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Die Sichtweise eines ukrainischen Seemanns

Im Bus von Burgas nach Varna habe ich mich auf englisch mit einem ukrainischen Seemann unterhalten: Er war ca. 33 Jahre alt, schon seit 11 Jahren auf See beschäftigt für eine italienische Reederei, seine Familie lebt in der Ukraine zwischen Cherson und Odessa. Nun hatte er mehrere Wochen Urlaub. Da er seit sechs Monaten seine Frau und seinen 15jährigen Sohn nicht mehr gesehen hatte, lud er sie ein, ihn in Bulgarien zu besuchen. Er selbst scheute sich, in die Heimat zurückzukehren, weil er dann direkt zum Militärdienst eingezogen würde.

Am Busbahnhof Varna ...Wir sprachen natürlich auch über die Situation in der Ukraine, über den Krieg. Mehr als die Hälfte seiner Freunde und Bekannten seien mittlerweile eingezogen worden und viele davon bereits tot, sagte er mir. Das größte Problem an diesem Krieg wäre, dass die gut ausgebildeten intelligenten jungen Menschen in der Ukraine im Krieg sterben würden und das wäre sozusagen ein kultureller Genozid, da im Gegenzug die Russen angeblich darauf achten würden, nur "minderwertige" Menschen aus Gefängnissen und unausgebildete Menschen aus der fernen Steppe in den Krieg zu schicken ...

Auf die Frage, wie es denn weitergehen soll, meinte er, dass die Unterstützer der Ukraine, sprich der Westen, bei etwaigen Friedensverhandlungen durchaus ein großes Mitspracherecht hätten, das heißt nicht, die Ukraine alleine könne entscheiden, ob Gebiete den Russen überlassen werden, sondern auch der Westen müsste das durch seine geleistete Waffenhilfe mit entscheiden. Dann berichtete er noch, dass besonders in Odessa in der letzten Zeit Militärs am Strand auftauchen, die dort gezielt alle Besucher, die zwischen 18 und 25 Jahre alt sind, befragen und Ausweispapiere verlangen würden. Und wenn sie sehen, dass es sich um Ukrainer handelt, würden sie diese direkt mit in den Bus nehmen und zur Armee schicken, eine sogenannte Hetzjagd auf Rekruten ...

Eine Bulgarin trauert dem Kommunismus hinterher

Dobritsch, eine früher bedeutende bulgarische Industriestadt, jetzt ausgestorben und mit verlassenen Gebäuden, brachte mir zufällig die Gelegenheit, mich mit einer Bulgarin auf Deutsch über ihre und die allgemeine Haltung ihres Heimatlandes zu Russland zu unterhalten. In Bulgarien ist die Einstellung bezüglich des Krieges in der Ukraine anders als im Westen: Die Bulgaren hatten immer ein besonders gutes und enges Verhältnis zu Russland ...

Alter Bahnhof Dobritsch (1) Alter Bahnhof Dobritsch (2) Alter Bahnhof Dobritsch (3) Sicherheitsfirma KGB ... ;-))
Neuer Bahnhof Dobritsch (1) Neuer Bahnhof Dobritsch (2) Neuer Bahnhof Dobritsch (3)

Einerseits ist dies der Fall wegen der Geschichte: Russland hat praktisch Bulgarien aus der türkischen Umklammerung befreit, andererseits bestanden immer sehr tiefe und intensive Handelsbeziehungen. Bulgarien hat dabei auch technische Unterstützung im großen Stil von Russland erhalten. Eine Sicherheitsfirma in Dobritsch hat mit einem gewissem Humor die Firma KGB benannt (Bild oben rechts).

Das alles ist einem großen Teil der Bevölkerung bewusst und deshalb sehen sie Russland nicht als ihren Feind an. Die Frau selber wohnt jetzt schon seit vielen Jahren in Deutschland, da es in der Stadt nach dem Ende des Kommunismus für sie keine Perspektiven mehr gab: Alles wurde privatisiert, die großen Fabriken geschlossen. "Demokratie" in Bulgarien habe nur zu mafiösen Verhältnissen geführt und den ökonomischen Niedergang vorbereitet. Der Tourismus verlagere sich zunehmend in die Türkei, dort sei besserer Service, gebe es niedrigere Preise.

Die Stadt hat noch ein riesiges Hotel im Zentrum, ich wollte mich bei der Rezeption erkundigen, was ein Zimmer kostet, doch dort bekam ich nur die Auskunft, dass es einen neuen Besitzer gäbe, der plane, das Hotel zu renovieren und es deshalb zur Zeit nicht in Betrieb sei. Warum denn dann noch eine arbeitende Rezeption, war meine Frage: Um die paar Läden im Erdgeschoss zu verwalten, die Antwort ...

Großes Bad in Bulgarien ... An den heißen Quellen von Varna ... Uferstraße Bulgarien (1) ...
Uferstraße Bulgarien (2) ... Uferstraße Bulgarien (3) ... Verlassenes Haus Bulgarien ...

Unsere kleinen Ausflüge in der Umgebung brachten uns auch an die heiße Quelle in Varna, die Einrichtung mutet etwas sowjetisch an, meist sind auch nur ältere Menschen im warmen Wasser, aber nach rund 20 Minuten muss man wegen der Hitze dort (ca. 40°C) dann wieder das gleich daneben liegende Schwarze Meer aufsuchen.

Hinter Baltschik gibt es eine Betonstraße an der Küste, aber nur noch in einer Seite befahrbar und der Weg darunter ist nicht so einfach zu finden und schwer zu befahren. Tatsächlich macht Bulgarien einen etwas verwahrlosten und teils verlassenen Eindruck, es erinnert irgendwie an das Jugoslawien der späten 1980er Jahre ...

Auf der Fahrt nach Reni über die ukrainische Grenze ...

Der Übergangspunkt Jowkowo nach Rumänien erwies sich als relativ schnell und unkompliziert, auch wenn sich die beiden Staaten nicht im Schengen-Abkommen befinden; von dort fuhren wir weiter nach Medgidia und Hârșova über die Donaubrücke, um dann gleich rechts abzubiegen und den Dammweg neben der Donau zu nehmen sowie die Nebenstraße über Chiscani nach Galați. Im Gegensatz zu Bulgarien findet man in Rumänien bessere Straßen, aber auch noch einige wenige Eselskarren ...

Donaubrücke Rumänien Donaudelta Rumänien (1) Donaudelta Rumänien (2)
Donaudelta Rumänien (3) Donaudelta Rumänien (4) Aufgegebene Fabrik Rumänien ...
Ortsschild Chiscani / Rumänien Chiscani / Rumänien Grenzübergang Reni: Rubelumtausch in der Ukraine nicht mehr möglich ...

In Giurgiulesti, der südlichsten Stadt Moldawiens und Grenzstadt sowohl zu Rumänien als auch zur Ukraine, passierten wir die Grenze. Somit befuhren wir nur zwei Kilometer in Moldawien selbst, weshalb man schwerlich auch nur einen flüchtigen Eindruck vom Land bekommen konnte. Die Grenze von Moldawien zur Ukraine (Grenzpunkt Reni) war total überfüllt mit Tanklastwagen. Da die früher durch Russland gewährleistete Treibstoffversorgung weggefallen ist, wird das Benzin hauptsächlich über Reni aus Europa eingeführt. Es waren kaum PKW an der Grenze. Uns erwartete eine unangenehme, eisige Atmosphäre auf der anderen Seite. Der ukrainische Zoll untersuchte mit drei Leuten unser Auto mehr als eine Stunde lang, jede einzelne Tasche durchstöberten sie. Vermutlich ist nun jeder Ausländer als Spion oder möglicher Saboteur verdächtig, der in Kriegszeiten in die Ukraine einreist. Bis auf ein Fahrzeug mit deutschem Kennzeichen habe ich in der gesamten Ukraine nirgendwo ein ausländisches Fahrzeug gesehen. Der Rubel kann in der Ukraine nicht mehr umgetauscht werden ...

Nach rund zwei Stunden, bei nur drei PKW vor uns, konnten wir endlich weiterfahren. Es waren um die tausend LKW um Reni platziert, ein kleinerer Teil von ihnen die besagten Tanklastzüge, die meisten aber Getreidelaster. Vermutlich wird mittlerweile der Hauptteil des ukrainischen Getreides über den erweiterten Donauhafen in Reni nach Europa und in andere Länder exportiert, da das Getreideabkommen in Odessa auf wackligen Füßen steht.

Ismail, eine ukrainische Stadt am Donauarm und seltsame Denkmalsmoral

Die Nacht verbrachten wir in zwei Zelten neben der Hauptstraße, da in der Dunkelheit gute Plätze zum Übernachten kaum zu finden waren. Morgens hieß es dann nach Ismail zu fahren und dort ein Café zum Frühstücken zu suchen. Zunächst fiel uns auf, dass kaum jüngere Männer zu sehen waren; falls doch, waren es solche, die eine leichte Behinderung aufwiesen, ansonsten eher Männer, die schon relativ alt waren.

Im Café wollte man uns aus irgendwelchen Gründen am Anfang nicht bedienen. Dann aber sah ich an einem Nebentisch ausnahmsweise einen jungen Mann, der überraschend sehr gut Englisch sprach. Er versuchte dann mit der Bedienung zu klären, ob auch wir ein ukrainisches Frühstück bekommen könnten, was nach mehrmaligen Verhandlungen seinerseits auch gelang. Das ukrainische Frühstück besteht aus einem kleinen Omelett, etwas gebratenem Schinken und Salat. Als wir schließlich auf dieses Frühstück warteten, kamen wir weiter ins Gespräch: Er hatte einige Jahre in Amerika gelebt, dort seine Ausbildung fortgesetzt und war jetzt zurückgekehrt in die Ukraine, um bald als Computerspezialist in die Armee einzutreten. Er meinte aber, seine Position sei relativ gut und sicher, jedoch würde die Ukraine immer mehr ihrer ausgebildeten Männer verlieren. Ebenso werde die Möglichkeit der Ausbildung in zivilen Berufen vernachlässigt, was in der Zukunft ein Problem werde ...

Übernachtung im Zelt - neben der Hauptstraße ... Ismail (1) Ismail (2) Ismail (3)
Ismail (4) Ismail (5): Denkmal zu Ehren der Flotte der UdSSR Ismail (6): Marktplatz Ismail (7): Teildemontage am Suworow Denkmal
Ismail (8): Friedenstaube ..? Ismail (9) Ismail (10): Klappt es mit dem ukrainischen Frühstück? Ismail (11): Hier geht´s zum Luftschutzkeller!

In Ismail steht noch ein großes Denkmal zu Ehren der Flotte der UdSSR für die Befreiung, welches noch unangetastet ist und gepflegt erscheint. Diese Denkmäler bereiten den Ukrainern Kopfzerbrechen, denn sie haben zusammen mit den Russen viele Männer im Zweiten Weltkrieg im Kampf gegen die deutschen Besatzer verloren.

Parallel dazu wird ein Suworow Denkmal auf dem Marktplatz teildemontiert, die Statue eingelagert und das Fundament umhüllt, so als ob man es sich später vielleicht nochmal anders überlegen könnte ...

Was ist eigentlich so antiukrainisch an diesem Suworow (1730 - 1800)? Betrachtet man das Verhältnis Suworows zum heutigen ukrainischen Gebiet, so stellt man fest, dass er 1778 die christliche Bevölkerung aus dem Krimkhanat rettete und aufs russisches Territorium umsiedelte. Das heißt, er befreite christlich orthodoxe Einwohner, welche unter islamischer Unterdrückung auf der Krim lebten. Fühlen sich etwa die heutigen Ukrainer der türkisch islamischen Bevölkerungsgruppe zugehörig? Oder will man damit die russische Eroberung der Krim, besiegelt 1792, ebenfalls als Verbrechen kennzeichnen, obwohl unter dem Krimkhanat nachweislich Eroberungszüge auf dem ukrainischen Gebiet abgehalten wurden, um Menschen zu fangen und als Sklaven zu verkaufen? Oder ist das ein Hinweis auf die Unterdrückung der Krimtataren in der Sowjetzeit, sollte man also vielleicht den Krimtataren die Krim zurückgeben? Eigentlich hätte historisch gesehen die Türkei dann ein größeres Anrecht auf Rückgabe der Krim als die Ukraine ...

Weg nach Wylkowe (1) Weg nach Wylkowe (2) Weg nach Wylkowe (3)

Ab Ismail Richtung Wylkowe war die Straße eigentlich technisch gesehen unpassierbar; eine Durchschnittsgeschwindigkeit von etwa  20 km/h ist auch mit einem Geländewagen das Maximum. Wir hielten schließlich in einem kleinen Dorf an und sprachen mit einer Frau, die einen schönen alten Mercedes ihres Vaters fuhr; sie sagte, allein aus diesem kleinen Dorf seien schon fünf Männer als Soldaten an der Front gestorben ...


© 2023 Michael Gallmeister