Karelien
Russland ganz nah: In der Wildnis Ostfinnlands
In der Wildnis Kareliens: Wälder, Seen und Einsamkeit ...
Ostfinnland: Zone des Übergangs zwischen einer Seenplatte im Südosten und Lappland im Norden - ein Gebiet, das Wildmark genannt wird und eine Region Europas bezeichnet mit nur wenigen Einwohnern, aber unendlich vielen nahe gehenden Eindrücken.
Wir waren da: Sind vorbei gefahren an endlosen Waldgebieten, vorbei an idyllischen Flecken, vorbei an der russischen Grenze. Wir haben die Einsamkeit erlebt und die Weite des Landes. Wer einmal hier war, wird vielleicht nicht noch einmal her kommen oder aber immer wieder ...
Man glaubt sofort, wenn man hört, was einmal in einem lokalen Blatt der Gegend gestanden haben soll: Dass der alte Mann, über den die Geschichte berichtet, einst einem Bären mit seinem Fahrrad entkommen sei - man muss so etwas hierzulande nicht für eine außergewöhnliche Geschichte halten. Ganz im Gegenteil, solches erscheint nicht nur alteingesessenen Finnen durchaus glaubhaft, die sich auskennen.
Bären gibt es nämlich mehr in der Umgebung, als wir uns noch vorstellen können - schätzungsweise sollen sich in den ausgedehnten Waldgebieten des Landes an die tausend der braunen Pelznasen aufhalten, wie Förster meinen. Und dass es dabei dann entsprechend häufig zu Begegnungen zwischen Mensch und Bär kommt, erscheint unter diesen Umständen schon fast zwangsläufig. Und eines ist ganz gewiss: Dieser zottelige Gesell ist kein Knuddelbär. Für ihn sind nicht nur Beeren und Honig interessant, sondern er macht sich auch an Elche, Kühe und sogar Menschen heran, wenn es sein muss ...
In den ausgedehnten Wälder Kareliens, der östlichsten Region Finnlands und der Außengrenze der EU zu Russland, die wir anlässlich unserer Reise Skandinavien 99 besucht haben, findet man außer Braunbären auch Wölfe, Luchse und Vielfraße - letztere eine recht groß ausgefallene Mardergattung, die auch wesentlich größere Tiere anfallen kann.
Hier ist das Verhältnis Mensch-Raubtier noch im Gleichgewicht: Bei weniger als zweihunderttausend Einwohnern in den dünn besiedelten Gebieten des Nordens fragt sich, wer hier in der Überzahl ist. Während der harten Winter, die in dieser Region von Oktober bis in den Mai hinein reichen und in denen die Temperaturen bis auf -20°C fallen können, wagen sich auch Wölfe manchmal recht dicht an die Ortschaften heran.
Diese ursprüngliche und uns immer wieder faszinierende Landschaft hat es in sich: Ausgedehnte Wälder, unzählige Flüsse, Seen und Inseln finden sich darin. Nicht umsonst heißt Finnland in der Landessprache Suomi: "Land der Moore".
Den vielen Finnland-begeisterten Touristen bestens bekannt ist der mehr als 130 km lange "Bärenpfad", der vom Patvinsuo-Nationalpark bis in die Nähe der russischen Grenze führt. Wie auch unser Autor kann man sich dort tagelang auf schmalen, manchmal sumpfigen Pfaden durch Mückenschwärme über Brücken hinweg von einer Blockhütte und Feuerstelle zur anderen voran kämpfen.
Voran kämpfen ist die durchaus treffende Bezeichnung: Abermilliarden weiblicher Stechmücken sammeln sich hier zum Angriff auf diejenigen, die sich auf ihr ureigenstes Terrain wagen.
Lange Hose, langärmeliges Hemd, vielleicht auch noch Thermounterwäsche - was bei Hitze allerdings zusätzlich quälend sein kann, wie wir nicht zuletzt bei Skandinavien 2000 erleben konnten - am besten noch eine Kopfbedeckung mit Mückennetz und reichlich Abwehrmittel gehören zur wichtigsten Ausrüstung des "Ritters vom Autan-Orden", des finnischen Outdoor-Urlaubers, will er nicht in kürzester Zeit zum Opfer dieser Quälgeister werden, die den Urlauber hier durchaus an biblische Plagen erinnern können.
Wanderer, Radfahrer, aber auch Paddler sind hier auf ständiger Flucht vor der nordischen Plage, die angeblich "mit den Touristen kommen und mit den Toristen gehen": Ein Grund mehr, diese wunderbare Landschaft außerhalb der üblichen Touristensaison zu besuchen, was wir sicherlich bei unserem nächsten Besuch praktizieren werden ...
Für Abenteuerurlauber bieten die Wälder und Seen Kareliens in der Tat ein reiches Betätigungsfeld: Das erwähnte Wandern, Radfahren und Paddeln ist auf dem weit verzweigten Weg- und Wassernetz in beliebigem Umfang möglich.
Wer das will, kann mit seinem Boot beginnend auf der Ostsee über eine Strecke von mehreren hundert Kilometern flussaufwärts bis in die karelische Wildnis vordringen und kann dabei stets an wechselnden Bootsanlegestellen und Campingplätzen Halt machen ...
Und auch auf eines muss man selbst in der Wildnis Kareliens nirgendwo verzichten: Die Sauna. Überall, und selbst auf dem entlegensten Campingplatz haben wir sie vorgefunden und man fragte uns stets, ob man sie für uns anheizen solle.
Für die Finnen ist die Sauna der Ort der Reinigung, Entspannung und selbst der Heilung: Auch die Saunageister - bei uns zumeist mit Wasser besprühte Steine, die zischend von ihrer Anwesenheit zeugen - sollen hier für ein glückliches Zuhause und für Gesundheit sorgen.
Abkühlung bringt im Sommer der See, der sich garantiert vor jeder Saunahütte findet oder aber im Winter der Schnee vor der Tür, in dem man sich nach Herzenslust wälzen kann.
Karelien, Ort der Geschichte ...
Was berichtet der "APA-Guides"-Führer "Finnland" zu dieser Gegend der Welt: "Finnlands berühmteste und am meisten fotografierte Landschaft erstreckt sich unterhalb der erhabenen Gipfel des Koli-Berggebietes oberhalb des Pielinen-Sees. Hier kann man einen wunderschönen Winterurlaub verbringen. Der ´Weg der Runen und Grenzmarken´ führt den Reisenden an Schlachtfeldern des Zweiten Weltkrieges und Stromschnellen vorbei in die Wildnis."
Wie man weiß, hat Karelien eine mehr als bewegte Geschichte hinter sich: Ost-Karelien, der flächenmäßig größere Teil, liegt auf heutigem russischen Territorium und wurde von Finnland im Krieg verloren. Wir hatten zu diesem Thema bereits in unserem Reisebericht Skandinavien 99 zitiert:
"Russland fiel in Finnland 1939 ein, nachdem Finnland Gebietsabtretungen verweigert hatte. Es brach der berühmte Winterkrieg aus, in dem die finnische Armee den übermächtigen Feind mit einer Kesseltaktik abwehrte, bei der die russischen Divisionen dadurch vernichtet wurden, dass sie bei eisiger Kälte mitten in den Wäldern Ostfinnlands eingekesselt wurden. Das Gebiet von Karelien, das Finnland im Winterkrieg verloren hatte, wurde zu Beginn des Fortsetzungskrieges der Jahre 1941-44 zurückerobert. Hinzu nahm Finnland weite Gebiete von Sowjetkarelien ein.
Diese Gebiete wurden von der Sowjetunion im Sommer 1944 mit einem Großangriff zurückerobert. Ihre Absicht war, wieder das ganze Land in Besitz zu nehmen ...
Beim Friedenschluss wurde Finnland dazu verpflichtet, den Waffenbruder des Fortsetzungskrieges, Deutschland, mit Waffengewalt aus Nordfinnland zu vertreiben, und neben den Gebietsabtretungen wurden Finnland große Kriegsentschädigungen auferlegt. Finnland behielt jedoch in den Kriegen das Wichtigste, seine Selbständigkeit."
Im Arktikum von Rovaniemi kann man vieles aus der Geschichte hautnah erleben: Die Ausstellung hier macht deutlich, welche Entbehrungen, aber auch welche bis dahin unbekannte Verteidigungsbereitschaft und nationale Solidarität dieser Krieg für die finnische Bevölkerung mit sich brachte.
Doch als die Deutschen nach dem Waffenstillstand der Finnen mit der Sowjetunion von 1944 das Land verlassen mussten, gab es beim Rückzug nach Nordnorwegen eine Politik der "verbrannten Erde": Die fast vollständig aus Holz gebaute Stadt Rovaniemi wurde einfach angezündet. Vielen Dörfern in Lappland erging es ähnlich: Auch Brücken, Wege und Telefonleitungen wurden zerstört - kein Stein blieb auf dem anderen ...
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde alles wieder aufgebaut, doch von der Kultur der Sami, der Urbevölkerung Lapplands, war nicht mehr viel übrig geblieben - die finnische Infrastruktur, die nun entstand, sollte bis heute überdauern und die Ureinwohner mit allen Problemen der Neuzeit konfrontieren ...
© J. de Haas 1999, Bilder: Explorer Magazin Skandinavien 99