Europa-"History" 2003
Auf der Suche nach dem "Ostpunkt" ...
Vorbemerkung der Red.: Autor Ludwig Hauhoff, genannt "Hauy", hatte uns in seinem Eingangsbeitrag Reisen in Europa sowohl sein aktuelles Fahrzeug vorgestellt als uns auch seine Gedanken zu eben diesem Reisen näher gebracht. Wichtiges Thema dabei waren auch aktuelle wie frühere Reiseziele, wobei besonders ein Projekt unser spezielles Interesse weckte: Die Reisen und die Suche nach den "OstWestNordSüd-Punkten" an den "Eckpunkten" Europas.
Hauy berichtet uns nun vom ersten Ziel bei diesen "Eckpunkten", nämlich der Suche nach dem östlichsten Punkt Europas, die im Jahr 2003 mit einer Reise voller Strapazen, unvergesslicher Eindrücke und jeder Menge Hitze und Mücken verbunden war - der Stoff also, aus dem echte Abenteuerreisen gemacht sind!
Wie es anfing ...
Ich sitze irgendwo auf einem Campingplatz vor meinem Zelt bei einem Tee und überlege, welche interessanten Touren ich noch unternehmen könnte: USA, Australien, Südamerika, alles das interessiert mich nicht. Erstens, weil der Aufwand viel zu hoch ist, evtl. eigenes Fahrzeug rüberbringen, etc. und zweitens, für meinen Geldbeutel zu teuer. Mich interessieren deshalb nur Touren, die ich von meinem Heimatort aus starten kann. Und auch aus einem anderen Grund, den ich schon einmal angesprochen habe: Um unsere "Nachbarn" kennen zu lernen. Die lernt man am besten kennen, wenn man sie "zu Hause" besucht ...
Dann fällt mein Blick auf die vor mir liegende kleine Europakarte: Interessiert schaue ich mir diese an. Mein Blick wandert auf die östliche Grenze Europas, die in Russland liegt. Der Ural ist die natürliche Grenze zu Asien. Aber da es keine politische Grenze gibt, kann der östlichste Punkt auch nicht genau definiert werden. Sie verläuft über den Bergrücken des Ural.
Aber plötzlich habe ich die Idee: Den südlichsten, westlichsten, nördlichsten und östlichsten Punkt Europas zu suchen und auch dorthin zu fahren. Die Inseln werden ausgenommen, nur auf dem Kontinent Europas will ich diese Punkte suchen. In den nächsten Wochen reift diese Idee.
Als erstes will ich den östlichen Punkt Europas suchen, an der Grenze zu Asien.
Den Arbeitskollegen und Bekannten gehe ich mächtig auf die Nerven: Die hören in den nächsten Wochen und Monaten nur immer das gleiche Thema, Russland, Ural, östlichster Punkt, usw. usw. Aber diese Idee hat sich so festgebrannt, dass sie aus meinem Gedächtnis nicht mehr zu entfernen ist.
Wenn ich darüber rede, was ich vorhabe, dann nennt man mich Spinner, du bist bescheuert, usw. Aber ich lasse mich nicht von meinem Weg abbringen und ich finde sogar noch drei weitere Mitfahrer: Gert, ein Arbeitskollege, Andreas, ein Reisejournalist und schließlich M., ein Bekannter. Den Grund für die Abkürzung dieses Bekannten wird man im Folgenden noch verstehen ...
In den nächsten Wochen suche ich verzweifelt russische Karten. Aber für die westeuropäischen Kartenhersteller hört Europa kurz hinter Moskau auf. Mir ist es nicht möglich, hier vernünftiges Kartenmaterial zu bekommen. Militärkarten aus den 60er Jahren werden angeboten, aber wer weiß, ob die noch ihre Gültigkeit haben.
Also suche ich weiter: In Weißrussland (eine kleine Reise zwischendurch ging nach Mogilov/Belarus zu Freunden) finde ich in einem Buchladen einen russischen Autoatlas, dieser ist wie geschaffen für meine Tour. Ich habe jetzt die erforderlichen Unterlagen und die Tour kann geplant werden.
Ich studiere die Karten so intensiv, dass ich die geplante Tour schon im Kopf habe. Aber den östlichen Punkt haben wir immer noch nicht gefunden.
Es ist zum Verrücktwerden: Wir suchen verzweifelt im Internet, fragen immer wieder kompetente (oder angeblich kompetente) Leute, Vermessungsingenieure, Professoren einer Uni danach, ob sie eine Ahnung haben, wo der östlichste Punkt Europas liegt. Und keiner kann mir eine Antwort darauf geben ...
Ich finde keine Informationen über den nordöstlichen europäischen Bereich Russlands. Nichts zu machen, also legen wir den Punkt selber fest: Der Ural verläuft nahe dem 60. Längengrad und zwischen dem 55. und dem 60. Breitengrad. Im Norden macht er einen Knick nach Osten: Dort liegt Workuta (bekannt durch ein Strafgefangenenlager). Hier liegt laut unserer Karte auch der östlichste Punkt. Mir ist klar, dass wir auf der Fahrt viel improvisieren müssen, insbesondere wegen der fehlenden Informationen.
Die Reise beginnt
Ende Juni 2003 geht es los: Ich habe bis zur Einreise nach Russland die Etappen festgelegt. Da ich diese Strecke bis nach Lettland schon mehrmals gefahren bin, ist das kein Problem. In Polen übernachten wir zweimal, einmal kurz hinter der Grenze und einmal im wunderschönen Masuren, dann noch einmal in Litauen und in Lettland. Kurz vor der russischen Grenze treffen wir uns mit Andreas. Er hatte eine Tour durch Litauen und Lettland gemacht.
Die Einreise nach Russland dauert ca. sechs Stunden: Bei brüllender Hitze stehen wir an der lettischen/russischen Grenze erst einmal im Stau, dann heißt es irgend welche Dokumente auszufüllen und darauf zu vertrauen, dass alles richtig ist. Gut, dass ich in einem VHS-Kurs etwas Russisch gelernt habe und die kyrillischen Buchstaben kenne. Das hilft uns ein bisschen.
Ein russischer Grenzer hat Erbarmen mit uns und hilft uns weiter. Eine nette Geste, die nicht selbstverständlich ist. Dann endlich gegen Abend fahren wir über Pskov nach Russland ein. Jetzt wird es spannend, weil keiner von uns weiß, was uns erwartet. Durch meine Reisen nach Weißrussland und der Umrundung der Ostsee habe ich schon einen kleinen Einblick in die russische Mentalität bekommen, aber was uns jetzt erwartet, weiß ich nicht ...
Zu Hause habe ich immer wieder solche Sprüche gehört: Das ist viel zu gefährlich, weißt du eigentlich was die Mafia mit euch macht, usw. Meine Gegenfrage war immer, wart ihr schon einmal da? Dann kam keine Antwort, was auch eine Antwort sein kann. Ich höre immer wieder gut gemeinte Ratschläge, ignoriere sie aber. Ich danke heute noch allen, die zur Sache nichts zu sagen hatten und trotzdem geschwiegen haben ...
Die erste Nacht verbringen wir auf einer kleinen Wiese, nicht weit entfernt von der Hauptstraße. Da es schon weit nach Mitternacht ist, bauen wir die Zelte nicht auf. Wir legen uns so ins Gras. Jetzt bekommen wir es zum ersten Mal mit den kleinen, aggressiven und sehr anhänglichen Mücken zu tun. Das soll ein kleiner Vorgeschmack auf die nächsten drei Wochen sein.
Eine böse Überraschung ...
M. liegt mit voller Montur und mit Helm im Gras: Er schnarcht wie ein Bär. Dann sehe ich einen kleinen Hund an ihn heran schleichen, ganz vorsichtig nähert er sich ihm. Bis auf einen Meter ist er heran gekommen. M. bewegt sich plötzlich und schnarcht etwas lauter, der Hund jault ganz erschreckt, steckt den Schwanz zwischen die Beine und läuft davon, was das Zeug hält. Etwas weiter weg, bellt er dann wieder mutig in unsere Richtung. Ich mache es mir in einer Fahrspur "gemütlich" und denke über den Sinn und Unsinn dieser Tour nach ...
Wir fahren zwischen Moskau und St. Petersburg in Richtung Nordosten.
Plötzlich fehlt ein Mitfahrer: M. hat sich abgesetzt und ist ohne vorher mit uns darüber zu reden, in Richtung Finnland gefahren, um von da dann wieder nach Deutschland zu kommen (das habe ich nach der Tour herausgefunden). Wir sind mit zwei BMW R80GS und zwei Honda AT unterwegs. Ich habe Medikamente und Ersatzteile auf diese vier Maschinen verteilt. Jetzt fehlt ein Fahrer und mit ihm ein paar wichtige Ersatzteile und Medikamente: Wir können es nicht fassen ...
Eines der enttäuschendsten Dinge im Leben ist wohl, etwas in einem Menschen gesehen zu haben, was offensichtlich nie existierte.
Aber es geht weiter: Jeden Tag sind mindestens 500 km angesagt, sonst ist das Ziel nicht zu erreichen. Da wir keine Ahnung haben, was noch auf uns zukommt, müssen wir zügig weiterfahren. Abends wird ein nicht einsehbarer Zeltplatz neben der Straße aufgesucht. Das Zelt wird nicht vor Mitternacht aufgebaut, um sicherzugehen, dass wir ungestört essen und schlafen können. Morgens in aller Frühe geht es dann weiter.
Da wir uns dem Polarkreis nähern, wird es auch nicht mehr dunkel. Gert meint, schlafen kann man hier nur noch mit der Sonnenbrille ...
Über Pskov, Novgorod, Cerepovec, Vologda und Totma fahren wir nach Nikol'sk. Dort kommen wir an einen Abzweig nach Norden und wir entschließen uns, in Richtung Kotlas zu fahren. Aber genau diese Entscheidung sollte uns zwei Tage kosten: Hinter Kotlas hört die Straße auf, es geht einfach nicht mehr weiter. Auf der Karte ist eine Verbindung zur Hauptstraße eingezeichnet, auf dem Navi nicht. Wir fragen Einheimische, der eine sagt, es geht, der andere sagt, "njet daroga", was soviel heißt wie "keine Straße". Also, was sollen wir glauben? Wir fahren durch Kotlas und nach einigen Kilometern gibt es nur noch eine Piste, dann nichts mehr. Hinter dem Ort gibt es tatsächlich keine fahrbare Straße mehr: Nur mit einem Panzer kämen wir hier durch ...
Wir suchen einen ruhigen Platz für die Nacht, am nächsten Tag fahren wir früh weiter. Vom Übernachtungsplatz geht es wieder auf die Straße, dafür müssen wir eine kleine Steigung bewältigen. Eigentlich nichts besonderes, nur dass diese kleine Steigung aus losem Untergrund, nämlich Kies gemischt mit Sand besteht. Einen Meter vor Erreichen des festen Untergrundes gräbt sich mein Hinterrad ein. Nichts geht mehr: Ich muss das Gepäck und die Koffer abbauen, die Maschine auf die Seite legen und das Hinterrad unterfüttern. Dann fahre ich auf die Straße und rödel alles wieder auf. Das ganze Manöver hat uns mindestens eine Stunde gekostet. Nichts mit früh weiter. Aber in Kotlas erwartet uns schließlich noch eine Überraschung: Wir kommen aus diesem Nest nicht raus!
Irgendwie fahren wir im Kreis, es ist zum k.....! Anwohner schauen schon erstaunt, weil wir dreimal an ihnen vorbeifahren. Dann endlich finden wir den Ausgang und schlagen den Weg Richtung Süden ein, genau den, den wir auch gekommen sind.
Warum die Straße aufhört, wird mir später klar: Russland ist in Bezirke aufgeteilt, ähnlich unserer Bundesländer, nur wesentlich größer. Wenn man von einem Bezirk in den anderen hinein fährt, ist das nur über die Hauptstraßen, ähnlich unserer Bundesstraßen, zu bewerkstelligen. Die Nebenstraßen hören irgendwo in der Wildnis auf, und genau so eine Straße haben wir erwischt.
An den Hauptstraßen sind dann Kontrollstellen zu passieren, damit die russische Obrigkeit einen Überblick ihrer Besucher behält. Und dieser Umstand hat uns jetzt zwei Tage gekostet.
Wir müssen zurück: Wieder nach Nikol'sk, dann in Richtung Kirow und wieder nach Norden in Richtung Syktyvkar ...
Hitze, Mücken und andere Begegnungen ...
800 km oder zwei Tage sind wir umsonst gefahren. Aber was soll´s, da müssen wir durch. Die Moral in der Truppe ist gut. Das einzige was uns Probleme bereitet, sind die Mücken und die Hitze: 40°C und mehr sind an der Tagesordnung, eine trockene Hitze. Während der Fahrt gibt es keine Kühlung durch den Fahrtwind. Dazu 24 Stunden am Tag Mücken, Mücken, Mücken. In allen Größen und Schattierungen. Egal wo wir sind, egal was wir machen, diese Scheißviecher begleiten uns immer und überall ...
Abends, wenn wir im Zelt liegen, brummt es draußen. Das hört sich an, als wenn wir neben einem großen Transformator liegen. Andreas meint, wenn die kein Blut, sondern Fett saugen würden, wäre er ein reicher Mann, dann würde er hier eine Klinik zum Fettabsaugen aufmachen. Gert schaut mich an und sagt "Hauy, wir sind freiwillig hier, ich kann das gar nicht glauben, was sind wir bekloppt".
Wenn wir an den Kontrollstellen von der Miliz angehalten werden, stellen sie Fragen, wie viele Kilometer das bis Deutschland sind, usw. ...
Unsere Motorräder werden auch begutachtet. Irgendwann fragen sie schließlich auch, was wir denn in dieser Gegend machen. Dann antworten wir, Urlaub. Erst schauen sie ungläubig aus der Wäsche, dann fangen sie lauthals an zu lachen und klopfen sich auf die Oberschenkel. Aber auf der ganzen Fahrt haben wir nicht einmal Probleme mit der Miliz oder anderen staatlichen Institutionen. Vielleicht liegt es auch daran, dass wir mit den Motorrädern unterwegs sind. Einmal fragt mich ein Russe, warum ich nicht mit meinem Auto da wäre. Ich antworte, dass ich kein Auto habe, und so befinde ich mich wohl in der gleichen Situation wie er ...
Ich habe auf meinen Touren gelernt, mich nicht wie ein Westeuropäer zu verhalten, sondern mich immer wieder auf die gleiche Stufe zu stellen mit den Einheimischen. So hatte ich nie Probleme und wurde immer wieder eingeladen und freundlich behandelt. Und kleinen Gastgeschenke hatte ich ebenfalls immer dabei.
Unterwegs sehen wir einen Bauern, wie er Grünfutter schneidet: Wir halten an und wollen ein paar Fotos machen. Anschließend werden wir zum Tee eingeladen. Wir nehmen seine Einladung an. Er fährt eine Dnepr mit Beiwagen. Als er sie ankicken will, schweigt sie beharrlich. Deshalb wechselt er die Zündkerzen. Die sind nur handfest in den Zylindern verschraubt. Nach mehrmaligem Wechsel nimmt er den Kerzenstecker in die Hand und tritt den Kickstarter. Er macht einen Satz nach hinten, schüttelt sich einmal und sagt, funktioniert, denn er hat einen Stromschlag bekommen.
Als die Maschine dann endlich läuft, führt er uns zu seiner Hütte und zelebriert uns Cai (Tee). Die Tassen haben Patina angesetzt, sind dunkelbraun vom Tee. Aber diese Einladung jetzt noch abzulehnen geht nicht mehr. Nicht darüber nachdenken, sondern mit einem Lächeln den Cai trinken. Dann müssen wir noch seinen Hof und sein Schwein - sein ganzer Stolz - besichtigen. Alle Anwohner des Dorfes sind da. Plötzlich hat einer die Idee, einen "Dolmetscher" zu holen. Dieser "Übersetzer" ist ein ehemaliger Sowjetsoldat, der in Dresden stationiert war. Aber diese Sache hat einen gewaltigen Haken: Er ist hackenstramm, ich schätze drei Promille, und er bekommt kein vernünftiges Wort heraus, weder russisch noch deutsch. Also lassen wir das. Es geht auch so: Mein kleines russischen Vokabular sowie Hände und Füße reichen, um sich verständlich zu machen. Die Motorräder werden neugierig begutachtet. Andreas hat eine Sofortbildkamera dabei: Die Bilder machen die Runde und bleiben bei unserem Gastgeber.
Diese Situation hat mal wieder gezeigt, wie wichtig es ist, ruhig und freundlich zu bleiben. Auch bewirkt ein Lächeln oft mehr als man denkt.
Die nächsten Tage fahren wir jeden Tag bis zu 600 km. Die Gegend hier ist offensichtlich menschenleer. Wir sehen keine Dörfer oder andere Ansiedlungen. Plötzlich dann aber eine Bushaltestelle und darin mindestens 30 Personen: Ich bin überrascht, wo kommen die denn her? Und ein Bus? Den habe ich noch nicht gesehen. Unglaublich, hier in der Einöde ..!
Das Tanken ist kein Problem, maximal 300 km müssen wir fahren, bis eine Tankstelle kommt. Einmal ordern wir 40 Liter Sprit für drei Motorräder. Ich sage dem Tankwart, Sorok Litre, vierzig Liter. Er antwortet "njet" und schließt die Klappe. Ich erkläre ihm mit Nachdruck, dass ich die 40 Liter Sprit brauche. Nur mit Widerwillen öffnet er die Tanksäule und ist ganz erstaunt, dass soviel Benzin in unsere Tanks passen. Erst zahlen und dann tanken, so geht das hier. Also erst einmal abschätzen, wie viele Liter die Tanks aufnehmen können, dann bestellen und zahlen. Es ist sinnvoll, immer einen Reservekanister dabei zu haben, falls zuviel bestellt wurde. Denn Geld gibt es nicht zurück.
Nach den ungläubigen Blicken der Menschen hier habe ich den Eindruck, dass wir die ersten westeuropäischen Motorradfahrer hier oben im Nordosten sind ...
In einem kleinen Dorf machen wir Pause, kaufen Wasser und etwas Proviant. Dann fragt mich ein Einheimischer etwas. Ich kann es nicht ganz genau verstehen. Aber er verschwindet und kommt einige Zeit später mit einem Pkw wieder. Er öffnet den Kofferraum und zeigt mir ein Bärenfell. Ein riesiger Braunbärkopf sieht mich aus dem Kofferraum an. Ich schaue ihn ungläubig an und frage, was das soll. Er meint, ich könne es doch kaufen. Ich frage ihn, wie ich denn dieses Fell über die Grenze bringen soll, ganz davon abzusehen, dass es illegal ist. Er ist ein wenig ärgerlich als ich ablehne.
Endstation ...
In einem anderen kleinen Dorf stehen wir auf dem Dorfplatz und haben in einem Magazin Verpflegung gekauft: Wir sehen, wie ein alter Lada vorfährt. Die Fahrertür geht auf und der Fahrer fällt aus dem Auto. Er torkelt in das Magazin und kommt mit einer Flasche Wodka wieder heraus. Als er sein Auto endlich erreicht hat - zwischendurch liegt er ein paar Mal im Dreck - ist die Flasche auch schon leer. Das scheint wohl ein ganz normales Verhalten zu sein. Keinen der Dorfbewohner stört es ...
Dann endlich sind wir am Fluss Pecora. Bis dorthin haben wir riesige Ölfelder durchfahren. Immer wieder sehen wir die Pumpen und uns kommen riesige Transporter entgegen.
Wir müssen über den Fluss: Eine Fähre, nicht gerade vertrauenerweckend, bringt uns ans andere Ufer. Aber hier merken wir nach einigen Kilometern, dass es nicht mehr weiter geht: Ein Polizist im nächsten Dorf erklärt uns auch dann: Endstation. Es fehlen noch ca. 600 km bis zum Ziel. Aber für uns unerreichbar. Schade, aber es war den Versuch wert. Workuta erreicht man im Winter über die zugefrorenen Flüsse oder mit der Bahn. Aber da ergibt sich das Problem, wohin mit den Motorrädern. Und wie wir herausfinden gibt es keinen zuverlässigen Fahrplan. Also endet unsere Reise hier: Wir haben jetzt noch zwei Wochen, und diese brauchen wir für die Rückreise.
Landschaftlich ist es hier öde: Flach, so flach, dass man Mittwochs schon den Besuch von Sonntag sehen kann. Es gibt kaum Erhebungen. Die Straßen verlaufen oft kilometerlang geradeaus. Oft mussten wir neben der Straße fahren, weil es da besser lief. Die Löcher in den Straßen waren so groß, dass man ein ganzes Motorrad darin versenken konnte.
Die Dörfer liegen zum großen Teil nicht direkt an der Strecke, sondern etwas abseits und sind nur über Pisten zu erreichen. Dort war es aber immer möglich, Getränke und andere Lebensmittel zu kaufen. Fast jedes Dorf hat ein Magazin.
Bei der Suche nach einem geeigneten Übernachtungsplatz war Ausdauer gefragt. Oft war die Gegend neben den Straßen so sumpfig, dass es keinen Rastplatz gab. Deshalb waren wir oft einige Stunden damit beschäftigt, einen geeigneten Platz zu finden.
Auf dieser Fahrt haben wir unsere persönlichen Grenzen erreicht, psychisch wie physisch. Drei Wochen haben wir keine Dusche gesehen, konnten unsere Wäsche nicht waschen. Wir stinken wie ein Skunk. Aber wir sind glücklich und zufrieden.
Die Rückfahrt erfolgt auf dem gleichen Weg wie die Hinfahrt: Bis in Höhe von St. Petersburg fahren die gleiche Strecke (es gibt keine Alternative), dann südlich am Ladogasee, nördlich von St. Petersburg, vorbei nach Finnland. In Hanko besteigen wir schließlich die Fähre. Dort sind wir sehr, sehr einsam, keiner traut sich in unsere Nähe. Obwohl wir auf einem Campingplatz in Finnland ausgiebig duschen konnten, geht man uns auf der Fähre aus dem Weg. Unsere Jacken und Hosen verströmen einen Duft der ganz besonderen Art, echten Männerschweiß ...
In Rostock verlassen wir die Fähre und fahren nach Hause ...
Die Technik hat uns auf dieser Reise nicht im Stich gelassen: Ein verstopfter Benzinfilter und ein Lenkkopflager mit zuviel Spiel war alles, was wir unterwegs instandsetzen mussten.
Diese Tour dauerte fast fünf Wochen, gefahren sind wir über 11.000 km.
Auch wenn wir am Ende der Fahrt ziemlich kaputt sind, so eine Fahrt würde ich jederzeit wieder machen, dann aber mit mehr Zeit im Gepäck. Die Eindrücke, die wir auf dieser Reise gesammelt haben, waren so intensiv, dass sie heute noch nachwirken ...
© 2012 Ludwig Hauhoff (Hauy)