Die steinernen Schiffsrümpfe von Kiptopeke ...

Vor Kiptopeke ...

Eine kurze Geschichte über die Entwicklung von Betonschiffen

von Bill Lee


Im Jahr 1949 kaufte die damals für den Fährenbetrieb zuständige Virginia Ferry Commission (VFC) einen Standort achteinhalb Meilen südlich der Ostküsten-Stadt Cape Charles zur Nutzung als Terminal für Autofähren. Da der als Kiptopeke bekannte Standort kein natürlicher Hafen war, erwarb die VFC zusätzlich neun rund 100 Meter lange, vom Krieg übrig gebliebene Frachtschiffe, und versenkte diese so, dass sie als Wellenbrecher für das Terminal dienen konnten.

Wellenbrecher-Betonschiffe vor der Küste ...Während derartige künstliche Barrieren eigentlich nichts Besonderes sind, war es jedoch ungewöhnlich, dass all diese Schiffe aus Beton bestanden: Dies war das Ergebnis von Bemühungen im Zweiten Weltkrieg, den kritischen Mangel an Stahl für den Schiffbau zu umgehen. Diese Schiffe mit eigenem Antrieb, von denen es noch fünfzehn weitere gab, trugen zu Ehren ihres Entwicklers den Spitznamen "McClosky-Schiffe" und wurden von einer Werft in Tampa, Florida, im Auftrag der US Maritime Commission in Massenproduktion hergestellt.

Nach der Fertigstellung des Chesapeake Bridge-Tunnel im Jahr 1964 wurde das Kiptopeke Ferry Terminal aufgegeben. Vom Terminalgebäude oder den Anlegern und Einrichtungen für die Zwillingsfähre, die einst dazu diente, das Gebiet von Norfolk mit der Ostküste von Virginia durch eine anderthalbstündige erfrischende "Seereise" für Autofahrer zu verbinden, ist heute nichts mehr übriggeblieben. 

Nur die Betonschiffe, die einst als Wellenbrecher dienten, blieben weitgehend undurchdringlich für die Naturgewalten. Heute bieten die sogenannten "McClosky-Schiffe" Schutz für Fischer und Vergnügungssuchende im dortigen Kiptopeke State Park ...

Die Entwicklung des frühen Betonschiffbaus

Schiffe aus Stahlbeton (auch bezeichnet als Ferrozement) waren nicht unbedingt neu oder gar neuartig in den 1940er Jahren. Aber sie waren größtenteils erfolglos, zumindest in ihrer ursprünglich vorgesehenen Verwendung. Die größten Vorteile vom Beton waren Preis und Verfügbarkeit, vor allem in Kriegszeiten, außerdem seine Rostbeständigkeit in maritimer Umgebung.

Zu den Nachteilen gehörten die erforderliche eingebettete Stahlverstärkung und die daraus resultierenden relativ dicken Rumpfabschnitte, welche die Baukosten erhöhten und gleichzeitig die Frachtkapazität des Schiffs verringerte. Außerdem hatten Schiffe aus Beton keinen wirklichen Schrottwert, was zumeist zu einer endgültigen Verwendung als Wellenbrecher oder Kai führte.

Das älteste bekannte Wasserfahrzeug aus Stahlbeton ist ein kleines Boot, das im Jahr 1848 in Frankreich gebaut wurde. Kanal-Frachtkähne aus Beton wurden beginnend mit den 1860er Jahren in Europa eingesetzt. Um 1896 begann ein Italiener auch mit dem Bau kleiner Küstenschiffe aus diesem nicht traditionellem Material. 

Britisches Experimental-Betonsegelschiff ...

Großbritannien baute zwei experimentelle Segelschiffe aus Beton während des Ersten Weltkriegs; vielleicht wegen Stahlmangel auf der britischen Insel. Sie erwiesen sich als Handelsschiffe erfolglos, aber eines von ihnen blieb noch jahrzehntelang auf dem Wasser: Als Clubhaus eines Yachtclubs am Fluss Medway in England ...

Die NAMSENFJORD vor dem Stapellauf ...Im Jahr 1917 wurde in Norwegen das erste seetüchtige Wasserfahrzeug aus Beton mit eigenem Antrieb fertiggestellt. Mit einer Länge von nur rund 25 Metern und einer Wasserverdrängung von 400 Tonnen gab die NAMSENFJORD (im Bild links vor dem Stapellauf) den eigentlichen Anstoß für den Bau von Betonschiffen in Nordamerika.

Die CONCRETIA ...Jedoch war Kanada und nicht die Vereinigten Staaten das erste Land der westlichen Hemisphäre, wo man mit Schiffen aus Beton zu experimentieren begann. Das treffend aufgrund des Betons auf den Namen CONCRETIA getaufte Schiff der kanadischen Küstenwache wurde im Jahr 1917 fertiggestellt und war rund 40 Meter lang.

Sein Rumpf war seitlich mehr als 45 Zentimeter dick und am Kiel sogar mehr als 60 Zentimeter. Die CONCRETIA diente der kanadischen Regierung mehrere Jahre auf den Großen Seen.

Später wurde sie verkauft und schließlich in eine Yacht umgebaut ... sie wurde noch bis Ende der 1980er Jahre oft in karibischen Häfen gesehen. Sie könnte in dem Jahrzehnt auch noch im Südpazifik gesegelt sein und ging dort möglichweise in einem Sturm verloren. Ihr endgültiger Verbleib ist unbekannt.

Ungefähr zur selben Zeit als die CONCRETIA gebaut wurde, begann die San Francisco Shipbuilding Company mit Sitz in Oakland, Kalifornien, mit dem Entwurf von Amerikas erstem hochseetaugliches Stahlbetonschiff. Der 6.125 Tonnen Dampfer SS FAITH kostete 750.000 US $ und wurde gebaut aufgrund von Spekulation in Hinblick auf weitere Aufträge für Betonschiffe seitens des US Shipping Boards.

Die äußerst ungewöhnliche Gestaltung des Bugs ist deutlich erkennbar auf dem historischen Foto unten links, das unmittelbar vor dem Stapellauf im März 1918 entstand. Der Dampfer FAITH war nur drei Jahre in Betrieb. Er hatte sich als unrentabel erwiesen und wurde in Kuba stillgelegt sowie später Teil eines Hafendamms.

Dampfer FAITH SS ATLANTUS

Dennoch entschied im Verlauf des Jahres 1918 die US-Regierung, in Anbetracht des erheblichen Stahlmangels für den Schiffbau vierundzwanzig hochseetüchtige Stahlbetonschiffe zu bauen. Als der Erste Weltkrieg im November desselben Jahres endete, waren lediglich zwölf dieser Schiffe tatsächlich im Bau. Das restliche beauftragte Dutzend wurde nie begonnen.

Diejenigen, die fertiggestellt waren, verkaufte man an private Interessenten. Im Laufe der Zeit wurden etliche dieser Schiff Opfer der See, so wie z.B. die SS ATLANTUS, oben rechts zu sehen vor der Küste New Jerseys im Jahr 1926 nach Auflaufen in einem Sturm. Jahrzehntelange Erosion hat das Wrack zu einem bröckelnden, nicht wiedererkennbaren Wehr aus Beton und Stahl direkt vor der Küste werden lassen ...

Die SS MONTE CARLO Saga

Andere amerikanische Betonschiffe aus der Zeit des Ersten Weltkriegs wurden schließlich zum Wellenbrecher degradiert oder dienten anderweitig stationär; in einem Fall als Angelpier in Kalifornien. Eines von ihnen hatte jedoch eine reißerischere Karriere; dank der Verlockung von dem, was man mit "Drinks, Glücksspiel und Puppen" bewarb.

Ein knapp 100 Meter langer Tanker, ursprünglich SS McKITTRICK genannt, wurde im Jahr 1921 seitwärts zu Wasser gelassen in einer kleinen Werft am Ufer des Cape Fear River in Wilmington, North Carolina. Wie lange das Schiff als Tanker diente, ist nicht bekannt. Aber Anfang 1936 tauchte es vor San Diego, Kalifornien, mit einem gut gewählten neuen Namen wieder auf: Nun war es die MONTE CARLO ...

Drei Meilen vor der Küste in internationalen Gewässern verankert wurde es schnell zum beliebt-bekannten "Schiff der Sünde". Örtliche Strafverfolgungsbehörden wurden tätig, die politische und lokale Führung schäumte, während Wassertaxis diejenigen zum Schiff beförderten, die sich an Glücksspiel und Prostitution beteiligen wollten. Niemand gab sich als Eigentümer des Schiffes zu erkennen, aber natürlich drangen Gerüchte durch, es würde von der Mafia betrieben ...

MONTE CARLO auf Grund ... Gelegentlich tauchen die Reste noch im Sand auf ...

Mutter Natur erreichte bald das, was den örtlichen Beamten nicht gelang: Während eines Sturms in der Silvesternacht des Jahres 1936 riss sich die MONTE CARLO los und lief hart auf Grund im Bereich der Coronado Beach von San Diego. Der Strand war übersät mit Trümmern von Glücksspielgeräten. Schnell verbreiteten sich Gerüchte über Whisky-Bestände und 150.000 Silberdollars, die sich noch im Wrack befinden würden. Natürlich fanden aber Plünderer nichts davon.

Das herrenlose Schiff wurde danach dem langsamen Zerfall und späteren Stürmen überlassen. Das was heutzutage noch übrig geblieben ist, liegt normalerweise im Sand vergraben. Allerdings taucht es gelegentlich auch wieder an der Oberfläche auf, um dann von Leuten wiederentdeckt zu werden, die zumeist nichts über die Geschichte dieses Schiffes wissen ...


© 2014-2021 Bill Lee, Deutsche Übersetzung: Explorer Magazin