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Wylkowe, das kleine ukrainische Venedig und andere ungenutzte Ferienorte an der Küste ...

Ein einsamer Ferienpark: Ausflugsboote säumten ungenutzt die Kanäle. Wir aßen ein gut zubereitetes Mahl - allein im großen Pavillon. Es folgte das Gespräch mit einem Mann, der meinte, der Krieg sei sinnlos, alle möglichen Völker lebten in der Ukraine. Und wenn der Krieg noch ein Jahr weitergehe, gäbe es keine Männer in der Ukraine mehr und alles sei erledigt.

Ferienort Wylkowe (1) Ferienort Wylkowe (2) Ferienort Wylkowe (3)

Meine persönliche Sicht nach den wenigen Tagen: So wie ich die Ukraine wahrgenommen habe, scheint mir das Land tatsächlich erledigt. Es werden nur noch halbherzig Rückzugsgefechte geführt. Selbst die patriotischen Plakate, die überall hängen, sind meist verblichen und abgeblättert ...

Doch weiter an die Küste nach Prymorske, wie viele der kleinen Urlaubsorte in der Ukraine heißen. Auch dort absoluter Totentanz: Hunderte von Läden und Unterkünften leer, ein großer Freizeitpark mit Riesenrad, Karussell vergammelt und verrostet, ungenutzt seit Jahren. Dann eine einzige Kneipe gefunden mit einem Tisch, an dem vier Ukrainer saßen, alle waren sturztrunken und luden uns ein zu Wein, Schnaps und Fischsuppe. In Hinblick auf das tote Ferienzentrums meinten sie, zwei Jahre Corona und dann Krieg, da ginge nichts mehr.

Es waren zwar Patrioten, die immer noch hofften, dass die Ukraine erhalten bleibt, aber der Krieg wäre ein Bruderkrieg und ein Hahnenkampf zwischen politischen Machthabern, letztlich alle Slawen - russische Männer, die sich gegenseitig in der Ukraine bekämpfen.

Wir übernachteten im Zelt am Meer, dort waren diverse improvisierte Schützenstände für Übungen der ukrainischen Armee aufgestellt, in der Bar meinte man schon, dass wir nachts eventuell Besuch von der Armee bekommen würden ...  

Prymoske (1) Prymoske (2) Prymoske (3)
Improvisierte Schützenstände (1) Improvisierte Schützenstände (2) Improvisierte Schützenstände (3)
Panzersperren Militärposten Schlammstraßen bei Lyman (1) Schlammstraßen bei Lyman (2)
Schlammstraßen bei Lyman (3) Sintflutstraße (1) Sintflutstraße (2) Sintflutstraße (3)
Sintflutstraße (4) Noch mehr Straßendisaster ... Haffbeton

Auf der Karte war eine kleine weiße Straße eingezeichnet, auf welcher man theoretisch von Prymorske über ein Haff nach Lyman gelangen konnte. Bevor wir dort allerdings hin gelangten, standen wir vor diversen Panzersperren: Dennoch gelang es uns, durch Umfahren auf das Haff zu gelangen. Die Straße war eher ein Pfad, welcher wegen vorangegangenem Starkregen praktisch auch mit einem Geländewagen unbefahrbar war. Das Haff aber war zur Innenseite hin mit leicht schrägen Betonplatten abgesichert, auf denen wir dann auf die andere Seite polterten. Dort waren auch wieder Betonblöcke zur Absperrung platziert und ein einsamer Posten saß auf einem Wachtturm. Er nahm ganz erstaunt wahr, wie wir mit dem Landrover näher kamen. Wir wechselten ein paar nette Worte und konnten weiterfahren ...

Auffällig hier, dass fast sämtliche Ortsschilder demontiert waren, ebenso die Straßenschilder, als ob man damit im Ernstfall eine Besetzung verhindern könnte. Wenn wir uns als Zivilpersonen mit Google Maps orientieren konnten, warum sollten dann eventuelle Besetzer dazu nicht in der Lage sein? Das ganze Verteidigungsspiel mit Betonblöcken und Panzersperren kam mir ein wenig kindisch vor.

Auf der anderen Seite des Haffs gab es überhaupt keine Straßen - nicht mal wenigstens ein paar Teerreste. Die meisten Dörfer waren verlassen oder nur noch vereinzelt bewohnt. Wir kämpften uns von Lyman durch den Matschpfad bis zur größeren Straße hinter Tatarbunary durch; ein junges Mädchen schaute ganz erschrocken auf unser Fahrzeug und rannte davon ...

Es befand sich auch dort ein Denkmal, eine Frauenstatue, aber keiner im Dorf wusste, was sie zu bedeuten hatte und wann sie dort aufgestellt wurde. Die sogenannte Hauptstraße entpuppte sich als ebenso unbefahrbar wie diejenige zuvor; mit ca. 20 km/h hoppelten wir bei extremem Starkregen weiter, um einen nächsten Küstenort zu besuchen. Wir erreichten Kurortne, dort war schon der Zugang zum Meer gesperrt, ein unfreundlicher ukrainischer Soldat wies uns an, umzukehren.

An einer anderen Stelle in Schabo trafen wir einen Mann, der im großen Stil Landwirtschaft betreibt, und ein paar tausend Hektar und Getreide umsonst an die Armee liefert als Unterstützung. Von seinen fünf Arbeitern waren drei an der Front, so dass er jetzt versuchen musste, mit den zwei verbliebenen auszukommen. Er vertrat die Meinung, dass es möglich sei, die Russen aus der Ukraine zu vertreiben.

Belgorod (1) Belgorod (2) Belgorod (3)

Nächstes Ziel die Festung Belgorod (ukrainisch: Bilhorod): In der Stadt fanden wir kein brauchbares Lokal zum Essen, der Verkäufer in der Pizzabude meinte, für drei Pizzas  müssten wir eineinhalb Stunden warten. Die Antwort war Nein und die Fahrt ging weiter nach Satoka, um über das nächste Haff den kurzen Weg Richtung Odessa zu nehmen. Daraus wurde aber nichts, die Militärposten hatten die Straße abgeriegelt, keiner kam durch, also mussten wir wieder zurück und über Palanca Richtung Odessa fahren. Noch in Schabo wurde ein nobler Käseladen aufgesucht, der hervorragende Ware anbot. Gegenüber befand sich ein Edelrestaurant mit Preisen, die sich auch in München sehen lassen könnten. Natürlich war es fast leer, zwei Menschen saßen an einem Tisch und sechs Bedienstete standen herum ...

Es gibt keine Lösung, das ist der erste Satz, den wir Menschen verstehen müssten. Es gibt Möglichkeiten, Variationen, welche kurzfristig ein pragmatisch anvisiertes Ziel erreichen lassen. Mit dem Erreichen wird eine Sucht stimuliert, nach dem nächsten pragmatischen Ziel zu hangeln, ein Hamster im Rad. Dauerhaft lässt sich nichts sichern oder erreichen, und die einfachen Menschen sind Spielbälle in den Händen der Machthaber als Determinatoren ...


© 2023 Michael Gallmeister