Puszta pur ...
Aufbruch Richtung Südosten - eigentlich hatten wir ja gar nicht bis hierher fahren wollen, aber was soll´s, die Donau und die Campingplätze bzw. die nicht vorhandenen hatten es so gewollt!
Heute soll es auf den geplanten Kurs zurück gehen, die "Puszta" ist das Ziel. Und was hat man nicht alles über sie gehört! Alle Klischees von der Zigeunermusik bis hin zu den feurigen Reitern sind doch mit ihr verbunden und wenn nicht hier, wo soll man sie sonst finden? Genau dieses oft beschriebene "Pusztaspektakel" wollten wir aufsuchen, hier in der Gegend müsste es sein.
Nach dem Regenende des gestrigen Tages scheint heute auf der Strecke Zwiebelverkaufstag zu sein - überall stehen die Frauen mit ihren Körben am Straßenrand - eigentlich schade, dass man unterwegs so wenig davon benötigt, und das trotz der hervorragenden Explorerküche!
In Anbetracht der eigenen nur rund 90 km/h auf der Spurrillen- und Querrinnenpiste rast hinter uns ein Lkw mit Hänger heran, der sich von Touris nicht aufhalten lassen will und dringend überholen muss - Autofahrer hier überleben in der Tat wohl nur deshalb so zahlreich, weil überall endlos lange Straßen sind, die man fast bis zum Horizont beim Überholen einsehen kann. Aber wie schon gesagt: Wehe, es kommen mal Kurven - dann findet man dort überall Unfallkreuze, Schleifen, Gebinde - Fliegenfänger ..?
Wir passieren kleine Orte mit mehreren riesigen Friedhöfen, sind die Toten in der Überzahl im Vergleich zu den Lebenden? Einkauf in Orgovany, nicht weit entfernt von unserem Etappenziel: Es gibt nur Huhn, kein Frischfleisch, kein Fisch, und anderes nur gefroren in Mengen ...
Wir haben den Kusgunsagi Nationalpark erreicht auf dem Weg nach Bugac - dort am Haupteingang dieses Nationalparks soll unser Campingplatz sein und die berühmte Csárda - der mit Schilfrohr gedeckte Landgasthof an eben genau diesem Platz. Bugac als Zentrum der Viehzucht ist seit gut hundert Jahren bekannt, heute allerdings ist nur noch ein Rest des Weidelandes vorhanden, das die Grassteppe inmitten der Sandpuszta darstellt. Man kann davon ausgehen, dass es nur noch 10% der ursprünglichen Fläche ausmacht und diese auch nur überwiegend zu touristischen Zwecken genutzt wird.
Der Nationalpark zwischen Donau und Theiss besteht seit dem Jahr 1975, es handelt sich hier im Wesentlichen um Kurzgrassteppe und flache Seen auf alkalischen Böden. In der Gastronomie findet das Fleisch der hier frei weidenden und als krankheitsresistent geltenden Tiere angabegemäß eine steigende Nachfrage. Alle Lebensräume hier haben hohen ökologischen Wert und so wurde der größte Teil des Nationalparks auch von der UNESCO zum Biosphärenreservat erklärt.
Vorbei an einer Gänsefarm führt der Weg, wir beobachten die scharenweise hin- und herlaufenden Tiere und fragen uns, ob wir nach den Erfahrungen des gestrigen Tages tatsächlich heute einen geöffneten Campingplatz in dieser Gegend vorfinden werden - das Wetter ist fantastisch und man kann sich kaum vorstellen, schon wieder enttäuscht zu werden. Die Weinlese ist in vollem Gang, auch in der Puszta.
Schnurgerade ist die letzte Strecke zum Haupteingang des Nationalparks und dann sind wir einfach nur begeistert: Der Campingplatz der Bugacpuszta ist geöffnet, die Sandpuszta bereits von der Rezeption aus zu sehen und alles scheint genau so idyllisch wie wir es uns nach den letzten Tagen nur wünschen konnten. Bereits kurz nach der Ankunft sehen wir die ersten Pferdewagen mit Touristen, die in die Puszta hinausfahren - auch wir werden sicher bald einen Erkundungsgang unternehmen ...
Wir beziehen eine leere Ecke auf dem leeren Campingplatz, und das auch noch in der Sonne: Heute wollen wir uns ausnahmsweise mal wieder richtig trocknen, und dafür erscheint dieser Platz genau richtig.
Nach all den mückenverseuchten letzten Tagen grenzt es an ein Wunder: Auch nach Stunden keine Mücken an diesem Platz, lediglich ein paar Wespen, aber die sind ja hochwillkommen im Vergleich zu ihren wesentlich kleineren stechenden Schwestern! Und noch ein gutes Omen: Eine im Explorer vom letzten Camp aus mitgereiste (einzelne!! ) Mücke, die sich nach dem Halt und Öffnen des Fahrzeugs als äußerst aggressiv erweist, wird mit der ersten eingedrungenen und ebenfalls aggressiven Wespe mit einem einzigen Handtuchstreich gemeinsam erschlagen - was will man mehr an Erfolgserlebnissen an solchen Tagen ...
Wir schreiben heute den 22.09.2005 und es ist 19:45 Uhr: Es wird wohl unausweichlich Herbst und man muss sich wieder daran gewöhnen, bereits um diese Zeit im Dunklen zu sitzen - und es ist wirklich stockfinster am Rande der Puszta am heutigen Abend. Darüber kann auch der Schein unseres "Notlagerfeuers" nicht hinweg täuschen, an dem wir sitzen, nachdem wir nun wirklich einmal ein gutes Abendessen im Bugaci Karikas Csárda Restaurant eingenommen haben - man ist hier mit Recht stolz darauf, großen Wert auf die Bewahrung des ungarischen Geschmacks zu legen ...
Der nächste Morgen zeigt sich von der besten Seite: Strahlender Sonnenschein weckt uns und zeigt an, dass es heute wohl ein fantastischer Ruhetag werden wird, den wir in der Sandpuszta und im Nationalpark verbringen wollen - wir haben es uns verdient!
Bei schönstem Wetter wird es heute gegen Ende September wieder ein recht heißer Tag in der Puszta. Das wird deutlich bei einem ausgedehnten Spaziergang vom Campingplatz am Haupteingang über das Gelände bis hin zum Museum des Nationalparks, in dem wichtige Dinge des Lebens früherer ungarischer Hirten ausgestellt sind. Von Bekleidung bis hin zu Ausrüstungsgegenständen findet man hier etliches sehr Interessantes, so dass sich ein Besuch in diesem Museum durchaus lohnt.
Wir gehen weiter zu dem Bereich, wo die traditionellen Reitervorführungen stattfinden: Die legendären Csikós-Reiter zeigen bei einem beeindruckenden Schaureiten viele Kunststücke, stehen auf dem Rücken ihrer Pferde oder führen Dressurakte vor. Bevor es losgeht, kann man an der Außenbar des Reiterhofes noch ein Bier nehmen: Eine echt komische Szene, als dort ein Engländer auf seine Frage "How much" von der Ungarin am Ausschank gefragt wird: "Sprechen Sie vielleicht etwas Deutsch ..?"
Die Ansage über Lautsprecher bei der Reitervorführung ist Ungarisch und Deutsch, auch ungarische Touris sind heute dabei und sie verabschieden sich nach der Veranstaltung von uns auf Deutsch - eigentlich das ideale Paradies für deutsche Rentner ...
Nach Ende der Vorführung und Einsammeln des Trinkgeldes vom Pferd aus kommt ein weiterer Höhepunkt des Tages - wenn nicht DER Höhepunkt: Die bisher eingezäunten Tiere der "Puszta-Vorführranch" werden nun freigelassen und dürfen sich am Nachmittag auf dem weiten Gelände verteilen. Und die Zucht der verschiedenen Tiere spielt noch eine große Rolle: Eine Hauptrolle dabei das Ungarische Graue Rind, ein beeindruckendes und prächtiges Tier mit langen Hörner, von denen sich eine ganze Herde in Bewegung setzt, es folgen Pferde sowie weiße und schwarze Zackelschafe, die sich ebenfalls auf den Weg machen.
Auch ein unscheinbarer schwarzer Hirtenhund gesellt sich auf einer langen Wanderung bis zum Parkausgang zu uns, bis er von den Pfiffen seines Herrn aus der Entfernung zurückbefohlen wird. Vorher musste er noch etlichen Male den Mitgliedern einer Pferdeherde entwischen, die sich ebenfalls gemeinsam mit uns im Spazierschritt auf dem Gelände verteilen und bei jeder Begegnung mit dem Hund diesen verjagen - ein wahrhaft unterhaltsamer Nachmittag mit intensiven Kontakten zu den vierbeinigen Bewohnern dieser noch verbliebenen Pusztalandschaft ...
© 2007 Explorer Magazin