Idyll in Lillafüred ...

Bevor wir am nächsten Morgen die "Geisterstadt" verlassen, die sich mittlerweile wieder belebt hat, wollen wir noch ein Internetcafé besuchen. Nach längerem Suchen finden wir es auch, wie so oft befindet es sich in einer Bibliothek.

Allerdings: Es ist 11:55 Uhr und man bietet uns noch großzügig 5 Minuten an, bevor um 12:00 Uhr bis 14:00 Uhr geschlossen wird. Wir verzichten dankend und verlassen den Ort: Vor der erneuten Verwandlung in eine Geisterstadt muss offenbar hier jedermann Punkt 12:00 Uhr Mittag essen, denn es sind etliche Leute zu sehen, die sich mit einem "Henkelmann" auf den Weg machen - der Mittag und die diesbezügliche Pause scheinen hier noch mehr als heilig zu sein ...

Wir haben am Vorabend bereits eingekauft, unter anderem beim Metzger des Ortes. Fleisch und Ungarn ist erneut eine Geschichte für sich, Fleischstücke verformen sich beim Braten erheblich, beim Metzger wird Fleisch nicht zurecht gemacht wie bei uns, vieles wäre bei uns unverkäuflich und taugt vielleicht, daraus Wurst zu machen.

In diesem Ort erlaubt der Bürgermeister die Nutzung seines PCs ...Östlich am See Tisza-Tó entlang erreichen wir den Ort Tiszaszölös. Immer noch ist beste Mittagszeit, aber dennoch halten wir Ausschau nach den einschlägigen Schildern, die auf ein Internetcafé hinweisen. Ohne Hoffnung auf mehr Erfolg sehen wir ein solches Schild und begeben uns in ein Gebäude, in dessen Richtung es zu weisen scheint.

Kurz machen wir der Dame im ersten Büro unser Anliegen klar, sie führt in ein anderes Büro und räumt nach kurzer Rücksprache mit einem Mann im Hintergrund dort einen Schreibtisch frei. Der Mann betritt den Raum und stellt sich vor: Er ist der Bürgermeister von Tiszaszölös und es ist sein Schreibtisch samt PC, den er uns mit großzügiger Geste zur Benutzung anbietet!

Wir sind derart verblüfft, dass wir erst später nachfragen, wo denn das tatsächliche Internetcafé sei. Nun, dieses ist wieder in einer Bibliothek, aber die hat natürlich zur Zeit geschlossen: Schließlich herrscht noch eine gute Stunde Mittagspause im Land!

Nach kurzer Unterhaltung mit dem Bürgermeister bedanken wir uns sehr für die Erlaubnis, von seinem Schreibtisch aus zu arbeiten, verlassen aber das Rathaus bereits sehr bald wieder, nachdem wir der Höflichkeit entsprechend kurz von dem freundlichen Angebot Gebrauch gemacht haben, schnell unsere aktuellen Emails zu überprüfen ...

Weiter verläuft die Fahrt entlang der Seengruppe, es geht Richtung Tiszafüred, auf der Ostseite passieren wir zahlreiche Tabakfelder. Im Ort angekommen erleben wir erstmals eine Polizeikontrolle am Straßenrand, die Beamten haben sich dort einen sehr auffälligen LKW vorgenommen, der nur noch über Teile einer Motorhabe verfügt und weitgehend "oben ohne" fährt ...

Wir versuchen uns bei einem unbeschreiblichen Gemüseeinkauf und wagen danach erneut die Suche nach einem Internetcafé - am Schreibtisch des Bürgermeisters war nicht mehr all das möglich, was wir eigentlich vorhatten ...

Mittlerweile ist es auch deutlich nach 14:00 Uhr und die Mittagszeit scheint tatsächlich beendet zu sein - wir betreten die Bibliothek eines Schulgebäudes und können da tatsächlich erneut einen Arbeitsplatz belegen - einige Schüler werden von der Aufsicht im Bibliotheksraum angewiesen, zu warten, bis die zahlenden Besucher fertig sind ...

Wieder mal am PC: Emailen von unterwegs ... Im Nordosten ...

Endlich können die Emails vollständig bearbeitet werden, und nach Zahlen eines kleinen Entgelts in die Schulkasse machen wir uns wieder auf den Weg zu unserem heutigen Etappenziel: Es gilt auf Nebenstrecken nach Lillafüred im Bükk-Gebirge zu gelangen, davor wartet jedoch noch die wenig erfreuliche Industriestadt Miskolc.

Man kann nur von Glück reden, dass dieser Ort nicht ganz durchquert werden muss, bevor wir endlich nach Westen abbiegen und diese hässliche Stadt verlassen können, die weder mit ihrem Verkehr noch mit ihren Industriefassaden auch nur im Geringsten einladend wirkt.

Aber nun soll es ins Bükk-Gebirge gehen: Berge, Felsen, Gewässer, Höhlen, Wälder und auch eine Erlebnis-Schmalspurbahn, mit der man durch die Wälder fahren kann - wir wollen zu Attila Kovacs Camp in Lillafüred ...

Es ist so etwas wie die "Schweiz Ungarns", die uns erwartet und wir bekommen auch, was wir suchen: Attilas Platz erweist sich als sehr angenehm. Noch in der Nacht nach unserer Ankunft liest er bereits im Explorer Magazin, nachdem er Visitenkarte und Kugelschreiber des Magazins bekommen hat - zumindest die Bilder vom letzten Island-Trip kommen gut an, da es mit seinem Deutsch wohl nur geringfügig besser ausschaut als mit unserem Ungarisch ...

Wir verständigen uns auf Englisch: Eines Tages will er auch mal nach Island, erzählt er uns, doch es könne wohl noch dauern. Weniger dauern soll es mit unserem Besuch der näheren Umgebung: Wir bekommen von Attila viele Tipps und so brechen wir am nächsten Tag früh auf, denn an einem Ort wie diesem hier legt man gern einen Ruhetag ein.

Auf unserer Höhe von über 300 m gibt es nun ausnahmsweise mal wieder keine Mücken - wir genießen es!

Im Camp von Attila Kovac ... Die Straße nach Miskolc - aber wer will schon dahin ..?

Die Umgebung des Campingplatzes erweckt merkwürdige Eindrücke: Proletarische Wohnblocks und Ruinen direkt neben Luxusschlösschen, wilde Hunde, die durchdrehen, wenn man auch nur am Grundstück vorbei geht - und das alles Zaun an Zaun, aber nicht unbedingt organisch gewachsen und zusammengehörig ...

Doch wir wollen weiter: Der Fußweg führt zur Eisenbahnstation von Lillafüred - die berühmte Waldeisenbahn mit unterschiedlichen Streckenverläufen kann man am besten von hier aus erkunden - und wir tun es mit wachsendem Vergnügen während der nächsten Tage, denn wir beschließen schon bald, hier noch länger zu bleiben ...

Am Bahnhof der Waldeisenbahn ...

Eine Linie der Kleinbahn fährt von Miskolc aus über Lillafüred bis nach Garadna. Die sich schlängelnde Strecke durch den Wald führt nicht nur über das größte Viadukt Ungarns, sondern auch noch durch zwei Tunnel bis in das durch seine Forellenteiche bekannte Garadna.

Wer am Zwischenhalt in Öskohó aussteigt, kann nach kurzem Fußweg das älteste Industriedenkmal Ungarns besuchen: die aus dem Jahre 1810 stammende Eisenschmelzanlage von Újmassa.

Direkt daneben befindet sich das Massa-Museum, in dem man sich über die Geschichte der Eisenproduktion von Diósgyőr informieren oder eine originalgetreu eingerichtete Schmiedewerkstatt besuchen kann. Interessante Modelle der Anlage runden die Ausstellung ab ...

Die Waldeisenbahn wartet ... Versteht wer den Fahrplan ..?

Der Unterschied z.B. zur Zahnradbahn am Achensee wird bereits bei Fahrtantritt deutlich: Die umgebende Landschaft ist hier nicht nur erheblich wilder, sondern auch die Fahrpreise stehen in keinem Verhältnis. Während wir am Achensee noch im Juni dieses Jahres für 2 Personen rund 48 Euro für eine Hin- und Rückfahrt bezahlt hatten, kostet eine wildromantische Hin- und Rückfahrt mit der Waldeisenbahn von Lillafüred nach Garadna für 2 Personen lediglich 5 Euro.

Kassieren während der Fahrt ...Aber der Spaß ist mit Sicherheit kein bisschen geringer ..!

Der Spaß ist sogar derart groß, dass wir am nächsten Tag noch einmal mit der Bahn fahren, diesmal steigen wir bereits vor Garadna am Zwischenhalt in Öskohó aus - wir wollen die Eisenschmelzanlage und das Museum besuchen und danach zu Fuß zurück durch das Waldgebiet bis nach Lillafüred ...

Auf dem Weg nach Garadna geht es an der berühmten Forellenzuchtanlage vorbei, ansonsten durch wildromantische Waldpartien, wobei die Pflanzen bis in die Waggons hinein zu wachsen scheinen - eine wirklich empfehlenswerte Exkursion!

Es versteht sich von selbst, dass der Schaffner während der Fahrt außen am Waggon stehend kassiert - wilde Ungarn sorgen schließlich auch dann für entsprechende Unterhaltung der Fahrgäste, wenn diese nur im Zug sitzen.

Schon bald erreichen wir am zweiten Tag die Eisenschmelzanlage und die Erkundung kann beginnen ...

Ausgedehntes Streckennetz ... Abfahrbereit ... Die Fahrgäste sammeln sich ... Kassiert wird während der Fahrt ...
Von Garadna ... ... vorbei an der weltberühmten Forellenzuchtstation ... ... durch wildromantische Waldstrecken ... ... im heute nur mäßig belegten Zug Landschaft pur hinter jeder Kurve ...
Der "Bahnhof" der Eisenschmelzanlage ... ... nur wenige Schritte entfernt ...

Die Schmelzanlage ist einen Besuch durchaus wert, die Geschichte der Gegend wird übersichtlich und verständlich dargestellt. Der einzige kleine Wermutstropfen: Die beeindruckenden Modelle der Anlage können wir leider nicht mitnehmen als Ausstellungsstücke für unseren Modellkeller ...

Das Hüttenmuseum kann ebenfalls besichtigt werden. Der Museumswärter tut das Seinige, dass man den Besuch auch weiterhin in bester Erinnerung behält: Wir müssen dort nicht bezahlen, er schenkt uns sogar Eintrittskarten als Souvenir und öffnet uns das Törchen zum Außengelände, wo wir uns ausgiebig mit den Exponaten aus dem 19. Jahrhundert beschäftigen können - besser kann man wohl kaum als Tourist irgendwo behandelt werden ..!

Beeindruckende Anlage: Die ehemalige Eisenschmelzanlage Für den Modellfreund ... ... alles noch einmal besonders übersichtlich ...

Museum mit Außengelände ...

Rückweg zu Fuß: Die Waldeisenbahn fährt regelmäßig ... Zurück in Lillafüred ...

Unser Fußweg zurück führt durch den Wald, eine ebenfalls sehr empfehlenswerte Wanderung, die man sich nicht entgehen lassen sollte. Während die Waldeisenbahn regelmäßig über oder unter den Wanderern vorbei donnert, je nachdem, welchen der vielen Wege man wählt, kann man die Ruhe die Atmosphäre dieses verwunschenen Fleckchens ausgiebig genießen ...

Wem das alles noch nicht ausreicht, für den gibt es weitere Erkundungsmöglichkeiten: Die Gegend ist auch reich an Höhlen, wobei sich eine direkt an der Hauptstraße von Lillafüred in Richtung Eger befindet. Wir besuchen die Szent István Tropfsteinhöhle, und weil die nächste Führung erst deutlich später stattfinden wird, haben wir das nächste Erlebnis, das man als Tourist in einer derartigen Gegend kaum für möglich halten würde: Die Dame an der Kasse lässt uns allein und kostenlos in die Höhle, und gibt sich vorher noch alle Mühe zu erklären, wie man das Beleuchtungssystem bedienen muss - Ungarn, von dir kann man Gastfreundschaft noch lernen!

Die mehr als 860 m lange Höhle ist sicherlich ebenfalls eine der Hauptattraktionen des Ortes und wurde noch 1991 zu medizinischen Zwecken genutzt aufgrund der Heilwirkung der Höhlenluft. Die erste Kammer wurde bereits 1913 erforscht und die touristische Erschließung begann im Jahre 1931. Noch bis in die 50er und 70er Jahre hinein wurden weitere Verzweigungen des ausgedehnten Höhlensystems entdeckt. Die hohe Luftfeuchtigkeit und die nahezu konstante Temperatur von 10°C führten einst zu einem Moos- und Algenbefall rund um die Beleuchtungsanlagen, was jedoch mittlerweile bereinigt wurde.

Nach einem Besuch der Tropfsteinhöhle gilt es sich zu erholen - der Abend wird gebührend begangen in einem terrassenförmig angelegten Lokal: Mit Seeblick und bestem Wein aus Villany, der kredenzt wird, ein wahrhaft angenehmes Erlebnis  ...

Als einzige Besucher in der Tropfsteinhöhle ... ... ein beeindruckender und individueller Besuch ...

Ambiente mit Wein aus Villany - was will man mehr ..?


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