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Erste Eindrücke von Petersburg und kurze Entstehungsgeschichte der Stadt

Petersburg, die kalte Macht und Anarchie des Reichtums: Architektonisch natürlich ein Wunderwerk, keine Hochhäuser durchkreuzen die Architektur der großflächigen Altstadt, es gibt keine Stadt auf der Erde, die so original erhalten ist ...

Umgeben von Kanälen des Newa Deltas stehen unzählige steinerne Kolosse und Monumentalbauten zum Beweis, was mit mächtiger rücksichtsloser Gewalt zu erreichen ist. So spiegelt Petersburg und seine Entstehungsgeschichte den Charakter der manchmal größenwahnsinnigen russischen Machthaber wieder.

Steine und nochmal Steine, anders war eine Stadtgründung im Sumpf des Newa Deltas nicht denkbar. Peter der Große lag im dauernden Konflikt mit Schweden, welches auch an der Mündung der Newa und am Ausfluss des Ladogasees Festungen unterhielt. Im Jahr 1703 begann im Prinzip die weitere Entwicklung zur Stadt mit dem Aufbau einer neuen Festung auf der Haseninsel, neben der zerstörten schwedischen Festung Nyen, die später Peter-und-Paul-Festung hieß. Bei archäologischen Ausgrabungen an der Stelle der alten schwedischen Festung fand man fünf verschiedene Kulturen, die bis zu 5.000 Jahre zurückreichen.

Schon das Wappen der Stadt mit einem See und Binnenanker deutet auf die wesentliche Funktion als bedeutender Transport- und Handelsplatz hin. Es wird der erste große Seehafen Russlands an der Ostsee, da Riga und Livland erst 1710 ins Russische Reich als eine der Ostseeprovinzen integriert werden.

Der Aufbau ging nur mit Gewalt von Erlassen, Ausnutzung von Leibeigenen und Auflagen von Steintransporten für anliegende Schiffe. Selbst Teile des russischen Adels wurden unter Peter I. in der neu gegründeten Stadt zwangsangesiedelt. Eine große Rolle beim Bau, der Organisation und der Verwaltung spielten vor allem deutsche und deutschbaltische Ingenieure, Verwaltungsfachkräfte und Handwerker. Das lässt sich auch in der frühen Gründung der St. Petersburgischen Zeitung in deutscher Sprache im Jahr 1727 ablesen, die ungebrochen bis 1915 (!) existierte. Ab 1712 wird Petersburg zur Hauptstadt Russlands erklärt und ist bis heute neben Moskau die bedeutendste Stadt.

Immer wieder wird Petersburg von der Flut der Ostee oder des Newadeltas heimgesucht. Zar Alexander I hat die große Flut in Petersburg 1824 mehr oder minder tatenlos miterleben müssen, was zu seinem melancholischen Rückzug und Tod in Taganrog führte. Er war des Herrschens müde und sah die Vergeblichkeit all seiner Mühen. Nach russischen Gerüchten soll er seinen Tod vorgetäuscht haben, um dann unerkannt als Bettler durch Sibirien zu ziehen. Auch Puschkin kannte diese Flut, daher das Stück Der eherne Reiter, wo ein einfacher Mensch sein Hab und Gut verliert und verzweifelt am Standbild Peter des Großen steht, welches ihn verfolgt bis in den tödlichen Wahnsinn.

Hier klingt das alles schon nicht mehr patriotisch, sondern eher skeptisch ...

Aktuelle Bilder aus Petersburg

Teure Fahrzeuge durchkreuzen in Horden die Stadt, noch einige westliche Luxuslimousinen, aber die Chinesen bestimmen mehr und mehr in Russland den Automarkt. Reichtum wird präsentiert. Man kann auch mal ein Auto ohne Kennzeichen fahren, wenn man genug Geld hat ...

Der Begriff der Oligarchen wird im Westen im Wesentlichen auf Osteuropa bezogen, auf jene Personen, die sich bei der Auflösung der Sowjetunion gnadenlos und rücksichtslos, oft unter Umgehung oder Missachtung der Gesetze (wenn vorhanden), oder durch betrügerische Bauernschläue zu Reichtum gekommen sind. Die erste Riege der Anschaffer geht mittlerweile bald in Rente oder den Tod, aber der gesamte Familien- und Freundesclan treibt weiter sein Wesen abgeschottet von der einfachen Bevölkerung. Viele von ihnen kaufen sich in Parteien und Politik ein oder setzen mit Geld Strohmänner ein, um ihren Einfluss zu verdecken. Deshalb sind viele politische Amtsinhaber im Osten (wie aber auch im Westen) in höchstem Maße suspekt und in keiner Weise mehr eine Stimme des Volkes oder Volksvertreter.

Die wenigen Gespräche, die ich bisher hier in Petersburg geführt habe:

Ein junger Mann sagt bezüglich des Ukraine Krieges, es sei Propaganda von beiden Seiten, man kann keiner Seite wirklich Glauben schenken, er sieht auch die Gefahr der weiteren Zuspitzung. Eine Frau, gebildet, in besseren Jahren, sieht keine große Gefahr, meint, es wird sich bald alles friedlich lösen. Ein junges Pärchen mit schlechtem Englisch zeigt sich erstaunt, dass es für mich einfach möglich war, nach Russland zu fahren.

Die Geschäfte und Supermärkte sind reichlich vorhanden und gefüllt auch mit allen möglichen Waren und Luxusartikeln aus dem Westen. Es gibt auch eine Nobelpassage im alten Stil am Newski Prospekt, wo man teure, edle  "Kleinigkeiten" speisen kann ...

In der Nähe befindet sich auch das Denkmal für Katharina die Große, eine deutsche Zarin aus Sachsen, die besonders viele Deutsche angeworben hat, nach Russland überzusiedeln, insbesondere in das Wolgagebiet, welches nach 1917 zur Autonomen Republik der Wolgadeutschen bis 1941 wurde. Danach hat Stalin alle dortigen Deutschen deportiert und viele umgebracht ...

Die nächsten Tage folgte etwas Stadtbesichtigung, man kann Kilometer durch Petersburg wandern und sich an der Architektur sattsehen, bis einen die Füße nicht mehr tragen wollen. Allerdings, wenn man genauer hinschaut, sieht man, dass doch auch vieles leersteht ...

Die Verbindung zu Europa ist noch nicht vollständig vergessen, auch wenn Europa selber Russland die Türen verschließt. Die Newa ist gerade erst aufgetaut, die Seitenarme und Kanäle sind noch alle zugefroren, Eisgang bildet sich auf der Newa ...

Die Metrostationen sind immer unterschiedlich gestaltet, mitunter kann man keinen Zug sehen, sondern in der Mauer öffnen sich nur Zugangstüren. Manchmal gibt es kleine Blitzeinlagen zwischen den Metrostationen: Zum einen laufen ein paar Händler mit Bauchladenwaren herum, um einen kleinen schnellen Verdienst zu erlangen, oder es gibt auch Live Musik. Das muss alles sehr schnell gehen, da auf den Bahnsteigen immer Miliz und Sicherheitsbeamte zu finden sind, die das wohl nicht tolerieren würden ...

Schließlich habe ich eines Abends ein edles Restaurant gefunden, wo sich das Petersburger Nachtleben bewegt, interessanterweise war das Restaurant mit großer Bar überall mit deutschen Trinksprüchen dekoriert. Ja, die deutsche Biertradition hat in Russland immer noch große Bedeutung, wie man auch am Importbier sehen kann. Auf dem Heimweg konnte ich noch die großartige Beleuchtung bewundern ...

Dann bin ich zum Bahnhof gefahren, Metrostation Ladozhskaya, um ein Ticket für den Zug nach Kirow zu kaufen. Dort konnte ich noch eine kleine Tafelausstellung zur grausamen Einkesselung von Leningrad betrachten, wo ca. eine Million Menschen verhungerten. Putin hat übrigens die aktuelle Situation im Gaza-Streifen damit verglichen, nicht ganz zu unrecht ...

Der unfreiwillige Hospitalbesuch

André, ein Bekannter von Bruno in Liepaja, kam abends in meinem Hotel vorbei, um ein Buch abzuholen, das ich für ihn mitgenommen hatte. Dann entschieden wir uns, gemeinsam etwas zu trinken, ich hatte noch etwas Cognac auf dem Tisch, er informierte seine Frau, dass er das Auto stehen lassen und später mit Metro oder Bus zurückkommen würde. Da der Rest Cognac nicht genug war, kauften wir noch eine Flasche in der Nähe bei einem Magazin ...

Es stellte sich heraus, das auch er ein Bücherkunde von mir ist: Er forscht zur Geschichte Liepajas, da seine Vorfahren von dort kommen, er hat schon 3.000 Bücher und Dokumente dazu gesammelt und meinte, auch in der Nähe von Pilten hätte es einen Militärflughafen des 51. Jagdgeschwaders gegeben. Er hat einen guten Job in der PVC-Herstellung und ist vor Corona jedes Jahr nach Libau gereist. Jetzt kann er wegen des Kriegs nicht mehr über Finnland nach Lettland einreisen. Wir befürchteten beide, dass bald alle Grenzen zu Russland komplett geschlossen werden von Seiten Europas. Zur Zeit könnte er noch über Italien mit dem Flugzeug einreisen, aber er hat Flugangst ...

Internet Verkäufe wurden seiner Meinung nach in Corona Zeiten um ein Vielfaches gesteigert. Und all die Leute, die damals und auch danach ihre Jobs und Existenzen verloren haben, wo sollten sie hingehen? In die Armee!

So drehte sich das Gespräch auch weiter um ein Militärbuch, das ein Bekannter von mir in Pilten sucht. Er versprach es zu besorgen. Dann muss ich irgendwie bewusstlos auf dem Boden in meinem Zimmer gelegen haben und er rief die Ambulanz, da er wohl Halluzinationen hatte und dachte, ich wäre vielleicht tot. Die Männer von der Ambulanz kamen dann auch und hatten den Verdacht einer eventuellen Vergiftung durch Nowitschok oder ähnliches, und riefen deshalb auch noch zusätzlich die Miliz. Mehr wusste er dann auch nicht mehr, er hatte meinen Notizblock noch eingesteckt ...

Ich habe etwas Geld auf dem Weg ins Hospital verloren oder die Miliz hat wahrscheinlich auch einen Anteil genommen und sein teures Taschenmesser vermutlich ebenfalls entwendet. Dies alles habe ich später von André erfahren, den seine Frau dann in der Nacht auch sturzbetrunken abholte, er hat am nächsten Tag nur im Bett gelegen, wie er mir schrieb ...

Mit Katheter an Händen und Füßen auf der Bahre festgeschnallt dachte ich mir, welcher Film wird hier gespielt, als ich Spätvormittags erwachte. Ich wurde dann bald entlassen mit dem Hinweis, ich solle heute nichts mehr trinken. Vom Hospital aus bin ich schließlich ohne Geld mit dem Bus gefahren und habe die Sicherheitsleute in der Metro noch überredet, mich durchzulassen ...

Die Geschichte mit dem Hospital war, wie ich später zu Alexander sagte, ein "Gentleman Agreement": Ich habe die Situation wohl auf Teufel komm raus provoziert, mich bis zur Bewusstlosigkeit zu betrinken. Dafür hat man in Russland durchaus Verständnis, deshalb wurde daraus auch kein großes Aufheben gemacht. Der ganze Einsatz, wenn ich ihn hätte offiziell bezahlen müssen ...

Als ich am nächsten Nachmittag nach der Befreiung aus dem Hospital unbedingt Geld wechseln musste und im Hotel an der Rezeption fragte, die das anscheinend nicht machen konnte, fiel mir der Pförtner ein, mit dem ich immer ein bisschen geplaudert hatte. Und der mir auch gleich, als ich ins Hotel zurückgekommen war, zwei Reparaturbiere anbieten wollte, weil er ja wusste, was passiert war. Deshalb sprach ich ihn an, ob er mir eventuell 20 Euro gegen Rubel einwechseln könnte. Wie viel Rubel ich denn dafür haben wollte, meinte er, und ich sagte, 170 Rubel wären in Ordnung. Anschließend bin ich wieder zurück zur Spasskaya Metrostation gefahren, weil ich zum einen dort ein paar Schuhe zur Reparatur hatte und zum anderen noch eine Geldwechselbude suchen wollte, die glücklicherweise auch in der Nähe war. Die Schuhe wurden also abgeholt und es ging wieder zurück mit der Metro zur Station Lesnaya, dort folgte noch ein Bier mit einem Russen in einer kleinen Bierbude ...


© 2024 Michael Gallmeister