Über Tiflis weiter zu den Ursprüngen der Menschheit
Wir trödeln in der Gegend noch ein wenig rum, aber das nächste richtige Ziel ist erneut die Hauptstadt Tbilisi, alter und in Europa immer noch gebräuchlicher Name ist Tiflis. Bei unserem ersten Aufenthalt dort haben wir ja nur kurz übernachtet und nicht viel davon gesehen.
Doch heute finden wir einen optimalen Parkplatz direkt neben dem berühmten Lampenputzerdenkmal und laufen unter Martins kundiger Führung in die Altstadt. Tiflis ist ja bekannt für die Häuser mit ihren Balkonen, die außerhalb der Touristenmeile teilweise etwas heruntergekommen aussehen, auf dem Weg durch die Altstadt aber bestens renoviert und extra für uns drapiert sind ...
Wir schlendern an vielen schönen Lokalen vorbei, sehen Teppichläden und Souvernierstände, das Parteibüro der Partei Nr. 41, was immer das bedeuten mag, kommen an einigen Kirchen und anschließend an der Residenz des Georgischen Patriarchen vorbei, bis unser Führer energisch die Richtung zur Synagoge zeigt. Dort kauft er koscheren Wein als Mitbringsel für Freunde zu Hause. Erst später lese ich in Wikipedia nach, was das ist, koscherer Wein. Im Geschmack ist dieser Zirkus, den die Winzer da einhalten müssen, jedenfalls nicht zu erkennen: Ja ja, Banausenmeinung!
Ist ganz nett, so ein Nachmittag in Tiflis: Aber damit reicht es uns auch mit Touristenprogramm, ist ja doch überall das Gleiche. Wir wollen nicht noch einmal in dieser Stadt übernachten, obwohl wir ja nun wüssten, wohin: Lisi Lake. Um eine Stadt, deren Angebote und deren Flair eingermaßen erleben zu können, muss man meiner Erfahrung nach ohne Auto kommen, sich für mehrere Tage in einem zentralen Hotel einmieten und das Treiben am Abend beobachten, besonders auch abseits der Massen. Und ohne Hund, der nervt ganz schön in der Stadt ...
Wir steuern lieber ein Ziel an, das Hans im Netz gefunden hat und dessen Name "Deutsche Mühle" vielversprechend klingt, zumindest die Neugierde weckt. Wir finden dort in Bolnisi ein kleines Hotel, das geschlossen hat und Hans ist zufriedengestellt.
Einen Nachtplatz gibt es am nahegelegenen Fluss, nur kochen müssen wir wieder selber. Der schon mehrfach bewährte "maitre de cuisine" hat noch eine weitere "georgische" Spezialität im Kühlschrank und serviert Reibadatschi mit Odenwald Apfelkompott - guten Appetit!
Der Straße bei Bolnisi weiter folgend käme man bis zur Grenze nach Armenien und könnte mit einem relativ kurzen Schlenker durch Armenien wieder nach Georgien einreisen und sich ein paar Kilometer sparen bis zu unserem nächsten Ziel, der bedeutendsten Höhlensiedlung Georgiens, der Anlage von Wardzia. Aber der Aufwand von zwei Grenzübertritten und pro Wagen ca. 100 Euro Einreisegebühr inkl. Versicherung und Visum allein für Armenien ist uns die geringe Streckenverkürzung nicht wert.
Unsere OSM-Karte im Navi und die Papierkarte von ReiseKnowHow zeigen eine gelbe Straße (also nicht unterste Kategorie), die über Dmanissi und einige Schlenker nach Tsalka und von dort über eine Hochebene nach Ninotsminda führt zur Hauptstraße in Richtung zu unserem Ziel. Das nehmen wir uns vor und besuchen beim Vorbeifahren noch kurz die Ruine einer alten Königsburg und Klosterkirche bei Patara Dmanisi.
Auf Schildern wird auch auf ein archäologisches Museum hingewiesen, welches sich zum Glück nur wenige Schritte neben der Klosterkirche befindet.
Zu unserem großen Glück!
Weil wir sonst nämlich möglicherweise ein absolutes Highlight der ganzen Reise aus Unkenntnis darüber übergangen hätten. Wir sind wirklich von den Socken, als wir die Infotafeln vor dem Museum lesen und spätere Recherchen im Netz bestätigen die Behauptungen dort in vollem Umfang: Wir stehen an der ältesten Fundstelle von Hominiden, also echten Vorläufern der Gattung Homo sapiens in ganz Europa und Asien und mit 1,8 Millionen Jahren nur um 100.000 Jahre jünger als die weltweit ältesten Funde eines jungen Homo erectus am Turkana-See in Afrika.
Diese Entdeckung der Überreste von 7 Individuen, die wohl durch einen Vulkanausbruch überrascht und unter der Asche relativ gut konserviert wurden und deren Bedeutung erst in den letzten 10-20 Jahren allmählich verstanden wird, also hochaktuell ist, führte schon zum Umschreiben der Geschichtsbücher: Man musste die bisherige Ansicht revidieren, dass die Hominiden erst nach fortgeschrittener Hirnreifung zu Wanderungen von Afrika nach Europa fähig gewesen seien. Die heutige Überzeugung lautet, dass der Homo erectus, kaum dass er sich in Zentralafrika entwickelt hatte, sich schon langsam (und unaufhaltsam, wie wir an uns sehen) über die ganze Welt verbreitete. Neben Dmanissi gibt es Skelettfunde in Nordspanien und Indonesien (siehe mehr dazu hier).
Als besonderes archäologisches Bonbon dieser Ausgrabung in Dmanissi ist der Fund eines absolut zahnlosen alten Individuums: Obwohl es damals noch keine Hipp-Babynahrung gab, konnte dieser Alte mindestens zwei Jahre ohne Kauwerkzeuge überleben. Sicher ist, dass er durch seine Familie miternährt wurde, vermutlich sogar mit vorgekautem Speisebrei. Was wiederum eine relativ hohe soziale Entwicklung dieser Hominiden beweist trotz des noch relativ kleinen Hirns ...
© 2014 Sepp Reithmeier