Teil 2
Offroad-Leckerbissen
Wir sind noch auf dem Kap Rodon, etwa 30 km Luftlinie bzw. 50 km Fahrstrecke nördlich von Durrës, der großen albanischen Hafenstadt an der Adria. Roland und seine Tochter Marie-Luise verlassen Albanien heute, nehmen die Fähre Durrës - Ancona und haben dann noch 830 Autobahnkilometer bis nach Hause. Für den Rest der Truppe geht die Reise weiter und es wird gewünscht, an den Ohridsee zu fahren und von dort immer den Fluss Drin entlang allmählich in den Norden des Landes zu driften. Sehr viel Zeit haben wir aber nicht mehr, denn berufliche Verpflichtungen zwingen auch unsere Grazyna bald nach Hause.
Für die weitere Gestaltung und zur Vermeidung von Langeweile schauen wir erst einmal in den Offroadführer der Pistenkuh und finden dort die Route S02, eine kurze, mäßig schwere Piste zu dem markanten Felsenzahn Guri i Kamjes nahe Pogradec am Südrand des Ohridsees. Das wäre doch eine nette sportliche Einlage vor den kommenden touristischen Zielen. Also fahren wir da hin ...
Es entpuppt sich tatsächlich als ein kleiner Leckerbissen: Von den 35 km Anfahrt ist der Großteil ein breiter Forstweg durch hügelige Almlandschaft. Gerade einmal 8 km sind als offroad bezeichnet, das heißt in diesem Fall nicht geteert und etwas anspruchsvoller als ein normaler Waldweg. Oben auf dem Bergkamm erheben sich neben der Piste zwei auffällige Felsengipfel in den Himmel und unter dem markanteren der beiden suchen wir in buckeligem Gelände eine geeignete Stelle für die Wohnmobile. Unter Einsatz der maximalen Verschränkung gelingt es gerade so, die Wohnkabine waagerecht hinzustellen.
Der Abend wird gemütlich, trotz eines kurzen Regenschauers. Ich baue meine neue zerlegbare Feuerschale von Tschum auf und freue mich über diese Anschaffung: Als Feuerstelle funktioniert sie wie andere Schalen auch. Die gute Belüftung von unten erleichtert das Anfeuern, sorgt aber auch für ein schnelleres Verbrennen und Verglühen des Holzes: Eine gute Eigenschaft für im Wald gefundenes, nicht ganz trockenes Brennmaterial. Der Clou ist aber das kleine Packmaß von 36x33x3 cm. Damit passt sie bei mir unter die Box mit Feuerholz und nimmt keinem anderen Teil den Platz weg ...
Am nächsten Tag und nach einem Frühstück (wieder mit Aussicht) erkunden wir die direkte Umgebung der beiden Gipfel. Ein Albaner aus Korça ist gestern Abend bei uns vorbeigewandert und hat uns von den Heilkräutern erzählt, die er zu finden hoffte. Hier oben ist die Natur offenbar noch intakt und wir wollen sie ebenfalls erkunden: Wir umrunden den Felszapfen vor uns, müssen aber wieder umkehren, da ein steiler Abstieg über eine 5 Meter hohe Wand ohne Seilsicherung zu gefährlich erscheint. Auch die Besteigung des Gipfels ist uns ohne technische Hilfsmittel zu riskant. Aber einige Höhlen, leider ohne prähistorische Wandmalereien, werden noch begutachtet und dann geht es wieder zurück zu den Autos.
Für Grazynas Bewegungsdrang reicht das nicht: Die ständige Fahrerei nervt sie schon einige Zeit und sie beschließt, gemeinsam mit Erich den Bergkamm in der anderen Richtung hinunter zu wandern, also entgegengesetzt zur Auffahrt. Im Führer der Pistenkuh ist der Vermerk, dass diese Piste nicht durchgängig befahrbar sei, weshalb wir unsere dicken Bremachs da nicht runter schicken wollen. Wir vereinbaren, dass ich die beiden im Talort Vercun abhole und trennen uns ...
Ich muss eine Schleife von etwa 60 km Strecke fahren, um nach Vercun zu kommen, wo ich den Bremach mitten im Ort und gänzlich unübersehbar hinstelle. Sofort kommen einige Dorfbewohner, um mich wortlos anzustarren. Nach kurzer Wartezeit beschließe ich, den beiden Wanderern entgegen zu gehen. Schwer kann das nicht sein, es gibt ja nur eine Straße ...
Weit gefehlt: Wir laufen aneinander vorbei. Den Weg, den sie von oben herunter kommen, kann man von unten nicht erkennen, er verläuft die letzte Strecke spurlos über eine Weide. Als ich nach meiner Irr-Tour eine Stunde später als sie wieder zum Auto zurück komme, finde ich sie in einer Traube von Einheimischen und Grazyna kann wieder einmal mit ihrem Italienisch glänzen. Deutsch verstehen die komischerweise nicht, na sowas! Nein, stimmt nicht ganz - einen haben wir vor Tagen getroffen, der drei Jahre in Deutschland gearbeitet hat, wir vermuten auf dem Bau. Er berichtete, er habe dort 15 Euro die Stunde verdient, hier bekomme er zurzeit bei der Kirschernte 5 Euro am Tag. Krass!
© 2021 Sepp Reithmeier, Fotos: Sonja Ertl, Erich Junker, Marie Schömer