Tag 1: Der Farm-Teil ...
Mein Motorrad und die dazugehörigen Koffer kann ich für ein britisches Pfund (£) je Tag am Zeltplatz lassen. Ich bedanke mich bei dem Besitzer der Bankell Farm und finde mich am nicht weit entfernten Start des West Highland Ways wieder: Mitten im Dorf steht eine Säule mit Beschriftung und einer stilisierten weißen Distel, dem Symbol des Weges. Ich schreite unter einem Schild hindurch, auf dem ebenfalls West Highland Way in großen Lettern zu lesen ist.
Der erste Abschnitt nach Drymen führt auf einem ebenen Pfad durch den Mugdock Wald, vorbei an gelben Ginsterbüschen und braunem Gerstengestrüpp. Teilweise überschneidet er sich mit weiteren Wanderwegen, wie dem Clyde Coastal Path und dem schottischen John Muir Way. Ich passiere ein Häuschen mit Garten, in dem liebevoll ein Wunschbrunnen errichtet wurde. Ein Schild mit der Aufschrift "The Shire" unterstreicht die Atmosphäre ...
Von den Highlands ist noch nichts zu sehen - die Umgebung gleicht eher Farmland. Schon erklingt Dudelsackmusik aus dem nächsten Landhaus - willkommen in Schottland!
Das größte Highlight des ersten Tages stellt ein Besuch der Glengoyne Destillerie dar. Hier wird seit über 200 Jahren Whisky hergestellt: Kostenfreies Testen, 10 Jahre, 12 Jahre, 15 Jahre … Lächeln!
Die Brennerei verlasse ich freudig und zeitgleich mit einer internationalen Wandergruppe. Drei Kanadier und ein Neuseeländer, die den Weg in vier Tagen beenden wollen. Eine Herausforderung? Da mache ich mit!
Während Hamish, der 25-jährige Neuseeländer, mir von seinen Touren in Frankreich erzählt, kommen wir an einem traurigen Szenario vorbei: Ein Mann sitzt blutend auf einem Stein, Ersthelfer sind bereits bei ihm. Der Weg ist für ihn wohl zu Ende - umso tragischer, da er angabegemäß bereits seinen letzten Versuch aufgrund einer Verletzung abbrechen musste.
Die Abzweigung nach Drymen haben wir hinter uns gelassen und stehen nun an einer weiteren: Wir können zwischen der leichteren Lowland-Route und der steileren Conic Hill-Route wählen. Wir entscheiden uns einstimmig für die zweite Möglichkeit. Kein Regen, und die Möglichkeit auf eine gute Aussicht darf nicht ungenutzt bleiben. Bei dem schottischen Wetter weiß man ja nie …
Hier oben erhalte ich erstmalig einen Eindruck davon, wie es in den Highlands aussieht: Weit, wild und leer. Vom Hügel auf der anderen Seite, der mehr Braun- als Grüntöne aufweist, fließt ein kleiner Bach in das Tal. Einige niedrige Sträucher wachsen.
Am höchsten Punkt angekommen erhalten wir ein Bild von Loch Lomond, dem vor uns liegenden See. Zwar hängen die Wolken bedrohlich tief, doch ein Sonnenstrahl kämpft sich durch und malt einen kleinen hellen Kreis auf das Blau.
Nach dem Abstieg erreichen wir Balmaha. Hier gönnen wir uns eine kurze Pause und ein Bier. Nun können wir uns auf die Suche nach einem Campingplatz begeben. Zwei Kilometer Spaziergang durch einen Birkenwald bei Sonnenuntergang und wir finden Sallochy Bay - einen recht wilden Zeltplatz. Unser Soll haben wir erfüllt: 40 km stehen bereits auf unserem Konto. Lucas, der Kanadier mit der Statur eines American Footballers, wirkt angeschlagen - sein Rucksack saß nicht richtig, und das hat das Wandern anstrengender gemacht ...
Tag 2: Der See-Teil
6:30 Uhr aufstehen - ist normalerweise nicht meine Art. Möchten wir jedoch 38 km je Tag meistern, um Fort William in 72 Stunden zu erreichen, gibt es keine andere Wahl. Nach einem Kaffee ziehen wir los. Wir wandern durch ein Waldgebiet. An einer Stelle zeugen moosbewachsene Steinreste von vergangenen Zeiten.
Die am Boden klebenden roten Fichtennadeln und der frische Duft der Bäume schenken uns die nötige Kraft, ehe wir am See eine Frühstückspause einlegen. Für mich gibt es einen Flapjack, einen gehaltvollen, englischen Haferflockenriegel. Die Gruppe hat Haferflocken mit getrockneten Beeren vorbereitet. Wir setzen uns an den See - und sofort beginnt es zu regnen. 30 Minuten später brechen wir auf - und der Regen stoppt ...
Wir kommen langsamer voran als am Vortag: Yolanda, die kleine, sportliche Kanadierin, kämpft mit Blasen, den Nebenwirkungen von geliehenen Schuhen. Jede Pause wird genutzt, um die Füße in Bächen oder im See abzukühlen.
Nur wenig später kommen wir an einem Versorgungsstand für West Highland Wayer vorbei: Für eine Spende von jeweils einem Pfund gibt es hier hausgemachte Plätzchen, Scottish Tablet (bestehend aus Zucker, Butter und Milch) und Bananen.
Unsere Gruppe hat sich mittlerweile vergrößert: Eileen, eine Schottin, hat sich uns angeschlossen und vertreibt die Zeit mit Geschichten aus ihrer Heimat ...
Laut den Aussagen der uns entgegenkommenden Wanderer befinden wir uns gerade auf der schwierigsten Passage des Trails - teilweise werden Hände eingesetzt, um Stein- und Felsabschnitte zu überwinden. Die Höhle von Rob Roy ist sogar noch schwieriger zu erreichen. Um das Versteck kenntlich zu machen, steht unmissverständlich daneben in weißen Buchstaben das Wort CAVE auf einen Stein geschrieben.
Danach geht der steinige Weg in einen Trampelpfad über und wir entfernen uns vom See: Vorbei an ein paar Ziegen, die uns prüfend beobachten, und wir erreichen die Beinglas Farm Campsite - von hier aus wäre ein Abstecher zu der berühmten Bar "Drover’s Inn" möglich. Wir entschließen uns jedoch, wild zu zelten: ist günstiger und bequemer. Eine Meile später finden wir auch einen dafür geeigneten Platz. Während Yolanda sich mit einem Erdnussbutterbrot begnügt, versuchen sich Hamish und Lucas erfolglos an einem Lagerfeuer ...
Tag 3: Der Highland-Teil I
Der Tag beginnt anstrengend - wir müssen Passagen mit einem knöcheltiefen Mix aus Schlamm und Kuhmist umgehen, bevor wir an der Abzweigung nach Crianlarich ankommen. Hier ist die Hälfte des Weges erreicht. Mittlerweile sind wir in Verzug geraten und heben unser Ziel auf 5 Tage an.
Der Weg lässt sich von hier an gut laufen. Ein Trampelpfad zwischen Bäumen, Moos und Grün: Zeuge von dem häufigen Wechsel zwischen Regen und Sonnenschein, den auch wir in den letzten Tagen kennenlernen durften ...
Danach müssen wir die Straße überqueren: Ein nicht ganz ungefährliches Unterfangen, da die Autos hier mit teilweise 100 km/h vorbei rasen. Auf der anderen Seite erreichen wir nach kurzer Zeit die Ruine der St. Fillans Abtei und deren Friedhof, auf dem schiefe, moosbewachsene Grabsteine stehen.
Tyndrum erreichen wir zur Mittagszeit. Das Dorf scheint als Rasthof zu dienen - direkt an der Schnellstraße gelegen: Es werden zwei Restaurants und ein Supermarkt geboten ...
Das Wetter ist uns gerade wohlgesonnen, stellt den Regen ein und lässt Sonnenstrahlen durchblitzen. Das nutzen wir natürlich für eine Rast und füllen die Nahrungsvorräte auf, da von hier an die Möglichkeiten etwas knapper ausfallen werden.
Das nächste Stück verläuft über eine alte Militärstraße, auf der sich uns einige Highland-Kühe in den Weg stellen. Dan, der letzte aus der Kanada-Truppe, bahnt sich furchtlos seinen Weg, schiebt die Hinterteile der Kühe auseinander, bis wir vorbeigehen können. Das erste Highland-Gefühl kommt auf: Am Horizont erscheinen mehrere weißbestäubte Gipfel, links ein kleiner Bach, auf beiden Seiten vereinzelt gelbe Ginsterbüsche ...
Wir erreichen Bridge of Orchy. Der erste Eindruck wirkt trotz des schönen Namens nicht sehr einladend: Lediglich ein Hotel, das mit einem offenen Kamin sowie einer Auswahl an Craft-Bieren und Malt-Whiskys wirbt, lässt uns innehalten. Eine wohlige Vorstellung - unser Tagesziel ist jedoch noch nicht erreicht ..!
Es geht weiter, schleppend. Lucas hat sich mittlerweile mit einem Wanderstab ausgerüstet, um seine Knie zu entlasten. Dan wirkt auch etwas mitgenommen. Yolandas Füßen geht es nicht besser und die Schuhe von Hamish beginnen sich von den Sohlen zu lösen - scheinen sprechen zu können ...
Doch das alles ist vergessen, als wir den höchsten Punkt dieses Teilstücks erreichen: auf der einen Seite leuchtet ein kleiner quadratischer Fleck hell durch die dichten grauen Wolken. Auf der anderen Seite ist der Himmel beinahe klar, ein See wirkt einsam in den spärlich bewachsenen Highland-Hügeln.
500 Meter hinter dem Inveroran-Hotel befindet sich eine Brücke, deren beide Seiten gerne als Zeltplatz verwendet werden. Wir schlagen unser Lager auf und gehen unverzüglich zurück zum Hotel: Ein Abend mit echtem Essen, Bier, Whiskey und Karten … Glücklich ..!
Tag 4: Der Highland-Teil II
Wir erwachen bei Regen. Glücklicherweise hält dieser nicht lange. 30 Minuten später kämpfen wir uns, den Blick nach unten gerichtet, durch einen Schneesturm. "Wir werden heute viel vom Boden sehen", meint Yolanda sarkastisch. Doch so leicht ist das schottische Wetter nicht zu durchschauen, eine Stunde später machen wir eine kurze Pause: Die Sonne scheint zwar nicht, doch es ist trocken.
Eine schöne Überraschung erwartet uns: Yolanda kommt von der anderen Seite des Hügels grinsend zurück - sie hat nicht vergessen, dass Ostersonntag ist, und lässt uns vier Osterhasen suchen. Dan und Lucas irren noch immer um den Hügel herum, während Hamish und ich die leckere Schokolade bereits genießen ...
Der Weg führt nun durch eines der größten und wildesten Moorgebiete Britanniens. Mittags sitzen wir am Kings House, in dem im 18. Jahrhundert britische Truppen untergebracht wurden. Wir wärmen uns an einem Kaffee und bereiten Sandwiches für das Mittagessen vor. Hoffentlich genügend Stärkung um das Treppenhaus des Teufels (engl. "Devil´s Staircase") meistern zu können. Der Name ist furchterregender als der Weg selbst: Es geht zwar steil bergauf, doch bereits nach einer halben Stunde finden wir uns am höchsten Punkt wieder ...
Ein Bergpanorama der besonderen Art: das Blackwater Reservoir. Dafür hat sich Umrundung des Stob Mhic Mhartuin gelohnt. Hier ist der ideale Ort für eine kurze Pause mit ein, zwei Schluck Whisky aus der Glengoyne Destillerie. Die friedlichen weißen Gipfel erzeugen eine natürliche Atmosphäre - erstaunlicher Widerspruch zur Aluminiumindustrie in Fort William, die sich an der Energie des Stausees bedient.
Von nun an folgt ein langes Stück bergab. Ein Regenbogen führt uns, Zeuge von einzelnen Sonnenstrahlen. Entlang der Rohre, die das Wasser nach unten geleiten, auf dem Weg nach Kinlochleven. Ein geeigneter Zeltplatz ist mit freundlicher Unterstützung von Einheimischen schnell gefunden: Kurz nach dem Dorf gibt es einen Wald, der dafür viele Möglichkeiten bietet.
Nach dem Essen verabschieden wir den Tag in einer Bar, bei Karten, Bier und Whisky. Kommen wir so der Seele von Schottland näher ..?
Tag 5: Der "die Leiden sind zu Ende" Teil ...
Die letzten 24 km! Nachdem wir den ersten Anstieg überwunden haben, folgen wir einem angenehmen, ebenen Pfad. Um ein letztes Mal das Panorama der Highlands zu würdigen, machen wir eine kurze Pause an der Ruine eines Hauses.
Danach passieren wir eine größere Ansammlung von Steinen: Ein Mahnmal aus früheren Zeiten. Nach einer blutigen Schlacht zwischen den beiden Clans MacDonald und Campbell, die in einem Massaker endete, flohen die unterlegenen Campbells und wurden rücksichtslos verfolgt. Die Steine markieren die Stelle, an der die Truppen die Verfolgung aufgaben. Reisende sollen nun einen weiteren Stein hinzufügen, wenn sie auf der Seite der MacDonalds stehen. Sind sie für die Campbells, sollen sie einen entfernen ...
Ich schmeiße einen Stein weit weg (ich mag keine blutdürstenden Verfolger), und schließe wieder zu meiner Gruppe auf. Ein starker Duft nach Holz und Fichtennadeln liegt in der Luft, auf beiden Seiten stehen Bäume. Am Horizont kann man den Ben Nevis ausmachen, mit 1.345 Meter der höchste Berg Schottlands. Geräusche schwerer Maschinen trüben leider bald darauf die friedliche Atmosphäre - große Flächen des Waldes werden für die Holzindustrie gerodet. Etwas traurig ziehen wir weiter, bis wir eine Stunde später auf Fort William herabschauen können.
Der Endspurt zum "neuen
Ende" des Weges führt durch die Touristenmeile der Kleinstadt, das
"alte" Ende liegt vor den ersten Häusern und brachte scheinbar zu wenig
Umsatz. Gemeinsam überschreiten wir die Ziellinie und werden von dem
Mann aus Stein begrüßt, der still und nachdenklich auf seiner Bank
sitzt ...
Yolanda zaubert eine Sektflasche von irgendwo her, und erneut können wir unsere männlichen Fähigkeiten nicht unter Beweis stellen: Es bedarf eines Einheimischen, um diese zu öffnen.
Glücklich, zufrieden und nass vom Perlwein freuen wir uns nun auf etwas Erholung ...
Und das Fazit? Der West Highland Way
ist sehr beliebt - und das aus gutem Grund. Ist er anfangs zwar etwas
einseitig, wird die Umgebung dann aber von Tag zu Tag spannender. Wer die
faszinierende Leere der Highlands erleben will, der wird den Weg
lieben. Wer nicht alleine laufen mag: Keine Angst, Freunde und
Begleiter sind hier schnell gefunden. Wem der Rucksack zu schwer
ist, der kann auf dieser Route auch einen Gepäcktransfer engagieren,
der die schweren Stücke von einer Unterkunft zur nächsten bringt ...
© 2017 Jan Kozlowski, TrekkingSpiritProject
Anm. der Redaktion: Wer den obigen Bericht in anderer Form direkt auf Jan´s Webseite lesen will, kann dies hier tun. Und noch mehr von Autor Jan Kozlowski gibt es ebenfalls in unserem Magazin. Weitere Berichte führen uns nach Skandinavien sowie nach Frankreich, Italien und in die Schweiz:
- Schweden 2016: Sarek´s National Park Off Trail
- Tour du Mont Blanc 2017: Vier Jahreszeiten im Schatten des europäischen Giganten