Etappe 4: Teheran und das Kaspische Meer, 10.04. - 16.04.16
Von der iranischen Hauptstadt zu ihren Stränden am Meer
"Herzlich willkommen, wie kann ich Ihnen helfen?" Mit diesen Worten werden wir frühmorgens um 7:30 Uhr am Eingang der Behörde für Aufenthaltserlaubnisse im Zentrum Teherans begrüßt: Wir sind sprachlos, der junge Offizier spricht perfekt deutsch. Er erklärt uns, dass er Wirtschaftsingenieur sei und die deutsche Sprache bis zum Master studiert habe und er uns gerne bei der Visaverlängerung behilflich sei.
Dies ist wohl die Entschädigung für den Tag zuvor: Vier Stunden sind wir kreuz und quer durch die Metropole gefahren. Die erste Adresse aus unserem Reiseführer erwies sich als veraltet, die Behörde ist umgezogen. Dort angekommen und x-mal gefragt, hieß es dann, die Behörde sei erneut verlegt worden und ein freundlicher Passant markiert uns die neue Adresse auf unserer digitalen Karte.
Inzwischen sind wir skeptisch geworden und billigen uns einen letzten Versuch zu: Auf Anhieb fnden wir jetzt die Behörde, die Markierung erweist sich als Punktlandung. Schnell klären wir die Öffnungszeiten und suchen uns einen Nachtplatz ...
Direkt oberhalb
der Stadt auf 1.900 m Höhe befindet sich die Talstation einer
Seilbahn, die Skifahrer auf den Hausberg Tochal auf 3.900 m
Höhe bringt. Nach der Kopie unserer Pässe dürfen wir auf dem
Parkplatz nächtigen. Unter uns erstreckt sich die iranische
Hauptstadt mit einer Mischung aus Dunst und Abgasen in Richtung
der Wüstenebenen, hier am Rand der
Berge mit frischer Luf
hingegen liegen die Wohngebiete der Wohlhabenden, an
Fahrzeugmarken und westlich orientierten Geschäften zu erkennen.
Der Parkplatz ist ein beliebter Trefpunkt, denn von hier aus führt ein 2 km langer Boulevard zur eigentlichen Talstation. Viele Teheraner gehen hier mit Blick auf ihre Stadt spazieren, einige schleppen ihre Picknickausrüstung zur Talstation, spielen Frisbee und manches Kopfuch rutscht dabei schon mal tiefer als erlaubt ...
In der Stadt gibt es unzählige Autobahnen, 2-stöckig und vielspurig, um die Automassen zu bewältigen. Deshalb sind wir am nächsten Morgen bereits vor dem Berufsverkehr unterwegs, um rechtzeitig unseren Antrag zu stellen. Bereits nach 60 Minuten haben wir unsere "Visa Extension" und unsere Reiseplanung geht in eine neue Phase; das Wetter gibt uns dabei die Route der kommenden Tage vor.
Für das gesamte Gebiet um Teheran und die Berge ist für die nächsten Tage Regen angesagt, nur am Kaspischen Meer soll es weniger regnen. Unsere Karten verzeichnen eine schmale Straße, die an Skigebieten nördlich von Teheran vorbei nach Chalus ans Meer führen soll. Auch die Hinweisschilder an der Straße geben uns recht, bis wir auf knapp 3.000 m feststellen müssen, dass die Nordseite des Passes noch tief verschneit ist und sich hier noch munter die Skifahrer tummeln ...
Die Pisten und die Anlage der Lifte wecken den Spaß an alten Freuden, die Örtlichkeiten hingegen sind schlicht eine Katastrophe: Bauruinen, Hotels im Status "end of life", hemmungslose Neubauten entlang einer vielspurigen Straße wechseln sich mit Müll, Bauschutt und Dreck ab. So faszinierend schön die Berge sind, so unerträglich erscheinen die Orte.
Wir passieren das Elburzgebirge in der Nähe des Damavand (5.670 m) und nächtigen im Regen an seinen Niederungen 3.000 Meter tiefer. Im richtigen Moment zum Frühstück kommt noch ein Pick-Up mit der Aufschrift „Police“ angerast und ruppig werden wir aufgefordert, unsere Pässe zu zeigen. Danach erhellen sich die Mienen etwas und wir werden halbwegs freundlich verabschiedet. Wir haben das Gefühl, dass dieses Jahr zunehmend unsere Reisekräfte gefordert werden ...
Als unser Höhenmesser schließlich 27 m unter NN anzeigt, haben wir das Kaspische Meer bei Amol erreicht: Jetzt einige Tage am Meer ausspannen, am Strand liegen und die Seele baumeln lassen. Mit dem Spruch "träum weiter" werde ich in die Realität zurückgerufen und wir suchen uns einen Stellplatz am Meer. Dies ist gar nicht so einfach, denn es sind fast alle Strandabschnitte zugebaut oder vermauert; nur wenige Stichstraßen ermöglichen einen Zugang.
Diese Gegend zählt zu den Urlaubsregionen der Teheraner und die Themen Müllabfuhr und Bauordnung erweisen sich wie in den Bergen als pure Farce; ist es doch viel einfacher, den Müll am Strand einfach sich selbst zu überlassen und auf die reinigende Kraft der Natur zu hoffen ...
Wir suchen uns einen Platz mit der geringsten Mülldichte aus und schauen dem Treiben der Einheimischen zu: Picknicker, Selfie-Filmer vor nichtssagendem Hintergrund, Jogger und Spaziergänger wechseln sich ab. Fischer paddeln auf LKW-Schläuchen sitzend zu ihren Fanggründen, in der Nähe ziehen Traktoren Fischernetze aus dem Meer.
Tags darauf lädt uns ein Deutsch-Iraner in seine Wohnanlage zum Abendessen und zum Nächtigen ein; gerne könnten wir aber auch dort im Auto schlafen. Die Zufahrtsschranke öffnet sich und wir sind in einer anderen Welt: Blumenrabatten und Grünanlagen im Überfluss, Luxusvillen und Appartementhäuser wechseln sich ab. Alles ist vom Feinsten, wenngleich der Zahn der Zeit und die Salzluft bereits deutlich ihre Spuren an den Häusern hinterlassen haben.
Das Appartement mit zwei offenen Kaminen und riesiger Wohnküche ist mit allen Insignien des westlichen Wohlstandes ausgestattet. Bei einem typisch iranischen Reisgericht mit viel Gemüse und Lammfleisch unterhalten wir uns bestens und erfahren einmal mehr von der Zwiespältigkeit des Landes. Seine Erzählungen möchte ich aber erst beschreiben, wenn wir das Land wieder verlassen haben, verschieben wir das also auf die nächste Reiseetappe (siehe dort) ...
Von Amol bis Rasht fahren wir gut 250 km am Kaspischen Meer entlang: Der Küstenstreifen ist dicht besiedelt und es herrscht hier ganzjährig ein feuchtes Klima. Als Westeuropäer darf man sich hier keine idyllische Gegend vorstellen. Entlang der vielbefahrenen Küstenstraße hört auf der gesamten Strecke die Bebauung kaum auf: Läden, Werkstätten, Restaurants, Hotelanlagen und immer wieder Bauruinen wechseln sich ab und fordern von uns Durchhaltevermögen. Wir sehnen uns nach Ruhe für die Augen und müssen den Dreck und Müll ausblenden, wir können es nicht mehr sehen. Fast der gesamte Küstenstreifen ist in Privatbesitz und nur selten finden wir eine Möglichkeit, direkt an den Strand zu kommen ...
Wieder im Landesinnern bei Rudbar passieren wir das Zentrum des iranischen Olivenanbaus: Gerne hätten wir direkt mit einem Erzeuger Kontakt aufgenommen und hatten auch schon einige Sätze auf Farsi vorbereitet. Allerdings sind sämtliche Anbauflächen weitläufg eingezäunt und so bleibt es nur bei einer Ölverkostung am Straßenrand und dem Kauf eingelegter Oliven mit Granatapfelpaste und Berberitzen (eine köstliche Kombination) ...
© 2016 Hans-Jörg Wiebe
Anm. der Red.: Iran verstärkt Moralpolizei (AFP Meldung, FAZ v. Dienstag, 19.04.16)
Die iranische Polizei setzt seit Montag in der Hauptstadt Teheran rund 7000 Kräfte in Zivil ein, die auf die Einhaltung der Moralvorschriften achten sollen. ... Die Polizisten seien in Zivilkleidung unterwegs und hätten ein scharfes Auge auf Vergehen, etwa Verstöße gegen die Kopftuchpflicht. Ebenfalls achten sollen die Undercover-Agenten auf die Belästigung von Frauen, das Verbreiten von Lärm oder rücksichtsloses Fahren. Die Agenten dürfen die Urheber der Moralverstöße allerdings nicht selbst ansprechen. Diese würden an die uniformierte Polizei gemeldet. In Iran müssen Frauen seit der Islamischen Revolution 1979 außerhalb des Hauses ein Kopftuch tragen. In den vergangenen Jahren ist insbesondere in den moderneren Vierteln Teherans eine Lockerung der Verschleierungspraxis zu beobachten. (AFP)