Endstation Zermatt ...
Im Gegensatz zu St. Moritz erwartet uns in Zermatt bunter Trubel: Der Ort ist voll von Touristen. Wir haben nur wenige Meter zum Hotel Hotel Testa Grigia.
Der Ort rühmt sich mit vielen Dingen:
Zunächst soll hier an 300 Tagen die Sonne scheinen, das tut sie aktuell, aber die Wetterstatistiken beweisen, der Slogan mit den 300 Sonnentagen ist einfach nur ein gelungener Marketinggag.
Dann soll es sich hier um eine "autofreie" Stadt handeln. Autofrei? Immerhin, einige Pferdekutschen sind noch im Einsatz. Aber ansonsten fahren überall Elektroautos, Kleinbusse und sogar abgasfreie LKW tun hier ihren Dienst. Der Verkehr ist teilweise atemberaubend, weniger wegen der Abgase, mehr wegen der Schreckmomente, denn man hört die durchaus flotten Fahrzeuge kaum und wird doch häufig durch Hupen darauf aufmerksam gemacht, dass die Straße hier immer noch den Autos gehört. Also "autofrei" ist auch wieder nur ein gelungener Marketinggag!
Aber immerhin, seit 1961 gibt es hier keine Abgase und die Fahrzeuge werden seitdem in der Schweiz produziert ...
Zermatt blickt auf eine bewegte Geschichte zurück: Erstmalig erwähnt im Jahr 1235 entwickelte sich der Ort ab Mitte des 19. Jhdt. zu einem Touristenzentrum aufgrund des Alpinismus. 1857 wurde bereits in London der englische Alpenclub gegründet, einige Jahre bevor es solche Clubs in Österreich, der Schweiz oder in Italien gab. Die englische High Society entdeckte den Ort für ihren Urlaub und junge Burschen versuchten sich an den zum Teil unbezwungenen Viertausendern.
In Zermatt entwickelte sich ein neuartiger Beruf: Der Bergführer. Hotels wurden errichtet, der Ort blühte auf. 1865 wurde dann das Matterhorn erstmalig bestiegen von den Engländern Edward Whymper, Lord Francis Douglas, Reverend Charles Hudson und Robert Hadow sowie den Bergführern Michel Croz aus Chamonix, Peter Taugwalder und dessen gleichnamiger Sohn aus Zermatt. Die Expedition endete tragisch, denn nur Edward Whymper und die beiden Taugweilers überlebten den Abstieg, da das Seil riss und sie dadurch nicht in den Tod mitgerissen wurden. Bis heute sind die Ereignisse, die viel Filmstoff lieferten, noch nicht zweifelsfrei geklärt.
Die gesamte Geschichte der Tragödie einschließlich des abgerissenen Seils kann man im Matterhorn Museum - Zermatlantis - erfahren und noch viel mehr zur Geschichte von Zermatt, wie man hier im 19 Jhdt. lebte und wie sich der Alpinismus entwickelte.
Ist man aus dem Museumskeller aufgestiegen, bieten sich am Kirchplatz wunderschöne Fotomotive: Kirchentreppe, alte Holzwohnhäuser mit dem Matterhorn im Hintergrund. Der Murmeltierbrunnen ehrt die lustigen Kerlchen in der Region, die zu beobachten so viel Spaß macht ...
Zermatt hat zum Glück auf den Bau von riesigen Hotelkomplexen verzichtet und so ein gewisses Maß seiner Ursprünglichkeit bewahrt.
Am ersten Abend gibt es nur einen kurzen Rundgang und einen schönen Ausklang im rustikalen Sparky’s, das berühmt ist für seine Curries und den für Schweizer Verhältnisse niedrigen Bierpreis. Schließlich stammt der Wirt von den Kanalinseln und weiß, dass man ein solches Grundnahrungsmittel günstig anbieten muss.
Am nächsten Morgen - wir haben noch lange nicht genug vom Bahnfahren: Abfahrt mit der Gornergratbahn gegenüber vom Bahnhof. Wie der Glacier Express hat sie eine Spurweite von 1 Meter und da es ein Modell am Bahnhof zu kaufen gibt, haben wir ihr im Modellkeller bereits einen eigenen Bericht gewidmet.
40 Minuten dauert die Fahrt über 9,3 Kilometer: Es gelingt uns in Fahrtrichtung rechts einen Sitzplatz zu bekommen, wegen der Aussicht auf das Matterhorn. An der Bergstation auf 3.089 m ü. M. begeben wir uns zur Aussichtsplattform, die noch etwas höher auf 3.131 m ü. M. liegt und genießen den Ausblick auf das Matterhorn.
48 Viertausender hat die Schweiz und 29 davon können wir hier sehen: So schauen wir auf das Monte Rosa Massiv, das zum Teil in Italien im Piemont liegt und zu dem uns auch in dieser Ausgabe Matthias Bernhard einen Reisebericht zur Verfügung gestellt hat, der ebenfalls Ausblicke auf das Massiv bietet, nur eben von einer anderen Seite. In der Bergstation befindet sich die höchste Shoppingmall Europas. Da wir einen der 300 Sonnentage genießen können, stärken wir uns im Anblick des Alpenpanoramas auf der Restaurantterrasse. Die schlauen Jochdohlen sorgen dabei für Unterhaltung ...
Zurück fahren wir zunächst nur eine Station zum Rotenboden (2.814 m ü. M.). Von hier aus lohnt sich der Abstieg zur Station Riffelberg (2.579 m ü. M.), vorbei am Riffelsee mit einem Fotostopp für das legendäre Matterhornbild, das in keinem Zermatt-Reisebericht fehlen darf.
Von dort aus geht wieder mit der Bahn weiter zur Riffelalp: Hier beginnt die Riffelalptram, Europas höchstgelegene und kürzeste Trambahnlinie (2.222 m. ü. M). Sie führt mit einer Streckenlänge von 675 m (!) von der Bahnstation Riffelalp der Gornergrat-Bahn bis zum Hotel Riffelalp mit einer Geschwindigkeit von 10 km/h. Bereits 1899 wurde sie hier errichtet, allerdings hatte sie damals nur eine Länge von 475 m ...
Wer Lust dazu hat, kann von hier aus über den Arvenweg (= Zirbenweg) nach Zermatt absteigen. Im Sonnenschein dampfen Holz, Harz und Nadeln der Arve den leicht flüchtigen, angenehm duftenden Wirkstoff Pinosylvin aus, den wir schon aus unserem Hotelzimmer in St. Moritz kennen.
Aufgrund eines Unfalls im Frühling auf Fuerteventura wollen wir dem frisch wiederhergestellten Knöchel jedoch noch nicht zu viel zumuten und nehmen wieder die Bahn ...
Für den Abend gibt es etwas ganz Spezielles: Kein Essen im Restaurant, sondern eine Tour "Kitchen Around - Die Erlebnis Gastro Tour durch Zermatter Küchen". In ausgewählten Zermatter Küchen wird dabei für uns aufgetischt, auch ein weiteres Schweizer Ehepaar macht die Tour mit. Ringsum uns herum wird geschnibbelt, gekocht und gebraten. Es ist recht eng, aber gemütlich. Die Chefköche nehmen sich wirklich viel Zeit für uns und schenken großzügig hervorragenden Schweizer Wein aus. Zwei der Chefs sind Deutsche, die es zunächst für eine Saison hierher verschlagen hat, und die sich nun seit vielen Jahren nicht mehr von Zermatt trennen können.
Eine köstliche Heusuppe mit Brunnenkressenmousse und Trockenfleisch Tartar wird als Auftakt in der Küche vom Hotel Christiania gereicht, zubereitet von Jörg Elsen. Zum Abschied gibt es ein Jausenbrettl und Hauswurst.
Anschließend geht es mit dem Elektrotaxi in die Küche vom Hotel Beausite zu Christof Nienstedt, wo uns Lammfilet mit Gerstenrisotto, Selleriepüree und Zucchinigemüse erwartet und ein kleiner "Vornachtisch". Hier gibt es zum Abschied Zermatter Bier (sehr zu empfehlen) und Pralinen in Matterhornform. Den Abschluss bildet ein kurzer Verdauungsspaziergang zur Küche vom Walliserhof, wo die Schwedin Monja Schönberger für uns Schokotrüffel mit Absolut Raspberry Glace zubereitet hat. Kaffee und Absacker gibt es dazu. Ihr Mann - aus einer Familie, die seit Generationen hier in Zermatt lebt - erzählt uns viel über die Hintergründe der Gastronomie und den Tourismus im Ort.
Hier bekommen wir die Rezepte zu all den Gerichten, die für uns gekocht wurden. Ein gelungener Abend und jedem zu empfehlen, denn wo sonst kann man den Köchen so genau auf die Finger schauen und den Trubel einer Hotelküche auf sich wirken lassen ..!?
Es wird spät, aber zum Glück ist unser Hotel schräg gegenüber ...
Am nächsten Morgen klingelt der Wecker bereits sehr früh: 05:30 Uhr, denn kurz nach 6 Uhr gibt es den Sonnenaufgang am Matterhorn, den man von der Kirchbrücke aus beobachten kann.
Viertel vor 6 verlassen wir das Hotel und eine Prozession von Japanern zieht durch die Fußgängerzone bis zur Kirchbrücke, alle ausgestattet mit Kameras und Stativen. An der Brücke angekommen haben sich hier bereits mehr als 100 - nur japanische - Touristen versammelt, die mit leisen "Ohs" und "Ahs" in den Himmel zeigen und offensichtlich genau wissen, wo die Sonne sich zuerst zeigt. Vereinzelte Wolken werden begutachtet und ihre mögliche Auswirkung auf die Beleuchtung des Matterhorns bewertet. Ein fast kultischer Treff, hier haben sich offensichtlich Sonnenaufgangsprofis versammelt und man versteht nun den Landesnamen: "Japan = Land der aufgehenden Sonne", denn Nippon bedeutet übersetzt schließlich Ursprung des Tags bzw. Ursprung der Sonne ...
Ehrfürchtig betrachtet man das Schauspiel am Matterhorn, hier werden Tausende von Bildern geschossen. Ein wenig störend: Zwischen all den Sonnenanbetern zwängen sich die Elektro-Fahrzeuge, die noch schnell bevor der Tag richtig losgeht alle Lieferungen erledigen wollen. Ein wahres Tohuwabohu auf der Kirchbrücke - halt eine autofreie Stadt!
Nach dem ausführlichen Frühstück haben wir alle Zeit für einen ausführlichen Rundgang, der in der Fußgängerzone beginnt. Gerade rechtzeitig, denn um 9 Uhr werden laut schellend die Schwarzhalsziegen durchgetrieben auf dem Weg zu den Weiden.
An der Hinterdorfstraße biegen wir ab zum alten Dorfteil mit seinen malerischen Holzhäusern. Am Gedenkbrunnen Ulrich Inderbinens lohnt ein kurzer Stopp: Das Wasser sprudelt frisch und eiskalt aus der Brunnenröhre, ein Schluck davon und man weiß, was wirklich gutes Trinkwasser ist. Ulrich Inderbinen (1900-2004) gehört zu den berühmtesten Bergführern der Welt. Bis zu seinem 90. Lebensjahr führte er Gäste auf das Matterhorn und war über 370 Mal auf dem "Hore", wie die Einheimischen das Matterhorn nennen.
Entlang der Mattervispa kommen wir wieder zur Kirchbrücke. Alle Japaner sind verschwunden. Der Blick zum Matterhorn ist auch nach dem Sonnenaufgang immer noch phantastisch. Unweit davon befindet auch das Bergführerdenkmal, eine Gedenkstätte für alle Zermatter Bergführer, die hier oder auch im Ausland bei Ausübung ihres Berufs ums Leben gekommen sind.
Kurz danach erreicht man den Bergsteigerfriedhof: Etwa 50 Grabsteine aus überwiegend dem 19. Jhdt. und einige auch aus dem 20. Jhdt. zeugen von den Unglücken in den umliegenden Bergen. Die Gräber werden noch gepflegt. Am Monte Rosa Hotel, einem der ersten Hotels hier im Ort, findet sich das Whymper Denkmal, eine Bronzetafel, das einem der Erstbesteiger gewidmet ist.
Mit der Englischen Kirche beenden wir den Rundgang: 1870 wurde sie von Engländern hier erbaut. Der Alpinismus florierte und der größte Teil der Touristen kam aus England, das zur damaligen viktorianischen Zeit recht religiös war. Man hatte bereits im Hotel Monte Rosa anglikanische Gottesdienste abgehalten und wollte eine eigene Kirche haben. 5 Jahre lang hat man Spenden gesammelt, bis der Bau der Kirche begonnen werden konnte. 1871 wurde die von einem Bischof aus Dover eingeweiht.
Unter dem Hochaltar liegen die Gebeine von Reverend Charles Hudson, der bei der Erstbesteigung des Matterhorns ums Leben kam. Ansonsten gibt es zahlreiche Gedenktafeln für Bergsteiger, die sich Zermatt verbunden fühlten. Heutzutage wird die Kirche von englischen Geistlichen betreut, die alle zwei Wochen wechseln.
Wenn der Tag mit einem Sonnenaufgang am Matterhorn beginnt, muss er auch mit einem Sonnenuntergang am Matterhorn enden. Da kommt es gerade recht, dass auf dem kleinen Matterhorn auf fast 4.000 Metern Höhe - gegenüber vom "großen" Matterhorn - ein Sunset Dinner angeboten wird.
Treffpunkt ist die Talstation Matterhorn Glacier Paradise und man kann es kaum glauben, ein Gewitter zieht herein und die Bahnen stellen den Betrieb ein. Fällt nun das Sunset Dinner aus? Macht es angesichts der tiefen Wolken überhaupt Sinn, hoch zu fahren? Wird es einen sichtbaren Sonnenuntergang geben? Fragen über Fragen - haben wir den Wettergott verärgert ..?
Die "Reiseleitung" der Bergbahnen strahlt jedoch Optimismus aus: Selbstverständlich findet alles wie geplant statt, nur ein wenig verzögert.
In der Gondelbahn zur Station Furi - Trockener Steg wird ein Vorspeisenbuffet aufgebaut, jede Menge Aperitif wird eingeladen - u.a. wieder Schweizer Weißweine - das lässt hoffen. Und tatsächlich - das Gewitter ist vorbei, wir steigen ein genießen die Vorspeisen und den Wein und bei starkem Regen erreichen wir die Zwischenstation - von Sonne weit und breit nichts zu sehen.
Wir steigen um in die Bahn zum Restaurant Matterhorn Glacier Paradise. Es geht hinauf auf 3.883 m ü. M. und man wird aufgefordert, sich sofort zu melden, falls es körperliche Probleme aufgrund der Höhe geben sollte.
Die Bergstation ist in den Berg gebaut: Man kann hier den Gletscherpalast mit seinen Eisskulpturen in den Eisgängen und Eishallen besuchen. Und da jede Reise auch ein bisschen eine Weinreise ist, entdecken wir den Altissima, eine Cuvée aus Weißweinen, aus raren Walliser Rebsorten hergestellt, der hier oben im Eichenfass reift. Warntafeln an den Wänden informieren: Sie befinden sich im Hochgebirge. Langsam bewegen - keine Hast!
Ein Fahrstuhl führt hinauf zur Aussichtsplattform und wenige Treppenstufen höher sind die 4.000 m ü. M. erreicht und man blickt auf Augenhöhe hinüber zum Matterhorn. Zur Zeit befindet sich hier eine riesige Baustelle, denn hier wird die höchste 3S-Bahn der Welt errichtet, die im Winter 2018/19 ihren Betrieb aufnehmen soll.
Im Restaurant erwartet uns ein dreigängiges Menü und muntere Musikanten spielen Folklore auf. Gerne würden wir hier in die Küche schauen, denn Kochen in dieser Höhe ist sicher eine Herausforderung, denn das Wasser kocht ja hier schon bereits bei ca. 85° C. Für solche Restaurants wurde wahrscheinlich die Sous-Vide-Technik (Vakuum-Niedertemperatur-Garen) erfunden ...
Kaum zu glauben, das schlechte Wetter zieht davon und zwischen den Gängen hat man Gelegenheit auf die Aussichtsplattform zu gehen, um den Sonnenuntergang zu genießen, was man zu Beginn des Ausflugs für unmöglich gehalten hat.
Der Walliser Wein fließt reichlich, Absacker kommt noch dazu und so ist die Dinner-Gruppe (überwiegend Schweizer Touristen) bester Stimmung, als es zur Talfahrt geht. Mittlerweile gießt es wieder, aber das ist allen egal. In den Gondeln spielt die Musik weiter auf, es wird getanzt und gesungen bis wir Zermatt wieder erreicht haben. Was für ein Tag!
Am nächsten Morgen müssen wir Zermatt verlassen, das fällt uns richtig schwer und ein bisschen können wir heute morgen die Zugereisten, die hier "kleben" geblieben sind, wirklich verstehen ...
© 2018 Sixta Zerlauth