Kapitel 7: Irkutsk und Baikalsee
Ein kleines Hotel in Irkutsk in der Altstadt hat mir mein Bekannter aus Kirow vermittelt, sauber, mit eigenem Balkon, Toilette, Bad und Gemeinschaftsküche, die Nacht 30 Euro. Gleich unter dem Hotel befindet sich ein ein koreanisches Restaurant mit etwas gehobener Qualität, wo man für 5 Euro viele Töpfchen mit Reis, Salat, Gemüse und dünnen gerösteten Schweinescheibchen bekommen kann. Es liegt etwa 30 Meter neben dem hübsch gestalteten Park der Altstadt, die noch viele alte Gebäude hat ...
Nochmal konnte ich den Bahnhof bei Licht betrachten und wegen einer Verspätung von mehr als 5 Stunden solle ich Kompensation beantragen, meinte ein russischer Bekannter, man könne so den ganzen Fahrpreis zurückerhalten.
Nun, ich konnte den Spaß ja mal versuchen, also auf zum Schalterzentrum, wo eine Dame nur damit beschäftigt war, nicht wahrgenommene Wartenummern weiterzureichen. Aber als ich mit meinem Problem kam, hatte sie mal etwas Abwechslung. Gleich hieß es erst mal ein paar Papiere auszufüllen ...
Schließlich stellte sich heraus, dass ich die Kompensation nur auf ein russisches Konto auf meinen Namen bekommen könne, und diese beträgt pro Stunde Verspätung 3 % vom Fahrpreis, also wären das etwa 15 EUR gewesen. Gut, dann lassen wir das …
Als nächstes habe ich den Zentralmarkt angesteuert, um mir ein Bild vom Handel und Wandel der Stadt zu machen. Die Taubenplage ist auch hier unübersehbar.
Wieder einmal begab ich mich auf die Suche nach frischem Schafs- oder Ziegenkäse, die bisher in Russland erfolglos blieb, doch siehe da, eine Armenierin hatte ein Stück Schafskäse eingeschweißt aus Armenien, davon habe ich mir gleich etwas gekauft, der Kilopreis lag aber bei über 10 Euro. Auch Beeren spielen hier eine große Rolle ...
Die Straßenbahn in Irkutsk ist ein wenig veraltet und rumpelig, kostet dafür aber nur für eine Strecke 30 Rubel. Interessant ist, dass man dort nicht wie üblich beim Einsteigen eine Fahrkarte kauft, sondern erst beim Aussteigen bezahlt. Mitunter verfügen die Wagen noch über Holzsitze.
Nach dem Mittagessen in einem ziemlich leeren aserbaidschanischen Restaurant, das aber auch Schaschlick-Kebab vom Lamm hatte, machte ich mich auf die Suche nach einem Deutschen Institut, das früher mal eine zweisprachige Zeitung in Irkutsk herausgegeben hat. Meine Suche war schließlich auch erfolgreich ...
Mit der Leiterin des Humboldt-Instituts in Irkutsk habe ich ein längeres Gespräch geführt: Sie leitet seit 16 Jahren dieses Institut und hat es auch aufgebaut. Seit 2022 bekommt sie so gut wie keinen Besuch mehr aus Deutschland und hat somit auch wenig Gelegenheit, deutsche Sprache anzuwenden. Das Institut unterrichtet im Wesentlichen Deutsch für Menschen von 5 bis 70 Jahren, die aus unterschiedlichen Interessen heraus die Sprache erlernen wollen. Wissenschaftler, Studenten und auch Rentner, die Deutsch in der Schule gelernt, aber so gut wie alles vergessen haben sowie auch Leute, deren Enkel mittlerweile in Deutschland leben und arbeiten und Russisch überhaupt nicht mehr können, möchten hier ihr Deutsch etwas auffrischen.
In Irkutsk gab es bis etwa 2011 auch eine deutsch- russischsprachige Zeitung, welche meist von Studenten erstellt wurde. Leider gibt es die jetzt aber nicht mehr. Viele Deutsche wurden nach Beginn des Zweiten Weltkriegs nach Irkutsk und ins weitere Sibirien deportiert. Es gab auch ein deutsches Dorf am Rande von Irkutsk. Die Menschen, die in Sibirien leben, auch die Deutschen, sind aufgrund der Zwangsumsiedlung interessanterweise wenig zu gemeinsamen Aktionen, Plänen und Handlungen bereit. Das bedeutet, dass ein Vereinswesen der Deutschen untereinander so gut wie gar nicht existiert im Raum Irkutsk.
Dennoch ist es so, dass man sich untereinander hilft, aber nur dann, wenn die Not am größten ist. Bei kleineren Problemen sollte jeder selbst die Dinge lösen ...
Meine Gesprächspartnerin hat dasselbe Problem wie die Sprachschule in St. Petersburg, das heißt, in Deutschland werden sie nicht so gerne gesehen und anerkannt, da sie als die bösen Russen gelten, und in Russland geht es ihnen nicht anders, da sie dort als Spione oder Agenten von Deutschland betrachtet werden. Sie steckt in einem gewissen Dilemma, denn einerseits soll sie die moderne deutsche Kultur vermitteln, aber andererseits weiß sie auch, dass z.B. diese LGBT-Sache in Russland nicht gerne angenommen wird. Dennoch geht der Betrieb weiter, es ist eine gemeinnützige Organisation, welche im Wesentlichen vom Goethe-Institut unterstützt wird, das sich bisher noch nicht gänzlich aus Russland zurückgezogen hat.
Interessant war noch, was sie über die Corona-Zeit berichten konnte: Es waren nur ein, zwei Monate, in denen man versucht hat, größere Restriktionen in Irkutsk durchzusetzen, aber schon im Mai 2020 wurde wieder ganz normal unterrichtet und es gab so gut wie keine weiteren Beschränkungen. Es reichte auch, dass ein oder zwei der Lehrer geimpft worden waren und man das den Behörden vorlegen konnte. Danach gab es keine weiteren Nachfragen oder Prüfungen. Relativ ähnlich sahen wir diese Corona-Veranstaltung als teils gemacht und teils durch Panik hervorgerufen, die aber letztlich der wirklichen Begründung entbehrte ...
Weiter ging es durch die Stadt, ich kam an der neu renovierten jüdischen Synagoge vorbei. Ein Frühstück habe ich mal in einem kleinen bücheraffinen Café zu mir genommen mit einem typischen Beerenkeks ...
Dann stand der Ausflug zum ca. 50 km entfernten Baikalsee auf dem Programm, mit einem öffentlichen Bus kann man relativ leicht dorthin gelangen. Übrigens, eine Yandex App hat mir in den Städten immer sehr geholfen, da sie auch englisch funktioniert. Nach ca. einer Stunde kam ich am Baikalsee an, im Sommer wird es dort touristisch ziemlich überlaufen sein, aber bei aktuellen Außentemperaturen von 5°C – 7°C hatte ich Mühe, überhaupt noch ein Boot für eine Exkursion zu finden.
Wir fuhren eine Weile an der Küste entlang. Ich habe einen Baikalfisch (Omul) gegessen, er schmeckt wie Bachforelle, war allerdings mit knapp 18 Euro ziemlich teuer. Er soll aber frisch und nicht eingefroren gewesen sein, wie man mir auf Nachfrage versicherte ...
Mitunter haben auch einfache Kneipen ein schöne Dekoration. Selbst alte Kinos und Theater existieren noch. Die Feuerwehr hat auch heute noch eine große symbolische und faktische Bedeutung. Und der amerikanische Wahn ist immer noch präsent. Die Werbetafeln für das Militär am Park neben dem Hauptplatz der Stadt dienen nicht wirklich der Verschönerung ...
Es folgte der Besuch des örtlichen Museums, es liegt ganz der Nähe des malerischen Flusses Angara ...
Im Museum wird über die Entwicklung und Fluktuation der Völker sowie über die Verbannten in Sibirien berichtet. Auch die Chinesen, Mongolen waren zahlreich vor Ort vertreten ... Die hier dokumentierte Geschichte der Transsibirischen Eisenbahn ist umfangreich, an dieser Stelle nur ein paar Anmerkungen.
Sergei Juljewitsch Witte (1849-1915) war einer der führenden und treibenden Kräfte bei der Entwicklung nicht nur der Transsibirischen Eisenbahn, er kam aus einem deutschbaltischen Haushalt, sein Vater hieß Julius Christoph Heinrich Georg Witte. Wieder ein Beispiel für die Bedeutung der deutschstämmigen Techniker, Ingenieure, Geographen, Entdecker, welche einen wesentlichen Anteil beim Aufbau russischer Infrastruktur hatten.
Die Streckenführung hat sich heute ein wenig geändert, früher wurden mit einer Eisenbahnfähre die hohen Berge umfahren.
Auch der Buddhismus spielte in der Region eine bedeutende Rolle, er kam im 17. Jhdt. über Nepal und die Mongolei nach Russland und hat sich besonders in Burjatien und Kalmückien gehalten. Der Buddhismus ist bis heute in Russland eine von vier anerkannten Staatsreligionen.
Der Hinweis auf den Großen Vaterländischen Krieg darf natürlich ebenfalls nicht fehlen. Auch der 1968er-Zeit wird gedacht, obwohl sich diese Bewegung in Russland gegen den allmächtigen Staat nie wirklich entwickeln konnte ...
Auf der Straße sehe ich usbekische Gastarbeiter, die sich untereinander nicht auf Russisch unterhalten. Man hat in Irkutsk auch eine Flaniermeile entwickelt und in der Stadt steht Alt neben Neu.
Mein späteres Ziel eine Grillbar im ersten Stock, doch die Treppe war blockiert durch einen volltrunkenen Mann, der die Treppe heruntergestürzt war. Daneben standen zwei Sicherheitsleute völlig unbeeindruckt und sagten mir, kein Problem, ich solle einfach drüber klettern. Als ich nach einer Stunde wieder hinunter ging, lag er noch immer da ...
Nun ging der Weg am nächsten Mittag zum Flugplatz, auch dort wieder Alt neben Neu, zunächst nach Moskau und dann mit nur einer guten Stunde Aufenthalt weiter nach Kaliningrad. Und auch hier wieder deutsche Technik im Einsatz, ein "Cobus" ...
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