Wo die rüstigen Rentner baden ...

Weiter geht es nach Süden in eine der zahlreichen Bäderregion von Ungarn. Das Wetter ist gnädig - die bisher unbarmherzige Sonne macht etwas Urlaub. Jedes Land hat so seine eigenen Straßenschilder und auch hier werden wir wieder fündig: Zunächst ist da das Universalfahrverbot für alle langsamen Gefährte. Hübsch ist der Pferdewagen, dem wir tatsächlich hin und wieder begegnen, natürlich nur dort, wo er auch fahren darf. Dann gibt es noch Warnhinweise für allzu arbeitswütige Buddler - wer mag hier wohl andernfalls baggern, was das Zeug hält ..?

Verbotsschild in Ungarn ... Wer könnte hier wohl baggern ..?

Wir nehmen Kurs auf den Kis-Balaton, einen Nebensee des berühmt-berüchtigten Balatons. Der Kis-Balaton wäre fast vor einigen Jahren einer Umweltkatastrophe zum Opfer gefallen, da er extrem vergiftet wurde. Mittlerweile hat sich der See erholt. Nicht weit vom See liegt Zalakaros, eines der berühmten Thermalbäder. Die Kurhotels und Kurkliniken erinnern an Plattenbauarchitektur zu ihrer besten Zeit. Deshalb fällt es nicht wirklich schwer, am Campingplatz des Ortes vorbei zu fahren zum Castrum Campingplatz, der etwas außerhalb gelegen ist.

Dieser Platz hat ganzjährig geöffnet und liegt an einem kleinen Bach am Rande eines Naturschutzparks mit Vogelschutzgebiet. Es ist Nachsaison, es gibt Parzellen in verschiedenen Größen und wir haben freie Wahl: Wir ziehen uns ganz hinten auf eine der größten Parzellen zu den Walnussbäumen zurück.

Der Platz ist fest in deutscher Rentnerhand und verfügt über eine eigene Thermalquelle mit einem kleinen Hallenbad. Im Kaltwasserbereich kann man stundenlang alleine schwimmen, denn alle anderen Badegäste sitzen im warmen Becken, das nur Mittags verlassen wird - für einen Gang zum Platzrestaurant mit anschließendem Mittagsschlaf. Außer dem Restaurant sind alle anderen angekündigten Angebote nicht vorhanden: Der Supermarkt hat geschlossen, der Fahrradverleih ist nicht vorhanden, der Shuttlebus in den Ort hat wohl seinen Betrieb eingestellt. Dafür stehen aber wenigstens einige Mücken frisch und munter für einen Stich bereit ...

Wir entdecken ein Schild mit einem Hinweis auf ein Borozó (Weinlokal) und beschließen, dort unser Abendessen einzunehmen. Ein schöner Spaziergang führt an Häusern und Weingärten vorbei und aus fast jedem Garten sind deutsche Stimmen zu hören. Bald schon ist das schön gelegene Weinlokal erreicht und natürlich voll besetzt mit lustigen, durstigen und deutschen Rentnern.

Gut getarnt, ganz hinten im Grünen ... Schöne Weinstube ...

Es gibt nur zwei Rotweine zur Auswahl und kein Essen. Man bietet hier ein Schmalzbrot an, das wir gerne annehmen. Leider hat der Rotwein eine ähnliche Qualität wie in Zalaszanto und obendrein noch eine gute Weißweintemperatur: Die Enttäuschung ist groß! Kein Essen und dazu eiskalter Rotwein, bei dessen Geschmack man eigentlich froh sein kann, dass er so kalt ist. Wir sind hier aber wohl allein mit unserer Einschätzung des Weins: Rings um uns herum kaufen die Touristen reichlich von dem Gesöff, das in "handliche" 2 Literflaschen abgefüllt wird ...

Allmählich machen sich die schlimmsten Befürchtungen breit: Ist es in Ungarn vielleicht gar nicht möglich, irgend einen empfehlenswerten Rotwein zu bekommen, der seinen Weg in unseren Rotweinkeller findet?

Hungrig machen wir uns auf den Weg zurück: Am Straßenrand stehen Walnussbäume, wir bleiben stehen und sammeln eine Hand voll Walnüsse auf. Plötzlich schreit jemand aus einem Garten auf der anderen Straßenseite: "Was du machen? Privat!" Vor Schreck lässt zumindest einer die Walnüsse fallen: Uns ist nicht bewusst, dass wir uns am Straßenrand des Diebstahls schuldig gemacht haben. Nur gut, dass wir keinem übereifrigen Baden-Württembergischen Staatsanwalt in die Hände gefallen sind, sondern nur einem der wenigen einheimischen Anwohner ...

Zurück am Platz ist nun doch das ansässige Restaurant fällig: Das Essen ist akzeptabel und wie wir nachträglich feststellen müssen, das beste, das wir in Ungarn bekommen werden. Diesmal ist jedoch ein frisch gezapftes Bier angesagt, an dem es nicht das Geringste auszusetzen gibt. Am Abend sind wir die einzigen, die unter der Plane im Freien sitzen: Rings um uns ziehen sich alle zur Tagesschau zurück.

Am nächsten Morgen begegnet man auf dem Weg zum Waschhaus nur missmutigen Rentnern: Es ist bereits der zweite Regentag und schon verfallen alle in tiefe Depressionen. Das ist die Gelegenheit, sich bester Laune auf den Weg nach Zalakaros zu machen: Die zwei Kilometer Fußweg sind öde, denn nur ein Radweg an der Seite einer viel befahrenen Landstraße führt zum Ort.

Der steht ganz im Zeichen der Kur: Dicht an dicht sind hier die Hotelkästen mit ihren Schwimmbädern aufgereiht. Weder schön, noch gemütlich, aber vielleicht zweckmäßig. Entweder man begegnet eiligen, korrekt gekleideten Einheimischen, die in den zahlreichen Hotels und Kliniken Dienst tun, oder man begegnet schlurfenden, saloppen, meist älteren, oft übergewichtigen Deutschen in Trainingsanzug und Schlappen und mit Plastiktüten rechts und links (etwa mit viel gutem ungarischen Rotwein ..? ).

Wie lang mag sie schon vergangen ein, die Zeit, in der elegante, blasse, schmalgesichtige Damen in langen Röcken mit Sonnenschirmen und erholungsbedürftige Herren im Gehrock die Bäder der Welt bevölkerten und auch auf solchen Promenaden flanierten? Nun, in Zalakaros gab es diese Zeit wohl nie, denn das Kurbad besteht erst seit 1964 ...

Echt lecker: Frisch gezapftes ungarisches Bier ... Ungarisch ist doch nicht wirklich schwierig, oder?

Obwohl Sonntag ist, haben die Geschäfte geöffnet: In einem Supermarkt wollen wir unser Weinglück erneut herausfordern. Da stehen sie nun, die Flaschen mit dem vergorenen Saft aus Kekoporto, Kekfrankos, Burgundi sowie Zweigelt und Flaschen mit Vegyes (Cuvée) aus allem und noch mehr. Dazu noch jede Menge Weißwein, wie zum Beispiel der berühmte Tokayer in den verschiedenen Qualitätsstufen. Billig ist der Wein - ist das der Grund, warum er so wenig schmeckt? Nach dem Studium der Etiketten fällt die Entscheidung für einen Szekszardi Bikaver (Stierblut aus Szekszard), einer Cuvée aus Merlot, Kekfrankos, Zweigelt und Cabernet Franc. Durch dieses Szekszard werden wir auf unserer weiteren Reise noch fahren: Es ist eine berühmte Weinregion, die auf eine Tradition von 2000 Jahren Weinbau zurück blickt. Franz Schubert und Franz Liszt bevorzugten Weine aus dieser Region ...

Beladen mit verschiedenen Einkäufen rasten wir an einem kleinen Bierausschank, bevor der öde Rückweg beginnt.

Die Campingküche wird heute Abend angeworfen für ein Luxusmenü und die Freude ist groß, dass der eingekaufte Wein deutlich besser ist, als alles, was bisher probiert wurde. Obwohl: Man kann kaum glauben, dass er uns in die Lage versetzen könnte, so großartigen Kompositionen zu schaffen wie einst Franz Liszt.

Zum Nachtisch gibt es gesammelte Walnüsse der Bäume, in deren Schatten wir stehen dürfen. Wobei der Schatten nicht mehr so wichtig ist, denn es regnet nun schon recht ausdauernd. Wenigstens die Mücken geben so etwas Ruhe, offensichtlich hat sich mit dem Blut der Rentner die tiefe Regendepression auf sie übertragen. Uns soll es recht sein ...


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