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Mit der Rikscha von Vientiane nach Singapur

Fünf Länder, 3500 Kilometer, unzählige Eindrücke ...


3500 Kilometer durch Südostasien ..?!

Acht Wochen lang ist GI-Mitarbeiter Thomas Bauer mit einer Rikscha in Südostasien unterwegs: fünf Länder, 3500 Kilometer, unzählige Eindrücke. Wir haben vor der Reise ein Gespräch mit dem Weltenbummler geführt:

Wie entstand die Idee zu dieser Reise?

3500 Kilometer durch Südostasien ...Reisen und Schreiben sind zwei Sachen, die ich gerne mache und die für mich auch zusammen gehören. Das zu kombinieren ist das, was ich immer machen wollte. Im Jahr 2001 bin ich den Jakobsweg von Konstanz aus entlang gelaufen. Das war meine erste außergewöhnliche Reise, über die ich dann auch ein Buch veröffentlicht habe.

Im letzten Jahr war ich in Südamerika und bin mit dem Kajak die Donau bis zum Schwarzen Meer entlang gefahren, bin also durchaus ein bisschen abenteuererprobt. Jetzt wollte ich eine neue Region kennen lernen und bin dann auf Südostasien gekommen und habe mir gedacht: Warum nicht mal durch die Länder reisen, die sonst von den Touristen eher links liegen gelassen werden. 

Die Reise geht daher nach Laos und Kambodscha, wo man noch ursprüngliche Landschaften finden und Begegnungen mit Leuten machen kann, die nicht jeden Tag einen Westler sehen. Da ich ein Buch über die Reise schreiben will, sollte noch etwas Außergewöhnliches dazu kommen. Also nicht einfach mit dem Zug oder dem Bus durch die Gegend reisen, sondern mit etwas anderem.

Außerdem sollte es eine sportliche Komponente haben, wie die Kajak-Tour oder der Jakobsweg. So kam ich auf die Idee mit der Rikscha. Ich dachte mir: Warum nicht was ganz Abgefahrenes und Besonderes machen und mit einem Gefährt reisen, das in der Region eine lange Tradition hat und das auch ein bisschen einen Link schafft zu den Leuten vor Ort? Die Vorbereitung der Reise hat dann ungefähr ein halbes Jahr gedauert.

Wie viele Kilometer wirst Du im Schnitt pro Tag zurücklegen?

Wenn ich alles genauso durchhalte, wie ich es mir vorgenommen habe, sind es ungefähr 80-90 km am Tag, also durchaus ambitioniert. Es gibt keine allzu großen Steigungen, außer im Norden von Laos ist es relativ flach. Aber ich weiß natürlich nicht, wie die Straßen sind und die Beschilderung. Ich habe zwar ziemlich gute Karten, aber es gibt einige Unwägbarkeiten. Wenn es aber hart auf hart kommt und ich irgendwo im Dschungel stecken bleibe, gibt es mehrere Möglichkeiten, ein bisschen abzukürzen. 

Stehen auch Goethe-Institute der Region auf der Reiseroute?

Ja. Ich möchte Stationen machen in den Goethe-Instituten in Singapur, Kuala Lumpur und in Bangkok. Die Leiterin der Sprachabteilung am GI in Singapur, Felicitas Habouz, hat einen Vortrag am 11.02.2008 organisiert. Der ist schon von der Auslandsvertretung angekündigt und bildet den Endpunkt der Reise. Dort werde ich einen Vortrag mit Bildern für deutsche Schulklassen halten. An den anderen Instituten ergibt sich dann vielleicht auch die ein oder andere Veranstaltung, aber ganz genau kann ich noch nicht sagen, wann ich an welchem Ort sein werde ...    

Buddha unter dem Schutz der Nagaschlange ... Am Start: Posing in Vientiane ...

Was ist das für eine Rikscha, mit der Du unterwegs bist?

Meine Rikscha hat alle Vorteile eines Fahrrads: Sie ist wendig und schnell, hat aber mehr Platz und ist stabiler. Sie sieht aus wie ein sehr stabiles Fahrrad mit einem bisschen dickeren Rahmen und einem kleinen Beiwagen rechts daneben. Die Rikscha kommt von der Firma Smike, das steht für "Smart bike" und ist eine ganz neue Entwicklung. Sie fährt sich wie ein Fahrrad, hat also eine Neigetechnik. Das heißt, ich kann mich normal in die Kurven legen und der Beiwagen bleibt dabei immer waagerecht. Das ist vor allem für den Gepäcktransport prima, außerdem ist die Rikscha ziemlich schnell, weil sie nur 30 kg wiegt und eine 8-Gang-Schaltung hat. Der Ladenpreis beträgt rund 3000 Euro, aber die Smike AG in Luzern hat mir die Rikscha für die Reise kostenfrei zur Verfügung gestellt. Es hätte auch die Möglichkeit gegeben, die Rikscha mit einem Elektromotor auszustatten, aber das habe ich aus Stolz natürlich abgelehnt.

Schon eine Idee, wohin die nächste Reise gehen könnte?

Ich habe einen Haufen Ideen im Kopf. Wenn ich mehr Zeit hätte, könnte ich die locker mit Reisen ausfüllen. Momentan gibt es zwei große Ideen, von denen ich aber nicht genau weiß, wann ich sie realisieren kann. Die eine Idee ist, die Reise von Sindbad nachzusegeln. Das wäre schon ziemlich genial, wenn das klappen würde! Das zweite wäre wieder eine Flussreise, diesmal entlang des Brahmaputra, der in Tibet auf 5000 m Höhe entspringt. Das muss einer der letzten mysteriösen Orte auf der Welt sein. In 60 km Umkreis entspringen die fünf größten Flüsse Asiens und die Landschaft ist ganz irre und unzugänglich. Das sind aber Ziele für die nächsten fünf Jahre.

Die Fragen stellte Jörg Schumacher vom Goethe-Institut.


Teil eins: Von Vientiane nach Phnom Penh

Schnappschuss in Vientiane ...Ein gewaltiges Scheppern kündigte den Lastwagen hinter mir an, der sich die schlaglochübersäte Straße von Vientiane nach Savanaketh entlang quälte. Als das Ungetüm direkt neben mir war, drückte sein Fahrer zur Sicherheit mit beiden Händen auf die Hupe. Es hätte ja sein können, dass ich den Sechzehntonner nicht bemerkt hatte. Immer wenn eine solche Hupe keinen Meter Luftlinie von mir entfernt ertönte, zuckte ich zusammen, während ein Pfeifen in meine Ohren fuhr und mein Magen heftig um die eigene Achse rotierte. 

Im Straßenverkehr, das hatte ich frühzeitig bemerkt, hörte die asiatische Höflichkeit auf. Jede Straße war in Wahrheit eine Rennstrecke. Es gewann, wer die lautere Hupe einsetzen und die kleineren Lücken im Verkehrsgewusel ausnutzen konnte. Ein Radfahrer bot grundsätzlich die Möglichkeit einer solchen Lücke, weil er immer noch ein paar Zentimeter nach rechts ausweichen konnte. Selbst wenn dort bereits der Straßengraben begann ...

Vientiane - Singapur, das bedeutete eine Reise von einer Welt in eine andere: Hier die angenehm schläfrige Hauptstadt von Laos, deren Entwicklung ähnlich langsam zu verlaufen schien wie der Fluss des Mekong, der träge an ihr vorbei fließt. Dort hingegen das in die Höhe strebende, von klimatisierten Einkaufszentren durchsetzte Singapur. Beide Städte repräsentieren einen Teil des heutigen Asien, und gerade der Spannungsbogen zwischen uralten Traditionen und ausuferndem Kapitalismus, zwischen buddhistischer Gelassenheit und glitzerndem Größenwahn verleiht der Region einen besonderen Reiz. 

Vientiane - Singapur, das war das verrückteste Vorhaben, das ich jemals in die Tat umgesetzt hatte. Verrückt vor allem deshalb, weil ich mir für die Reise ein ganz besonderes Fahrzeug ausgesucht hatte. Die Firma SMIKE aus Luzern war so freundlich gewesen, mir eine ihrer Rikschas zu überlassen. Voll bepackt wog sie sechzig Kilogramm. Einhundert Kilometer wollte ich damit im Durchschnitt pro Tag bewältigen ...    

Laos: Ein ernst zu nehmendes Hindernis auf der Straße ... Marktszene in Suedlaos ...

Bereits während der ersten Tage wurde deutlich, dass die Anwesenheit eines weißhäutigen, langnasigen Europäers auf einem dreirädrigen Gefährt die jeweilige Hauptattraktion des Tages darstellte. Kinder rannten zu Dutzenden neben mir her, Frauen winkten mir zu und Männer riefen mir Grüße und Anfeuerungen in einer Sprache hinterher, die sie für Englisch hielten. Wo auch immer ich Pause machte, bildete sich augenblicklich eine Menschentraube um mich herum. Alle wollten das SMIKE anfassen, den Reifendruck testen, mit der Sitzlehne herumspielen und das seltsame Ding begutachten, das die Kilometerzahl angab. Konnte einer der Anwesenden ein paar englische Brocken, tauchte grundsätzlich eine Frage auf:

Wo ist denn der Motor?
Es gibt keinen. Ich will selbst von Vientiane nach Singapur fahren.
Komm schon, irgendwo muss doch ein Motor sein! 

Bei diesen Worten drückte mein Gegenüber zumeist hoffnungsfroh auf dem Dynamo herum, bis er sich schließlich kopfschüttelnd abwendete und auf sein japanisches oder thailändisches Moped stieg.

Buddhistische Moenche in Pakse (Laos) ...Jeder Tag hielt eine Reise ins Ungewisse für mich bereit: Ich war umgeben von Menschen, doch praktisch keiner von ihnen beherrschte Englisch oder eine andere Fremdsprache. Ich wusste nicht, ob und wo ich essen konnte, wo ich mich gerade befand und wo wie lange es bis zur nächsten Unterkunft dauern würde. Am übelsten waren die Kreuzungen. Sie tauchten unvermittelt auf und waren in den seltensten Fällen ausgeschildert. 

Als ich kurz vor dem Fischerdorf Pak Kading auf eine solche Kreuzung stieß, deutete ich nach rechts und fragte die Menge um mich herum: Pak Kading? Ich erntete eifriges Nicken und zuckersüßes Lächeln. Schon wollte ich hoffnungsvoll nach rechts abbiegen, da beschloss ich, die erhaltene Auskunft zu verifizieren. Ich deutete nach links und fragte wieder: Pak Kading? Eifriges Nicken und zuckersüßes Lächeln war auch hier die Reaktion, und mir wurde klar, dass mich keiner der Anwesenden verstanden hatte ...

Mein treuester Wegweiser war der Mekong, der sich, wenn ich mich auf dem richtigen Weg befand, rechts von mir von Laos auf Kambodscha zu bewegte. Auf diese Weise fand ich an meinem dritten Tag auch nach Pak Kading, ein pittoreskes Fischerdorf mitten im Übergang. Noch waren die Dorfstraßen mit glutrotem Staub bedeckt. Noch schliefen Hunde auf ihnen, und Schweine lagen in den wenigen Schattenplätzen. Noch lag der buddhistische Tempel, von Touristen unentdeckt, idyllisch am Ufer des Mekong, von dem aus das benachbarte Thailand zu sehen war. Noch versteckten sich Kinder hinter den Beinen ihrer Eltern, sobald sie mich erblickten. 

Doch bereits an den Rändern der Nationalstraße, die das Dorf von West nach Ost durchschneidet, änderte sich der Charakter. Hier, wo mehrmals täglich vollklimatisierte Reisebusse Touristen in die laotische Hauptstadt befördern und sich Fernfahrer zum gemeinsamen Bier treffen, verlangten die Dörfler bereits den doppelten Preis für Wasser und Süßigkeiten, und wer es sich leisten konnte, der drehte seinen Fernseher mit der neuesten Karaokemusik stolz zur Straße hin. 

Was wird wohl in zehn Jahren aus dem charmanten Fischerdorf geworden sein? Werden die Kinder, die sich nicht trauten, mich zu grüßen, dann mit Mopeds über geteerte Straßen fahren und sich die neusten Handymodelle von Nokia und Samsung ans Ohr halten, gekauft vom Geld der Touristen, die diesen Ort entdeckt haben werden? Und fiel mir ein echter Grund ein, ihnen diese Entwicklung zu verwehren ..? 

Feldbrand in Kambodscha ...Die Sonne stand wie ein gelbes Auge am Himmel, als ich tags darauf in Nam Thone einfuhr. Wolken schienen hier Mangelware zu sein. Vermutlich befinden sich alle, wie so oft, in Europa und ganz besonders über Deutschland. Im Zickzack fuhr ich um Wasserbüffel, Hunde, Hühner herum, die sich auf der Nationalstraße tummelten.

Einmal mehr übernachtete ich in einem Gästehaus, das umgerechnet zwei Euro kostete und entsprechend eingerichtet war, nämlich: gar nicht. Immerhin verfügte es über ein Doppelbett, auf das ich meinen Mosquito Dome stellte, eine äußerst hilfreiche Konstruktion, leichter als ein Zelt und zuverlässig bei der Abwehr von Insekten aller Art. Er hielt auch die Fledermäuse fern, die in den Wänden hausten und nachts im Raum umher schwirrten.

Auf gut Glück betrat ich sodann ein Straßenrestaurant und dort traf ich endlich jemanden, der Englisch sprach. Ihr Name war Lham, vielleicht auch Lang oder Lam. Sie kauerte auf dem Boden des Hauses, das wie immer alles in einem war: Restaurant, Verkaufsraum, Schlaf- und Wohnzimmer. Als sie mich erblickte, steigerte sich ihr Lächeln zu einem breiten Grinsen. Hello, I love you, what do you want? flötete sie mir entgegen. Ich deutete auf gut Glück auf irgend welche Töpfe, in denen Fleisch und Gemüse bruzzelten. 

Es schmeckte vorzüglich; ich wunderte mich nur, warum alles so klein war. Eine Leber, die ich verspeiste, hatte beispielsweise nur die Größe eines Fingernagels. Ich winkte Lham, Lang oder Lam zu mir und fragte sie hoffnungsvoll: "Chicken?" - "Rat!" antwortete sie freundlich und zeigte mir einen Stock, auf den eines dieser Tiere gespießt war. Ich hatte soeben Ratte mit Gemüse gegessen. Es hatte gut geschmeckt. Später fragte ich Lham, Lang oder Lam, ob sie wisse, wo Deutschland liege. Klar wisse sie das, gab sie zurück, Deutschland liege "after ocean". Hinter dem Meer also, das war immerhin eine zutreffende Beschreibung. Bevor ich zurück zu meinem Zimmer mit den Fledermäusen ging, fragte ich noch, ob hier jemals ein Tourist gegessen habe. Lham, Lang oder Lam strahlte mich an und schüttelte den Kopf. Booo, ließ sie vernehmen, was in diesem Land einer Verneinung gleichkam, you are first! 

Teil zwei: Von Phnom Penh nach Bangkok

Knapp fünfzehn Millionen Einwohner hat Kambodscha, und heute kam es mir vor, als hätten sie sich alle auf den Weg in die Hauptstadt gemacht. Rikschafahren in Phnom Penh, das wurde mir schnell klar, gehörte zu den großen Herausforderungen, die sich mir im Laufe meines Lebens in den Weg stellen. Eine Armada von Mopedfahrern knatterte um mich herum. Wie ein Wespenschwarm kamen sie mir vor; geschickt nutzten ihre Mitglieder die wenigen Lücken aus, die sich vor mir auftaten. Am Straßenrand schepperten Fahrradrikschas über Schlaglöcher, zogen Verkäufer Garküchen an verbogenen Holzstäben hinter sich her. Und immer wieder spritzte unsere Formation auseinander, wenn sich ein Uraltlaster spotzend seinen Weg durch den Tumult bahnte ...

Man sieht Phnom Penh an, dass es vor wenigen Jahrzehnten vom Terrorregime der Roten Khmer evakuiert und weitgehend zerstört worden ist. Direkt neben Hausruinen und vor Hinterhöfen, die aus nichts als Schutt bestehen, schießen moderne Hotelanlagen aus dem Boden. Seit westliche Touristen Kambodscha als Reiseland entdeckt haben, verdoppeln sich alle sechs Monate die Eintrittspreise für Museen und weitere Sehenswürdigkeiten in der Hauptstadt, ohne dass sich die jeweils entsprechende Gegenleistung in irgend einer Weise verändern würde ...      

Ankortempel Kambodscha ... Volle Beladung: Unterwegs mit dem SMIKE ...

Vermutlich ist kein Land der Welt derart für eine einzige Attraktion bekannt wie Kambodscha für die Tempelanlagen von Angkor. Angkor ist omnipräsent, man begegnet dem Begriff auf Schritt und Tritt. Es gibt Angkor-Kekse, Angkor-Bier und ein erfolgreiches Halbschuhmodell namens "Angkor Wat Explorer". Jedes zweite Restaurant hat den Namen in irgend einer Weise in seinen Titel integriert. Kambodschas ökonomische Entwicklung verläuft ruckartig und bleibt undurchsichtig; die Korruption ist im ganzen Land praktisch mit den Händen zu greifen. Da ist es wohl symptomatisch, dass das Leibgericht der Kambodschaner "Amok" heißt und aus einer Mischung an Zutaten besteht, die westliche Gaumen kaum entschlüsseln können. 

Wenn es nur eine Straße geben würde, die diesen Namen verdiente! Mit jedem Tag, den ich im Dreck und Staub unterwegs war, war ich verblüffter, dass ich noch immer ein Fahrrad unter mir hatte. Mit zwanzig Stundenkilometern krachte mein SMIKE in badewannengroße Schlaglöcher. Der Beiwagen vollführte tollkühne Bocksprünge, wenn ein Stein oder ein Stück Holz unter sein Rad geriet. Auf den Abschnitten mit Wellblech wurden wir beide durchgerüttelt wie bei einem Schüttelfrost. Von oben bis unten besudelt gelangte ich schließlich nach Poipet, die letzte kambodschanische Stadt vor der thailändischen Grenze. Mein Zustand passte indessen gut zu jenem der Stadt: Poipet strengt sich an, um sein Image als schmuddeliger Sündenpfuhl aufrecht zu erhalten. Statt beispielsweise in Straßenbaumaßnahmen zu investieren, zog man vor zwei Jahren neben den aufgereihten Bordellen einen immensen Kasinokomplex hoch, dessen gepflegte Glasfront heftig mit den Bettlern und Minenopfern kontrastiert, die junge Thailänder vor der Eingangstür um ein paar Baht bitten.    

Auf nach Bangkok ..!Was für ein Wechsel fand hingegen statt, als ich nach Thailand gelangte! Unmittelbar nach der Grenze begann die Zivilisation, und nach den Entbehrungen der vergangenen zwei Wochen sehnte ich sie herbei. Ehre sei den thailändischen Straßenbauern, denn sie haben ganze Arbeit geleistet! Gelobt seien die Oreo-Kekse (ganz besonders die mit Erdnussbutter), die ich ab sofort wieder am Straßenrand kaufen konnte. Ein dreifaches Hoch auf den real existierenden Kapitalismus, der diese Errungenschaften ermöglicht hat!

"One night in Bangkok, and the world’s your oyster", sang ich lauthals, während ich der Hauptstadt entgegen fuhr. Es war gar nicht einfach, den näselnden Gesang nachzuahmen, den ich immer wieder unter Einsatz meiner Fahrradklingel mit Queens "Bicycle Race" kombinierte. Ab hier hatte ich keinerlei Probleme mehr, etwas Essbares aufzutreiben. 

In Thailand scheint eine Hälfte der Bevölkerung permanent damit beschäftigt zu sein, für die andere zu kochen. Bangkok erforschte ich schließlich ganz dekadent per Taxi. Wie üblich verlangte der Fahrer für die vierstündige Fahrt einmal "Nicht-der-Rede-wert", was ich mit "So-gut-wie-nichts" als Trinkgeld anreicherte. Einer der Vorteile, in München zu wohnen, ist, dass einem praktisch alle anderen Orte auf der Welt günstig vorkommen ... 

Nantopol Limpatyakrom, so der Name meines Taxifahrers, der groß auf einem Pappschild stand, das er um den Hals trug, führte mich souverän durch ein Gewirr von vierspurigen Autobahnen, über größenwahnsinnige Brückenanlagen hinweg und in vollgestopfte Einbahnstraßen hinein. 

Ich hatte gut daran getan, die thailändische Hauptstadt nicht per Rikscha zu erkunden. Nach einem Tag voll fremder und extremer Eindrücke suchte ich eines der übelsten Hotels der Stadt auf, das sich geografisch günstig am Südrand befand. Von hier aus sollte es morgen weitergehen. Anderthalbtausend Kilometer fehlten noch bis Singapur. Anderthalbtausend Kilometer in zwei Wochen; das war wohl das, was man ein "ehrgeiziges Programm" nennt ... 

Teil drei: Von Bangkok nach Singapur

Hitze. 
Schwüle Hitze. 
Hitze wie ein nasses Handtuch in der Sauna. 
Hitze, die vom Boden aufsteigt, von den Hügeln herab kriecht.
Hitze, die sich um mich legt wie eine Zwangsjacke. 
Hitze, die alle Poren der Haut öffnet und herauszieht, was darunter ist ...

Seit ich Bangkok verlassen hatte, wurden die Bedingungen um mich herum zunehmend tropisch: Kokosnüsse fielen neben der Straße zu Boden. Linkerhand erstreckten sich kilometerweit Gummibaumplantagen. Mehrmals täglich ringelte sich eine Schlange die Straße entlang. Und meine Kekse teilte ich während mancher Pause mit Makaken, die aus den angrenzenden Wäldern gekommen waren.

Die Hitze, in Kombination mit einer ungesund hohen Luftfeuchtigkeit, machte mir zusehends zu schaffen. Bereits zehn Pedalumdrehungen nach meinem Aufbruch von Bangkok war ich schweißgebadet. Nach einer Viertelstunde legte sich das T-Shirt um mich wie eine zweite Haut. Nach einer Stunde hatte ich das Gefühl, ich zöge einen Streifen aus Schweiß hinter mir her. Dabei war es erst kurz nach neun Uhr morgens.

Auch die Menschen, denen ich begegnete, veränderten sich auf dem Weg nach Süden. Die Männer trugen Rebellion im Blick, schauten mir herausfordernd in die Augen. Die Frauen grüßten mich mit Augenaufschlägen; ihre Kopftücher wehten im Wind, wenn sie auf ihren Mopeds an mir vorbei fuhren. Die Verkäufer bewegten sich ungleich zackiger als im Norden. Niemand verbeugte sich mehr, wenn er etwas sagte. Der Buddhismus verlor mit jedem Kilometer an Kraft. Das islamisch geprägte Malaysia kündigte sich an.

Eine Sache sollte jedoch in ganz Thailand gleich bleiben - egal ob ich mich im buddhistischen Norden oder im islamisch geprägten Süden aufhielt: In Deutschland stellt die Hupe eines Autos oder Motorrads ein Warnsignal dar, das eine akute Gefahrensituation anzeigt. In Thailand ist die Hupe hingegen ein vielseitig einsetzbares Multifunktionsinstrument. Sie wird betätigt, um andere Verkehrsteilnehmer zu begrüßen und zu verabschieden. 

Königspalast Bangkok ...Ein thailändischer Autofahrer hupt grundsätzlich, bevor er überholen will, während er überholt, und nachdem er überholt hat. Er hupt außerdem, wenn er selbst überholt wird, und generell vor, in und nach einer Kurve. Die Hupe erfreut sich des Weiteren in diesem Land großer Beliebtheit als Blinker- und als Bremsersatz. Und etliche Verkehrsteilnehmer, davon war ich täglich fester überzeugt, betätigten dieses Instrument schließlich, um sich davon zu überzeugen, dass das wichtigste Teil ihres Fahrzeugs noch funktionierte ...

Schwitzend, mit dem ständigen Lärm in den Ohren, erreichte ich Malaysia. Hier änderte sich erstmals das Wort, das mir die Kinder auf meinem Weg hinterher riefen. Statt "Falang", Langnase, wurde ich ab sofort "Madsale" genannt. Diese Bezeichnung gilt für alle westlichen Ausländer und geht zurück auf das englische "Mad Sailor". Weder die britischen, noch die portugiesischen und holländischen Seefahrer, die das malaysische Malakka einst als Handelshafen nutzten, waren dem Alkohol abgeneigt - und pflegten nach ausufernden Gelagen alberne Dinge zu tun.

Über eine dreizehn Kilometer lange Brücke, die längste in Südostasien, erreichte ich die Insel Penang. Seit jeher ist dieses Fleckchen Erde ein beliebtes Ausflugsziel deutscher Touristen. Hermann Hesse und Karl May waren hier gewesen. Insofern machte es Sinn, dass mich die Malaysisch-Deutsche-Gesellschaft zu einem Vortrag über meine Rikschafahrt eingeladen hatte. Eine Brücke zu meinen fünfzig Zuhörern baute ich, indem ich auf ein international verständliches Mittel zurückgriff: Auf Humor.

Ich demonstrierte den Farbunterschied zwischen Ober- und Unterarm, berichtete von meinen Kommunikationsschwierigkeiten in Thailand und schilderte plastisch, wie ich in Südlaos Ratte gegessen hatte. Dabei merkte ich, dass es mir gut tat, die Eindrücke, Begegnungen und Erlebnisse meiner Reise auf diese Weise Revue passieren zu lassen. Der Vortrag stellte zudem eine gute Übung dar: In Singapur sollte ich, abermals in Englisch, eine ähnliche Veranstaltung vor über zweihundert Zuhörern halten.

Die sich anschließende Strecke zwischen Kuala Lumpur und Malakka führte mir eindrucksvoll vor Augen, wie multikulturell Malaysia ist. Hinduistische und chinesische Tempel, Kirchen und Moscheen ließ ich auf beiden Seiten der Straße hinter mir. Manchmal befanden sich die Gebäude von drei verschiedenen Weltreligionen in derselben Straße, in Sichtweite voneinander. Einmal mehr waren die klimatischen Bedingungen etwas für Schlangen und Insekten. Für einen Rad fahrenden Mitteleuropäer war es gefühlte zwanzig Grad zu heiß, und die Tatsache, dass sich die Luft bereits kurz nach dem Aufstehen anfühlte wie ein heißer Wadenwickel, trug nicht wesentlich zur Leistungssteigerung bei. Ich entschloss mich, jeden Tag eine lange "siesta" einzuhalten. In einem Restaurant kurz vor Malakka aß ich kleingeschnittene Haifischflossen mit einer Soße aus reichlich Knoblauch, Soja und salziger Fischpaste. Abgerundet wurde mein Festmahl durch Eier der Roten Waldameise ... 

Als ich Malakka erreichte, waren die Straßen voller Löwen und Drachen. Reihen roter Lampions zogen sich von Haus zu Haus. Comicfiguren schmückten die Schaufenster. Überall wurden mir paarweise Orangen entgegen gehalten. Das Spektakel wird "Chinesisches Neujahrsfest" genannt und würde die Stadt vier Tage lang in Atem halten. "Willkommen im Jahr der Ratte", begrüßte mich der Inhaber des Hotels, in dem ich Unterschlupf gefunden hatte. Dieses Tier schien mich während meiner Rikschatour dauerhaft zu begleiten! 

Ich erreichte Singapur am Morgen des elften Februar 2008. Wie eine Verheißung erhoben sich seine Wolkenkratzer vor mir, während ich zwei Zollbeamten drei Mal versichern musste, dass ich in den vergangenen sechs Monaten nicht in Afrika gewesen war und sie darum keine Angst haben mussten, dass ich den AIDS-Virus in ihre Stadt brachte. 

Der Tachometer meines SMIKE zeigte dreieinhalbtausend Kilometer an. Ich hatte geschafft, woran ich bis zuletzt gezweifelt hatte: Ich hatte diese Strecke in nur vierzig Tagen vollendet. Es war das ambitionierteste Vorhaben gewesen, das ich je in die Tat umgesetzt hatte. Immerhin besaß ich zuhause nicht einmal ein eigenes Fahrrad.

Eigentlich bin ich ja gar kein Radfahrer ...


© 2008 Thomas Bauer


Nachtrag, März 2010: Nun auch als Buch erhältlich

Der gesamte Reisebericht von Thomas Bauer ist nun auch als Buch erschienen: Unter dem Titel "Vientiane - Singapur: Per Rikscha durch Südostasien" ist es im Schardt Verlag Oldenburg in der 1. Auflage 2010 erhältlich (ISBN 978-3-89841-513-2; 154 Seiten, Preis: 12,80 EUR). Wer das ganze Abenteuer von Thomas Bauer lesen will, dem sei dieses Buch empfohlen. Bestellt werden kann es auch ganz einfach bei Amazon (siehe rechts)!