierungen gering. Und überall organisiert sich die Jugend via Internet ...

Aus: "Die Jugend stürmt die Bastille", Süddeutsche Zeitung, 31.05.2011  


1. Nachtrag, August ´11: Eine Farce mehr - Beteiligung privater Gläubiger an der Umschuldung Griechenlands ...

"... So entpuppt sich der private Gläubigerbeitrag als eine Farce; das griechische Hilfspaket ist vielmehr ein riesiges Geschenk für die Kapitaleigner der Banken und andere Inhaber griechischer Staatsschulden. ... Doch ist gerade der politische Aspekt der Einigung besonders beschämend: Die womöglich insgesamt bis zu 200 Milliarden Euro an Steuergeldern für die Griechenlandrettung kommen hauptsächlich den fünf Prozent reichsten Familien zugute. In den USA wie auch anderswo in der Welt kontrollieren die fünf Prozent wohlhabendsten Familien etwa 70 Prozent des Finanzkapitals. So bedeutet die Sozialisierung der griechischen Schulden gleichzeitig eine gewaltige Umverteilung zugunsten der Reichen dieser Welt ..."

Aus: "200-Milliarden-Geschenk für Europas Reiche", Prof. Harald Hau, Wirtschaftshochschule Insead im französischen Fontainebleau, Süddeutsche Zeitung, 08.08.2011


2. Nachtrag, Juli ´12: Auf einen Schlag alle öffentlichen Schulden getilgt?

In Wirklichkeit eine Umverteilungskrise ..?"... Nun sind die Italiener zwar besonders reich. Bemerkenswert ist aber, dass auch in anderen Krisenstaaten - Griechenland, Portugal, Irland und Spanien - das Geldvermögen der Privathaushalte die öffentlichen Schulden um ein Vielfaches übersteigt. Würden die Wohlhabenden der Euro-Zone 40 Prozent ihres Vermögens an den Staat überweisen, wären auf einen Schlag alle öffentlichen Schulden getilgt. ...

In den vergangenen Jahrzehnten wurde Wohlstand auf Kosten aller (des Staates) an wenige (Privathaushalte) umverteilt. Deshalb sei die europäische Krise auch keine Schuldenkrise im klassischen Sinne, in der die Zahlungsfähigkeit einer Volkswirtschaft aufgrund ihrer geringen Leistungsfähigkeit infrage gestellt werde. Vielmehr handele es sich um eine Umverteilungskrise zwischen einzelnen Volkswirtschaften, aber mehr noch zwischen Privatleuten und öffentlicher Hand in jedem einzelnen Staat. ...

Es geht aber nicht nur um das Verhältnis von Privatleuten zum Staat, es geht auch darum, die Einkommens- und Vermögensverteilung, die in vielen Ländern krass auseinander driftet, wieder ein Stück zusammenzuführen. Damit die Kluft zwischen Reich und Arm, die großen Finanzkrisen oft vorausgeht, kleiner wird. Das hilft nicht nur dem Staat, das ist auch gerecht."

Aus: "Wir brauchen ihr Geld", Catherine Hoffmann, Süddeutsche Zeitung, 13.07.2012


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