Unter Seeräubern ...

März/April 2019 - Tatort: Schiff Glorious Leader, irgendwo im Nordatlantik

Zwei eher schmächtige Arbeiter sind auf der Suche nach Verwertbarem: Sie durchsuchen die Frachträume, wo unzählige Fahrzeuge nach Europa transportiert werden. Neufahrzeuge fallen dabei nicht in ihr Beuteschema, da gibt es nichts zu holen, auch bei LKW´s und Baggern ist es ähnlich.

Die Piraten fahren hier gleich mit an Bord ...Da treffen sie auf einen weißen Toyota Camper, da müsste doch etwas zu holen sein. Da die Frachträume nur selten inspiziert werden, haben die beiden ausreichend Zeit. Die linke Flügeltür ist schnell geöffnet, im Zündschloss steckt ja der Autoschlüssel. Die zur Blockade drapierten Campingstühle und die Sandschaufel kosten sie nur ein müdes Lächeln.

Sie sind klein und drahtig und winden sich in das Fahrzeug: Die rechte Flügeltür ist mit einer massiven Kette verschlossen, hier würde eine Beschädigung schnell auffallen. Es ist schon nicht leicht, die schweren Sandbleche und die hölzerne Transportkiste durch die schmale Tür nach draußen zu wuchten, um den freien Zugang auf die Staukisten zu haben. Im Hafen wäre dies aufgefallen, hier im Schiff haben sie ausreichend Zeit und keiner schaut zu. Licht im Auto gibt es auch, um alles entsprechend auszuleuchten.

Der Inhalt der Kisten ist ein wahres Eldorado: Werkzeugkisten vom Feinsten, Schuhe, Taschenlampen, jede Menge Reisemitbringsel, Ausrüstung und Klamotten; diese bereits fertig verpackt in drei Rucksäcken, wie praktisch. Gegenüber steht eine Alukiste; das kleine popelige Schloss ist keine Herausforderung, dafür gibt es ein schönes Stativ mit Schwenkkopf. Irgendein Abnehmer wird sich dafür schon finden lassen.

Zwei Flaschen Tequila, wer hätte das gedacht, da kann ja bei der nächsten Freiwache gehörig auf den Bruch angestoßen werden. So manches Ladegerät oder Zubehör können sie zwar nicht einordnen, aber man kann ja nie wissen, wo man so etwas noch mal gebrauchen kann. Leider ist in der Hülle zum Warndreieck tatsächlich auch nur ein Warndreieck drin und es ist schon fummelig, es wieder einzupacken ...

Es ist schon mit Arbeit verbunden, wieder alles so einzuräumen, dass der Bruch nicht gleich auffällt. Aber als erfahrene Stauer auf dem Schiff können sie gut im Spanngurten umgehen und bald ist alles einigermaßen wieder eingeräumt und sieht aus wie vorher. Als kleine Erinnerung nehmen sie noch den Schlüsselanhänger vom Autoschlüssel mit, die kleine LED-Lampe daran ist zwar defekt, aber vielleicht es noch irgendwie zu verwenden ...

>> so zumindest könnte es gewesen sein bei der Überfahrt <<


Bremerhaven, 13.03.2019

Wir haben die Abholpapiere erhalten und fahren an die uns inzwischen vertrauten Orte im Hafen: Vor gut sechs Monaten haben wir hier unseren Toyota zur Verschiffung in die USA abgeliefert und sind jetzt froh, den Wagen wieder in Empfang zu nehmen. Ein schneller Blick um das Fahrzeug zeigt, dass nichts beschädigt ist, und ein flüchtiger Blick in den Innenraum offenbart auch nichts ungewöhnliches. Es ist nur merkwürdig, dass wir Starthilfe benötigen, die Batterien sind offensichtlich leer.

Der Zoll interessiert sich nicht für das Auto und seine Reise, wir verlassen ohne Kontrolle den Freihafen. Eine erste Kontrolle und Umräumen im Innenraum lässt mich später dann aber doch stutzig werden, dass einige Spanngurte nicht richtig fest sind, vielleicht haben die sich ja auf der stürmischen Überfahrt gelockert, ist mein erster Gedanke ...

Als ich dann aber das Fahrzeug für die Reise gen Süden weiter umräume, wird mir sukzessiv bewusst, dass vieles abhanden gekommen ist und den Besitzer gewechselt hat. Wut und Ärger steigen auf und damit die Erkenntnis, dass die Sicherungsmaßnahmen in USA bei weitem nicht ausreichend gewesen sind: Der Schaden ist wesentlich umfangreicher als auf der Hinreise und erst während der kommenden Tage, nachdem das Fahrzeug schließlich komplett ausgeräumt ist, wird ersichtlich, dass offenbar jede noch so kleine Stauecke von den Dieben inspiziert wurde ...

Schadensersatzansprüche gegenüber der Reederei Wallenius verlaufen im Sande, da sämtliche Ausrüstungsgegenstände in der Ladeliste (bill of lading) aufgeführt werden müssten. Selbstverständlich steigt der Transportpreis mit der Länge der Liste. Grundsätzlich seien Fahrzeuge leer zu verschiffen, bei Campern mache man aber eine Ausnahme, die allerdings nicht von der Transportversicherung abgedeckt sei, lautet die Auskunft ...

So kann es auch passieren ... Schwesterschiff "Grande Africa", Hamburg 2013 (Foto: Explorer Magazin)

Campingmobile "Ro/Ro" zu verschiffen, ist somit offensichtlich ein Roulettespiel oder aber man macht aus seinem Fahrzeug ein rollendes "Fort Knox". Wir selbst haben den Verlust und Ärger inzwischen verdaut, ansonsten bekäme die so schöne Reise einen erheblichen Nachgeschmack. Dass ein solcher Transport auch ganz anders hätte ausgehen können, zeigt eine Nachricht, die uns erst später erreichte: Zur gleichen Zeit war ein Frachtschiff der Grimaldi Line auf dem Weg durch die Biskaya, als in starkem Sturm ein Feuer auf dem Frachter Grande America ausbrach: Zwei Tage später sank das Schiff mit seiner kompletten Fracht, bestehend aus Containern und 2.000 Fahrzeugen, u.a. mit 11 Wohnmobilen. Die 27 Besatzungsmitglieder konnten gerettet werden.

Verglichen damit sind wir noch einigermaßen glimpflich davon gekommen. Unser Schiff war übrigens ebenfalls in diesem Sturm unterwegs, als es durch den Ärmelkanal fuhr. Mittlerweile ist uns auch klar, warum die Glorious Leader seinerzeit so dicht unter Land fuhr (wir konnten den Kurs online verfolgen). Es hat wohl die Abschattung der französischen Küste gesucht, denn solche Autotransporter erscheinen von ihrer Form her eher weniger wie ein Schiff, sondern mehr wie Parkhäuser mit einem Schiffsbug und einer Kommandobrücke ...


© 2019 Hans-Jörg Wiebe 


Anm. der Red.: Weitere Beiträge von Hans-Jörg finden sich in unserer Autorenübersicht