Fr 31.07.98: Anreise Hamburg und Fähre

Wieder mal geht´s morgens um 01:00 Uhr los - diesmal ist die heißgeliebte vielstündige Fahrt quer durch die Republik (warum muss man auch in München wohnen, wenn man dauernd nach Norden fährt?) bis 11:00 Uhr problemlos wie nie. Frei nach Murphys Gesetzen wirkt dies (wie sich später zeigt, zu Recht) bereits irgendwie verdächtig, lautet doch eine der Regeln: wenn es nicht schiefgeht, zeigt sich später, dass es besser schiefgegangen wäre (oder so ähnlich ...).

Admiral of Scandinavia ...Der Hamburger Hafen gibt sich gastlich: neben schmackhaftem Fisch für die nächsten Küchenabenteuer finden wir auch einen Parkplatz und können in aller Ruhe das Einschiffen abwarten. Doch dann erste Verzögerungen - offenbar Probleme beim Beladen der "Admiral of Scandinavia". Wir warten und warten - mittlerweile ist es 13:00 Uhr, 14:00 Uhr, 15:00 Uhr, 16:00 Uhr ... das Einschiffen dauert wie nie und der lockere Schnack des Einweisers, eines Hamburger Gemütsmenschen bei der Abfertigung, erweist sich als zutreffend: "Wir haben heute eine Füllung wie nie auf der Fähre!" Na, das kann ja heiter werden!

Auch ein bisher von uns bei der Fähren-Abfertigung noch nicht erlebtes (scheinbares?) Chaos mit hupenden Fahrzeugen greift um sich: der Explorer wird zu einer Ehrenrunde aus seiner "Einsortier-Spur" heraus aufgefordert wegen des erforderlichen Vorziehens anderer Fahrzeugs aufgrund von Sortier- und Höhenproblemen.

Die Polizisten haben viel Spaß bei der Abfertigung, doch jeder wird kontrolliert, Angst vor Terroristen auf der "England-Fähre" wird mehr als deutlich.

"Wofür ist das?" Der Polizist zeigt auf meine Minicom-Handgurke von Team, das CB-Funkgerät. "Ein Funkgerät? Damit kann man funken?" Interessiert beugt sich der Mann vor und winkt uns schließlich durch - lernt hier einer viel Neues oder mimt er den Ahnungslosen - wir werden es nicht erfahren!

Der "Admiral" erscheint zwar ähnlich groß wie die "Norröna" nach Island 97, aber die Fahrzeuge haben hier mehr Platz unter Deck und alle Insassen dürfen (im Auto sitzend) mit an Bord - welch ein Komfort!

Mehr als eine halbe Stunde Verspätung entsteht erstaunlicherweise trotz allem nicht bei der Abreise, das Gewimmel und Gesuche an Bord nimmt schon bald sehr gewohnte Züge an. Das Schiff hat eine Zulassung in Nassau und lauter Fillipinos wuseln an Bord herum und artikulieren weitgehend unverständlich - kann man eigentlich selbst kein Englisch oder wer, ist doch schließlich ein Schiff nach England, oder??

Die Ausfahrt an der Elbe gestaltet sich wie immer nostalgisch - mit Cuxhafen, Kugelbake und "Leuchtturm" Großer Vogelsand wird man glatt an frühere Jahre erinnert, in denen man hier oben noch Tage zubrachte ...

Einige Motorradfahrer sprechen uns abends an der Bar an: sie haben bei der Einschiffung neben uns gestanden und erzählen in bester Stimmung von der Fahrt mit ihrem "Moped" nach Norden (hätte jemand anders die Kisten als "Moped" bezeichnet, hätte es wahrscheinlich eins auf die Schnauze gegeben ... ). Sie wollen auch zur schottischen Nordküste und fragen nach der Zulässigkeit von Explorer-Außenkanistern und Spritverbrauch: "Wieviel braucht so ein Panzer - 17 Liter?"

Mit ca. 36 km/Std bewegen wir uns laut GPS mit dem "Admiral" Richtung England. Wir erleben vor dem Aufsuchen unserer Kojen zwar die ruhigste Überfahrt aller bisherigen, aber dennoch kotzt ein Junge an Deck: sein Vater säubert alles mit jeder Menge Haushaltspapier und stetig grinsend - weiß der Junge im Gegensatz zu seinem Vater etwa schon, was ihn nach Verlassen der Fähre erwartet ..?

Sa 01.08.98: Von Newcastle upon Tyne bis Kielder Water

Ankunft in Newcastle ...Gefrühstückt wird komfortabel auf dem "Admiral" an diesem Morgen - eine große Schlange von Leuten wartet an der "Eier-Schlange", wo man jede Menge Spiegeleier mit Speck u.a. bekommen kann: wir decken uns ausreichend ein und der Tag scheint gesichert.

Bis ca. 16:00 Uhr Bordzeit (= 15:00 Uhr Ortszeit Newcastle upon Tyne) bleiben wir auf dem Schiff, das sich langsam aber sicher an der englischen Küste entlang vorarbeitet. Eine Staffel englischer Kunstflieger vollbringt über der nahen Küste jede Menge Flugkunststücke - ihre farbigen Rauchschwaden ziehen über die dunkle Landschaft, die heute kaum einen Sonnenstrahl zu sehen bekommt.

England vor uns: Als wir draußen vor der schmalen Hafeneinfahrt von Newcastle halten, weil ein anderer Passagier-Kahn noch vor uns einfahren darf, ergreift eine merkwürdige Stimmung den Berichterstatter. Ein düsterer Ort mit unzähligen geduckten, typisch englischen Häusern ist hinter der Küste zu erkennen - auch die Burgruine in Hafennähe scheint nur die finster unsympathische Stimmung zu verstärken und düstere Vorahnungen heraufzubeschwören, die nun greifbar wirken, bevor wir das Deck verlassen und mit unserem "Schiffsgepäck" in Richtung Autodeck verschwinden ...

Verlief vielleicht doch alles zu reibungslos bisher? Wir stehen in der Reihe der ausfahrenden Fahrzeuge, die nacheinander die Motoren starten. Als im Cockpit geäußert wird, man fühle sich jetzt schon kotzübel (wegen Linksverkehr?), sind die Vorahnungen wieder da.

Wir rollen vom Schiff, eifrig bemüht, an den Linksverkehr zu denken, sehen nur aus den Augenwinkeln die Schlange sich einreihender Rückfahrer - der "Admiral" wird schließlich bald wieder gen Hamburg starten ...

Wir sind noch nicht ganz vom Schiff, da wartet bereits die erste Mautstelle: der Tunnel unter dem Tyne muss bezahlt werden, langsam rollen wir zur äußersten linken Mautkabine.

Düsterer Empfang in Newcastle ...

Nachdem wir durch den Tunnel sind, erfasst uns der Horror auf der ganzen Breite. Nicht der Linksverkehr ist das Übel hier, sondern die unzähligen Kaskaden von mehrspurigen Kreisverkehren, die "Roundabouts", die hier auf uns warten - zumeist miese Beschilderung in Richtung innerstädtischer Ziele und trotz Samstagnachmittag jede Menge Verkehr.

Wenn es nur einfache Kreisverkehre gäbe, wäre alles sicher kein Problem, aber diese hier sind mehrspurig und voll "verkaskadiert", das heißt, hinter einer Ausfahrt lauert nur wenige Meter weiter der nächste - und wieder dasselbe! Es folgen kleine Kreisverkehre, mittlere Kreisverkehre, große Kreisverkehre, solche mit Ampeln und solche ohne Ampeln, solche mit Abbiegespuren und solche ohne und und und - jeder Punkt auf der Karte ist ein Kreisverkehr!

Mehrfache Holdings auf der inneren Spur werden wiederholt gefahren - drei Runden im unseligen Kreisverkehr reichen vielleicht zur Orientierung: das GPS ist lediglich auf die A69 programmiert - und die ist noch weit!

Während der Schleichfahrt durch einen anderen Kreisverkehr auf der äußeren Spur plötzlich wildes Anhupen und Gestikulieren eines Motorradfahrers neben uns - was will der eigentlich, rechts vorbei an uns und die nächste Ausfahrt links raus? Fragen über Fragen, die erst etliche Tage später gelöst sein werden ...

Erste Stimmen an Bord werden laut, einfach nur noch auszusteigen, auf die Rück-Fähre zu warten und umzukehren - nur weg von hier!

Wir erreichen irgendwie die A69 Richtung Osten, Fluchtinstinkte haben inzwischen das Kommando an Bord übernommen. Wes Geistes Kind muss man sein, um ein solches Verkehrssystem zu erdenken und aufzubauen? Nur Kostenüberlegungen, historische Gründe, einstmals geringerer Verkehr - oder mehr? Warum auch zunehmend solcher Schwachsinn bei uns, wenn auch noch nicht annähernd so perfekt? Gibt es eine europäische Kreisverkehrs-Mafia ..?

Keine Antwort und viele Fragen!

Wir fahren weiter auf der A6318 nach Westen, eine für den ersten Tag geplante Besichtigung von "Hadrians Wall", dem Schutzwall der Römer gegen die wilden Schotten, haben wir längst aufgegeben - die Besatzung hat die "Schnauze gestrichen voll" und fragt sich nur noch, warum man eigentlich hierher gekommen ist ...

Boot-Idylle bei Kielder Water ...

Nachdem auf einem Parkplatz an der Straße die TopBox aufgebaut ist (diesmal tatsächlich ohne Sturzregen!), steuern wir direkt unseren ersten Campingplatz in England an - mehr soll heute nicht mehr sein!

Die Stimmung an Bord wird geringfügig entspannter, nachdem wir auf der A6320 angekommen sind - wir fahren durch hochherrschaftliche Alleen mecklenburgischen Zuschnitts mit Herrenhäusern und echten Landsitzen am Wegesrand: ruhig ist es nun geworden, nur auffällig wie schon zuvor die Unmengen überfahrener Tiere auf der Straße.

Alle 100m ein Kaninchen, ein Igel, ein Vogel, sind wir auf einer Schlachtbank übermäßiger Populationen oder auf der Rennstrecke irrer Autofahrer?

Alles in allem hatten wir heute offensichtlich noch nicht genug Erlebnisse - der Pickup meldet sich nun mit zunehmenden Geräuschen bei 2400 Touren und heißem Boden unter dem Fahrersitz. Zwar war das Schnarren schon zuhause aufgefallen, aber natürlich hatte man nichts unternommen - rächt sich ausgerechnet hier nun der Auspuff?

Auf schmaler Straße geht es weiter bis Kielder Water Camping, unserem ersten Halt auf der Insel (N55°10.7699´ W002°32.0259´).

Kielder Water - 1982 wurde hier, ursprünglich zur Wasserversorgung errichtet und vom North Tyne gespeist, der größte künstliche See Nordeuropas angelegt. Eingerahmt wird dieses Gewässer von angeblich Europas größtem künstlich angepflanzten Wald und einem umfangreichen Naherholungsgebiet mit Campingmöglichkeiten - der "Interactive Atlas of Great Britain" hat alles drauf an benötigten Infos! Wie ein guter deutscher Campingplatz wirkt hier letztlich alles, aber als wir schließlich auf unserer Parzelle am Waldrand nicht weit von unserem Camper-Nachbarn stehen, sind wir dennoch froh - endlich angekommen!

Für 1,80 GBP oder über DM 5 genießen wir am Abend an der "licensed bar" von Kielder Water unser erstes "pint of bitter": es ist zwar nur der Speiseraum, der sich hier in einer Ecke auch Bar schimpft, aber was will man mehr an einem solchen Tag - man lebt und hat ein Bier ..!


© Text/Bilder 1998-2002 J. de Haas