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Kapitel 3: Petropawlowsk, die Hauptstadt Kamtschatkas

Angekommen am anderen Ende der Welt, in Petropawlowsk, der Hauptstadt der Halbinsel: Damit auch am Ende von Russland gewissermaßen. Aleksander hatte jemanden beauftragt, mich am Flughafen abzuholen und dann zu einem Hotel zu bringen. Maxim erwartete mich auch, wir fuhren Richtung Stadt und hielten im Außenbezirk an einem Hotel an. Er meinte, das wäre ganz gut und würde 85 Euro die Nacht kosten.

Darauf erklärte ich ihm erst mal, dass meine Finanzen für solche Preise nicht vorgesehen wären und was ich mache, wie ich lebe. Nun, dann suchte er im Internet Privatunterkünfte, rief hier und dort mal an, fast eine Stunde verging ohne Ergebnis, bis er schließlich einen Freund am Hafen kontaktierte, Kapitän einer Yacht für einen der vielen Oligarchen. Der empfahl dann Maxim ein kleines Hotel/Hostel direkt am Hafen namens Caravelle. Wir fuhren dort hin, der Fischer- und Yachthafen liegt direkt in der "Altstadt", es war der erste Hafen auf Kamtschatka.

Wehrhaftes Petropawlowsk ... Der Fischer- und Yachthafen liegt direkt in der "Altstadt"
Kleines Hostel direkt am Hafen 20 Euro pro Nacht ...

Nachdem das mit dem Zimmer geklärt war, 20 Euro pro Nacht, der Betreiber war Armenier, lud mich Maxim ein, mit ihm noch seinen Freund Konstatin gleich auf der anderen Straßenseite im Yachthafen zu besuchen. Dort tranken wir einen Tee und plauderten ein wenig, und ich erprobte mal den Kapitänsstuhl ...

Konstantin, der Kapitän der Yacht, erzählte - er sprach ganz leidlich Englisch -, wie er zusammen mit Maxim vor ein paar Jahren mit der Yacht von Südkorea nach Petropawlowsk geschippert war, ein Abenteuer. Zum Abschied schenkte er mir noch eine Flasche Samajgon, Selbstgebranntes aus Kamtschatka.

In einem der wenigen alten Häuser befindet sich eine Schaschlik-Bar, dort treffe ich per Zufall den Eigentümer des Hauses, Arkadi. Er würde gerne nach Italien auswandern und einen EU-Pass bekommen. Er meint, das ginge, wenn man sich jetzt in Moldawien als Einwohner registrieren würde. Dann könnte man, wenn Moldawien in die EU käme, für ca. 30.000 Dollar auch den EU-Pass bekommen.

Er ist ein alter Spieler, hat schon im Casino Unmengen von Geld gelassen, jetzt ist ihm nur noch das Haus geblieben, welches er hofft für 400.000 $ verkaufen zu können. Ich habe ihm gesagt, das hielte ich für sehr unrealistisch. Hier kostet ein Bier 1,50 Euro und das Schaschlik mit Fladenbrot ca. 6 Euro ...

Altes Haus mit Schaschlik-Bar ... Abend an der Awatscha Bucht

Heute am ersten Abend sitze ich an der Awatscha Bucht, nach Angaben der Einwohner die größte natürliche Bucht der Erde. Ein Teil der Bucht ist leider nicht zugänglich. Ich hatte gedacht, angesichts der sich ausbreitenden Kriegsgefahr und möglicher Atomschläge wäre ich hier auf Kamtschatka am sichersten Teil der Erde, ein Irrglaube: In der Bucht befindet sich die militärische Sperrzone mit russischen Atom U-Booten, und man sagte mir, nur 100 km vor der Küste würden die amerikanischen Kriegsschiffe patrouillieren …

Genau gezielt: Möwenkacke ... Die Stadt ist ziemlich abgerockt, ich werde die nächsten 14 Tage in dem billigen Hotel am Hafen verbringen. Weshalb, könnte man fragen? Die Neugier, welche nicht durch Ansehen von Bildern, sondern nur durch Erleben befriedigt werden kann? Die Lust am Abenteuer, der Adrenalinkitzel, wenn man sich in völlig unbekannte Gegenden begibt, das ausgeliefert sein in ungeplanten Situationen? Oder einfach die Überdrüssigkeit seines gewohnten alltäglichen Selbst ..?

Die letzte Grille höre ich heute spätnachmittags zirpen, vergeblich, wie alles auf Zeit gespielt. Wie Dimitri so schön sagte, Glück ist etwas für Lügner. Der Sichelmond steht noch über den Wolken linkslastig und wird bald verschlungen sein. Und wieder schaut man übers Meer gen Westen oder kann man von hier aus immer noch nach Osten schauen? Eine Möwe kackt mir aufs Knie ...

Bevor der Wahnsinn sich nur im Kopf ausdehnt, soll er in unsinnigen ziellosen Handlungen münden ...

Geschichte Kamtschatkas und Petropawlowsks

Iwan Iwanowitsch Kamtschaty nahm 1657 an der an der Entdeckungsfahrt Fjodor Alexejewitsch Tschukitschews teil, welche beide bis zum größten Fluss Kamtschatkas führte, der auch heute noch den Namen des Mitentdeckers trägt, ebenso wie die Halbinsel.

Mit Daniel Gottlieb Messerschmidt begann die eigentliche wissenschaftliche Erforschung Sibiriens, Peter der Große lernte ihn 1716 in Danzig kennen und überredete ihn, eine Forschungsexpedition nach Sibirien zu unternehmen.

Von 1725 bis 1730 brach Vitus Bering, ebenfalls auf Anregung Peter des Großen, nach Kamtschatka auf, um eine Landverbindung nach Amerika zu suchen. Das Ergebnis war enttäuschend, deshalb brach er 1733 zur Zweiten Kamtschatka-Expedition auf. Mit über 3.000 direkt und indirekt beteiligten Personen war die Zweite Kamtschatka-Expedition eines der größten Expeditionsvorhaben der Geschichte. Die Gesamtkosten des vom russischen Staat finanzierten Unternehmens beliefen sich auf die für damalige Zeiten unvorstellbar hohe Summe von geschätzten 1,5 Millionen Rubel, was ungefähr einem Sechstel der Einnahmen Russlands im Jahr 1724 entsprach. Auf dieser Expedition bewährte sich Georg Wilhelm Steller, der unzählige botanische und zoologische Beobachtungen machte und dokumentierte, unter anderem die weitgehend ausgestorbene Seekuh noch lebend sah und und zeichnete ...

Büste von Vitus Bering Schädelreste der Stellerschen Seekuh Altes Schiffsruder
Der Bär darf nicht fehlen ... Merkwürdiger Kraftstoffdeckel ... Kurilen-Expedition: Entdeckungen ... Weitere Dokumentation zum Fund

Eines unserer Bilder zeigt die Schädelreste der Stellerschen Seekuh im Historischen Museum von Kamtschatka, folgend die Büste Berings und ein altes Schiffsruder, natürlich darf der Bär nicht fehlen.

Noch ein merkwürdiger Fund ist im Museum ausgestellt: Ein Kraftstoffdeckel wurde bei der Ersten Kurilen-Expedition im Zusammenhang mit Überresten der japanischen Eroberungstätigkeiten im Zweiten Weltkrieg gefunden.

Wie und warum das deutsche Fass den Weg bis zu den Kurilen gefunden hat, bleibt wohl eine verborgene Geschichte. Die Theorie wäre, da Japan mit Deutschland verbündet war, haben sie vielleicht die Deutschen 1943 zum Teil mit Treibstoff versorgt, obwohl sie selber an Treibstoffmangel litten ..?

George Kennan berichtet von seiner Reise nach Sibirien 1864 über das Städtchen Petropawlowsk in seinem "Zeltleben" -Werk":

"Mit dem Namen Kamtschatka hatten wir in unserem Geiste stets die Vorstellung von Unfruchtbarkeit und Unwirtlichkeit verbunden, und der Gedanke wäre uns gar nicht gekommen, dass dies Land schöne Szenerie oder üppige Vegetation bieten würde. Wir hielten es für eine ausgemachte Sache, dass in dem eisigen Klima höchstens Moose, Flechten und vielleicht noch ein wenig Gras den ungleichen Kampf ums Dasein führen könnten. Man kann sich vorstellen, mit welchem Entzücken und welcher Überraschung unser Auge auf den grünen Hügeln ruhte, die mit Bäumen und Gebüsch bedeckt waren, auf Tälern mit weißglühendem Klee und Heinen von Silberbirken, selbst von den Felsen nickten uns wilde Rosen und Akelei zu, die in den Spalten derselben Wurzel gefasst als ob die Natur die Beweise früherer Umwälzungen unter einer Blumenhülle verbergen wolle. In einer kurzen Stunde kamen wir in Sicht der hohen isolierten Felsen, die drei Brüder genannt, fuhren an einer felsigen, steilen Insel vorüber, die von einer Unzahl schreiender Möwen und Enten mit Papageienschnäbeln umgeben war, und gegen 2 Uhr befanden wir uns auf der Höhe der Landzunge, welche die Awatcha Bai bildet, und auf der das Dorf Petropawlowsk liegt. Die Szenerie übertraf unsere kühnste Erwartung. Grüne Täler zogen sich von den Einschnitten der felsigen Küste bis in die fernen Berge."  ...

"Eine kleine Gruppe von Blockhäusern mit roten Dächern, eine griechische Kirche von eigentümlichem Stil mit grüner Kuppel, ein schmaler Strand, ein höchst vernachlässigter Landungsplatz, zwei Walfischboote und das abgetakelte Wrack eines halb versunkenen Schiffes, das war es was ich unseren Blicken darbot. Ruhe, mit Bäumen verdeckte Hügel umgaben die Ansiedlung in einem Halbkreise und umschlossen fast den teichartigen ruhigen Hafen, eine kleine Bucht der Awatscha Bai." ...

George Kennans Buch ... Einstiges Dorf Petropawlowsk Ähnliche Entdeckungen von Sten Bergmann

"Die Stadt ist übrigens nicht charakteristisch kamtschadalisch, denn die civilisierenden Einflüsse fremden Verkehrs haben sich hier geltend gemacht, in ihrer Lebens- und Denkweise findet man einige Spuren von Aufklärung und modernem Unternehmungsgeist. Schon seit Beginn des 18. Jahrhunderts hat es als Niederlassung existiert und wäre alt genug um eine eigene Kultur zu besitzen, aber hohes Alter ist für eine sibirische Stadt kein Kriterium für Entwicklung, und Petropawlowsk ist entweder noch nicht zum Stadium der Reife gelangt oder in seine zweite Kindheit eingetreten, denn es befindet sich noch in sehr entwicklungsbedürftigem Zustande. Es besitzt zwei Denkmäler zur Erinnerung an die berühmten Seefahrer Behrings und La Perouse, und auf dem Hügel sind Spuren der zur Zeit des Krimkrieges errichteten Befestigung, um den Angriff der Verbündeten französischen und englischen Geschwader zurückzustoßen."

Fünf Minuten von meinem Hotel entfernt auf einem von Kennan beschriebenen Hügel ist heute eine Ausstellung platziert, die sich mit der Verteidigung gegen Ende des Krimkrieges im Jahr 1854 befasst. Sten Bergmann schreibt Anfang der 1920er Jahre Ähnliches wie Kennan in seinem Buch über "Reisen und Erlebnisse im wilden Kamtschatka".

Ausstellung zum Krimkrieg ... Verteidigung gegen Kriegsende im Jahr 1854 5 Minuten entfernt vom "Kennan-Hügel"

Wie Bergmann merkt man auch heute, dass die Ureinwohner im Stadtbild verschwunden sind und stattdessen wie damals eine Menge Russen aus allen Gebieten des großen Reiches hier vertreten sind ...


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