Freitag der
Dreizehnte
Deutschland für Liebhaber: Ein Tag im Stau ...
Es ist Freitag der 13., kurz vor 8:00 Uhr morgens nahe
München, das
Auto wird beladen mit Geschenken und zwei Torten und schon geht es
los zu einer Geburtstagsfeier hoch in den Norden mitten ins Herz
vom Sauerland.
Im Radiosender Bayern 1 wird den Zuhörern berichtet, was sie wohl von diesem Tag zu erwarten haben und ob der Aberglaube seine Berechtigung hat. Wir sind nicht abergläubisch, es ist halt Freitag, wie jede Woche ...
Es ist bekannt, dass seit Monaten vom Autobahnkreuz München Ost bis
zum Autobahnkreuz München Nord drei riesige Baustellen schon fast
amöbenartig miteinander verschmolzen sind, da erwartet man als
Autofahrer wenig Gutes, aber irgendwie kommen wir durch, die Staus
sind überschaubar, die Verkehrsnachrichten vermelden nur Verzögerungen
im 15-30 Minuten Bereich. Das ist in der heutigen Zeit und unter den
Bedingungen der realen Verkehrtspolitik doch schon
fast fließender Verkehr!
Bis Ingolstadt geht es beinahe problemlos, doch hinter der
Raststätte Köschinger Forst, kurz nach 10:00 Uhr, werden die Kolonnen zum
abrupten Stillstand gezwungen: Nix geht mehr, überhaupt garnix. Das Handy
wird rausgekramt, schnell verschafft man sich den Überblick bei stau.info, was auf
der A9 los ist. "Vollsperrung" - mehr Info gibt es nicht.
Klicken
auf Stau bestätigen, - man ist der 9. Bestätiger. Im
Verkehrsfunk wird der Stau erwähnt, eine Zeitprognose gibt es nicht,
man bittet um Geduld und gibt den "Nachrückern" den Tipp, die
Unfallstelle großräumig zu umfahren. Das klingt nach was Größerem ...
Es herrscht fantastisches Wetter, die spätsommerliche Sonne gibt ihr
Bestes. Nach einem kurzen Rundgang dreimal rund ums Auto erneuter Blick auf Handy,
immerhin schon über 60 Staubestätigungen (!) und zahlreiche Kommentare,
die da lauten: Vollsperrung. Und wenn man eh schon auf der
Webseite stau.info ist, schaut man sich auch die anderen Staumeldungen
gleich mit an: Weiter nördlich ist echt was los, brennender
PKW, ungesicherte Unfallstellen, verlorene Spanngurte,
liegengebliebene LKWs, das lässt ja für die Weiterreise vieles
erwarten!
Man informiert die Angehörigen (es kann später werden ...),
diskutiert mit den umstehenden Staugenossen, schimpft hinter den
Motorradfahrern her, die glauben, eine Rettungsgasse wäre eine ihnen
gewidmete ganz exklusive Motorradspur, man wehrt billig gereimte Anmachsprüche
eines gescherten Ösis ab: "Wos mocht denn so a scheene Frau hier im
Stau? (Falco hätte daraus sicher einen Welthit gerappt), bestaunt, wie viele LKW-Fahrer glauben, Adiletten wären die geeigneten
Sicherheitsschuhe für den Beruf, und bringt so die erste Stunde
voll problemlos und bestens unterhalten hinter sich.
Zurück am Auto schlägt einem beim Öffnen der Tür warmer Schokoladengeruch entgegen: Die Sachertorte verträgt sich offensichtlich nicht mit der spätsommerlichen Sonnenoffensive und wenige Minuten später lässt sich auch nicht mehr verleugnen, dass die Schokoböden mit hochprozentigem Stroh-Rum getränkt wurden. Der Geruch mag im ersten Moment glücklich machen, aber beim nächsten Atemzug wird einem klar, dass die liebevoll platzierten Schokoelemente auf der Sachertorte dahinschmelzen, sich mit dem Überzug vereinigen und kleine undefinierbar Häufchen bilden. Man sieht schon vor dem geistigen Auge die Chefjurorin der Sendung Das große Backen - Fr. Schliephake-Burchard - die Augenbraue hochziehen mit der Bemerkung, es gäbe auch Tortencontainer mit Kühlakkus. Ok, ok - das nächste Mal ...
Der Tortenduft weckt Appetit: Wie lange muss man wohl im Stau stehen,
bis einem der Frevel verziehen wird, ein Stück vom Geburtstagskuchen
abzuschneiden und zu verspeisen? Selbstverständlich würde man sich
nicht an der beschwipsten Sachertorte vergreifen sondern am
alkoholfreien Käsekuchen. Doch man bleibt schließlich standhaft und trinkt
nur die mitgenommenen Wasservorräte leer. Danach zeigt sich aber bald ein Urproblem
der Gleichberechtigung: Während die männlichen Staubewohner den
busch- und baumlosen Grasstreifen zwischen Autobahn und
ICE-Hochgeschwindigkeitsstrecke nutzen und bewässern, können wir
Frauen nur verkniffen dreinblicken. Aber auch ein Busch für etwas
Privatsphäre würde nicht helfen, denn während man versuchen würde,
die Haken und Ösen des Bodies wieder zu vereinen, würde die Kolonne
ganz sicher auf Kommando losfahren und man würde bei der Rückkehr zum Auto von
einem wütenden Hupkonzert empfangen werden.
Ein ICE rauscht vorbei ... Wäre Bahn eine Alternative gewesen? NEIN!
Bei der letzten Fahrt ins Sauerland hatte man in München die
Brauchwassertanks nicht aufgefüllt, ab Nürnberg konnte keine
Toilette mehr benutzt werden, in Düsseldorf mussten alle den Zug
verlassen mit der Ansage: Der Zug hat so viel Verspätung, dass es
keinen Sinn mehr macht, zur Endstation nach Essen zu
fahren, wir sollen den Regionalverkehr nutzen. Als dann die gesamte
ICE-Passagier-Ladung versuchte, den Regionalzug zu entern, hatten wir Zustände wie in
Indien ... Wird aber in Zukunft nun alles besser, das Klimakabinett
tagt, die Verkehrswende kommt und Deutschland geht
voran!
Wäre Fliegen eine Alternative gewesen? NEIN! Zum einen hätten Greta
und ihre Anhänger politisch korrekt, aber missbilligend geguckt und die Flugscham hätte einen
vermutlich fast erstickt. Zum anderen mit zwei Torten
durch die Sicherheitskontrolle?? Geht gar nicht, die gelten als
Flüssigkeit! Ein Transport im Koffer hätte auch nur zur Erfindung
des Sacher-Smoothies geführt (vielleicht der Renner bei der
Höhle der Löwen?), ganz abgesehen davon, dass der
ausdampfende Stroh-Rum sicher zu den ganz gefährlichen explosiven und
somit verbotenen Flüssigkeiten gehört - Terror von links oder gar
rechts, von oben oder unten?
Wäre Flix-Bus eine Alternative gewesen? NEIN! Man stände ja hier auch im Stau mit Tortencontainer in der Ablage über dem Kopf und sicher hätte ein gläubiger Muslim, seine konvertierte Begleitung oder eine Mutter mit Kleinkind das Busunternehmen wegen der mit Alkohol vergifteten Atemluft verklagt.
Der Blick fällt aufs Navi: Es zählt die Ankunftszeit gnadenlos hoch und auch das Wissen, dass es die TMC-Meldungen der nördlichen Staus nicht in die Prognose einrechnet, ist nicht sehr beruhigend. Ein weiterer Blick auf's Handy zeigt nun weit über 200 Bestätigungen (!) des Staus und zahlreiche Kommentare. In Ingolstadt Nord geht nichts mehr, da alle versuchen, die Autobahn zu verlassen ...
Nach und nach verbindet sich unser Stau, der immer länger wird, mit
dem Stau an der Ausfahrt Ingolstadt Nord. Wenn das kein Erfolg ist:
Aus zwei Staus entsteht nun ein Stau, eine Reduzierung um 50%, geht
doch - trotz Verkehrspolitik!
Der Kuchen lockt - aber wir bleiben hart. Nach 2,5 Stunden geht es endlich weiter: Viele rasen entnervt und wie gewohnt hirnlos, man muss ja schließlich die Zeit im Stau aufholen - oder sollte man etwa bedenken, dass man auf diese Weise schon bald selbst Ursache für eine weitere Autobahnvollsperrung werden könnte ..?
Bayern
zieht sich hin, es ist schließlich ein großer schöner Freistaat: Die Raststätte
Greding ist überfüllt. Es ist Mittagszeit, die
Passagiere vieler Reisebusse und die Staugenossen haben alle nur ein
Bedürfnis. Bereits an der Eingangstüre stehen wir an, die ganze
Treppe hoch und den Flur lang. Ein wenig Genugtuung gibt die
Tatsache, dass auch alle Männer anstehen müssen, denn vor dem
Automaten herrscht Gleichberechtigung. Hinter der Schranke ist damit
aber schon wieder Schluss: Die Herren verschwinden schnell in ihrer
Abteilung, um kurze Zeit später sichtlich erleichtert wieder
davonzueilen ...
Wir Frauen stehen auch hinter dem Einlassautomaten an: Das lohnt sich mitunter, denn die eiligen Herren lassen - auch wenn man hinter ihnen herruft - den Gutscheinbon zurück und so sammeln wir einen 50 Cent Gutschein nach dem anderen ein. Für einen Schluck Wasser reicht es zwar nicht, aber der Espresso kostet am Schluss nur noch die Hälfte. Immerhin, nach gut einer halben Stunde sind wir wieder auf dem Weg gen Norden.
Weiter von Baustelle zu Baustelle - und bei jeder einzelnen fragt man sich, ist das nun die Baustelle mit den angesagten 5 Minuten, 11 Minuten oder gar 35 Minuten Wartezeit? Man verliert den Überblick bei all den Verkehrsdurchsagen. Aber das ist nicht genug - zwischen den Langzeit-Baustellen tummeln sich immer wieder kleine mobile Bautrupps auf der Autobahn, die neue Farbe aufbringen, Leitplanken ausbeulen oder den letzten Grasschnitt des Jahres erledigen - wann, wenn nicht heute? Und: Grün ist in, nicht nur bis in die Spitzen des Freistaats!
Vor einer Baustelle kommt es wieder zum Stillstand, die Rettungsgasse
wird - man sehe und staune - mustergültig gebildet!
Dennoch zwängt sich rechts auf dem
Standstreifen ein Pannenfahrzeug mit Blicklicht vorbei und macht
nicht einmal den Versuch, in die Rettungsgasse zu kommen. Das
verstehe, wer will - oder wer sich auskennt mit unserem Verkehr ...
5 Stunden nach Abfahrt erreichen wir Nürnberg, nach 8 Stunden Würzburg und irgendwann mal nach mehr als 12 Stunden Fahrt ist bereits das Sauerland erreicht! Einmal Kanarische Inseln und zurück wäre allerdings vermutlich schneller gegangen ...
Im Radio hören wir, heute beginnt die Demenzwoche, wie gerne würden wir diesen Tag der Demenz spenden!
Auch ist heute der kleinste Vollmond des Jahres, wer mag es ihm auch verdenken, dass er angesichts der in diesem Land real existierenden Verkehrssituation zum weitest entfernten Punkt seiner Umlaufbahn flieht, wir wären gerne mitgekommen. Uns bleibt nur noch übrig, den Tag ganz kurz zusammenzufassen:
Freitag der 13!
Friday for Future?
Friday für'n Arsch!
© 2019 Sixta Zerlauth
Anm. der Red.: Weitere Beiträge von Sixta Zerlauth finden sich in unserer Autorenübersicht!