Wanderungen bei Tag und Nacht ...
Wir wollen uns heute weiter in der näheren Umgebung rund um Longyearbyen umsehen (Übersicht (1) und Karte rechts), bevor es in den nächsten Tagen etwas weiter hinaus gehen wird. Dazu verlassen wir zunächst wieder einmal das Svalbard Hotell und schlendern durch die Fußgängerzone Longyearbyens: Ganz zwangsläufig kommt man dabei am örtlichen Supermarkt vorbei, der gleichzeitig auch das größte Einkaufszentrum der ganzen Inselgruppe ist. Alle Mitglieder auch verstreuter Forschungsgruppen müssen irgendwann hier einmal hin wie natürlich auch in den Local Pub, den wir aber erst später aufsuchen werden ...
Wie schon in unserer Euro-"Extratour" Spitzbergen erwähnt, lernt man in diesem Supermarkt wieder einmal - wie weltweit so oft - neue Absurditäten rund um den Alkoholverkauf kennen. Aber diesmal wollen wir nichts dergleichen und schauen uns in dem weitläufigen Laden nur um - wie immer und überall dominiert auch hier der Polarbär in verschiedenen Ausführungen, und sei es nur als Stofftier.
Auch bemerkenswert wie an vielen anderen Stellen auf Spitzbergen: In diesem Supermarkt gibt es ebenfalls einen verschließbaren Schrank für Waffen, denn solche mit sich herumzutragen ist auch hier nicht erlaubt, so dass man sie während seines Einkaufs einschließen muss - was sicher auch kein Problem sein sollte, denn Eisbären wurden hier sicherlich nicht oft als Kunden gesehen!
Direkt nebenan findet man noch eine sehr viel amüsantere Beschilderung in diesem Zusammenhang: Die norwegische SpareBank hat direkt an der Eingangstür entsprechende Verbotsschilder, die darauf hinweisen, dass der Zutritt mit Gewehren und Pistolen untersagt ist - warum gibt´s eigentlich nicht weltweit eine derartige Beschilderung, denn dann würden doch sicher Banküberfälle endgültig der Vergangenheit angehören, oder ..?
Wir verlassen die unmittelbare Ortsmitte und spazieren ein wenig umher: Baustellen, Rohre, ungewöhnliche Friedhöfe und vieles mehr ist in der unwirklichen Umgebung der nahen Berghänge zu finden, man möchte seinen Rundgang gar nicht mehr beenden, so viele ungewohnte und faszinierende Eindrücke hält die Umgebung bereit.
So lohnt auch ein kurzer oder längerer Besuch in der markanten Kirche des Ortes: Perspektivisch in der Nähe des großen ehemaligen "Bahnhofs" für die Seilbahnsysteme des einstigen Kohletransports gelegen bietet diese Kirche im Inneren nicht nur ebenfalls einen großen ausgestopften Eisbären (der wievielte ist das eigentlich inzwischen?), sondern lädt auch ein zur Lektüre von Zeitungen, zum Kaffeetrinken und Kuchenessen, zur WLAN-Nutzung oder zum Toilettenbesuch - nach entsprechendem Schuhwechsel natürlich ...
Ebenfalls ein markanter Punkt: Die nördlichste Sonnenuhr der Welt ist hier zu finden. Sie liefert eine beigelegte Beschreibung ihrer Handhabung, so wird etwa darauf hingewiesen, dass man vor Gebrauch zunächst sanft den losen Schnee von ihr abbürsten solle. Aber diese Sonnenuhr stellt gleichzeitig auch so etwas dar wie einen (groben) geodätischen Messpunkt: Die Koordinaten N 78° 13´E 15° 37´ erinnern an die Anforderungen einer Euro-"Extratour", so dass sogleich einige norwegische Münzen auf ihr landen - aber da wir eine solche Extratour bereits in der Ortsmitte gemacht haben, bleibt es heute beim Münzenbild.
Wir widmen uns nun aber endlich ausführlich den historischen Kohle-Seilbahnen des bereits bei Gruve 3 erwähnten Montankonzerns Store Norske. Die bestimmen schließlich das ganze Ortsbild und können jeden verhinderten Modelleisenbahner eigentlich nur entzücken: Unzählige Linien kamen hier einst an aus verschiedensten Richtungen der "Gruves", die Masten sind heute noch in unterschiedlichem Zustand erhalten und an vielen Seilen hängen noch die Gondeln. Die kamen seinerzeit über eine Verteilerstation zum bereits erwähnten großen "Bahnhof" am Bergrand, von wo aus die Kohle schließlich über Rutschen nach unten ihren Weg zum Hafen und zur Schiffsverladung fand.
Es lässt sich heute noch trefflich rätseln über den genauen Verlauf der diversen einzelnen Streckenabschnitte sowie die Zusammenführung und Verteilung. Große Räder für die Seilführung auf beeindruckenden Holzkonstruktionen und viele andere Details sind hier ein ganz hervorragendes Fotomotiv.
Man erreicht den "Bahnhof" entweder ganz bequem über eine kurze serpentinenförmige Straße oder aber von unten aus kletternd den steilen Hang hinauf durch leicht sumpfiges Gelände. Wobei man sich am Ende ganz oben wiederfinden kann auf allen Vieren mit Handschuhen kriechend und entsprechend abenteuerlichem Gefühl kurz vor dem Abrutschen ...
Oben angekommen belohnt den Besucher ein fantastischer Blick auf Bucht und Berge, auf den Hafen und den Flughafen, auf den gerade eine Linienmaschine zwischen den Berghängen zusteuert. Auch etliche Schiffe sind natürlich von hier oben aus zu erkennen, die wir uns beim Besuch unten am Hafen später nach Möglichkeit noch näher anschauen wollen.
Wir steigen wieder herab und schauen uns von unten weiter um: Bei fantastischem Wetter einer wieder typischen "Explorer Suntour" (), für die man in diesen Breiten wirklich alles andere als eine Garantie hat, streifen wir in Richtung Hafen vorbei an bunten Hütten, urigen Kettenfahrzeugen und Gerätschaften sowie ungewöhnlich bemalten Bussen. Am Hafen, wo sonst in der Regel immer eine zünftige Flagge mit der stolzen Angabe von 78°N weht, ist heute natürlich nur die Norwegenflagge gehisst - wie langweilig!
Auch die Schiffe, die wir während unseres Aufenthaltes sehen, sind nicht gerade die uninteressantesten: Wir erkennen von hier aus das bereits erwähnte "Expeditionsschiff" MS Hanseatic, auf das wir erstaunlicherweise erst vor zwei Jahren in ganz und gar nicht polaren Gewässern, sondern während einer Weinreise im spanischen Santurtzi gestoßen sind. Auch die MS Fram der Hurtigruten hat in der Nähe angelegt. Die wird ebenfalls als Expeditionsschiff bezeichnet und ist die meiste Zeit in polaren Gewässern unterwegs. Anders als die übrigen Schiffe der Hurtigruten ist die Fram nicht im Liniendienst an der norwegischen Küste unterwegs, sondern unternimmt im Sommer Grönland- und Svalbard-Fahrten und wird im Winter in die Antarktis verlegt.
Auch viele andere Schiffe sehen wir, von der norwegischen Küstenwache bis zu weiteren Passagierschiffen herrscht hier im Sommer ein reger Verkehr. Das norwegische High-Speed Passagierschiff Aurora Explorer fällt uns natürlich auf, ebenso wie die MS Sea Spirit, die ebenfalls generell in polaren Gewässern kreuzt und deren Manövriergeräusche durch die ganze Bucht hallen, als wir zum "Bahnhof" hinaufsteigen.
Vor einigen Jahren wurde das 1991 gebaute Schiff modernisiert und soll durch eine entsprechende Eisklasse eine sichere Reise durch Arktis und Antarktis gewährleisten. Auch von unserem Standort aus können wir am Heck einige Zoodiacs erkennen, von denen das Schiff über etliche verfügt und damit Landgänge ermöglicht, die man wohl lange in Erinnerung behalten wird.
Bei derartigen auch deutschsprachigen Kreuzfahrten werden allerdings gern noch wendigere und kleinere Schiffe bevorzugt, um Eisbären, Wale oder Walrosse aus der Nähe zu erleben. Abhängig von der möglichen Reisedauer kann man dabei sowohl einen Teil Spitzbergens oder auch die ganze Insel umrunden. Wenn man es ganz besonders individuell gestalten möchte, gibt es hierfür sogar Schiffe wie etwa die MS Cape Race oder die MS Stockholm, mit denen nur ein Dutzend Gäste unterwegs sind.
Wir werden den heutigen Tag nicht beenden, ohne vorher noch eine "Nachtwanderung" unter grandiosen Bedingungen durchzuführen: Für 19:30 Uhr haben wir einen Tisch reserviert im Gruvelageret, einem relativ neu eröffneten Restaurant, das man bei stets hellichtem "Tag" bequem zu Fuß von Lonyearbyen aus bei einer sehr schönen Wanderung erreichen kann.
Das Lokal will an die frühe Geschichte des Bergbaus in Longyearbyen erinnern und man ist hier stolz darauf, internationale Spitzengastronomie (zu entsprechenden Preisen!) bieten zu können. Vor einer ungewöhnlich unscheinbaren "Hütte" angekommen, die sich als das Restaurant herausstellt, erwartet uns zunächst ein angeleinter Husky, der sofort "Fuß" gibt, als man ihn streichelt - Erinnerungen an unsere denkwürdige Huskytour zur Jahrtausendwende werden auf der Stelle bei seinem Anblick wieder wach!
Ein sehr urig-gemütlich eingerichtetes Lokal erwartet uns, eine begrenzte Zahl ausgewählter Speisen und eine reichhaltige Weinkarte geben dem Besuch das "gewisse Etwas", das einen derartigen Tag auf großartige Weise abrundet.
Stunden später geht es wieder zu Fuß zurück in Richtung Hotel. Auf der einsamen Strecke ist es wieder Mitternacht und wir genießen das Ambiente: Karge Vegetation am Wegesrand, Rentiere, Ruinen der alten Grube 2 an den Hängen und deren vertreute Trümmer überall, viele bunte Häuschen in der Ferne und schließlich bei Wiederannäherung an den Ort auch Gruppen von Wanderern. Die brechen nun in die "Nacht" auf zu offenbar längeren Exkursionen, von denen die umgehängten Gewehre zeugen - mögen die lokalen Eisbären auf Begegnungen mit diesen Wandervögeln hoffentlich verzichten!
Irgwendwann in der Nacht sind wir wieder in unserem Hotel, diesmal blendet keine grelle Sonne, die zwingt, die Jalousien etwas zu schließen, aber nach Schlafen ist einem trotz allem immer noch nicht. Und außerdem soll es nun bald losgehen mit Exkursionen, bei denen wir die nähere Umgebung verlassen werden: Schiffs- und Bootsfahrten sollen folgen zu Gletschern und Geistersiedlungen - und wir ahnen heute noch nicht, was uns dabei alles erwarten wird ...
© 2017 J. de Haas