Kapitel 7: Albanien
Meine Beifahrerin hat sich bisher erstaunlich gut gehalten, soll nun aber etwas Entspannung bekommen - das bedeutet Straßen ohne ausgesetzte Stellen -, während Hans und Martin auf meinen Rat hin die interessante Ausreise aus Montenegro über Plav nach Vermosh in den nördlichsten Zipfel Albaniens angehen.
Diese Gegend nennt man wegen der hohen Berge und tiefen Abgründe die Albanischen Alpen und noch vor wenigen Jahren war die Gegend Spielwiese vieler Offroader. Die Berge sind immer noch imposant, die Straße allerdings nigelnagelneu und zweispurig asphaltiert. Sie hat jeden Reiz verloren und Hans düst in einem Zug durch, sodass die beiden fast zeitgleich mit uns am vereinbarten Nachtplatz ankommen, dem Lake Shkodra Resort. Dies ist der derzeit wohl gepflegteste und in meinen Augen schönste Campingplatz Albaniens, etwa 8 km nördlich der großen Stadt Shkodra am gleichnamigen See gelegen und dort treffen wir auch wieder unsere Steiermärker Reisegefährten.
Wir legen einen ganzen Ruhetag ein, gönnen uns nach dem späten Frühstück ein Mittagsschläfchen und nachmittags sogar ein paar Bewegungen in Form von Boulespielen. Während wir Pause machen, fahren Herbert und Monika in die Stadt und mischen sich in das fast schon orientalische Treiben. Auch schöne Bilder bringen sie aus Shkodra mit.
Für mich ist Shkodra allerding verbotenes Terrain: Vor zwei Jahren waren wir schon einmal hier, offenbar während einer Luftinversionslage und ich bekam erhebliche asthmatische Atemprobleme von diesem Smog, der ganz besonders durch die vielen alten Dieselmercedes entsteht. Das mit dem Asthma habe ich damals zum ersten Mal erlebt und bin seitdem nicht mehr ganz so gegen die europäischen Abgasbestimmungen. Wohl wissend, dass sich diese Bestimmungen nicht um meine Gesundheit, vielmehr um die Interessen deutscher Autobauer kümmern ...
Am nächsten Tag brechen wir mit den zwei Bremachs wieder auf, Richtung Süden, durch Albanien mit Ziel Griechenland. Diesen Virus haben wir uns beim Wintereinbruch am 10. Mai eingefangen und der tut seine Pflicht und drängt zum Aufbruch. Aber ohne den MDMOT Albanien und damit ohne jede Attraktion durch das Land düsen müssen wir doch auch nicht. Berat haben wir alle noch nicht gesehen und der normale WoMo-Führer von Albanien warnt alle Wohnmobilbesitzer eindringlich davor, die Verbindungsstraße nach Permet zu fahren, "das sei Offroadgebiet". Ha, endlich eine Herausforderung, da wollen wir durch. Wir haben uns ja für Albanien nicht vorbereitet und somit keine anspruchsvollen Pisten in peto. Deshalb ist so eine Warnung für uns willkommenes Futter!
Also Berat angefahren, angeschaut, fotografiert, abgehakt. Obwohl, nein: Berat hat wirklich ein hübsches Stadtbild und nette Flanierpassagen. Und eine Menge kulturelle Schätze, schließlich ist es eine Weltkulturerbestätte. Sie ist bestimmt eine der schönsten Städte in Albanien und wir halten es tatsächlich einige Stunden dort aus. Aber da kann man noch viel mehr Zeit verbringen oder wieder einmal vorbeischauen.
Doch wir wollen heute noch bis ans Ende der Teerstraße, bis Corovode, und uns dort einen im Womo-Führer beschriebenen Stellplatz anschauen. Die Straße ist zwar asphaltiert, aber sehr kurvig und nur langsam zu befahren. 20 km vor Corovode und sehr spät am Nachmittag müssen wir einsehen, dass es keinen Sinn macht, mit Gewalt und einbrechender Dunkelheit durchzufahren und nehmen einen Nachtplatz irgendwo am Fluss unten. Dazu müssen wir unter einer "verhauten" Hängebrücke mit Durchfahrtshöhe 320 cm passieren. Der Bremach von Hans ist auch 320 cm hoch und so wird es eine Millimeterarbeit, einen kleinen Kratzer muss Hans hinnehmen. Aber einen sehr schönen Nachtplatz gewinnen wir dadurch.
Am nächsten Morgen - nach dem Frühstück in der Sonne - wieder die gleiche Millimeterarbeit zurück auf die Straße und weiter, an Corovode vorbei zu den Balkonen, also Aussichtspunkten oberhalb einer Schlucht mit markanten Felsmauern. Nicht nur bis Corovode, sondern etwa 10 km weiter geht die Teerstraße, dann beginnt der Schotter ...
Anfangs durch Wald und später über fast baumlose felsige Umgebung geht die Piste kurvig bergauf. Markant sind allerdings die steilen Abbrüche, ungesichert direkt neben der Straße, die meiner sensiblen Beifahrerin den Atem rauben. Und technisch schwierig sind vom Regen ausgewaschene tiefe Rillen, in die man um Seitenneigung zu vermeiden, auf keinen Fall hineinrutschen darf. An zwei oder drei steilen und engen Kehren ist das gar nicht so einfach, besonders für mich ohne zuverlässig gesperrten Allrad (Zentralsperre). Hans legt einfach alle Gimmiks, die er hat ein und rollt darüber. Klar, dass wir wie immer von diesen spannendsten Stellen keine Bilder schießen können. Ich muss das Lenkrad sicher festhalten und meine Beifahrein braucht beide Hände, um sie vor Gesicht und Augen zu pressen ...
Es ist wie meistens aber nur eine Frage der Fahrkunst oder Übung: Wie sonst käme der Linien- und Schulbus da täglich zwei- bis dreimal hoch, ein alter 4x2 Sprinter, allenfalls mit Hinterachssperre ausgerüstet, wenn überhaupt. Der Fahrer nötigt mir schon einigen Respekt ab. Von anderen Reisenden kenne ich die Geschichte, wie sie diese Strecke bei Regennässe bewältigen mussten. Schier undenkbar für mich ..!
Oben auf dem knapp 1.000 Meter hohen Bergkamm steht ein kleiner Pavillon direkt neben der Straße mit einem netten Schild, zweisprachig albanisch/englisch, mit einer Info zu dem, was es hier alles gibt: Camping und ein Meny aus diversen Speisen und Getränken wie Wayn, Coffe, etc.
Wir machen unsere originellste Mittagspause dieser Reise. Ein findiger junger Bauer hat hier im Nirgendwo eine gute Idee umgesetzt und bietet in diesem einfachen Ambiente ein Menü aus seinen eigenen Erzeugnissen an, aus garantiert natürlichem Anbau. Besonders weist er auf seine Ziegenmilchprodukte hin, eine Art Weichkäse und ein Joghurt, den man mit seinem Honig mischen sollte. Einfach köstlich. Als Brotersatz gibt es frisch ausgebackene Teigringe, in Bayern kennt man diese als "Auszogne" und so frisch wie hier bekommt man sie sonst nur in der eigenen Küche. Beim Anblick des Fotos läuft mir wieder richtig das Wasser im Mund zusammen ...
Er will auch noch etwas verkaufen und bringt eine 2-Liter Flasche Raki für 8 Euro bei Hans an den Mann und mir erklärt er, dass die andere Wasserflasche voll mit auskristallisiertem Honig durch vorsichtiges Erwärmen wieder den köstlichen Saft ergibt, der er uns vorgesetzt hat. Als Honigkenner glaube ich ihm das gerne, weiß ich doch, dass es als Zeichen von Naturbelassenheit gilt, wenn Honig noch fest wird. Gegen 16 Euro wechselt diese originelle Honigflasche ihren Besitzer und macht ihn und mich zufrieden.
Bei der straßenmäßig deutlich einfacheren Abfahrt ins Tal Richtung Permet sehen wir noch einmal die interessanten geologischen Hangabbrüche aus grauem, etwas glänzendem feinen Gestein, von dem ich gerne wissen würde, welches Material das ist, und dann sind wir auch schon unten im Tal und Renate hat es überstanden - "Gott sei Dank"!
Über den neuen Grenzübergang bei Carshova geht es nach Griechenland und weiter, mäßig zielstrebig, zur Bucht von Sarakiniko nahe Parga, dem Lieblingsort von Hans und seiner Familie ...
© 2017 Sepp Reithmeier