Die McClosky-Schiffe ...

Zwischen den Weltkriegen bestand nur geringes kommerzielles oder militärisches Interesse an der Konstruktion von Betonschiffen. Andere Schiffbaumethoden waren billiger und weniger arbeitsintensiv, auch war Stahl leicht verfügbar. Aber nachdem Amerika in den Zweiten Weltkrieg eingetreten war, sah sich die Regierung erneut mit einem kritischen Stahlmangel konfrontiert. Wieder einmal erlangten die Befürworter von Betonschiffen Aufträge zu deren Bau.

Die Firma McCloskey & Company nutzte eine Werft in Tampa, Florida, um vierundzwanzig Betonschiffe mit eigenem Antrieb zu bauen. In der Spitzenzeit dieser Tätigkeiten waren 6.000 Arbeiter in diesem Betrieb beschäftigt. Innovationen bei der Zusammensetzung und beim Mischen von Zement machten diese Schiffe leistungsfähiger als die im Ersten Weltkrieg gebauten.

Alle sogenannten McClosky-Schiffe waren identische Frachtschiffe, obwohl sie eine starke Ähnlichkeit mit Tankern zeigten. Jedes war gut 100 Meter lang und hatte eine Wasserverdrängung von 4.690 Tonnen. Ab Juli 1943 wurde ihre Massenproduktion vorangetrieben mit durchschnittlich einem Stapellauf pro Monat.

Massenproduktion: Die McClosky-Frachter ... Einsatz als schwimmende Lagerhäuser ...

Jedes dieser Schiffe wurde nach einem Pionier der Beton-Technologie benannt. Service-Aufzeichnungen all dieser Schiffe sind nicht vollständig verfügbar. Der überwiegende Teil von ihnen kam gegen Ende des Zweiten Weltkriegs im Südpazifik zum Einsatz. Sie wurden zumeist als schwimmende Lagerhäuser vor abgelegenen Inselstützpunkten verwendet, wie man im Bild oben rechts sieht.

Zwei von ihnen, darunter das erste Schiff der vierundzwanzig Produktionsläufe, beförderten Ladungen nach England im Jahr 1944. Im Juni des selben  Jahres wurden sie gezielt versenkt als Teil der Wellenbrecher, die kurz nach dem D-Day zwei künstliche Häfen vor dem Brückenkopf in der Normandie bilden sollten. Dort befinden sie sich noch heute. Vier weitere gingen bei Unfällen auf See in der Nachkriegszeit verloren.

Von den verbleibenden achtzehn wurden neun an die bereits oben erwähnte Virginia Ferry Commission verkauft, um die Wellenbrecher beim Fährterminal von Kiptopeke zu bilden. Zwei weitere wurden zu Kais in Oregon und die letzten sieben endeten als Teil eines Wellenbrecher-Projekts an der Westküste Kanadas.

Die Wellenbrecher am Powell River

Neben den erwähnten sieben McClosky-Schiffen wurden drei weitere Betonschiffe Ende der 1940er Jahre in der kanadischen Provinz Britisch Kolumbien an der Mündung des Powell River positioniert, um Holztransporte der Zellstoff- und Papierfabrik Powell River Company zu schützen.

Immer noch gebraucht: McClosky-Schiffe als Wellenbrecher ...Obwohl sie bis auf die bloßen Rümpfe reduziert wurden, stellen sie doch eine einzigartige Ansammlung dar, da sie heute die einzigen Wellenbrecher sind, die aus noch schwimmenden Schiffen bestehen. Sie sind sicher verankert an dieser Stelle, wobei zwei der zehn Schiffe nicht näher bezeichnete Betonschiffe sind.

Historisch am bekanntesten von ihnen ist die SS PERALTA, ein Tanker, der einst Teil des amerikanischen Schiffbauprogramms im Ersten Weltkrieg war. Gebaut in San Francisco ist die PERALTA das größte aller Schiffe aus Stahlbeton mit einer Länge von fast 130 Metern und einer Wasserverdrängung von mehr als 6.000 Tonnen.

Weitere Beton-Wasserfahrzeuge des Zweiten Weltkriegs

Während des Zweiten Weltkriegs schloss die US-Regierung Verträge mit zwei kalifornischen Firmen zur Produktion von insgesamt  neunundsechzig Betonlastkähnen ohne eigenen Antrieb. Weitere elf wurden von "Uferwerften" in Texas und Georgia gebaut. Aufträge für mehrere zusätzliche Einheiten wurden ebenfalls genehmigt, aber noch vor Baubeginn storniert.

Diese Wasserfahrzeuge wurden während des Krieges hauptsächlich im Pazifik eingesetzt. Zwei von ihnen werden wie oben bereits erwähnt immer noch gewinnbringend als Teil des Powell River Wellenbrecherprojekts verwendet, aber über den Verbleib der meisten anderen ist nur wenig bekannt. Was man weiß ist, dass einige dieser Lastkähne verkauft oder direkt an asiatische Länder abgegeben wurden, die Amerika im Krieg unterstützt hatten.

Weit besser bekannt sind den Historikern des Zweiten Weltkriegs die massiven Betongebilde, die als Teil des waghalsigen Plans der Alliierten entwickelt wurden, nicht nur Soldaten auf die ungeschützten Strände der Normandie zu bringen, sondern dort auch künstliche Häfen zu errichten, um die Truppen unterstützen und verstärken zu können.

Die Geschichte dieses gewaltigen zivilen Ingenieurprojekts wurde erfolgreich geheimgehalten trotz der immensen Größe der schwimmenden Einheiten und der Unterstützungsorganisation, für die bewusst zufällig ausgewählte Codenamen verwendet wurden.

Mulberry Hafen

Was heutzutage als "Mulberry Hafen" bezeichnet wird, waren eigentlich zwei künstliche Häfen, deren Bestandteile an mehreren Standorten in Großbritannien gebaut wurden und anschließend - oft unter feindlichem Beschuss - über den Ärmelkanal geschleppt und vor der französischen Küste positioniert wurden. Jeder dieser Häfen sollte pro Tag den Transport von 7.000 Tonnen Material an Land ermöglichen.

Die künstlichen Häfen für den D-Day ...Der künstliche Hafen vor der Omaha Beach, Mulberry A genannt, wurde von amerikanischen Streitkräften gebaut; der andere, Mulberry B, von den Briten. Als dieses Konzept erstmals vorgeschlagen wurde, gab es mehr Zweifler als Befürworter. Dann hatte Wilson Churchill das Wort:

"Landungsbrücken zum Einsatz an Stränden: Diese müssen sich mit der Flut auf und ab bewegen. Das Problem der Ankerung dort muss gelöst werden. Bringen Sie mir die beste Lösung dafür. Streiten Sie nicht darüber. Die Probleme werden für sich selbst sprechen."

Britische und amerikanische Ingenieure reagierten und entwickelten ein kompliziertes Puzzle aus einer Kombination von Betonpontons, schwimmenden Anlegestellen und pontongestützten Brücken, geeignet für den Transport großer Mengen von Menschen und Material hin zu den Stränden der Normandie und über diese hinweg.

Das Ausmaß dieser Bemühungen kann man sich vielleicht am besten vergegenwärtigen, wenn man sich die Spezifikationen für einen einzelnen Betonponton (Codenamen "Phoenix") vor Augen führt: Insgesamt 146 dieser Komponenten wurden davon hergestellt.

Jeder Ponton hatte eine Länge von rund 55 Metern, war etwa 14 Meter breit und 16 Meter hoch. Jeder Phönix erforderte 144.000 Tonnen Beton. Nach der Fertigstellung wurden sie gezielt in flachen britischen Wasserwegen versenkt, um zu verhindern, dass sie beschädigt oder gar umgestürzt werden konnten bei deutschen Luftangriffen. Als sich der D-Day näherte, wurden die Phoenix-Pontons wieder flott gemacht.

146 Pontons wurden gebaut ... Flott gemacht vor dem Einsatz ...

Drei Tage nach der ersten Landung in der Normandie positionierten Schlepper, die die gewaltigen schwimmenden Gebilde langsam von Großbritannien herübergeschleppt hatten, diese auf beiden Seiten von siebzig Schiffen, die in zwei Gruppen im Kanal gezielt als Wellenbrecher versenkt worden waren. Zum Schutz während und nach dem Schlepp waren die Phönixe mit Flugabwehrgeschützen ausgerüstet worden.

Mulberry A: Der Sturm hat gewütet ... Am 19. Juni 1944 zerstörte ein gewaltiger Sturm den von den Amerikanern gebauten Hafen Mulberry A, wobei mehrere Pontons abgetrieben wurden und versanken. Die besser verankerten Pontons von Mulberry B blieben an Ort und Stelle. Mehrere Monate lang wurde nun dieser einzige verbliebene künstliche Dockbereich, der eigentlich nur für etwa 3 Monate vorgesehen war, dazu genutzt, mehr als 2,5 Millionen Soldaten, 500.000 Militärfahrzeuge und vier Millionen Tonnen Vorräte anzulanden.

Nachdem französische Häfen erobert und wieder instandgesetzt worden waren, gab man den als Mulberry B bekannt gewordenen Hafen schließlich auf. Seine schwimmenden Landungs- und Pontonbrücken wurden entfernt, aber die Betonpontons blieben größtenteils an Ort und Stelle. Mehr als als 70 Jahre nachdem sie vor den Brückenköpfen der Normandie aufgestellt wurden, sind die meisten der Phoenix-Bauwerke durch jahrzehntelange Einwirkung von Wind, Wetter und der See mittlerweile verschlissen ...

Auch heute noch sichtbar: Die Pontons vom D-Day ...Einige wirken jedoch immer noch erstaunlich intakt und sehen ähnlich aus wie im Jahr 1944. In der Nähe befinden sich die Denkmäler und Friedhöfe der Normandie, die akribisch gepflegt werden. Und vor der Küste liegen die längst verlassenen Phoenix-Pontons als unbeabsichtigte Hommage an die Ingenieure und Arbeiter, die diese großen kastenartigen Gebilde unter schwierigsten Bedingungen während des Zweiten Weltkriegs gestaltet haben.

Nachwort

Das Ende des Zweiten Weltkriegs markierte auch das Ende der Konstruktion großer Betonschiffe. Heutzutage werden nur einige kleinere Freizeitwasserfahrzeuge aus Stahlbeton gebaut.

Wenn Menschen, die mit dem Bauingenieurwesen und der Geschichte der Schifffahrt nicht vertraut sind, heutzutage  die Wellenbrecher von Kiptopeke sehen, sind sie oft erstaunt, wenn sie vom Baumaterial der Schiffe erfahren - und von ihrem Alter. Das ist nicht weiter verwunderlich, denn die Geschichte der hochseetauglichen Betonschiffe ist mittlerweile fast vergessen ... außer von denen unter uns, die sich auf solche maritimen Kuriositäten einlassen.

Sie werden wohl noch Jahrzehnte überdauern ...Die Entwickler der neun sogenannten McClosky-Schiffe, welche einst das betriebsame Fährenterminal von Kiptopeke beschützten, hätten vermutlich nie gedacht, dass ihre Produkte eine so lange Zeit überdauern würden, wie sie das nun getan haben. Oder so anpassungsfähig sein würden für anderweitige nützliche Verwendung, wie niemals während ihres Baus erwartet.

Während ihres langsamen Zerfalls werden diese eigenartigen Betongebilde wahrscheinlich noch viele weitere Jahrzehnte überdauern, bis Mutter Natur sie vollständig verschwinden lässt. Das sind die manchmal unerwarteten Ergebnisse der gewöhnlich relativ kümmerlichen technischen Leistungen des Menschen, wenn sie im Laufe der Zeit den zerstörerischen Kräften der Natur ausgesetzt sind ...


© 2014-2021 Bill Lee, Deutsche Übersetzung: Explorer Magazin


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