Die Reise nach Westen

8. Tag: Mi 28.07.99   22:22 03:17

Heute verlassen wir Finnland, der Berichterstatter wird fast schwermütig bei dem Gedanken, aber tröstlich ist: wir werden wiederkommen, und das, soweit es in unserer Macht steht, bereits nächstes Jahr!

Schlaglöcher bis zum Horizont ... ... aber Tempo 90 ist erlaubt ...

Eigentlich zu früh für ein Resumee, aber man versucht sich trotzdem bereits daran: Traumhafte Landschaft, die ersehnte Einsamkeit soweit das Auge reicht, leckeres dunkles Brot, Finnen, die zwar nicht extrem kommunikativ, aber doch freundlich sind, wenn man mit ihnen zu tun hat. Finnen, die angeblich nervös werden, wenn sie bis zum Horizont einen Nachbarn sehen - wie gut kann der Berichterstatter das verstehen! 

Eines unserer Titelbilder wurde hier aufgenommen ...   Die Feuerstellen auf allen Plätzen, die Fischräucheröfen, die unvermeidliche Sauna, die wir hier überhaupt nicht genutzt haben - das Land hinterlässt einen mehr als positiven Eindruck ...

Wir verlassen Finnland und erreichen Schweden am nördlichsten Punkt unserer Reise: Die Brücke vor Kolari (N67°18.69705´ E023°44.91043´) stellt einen offenen Grenzübergang dar, ohne Probleme kann man ins westliche Nachbarland wechseln. Die Uhren müssen wir nun wieder eine Stunde zurückstellen (wie auch später in Norwegen entspricht in Schweden die Ortszeit deutscher Zeit).

Schon kurz nach unserem Grenzübergang treffen wir auf die Werke schwedischer Straßenbaukünstler: Endlose Asphaltpisten mit unzähligen Bodenwellen erwarten uns hier, äußerst heimtückisch sind sie, oft zwar Asphalt, manchmal auch einige Kiesstraßen, aber immer so übel, dass man genau aufpassen muss, wenn einem die Blattfeder lieb ist ...

Die Straße 394 nach Westen birgt viele landschaftliche Schönheiten, wir verlassen sie, um der E10 nach Süden zu folgen und dann wieder auf eine westliche Piste zu fahren - die Strecke Richtung Jokkmokk und dahinter ist so einsam wie in Finnland. Auf einer wunderschönen Route mit unendlichen Moorseen machen wir schließlich auch eines unserer Titelfotos vom Explorer für das Magazin ...

Gegend zum Seele baumeln ...!?

Kurz hinter Jokkmokk auf der Straße 45 überqueren wir zum zweiten Mal den Polarkreis - diesmal wieder in südlicher Richtung und diesmal machen wir auch ein Foto! Ein echter Ossi neben uns glaubt wohl, der Berichterstatter würde ihn nicht verstehen, als er so seine Bemerkungen über dessen Fotografiererei macht - schlimm, so schlecht erkennbare "Wessis" - zumal die eigene "Mutti" vorher genauso ans Schild gestellt wurde ...

... tropisch-arktische Verhältnisse am Polarkreis ...

Bei mehr als sonnigem Wetter (darf man eigentlich keinem erzählen: am Polarkreis herrschen in Wirklichkeit tropische Temperaturen!) stoßen wir vor in südlicher Richtung - Schatten suchen ist angesagt ... Der GPS-Fehler von ca. 2 km macht sich von nun an mehr als bemerkbar, sowas sind wir schließlich normalerweise nicht gewohnt auf unseren Fahrten.

Irgendwann nähern wir uns auf der Straße 45 Arvidsjaur, die reine Luftlinienentfernung von unserem letzten Camp wird dort ca. 270 km betragen. Die zweistellige Straße verwandelt sich unversehens in eine reine Rollsplitt-Piste - zusammen mit den Buckeln und sonstigen Hindernissen eine echte Herausforderung für den "schnellen Offroader". Eine riesige Baustelle scheint die Strecke zu sein bis nach Arvidsjaur herein - wir "brettern" an einigen Womos vorbei, die sich hier nur noch mit weniger als 30 km/h fortzubewegen trauen - sollen die doch mal sehen, was echte Offroader sind!

Kurz vor Arvidsjaur: Ein komisches Geräusch von hinten rechts lässt den von düsteren Vorahnungen geplagten Redakteur aufschrecken - hatte er doch im Gegensatz zu Island 97 diesmal bewusst darauf verzichtet, die Reifen passend zum Ersatzrad aufzuziehen. Und in der Tat: Die Vorahnung verdichtet sich zur Gewissheit, als nur wenige Meter weiter der Blick auf  das rechte Hinterrad fällt - übler Plattfuß!

Schnell wird noch auf  drei Rädern die Straße 45 verlassen, müssen doch die Womos nicht mitkriegen, dass der Offroader da rumliegt - sollen die sich doch was anderes zum Lachen suchen ...

Nach sonst menschenleerer Gegend brettert nun ein Kieslaster nach dem anderen am gestrandeten Explorer vorbei, als sich die Besatzung schnell über die weitere Strategie einig wird. Der (nicht ganz passende) Original-Ersatzreifen muss aufgezogen werden, aber man könnte bei dieser Gelegenheit nun endlich mal den Air Jack-Hebesack testen, der diesmal mitgenommen wurde.

Plattfuß, was willst Du mehr ...?

... ein Explorer bei typischer Feierabendbeschäftigung  ... ... warum kommt eigentlich gerade kein Kieslaster vorbei ..?

Der Hebesack ("Le Sac De Jack D´air"), der einem insbesondere im Sand oder sonstigen Gegenden mit weichem Untergrund angeblich sehr helfen soll, erweist sich sehr schnell als absoluter Flopsack: Selbst bei heftigem Gasgeben bläst sich das Sch...ding nicht annähernd genügend auf, um das Pickup-Hinterrad auch nur geringfügig von der Straße anzuheben - fast hätte man wegen dem Ding auch noch den normalen Wagenheber zuhause gelassen! Wir beschließen, das Spitzenteil irgendwann an der Heimatfront weiterzutesten - mit einem anderen Redaktionsfahrzeug und unter anderen Bedingungen - das Ergebnis wird dann früher oder später unter Vermischtes zu lesen sein ...

Während die Kieslaster unablässig vorbeidonnern - natürlich nicht ohne bei unserem Anblick fast aus ihrem Cockpit fallende Lkw-Fahrer - hält schon wieder ein weiteres Auto. Eine freundliche Dame steigt aus und verwickelt uns (ebenso freundlich die unter dem Auto erforderlichen Arbeiten ignorierend) sofort in ein Gespräch. Sie erzählt uns von einem Reifenhändler im nahen Arvidsjaur und vom Paradies, von höheren Fügungen und von Sachverhalten, die so sein sollen wie sie sind - eine bekennende Zeugin Jehovas (wie wir später erfahren werden) hat uns zum Gegenstand der Vorsehung und der Fürsorge gemacht!

Nach Möglichkeit gekonnt mitscherzend (man darf ja schließlich nicht gestresst wirken!) beteiligt sich der unter dem Fahrzeug schraubende Berichterstatter am Gespräch - ein wirklich "netter Abend" scheint sich anzubahnen, soviel ist jetzt bereits erkennbar. Schließlich könnte man ja auch hier wie überall sofort problemlos übernachten, auch auf drei Rädern ...

Die Schwedin spricht wie viele andere hier flüssig englisch - im Gegensatz zu den Finnen erscheinen sie auch neben der allgemeinen Beherrschung dieser Sprache insgesamt aufgeschlossener zu sein. Sie erzählt uns, dass sie eigentlich Multebeeren sammeln wollte, aber die höhere Fügung sie vermutlich zu uns geführt hätte. Nach einer genauen Beschreibung des Reifenhändlers besteht sie darauf, uns zu einer vereinbarten Uhrzeit dort morgen früh aufzusuchen und sich von unserem Wohlergehen zu überzeugen - die insgesamt nun mehr als freundliche Frau beschreibt uns auch noch den Weg zur ersten Tankstelle in Arvidsjaur, bevor sie sich wieder in ihr Auto setzt und winkend davon fährt - ob sie wohl morgen früh wirklich erscheinen wird??

Der breite Plattfuß-Schlappen ist mit Mühe unter den Pickup gekurbelt worden, eigentlich ist diese Reifenbreite hier nicht vorgesehen. Mit nur schlapp aufgepumptem, unterschiedlichen vierten Rad begeben wir uns mit Schleichfahrt (und Warnblinke) ins nahe Arvidsjaur - jetzt bloß kein Risiko mehr!

Arvidsjaur: "Ursprünglich ein Marktflecken für die Waldsamen aus der Umgebung. Im 17. Jh. wurde eine Kirche erbaut, und es entwickelte sich zu einem Kirchdorf. Dies ist immer noch erhalten, liegt heute mitten in der Stadt und ist die Hauptattraktion für Fremde. Hier stehen etwa 70 Samenhütten exakt ausgerichtet" (soweit "Reise-Know-How Skandinavien"). Wir finden die Tankstelle am Ortseingang und sind erstaunt: zum ersten Mal auf unserer Tour können wir hier (Euro-Kurs sei Dank!) mal wieder für unter 2,- DM pro Liter Normalbenzin tanken, kaum zu glauben, tatsächlich ...

Wir erreichen den Campingplatz von Arvidsjaur (Camp 6, N65°34.89783´ E019°11.63165´) mit einem nun wieder voll aufgepumpten Ersatzrad - nur ein bisschen schmaler als die anderen drei ist es immer noch. Dort angekommen mag man uns allerdings nicht auf den Platz lassen, ohne uns eine Zwangs-Jahreskarte zu 60 SKR verkauft zu haben - der Campingausweis soll uns später zugehen (Anm. der Redaktion: das bis Jahresende gültige Papier erreichte uns kurz vor Anfang November 99!) - so erzieht man Wildcamper ... Der uns erwartende Spießer-Campingplatz passt zum Verfahren - mit 4 vernünftigen Rädern wären wir hier wirklich nicht geblieben!

Es gibt Formulare in deutscher Sprache und sogar einen Camping-Vertrag - das hätten wir wirklich nicht gebraucht. Unser Tipp an alle: habt ihr 4 funktionstüchtige Räder - macht einen Bogen um dieses Kaff! Der Abend erlebt uns bei einem Rundgang durch das völlig tote Arvidsjaur. Dass wir hier keine Kneipe finden (soll ja auch eine der mehreren Hauptstädte Lapplands sein) versteht sich fast von selbst, nur einige herumlungernde Jugendliche mit Flaschen in der Hand "bevölkern" die Hauptstraße. Zwar soll es hier einen Pub geben in einem Hotel an der Straße dicht vor dem Campingplatz, aber wir verzichten darauf, ihn aufzusuchen ...

Als einzige Menschen auf der Straße um 23:15 Uhr haben wir immerhin noch die Gelegenheit, über die vielen Autoparkplätze mit Steckdosen hinter den paar Wohnblocks nachzudenken - an diesen Steckdosen kann man die Winter-Motorheizung betreiben, wenn hier gar nichts mehr geht ...

Wieder im Explorer angekommen, eröffnen wir unseren eigenen Pub - morgen erwartet uns ein spannender Tag. Werden wir unser Reifenproblem lösen können, gibt es überhaupt einen neuen Reifen, können wir unsere Tourenplanung einhalten??


© 1999 J. de Haas