Faszination Kartonmodellbau -

oder: Infiziert mit dem "Virus Kartonicus"


Vorbemerkung der Red.: Langsam, aber sicher und unaufhaltsam, nimmt er in unserem Modellkeller einen immer größeren Raum ein: Der Kartonmodellbau. Die persönliche Geschichte des einen oder anderen, zum Teil auch gerade älteren Modellbauers ist oft geprägt von sehr frühen Begegnungen mit diesem hochinteressanten Hobby: Die Erinnerung an erste Bauten wird wach, wie z.B. die an den Dampfer "Bremen" oder an frühe amerikanische "Düsenjäger", die dann monatelang unter der Decke des Jugendzimmers hingen ...

Wer viele Jahrzehnte später immer noch begeisterter Modellbauer ist, aber beispielsweise die Anstreicherei seiner Plastikmodelle leid geworden ist und so über erste neue Kartonmodelle die fast schon vergessene alte Leidenschaft wiederentdeckt hat, wird vielleicht verstehen, warum wir uns künftig wieder verstärkt diesem Bereich widmen wollen, wenn wir in unserem Magazin und dessen Modellkeller die passenden Exponate zu vielen unserer Berichte präsentieren.

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Als Einstiegslektüre für dieses wirklich faszinierende und anspruchsvolle Hobby können wir z.B. die Anleitung für Anfänger und Profis "Papiermodelle bauen" von Alvar Hansen empfehlen (s.a. Artikelende, unten rechts) oder auch z.B. "Schiffe aus Papier", Kartonmodellbau heute, erschienen bei Hauschild, Bremen. Erwähnenswert ist außerdem die Schriftenreihe zur Geschichte des Kartonmodellbaus für alle, die in die Materie tiefer einsteigen wollen. In dieser Schriftenreihe sind bereits mehr als 10 Hefte erschienen, herausgegeben wird sie vom Arbeitskreis Geschichte des Kartonmodellbaus.

Wir haben uns zum Einstieg auch das vth-Sonderheft zum Kartonmodellbau beschafft, erhältlich beim Verlag für Technik und Handwerk GmbH in Baden-Baden zum Preis von 9,90 EUR (Stand April 2014). Ein Artikel aus diesem Sonderheft stammt vom Autor des folgenden Beitrags, Günter Plath.

Dem vth-Sonderheft hat er einen Artikel über "Zurüstteile" spendiert, also zur Verwendung von Lasercuts und Fotoätzteilen im Kartonmodellbau, die für ernsthafte Modellbauer wohl ein "Muss" sind. Bei uns berichtet Günter nun über seinen eigenen Einstieg in das faszinierende Hobby, das sich durchaus wie ein Virus im Befallenen ausbreiten kann, wenn man nicht aufpasst - aber in diesem Fall muss man nicht wirklich vorbeugen ..!

Ebenfalls in seinem Beitrag zeigt uns Günter einige beeindruckende Beispiele seiner Modelle. Wenn der Anfänger vielleicht seinen ersten Schock beim Anblick dieser Bilder überwunden hat (), wird er sehr schnell erkennen, welche atemberaubenden Ergebnisse sich im Kartonmodellbau heutzutage mit entsprechender Erfahrung erzielen lassen ...   


Hier nun Günters Bericht:

Ich selbst bin schon seit vielen Jahren mit diesem "Virus" infiziert, vermutlich seit einem Zahnarztbesuch, als ich so ca. 10 Jahre alt war.

Im Behandlungszimmer stand seinerzeit das Modell des Linienschiffes der damaligen Reichsmarine "Schleswig Holstein", dieses Modell hat mich damals fasziniert. Es erwachte in mir der Wunsch: "Das will ich auch können". Es begann mit einigen frühen Versuchen, die mehr oder weniger erfolgreich verliefen. Die anfänglichen Fehlschläge haben mich aber nicht davon abgehalten, es immer wieder zu probieren: Geduld und Ausdauer ist das wichtigste, was man für dieses Hobby braucht.

Hafen-Diorama ...
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Werkzeuge werden kaum benötigt, das meiste findet sich in Mutters Nähkiste. Die Baubogen, damals noch in jedem Schreibwarengeschäft zu bekommen, wo man auch seine Schulhefte kaufte, waren für kleines Geld zu haben. Heute geht das fast nur noch übers Internet, es gibt kaum noch ein Ladengeschäft, wo Modellbaubögen geführt werden.

Langsam stellten sich dann auch kleinere Erfolge ein. Übrigens, die "Schleswig Holstein" habe ich dann schließlich auch gebaut. Im Laufe der Jahre entstanden dann viele Modelle, vorwiegend Schiffe. Nach einer Pause während der Lehrzeit gab es dann einen Neuanfang: Der Plastikmodellbau verdrängte die Kartonmodelle aus den Läden.

Man musste nach Bezugsquellen suchen und neue Modelle erschienen kaum noch. Ich war fest der Überzeugung, einer von nur noch ganz wenigen zu sein, der diesem aussterbenden Modellbauzweig treu geblieben war. Man bastelte in seiner Stube vor sich hin, Kontakt zu anderen Modellbauern gab es praktisch nicht ...

Dann - es muss so im Laufe des Jahres 1988 gewesen sein - bekam ich Kontakt zu Dr. Siegfried Stölting, seinerzeit Museumspädagoge im Deutschen Schiffahrtsmuseum (DSM) in Bremerhaven. Er arbeitete damals gerade an einer Ausstellung zum Thema "Kartonmodellbau". Schnell wurden wir uns einig und ich stellte viele meiner gebauten Modelle für die Ausstellung zur Verfügung. Der ursprüngliche Gedanke hinter der geplanten Ausstellung war, Werbung für die eigenen im Museum produzierten Kartonmodelle zu machen. Diese erste Ausstellung, der dann im Laufe der Jahre weitere folgten, war ein großer Erfolg ...

Schnellboot der Bundesmarine ...

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Sehr viele Besucher kamen, um sich die Modelle anzusehen. Die Ausstellung tourte dann noch einige Jahre durch verschiedene Museen. Dabei haben dann leider auch viele meiner Modelle erheblichen Schaden genommen. Einige musste ich schließlich auch "verschrotten". Ich habe es aber nicht allzu schwer genommen, weil es ja im Endeffekt für eine gute Sache gewesen ist. Wäre keiner bereit gewesen, seine Modelle zu zeigen, wäre die ganze Ausstellung nicht zustande gekommen.

Am Ende der ersten Ausstellung wurde im Museum ein Treffen der Modellbauer veranstaltet, um dem Ganzen einen guten Abschluss zu geben. Schnell stellte sich heraus, dass an einer solchen Zusammenkunft großes Interesse seitens der Modellbauer bestand und man beschloss "das machen wir nächstes Jahr wieder".

Auch in diesem Jahr wieder treffen sich ungefähr zweihundert Kartonmodellbauer aus ganz Europa zum sechsundzwanzigsten Mal wieder im DSM Bremerhaven. Diese öffentlichen Veranstaltungen, immer am letzten Aprilwochenende, sind mit einer Modellpräsentation verbunden. Hier kann man dann sehen, was sich alles aus Karton bauen lässt: Von der historischen Kutsche über den Mähdrescher, Gebäude, Kirchen, ganze Hafenanlagen, bis zum Spaceshuttle ist alles vertreten.

Besonders vielfältig ist aber das Angebot bei Schiffen und Flugzeugen. die Palette reicht vom einfachen Anfängermodell mit wenigen Bauteilen bis zu Modellen, die bis zu 10.000 Bauteile haben können. Die Preise reichen von ca. 5 Euro für ein Anfängermodell bis zu ca. 100 Euro, dafür bekommt man dann aber auch Bastelspaß für viele Monate.

Bei den Zurüstteilen (siehe Vorbemerkung oben) bewegen sich die Preise je nach Anzahl der Bauteile zwischen 9 Euro für kleinere Modelle und ca. 100 Euro für sehr umfangreiche Sätze. Die Treffen im DSM haben dem Kartonmodellbau zu einem Comeback verholfen. Man trifft immer wieder Besucher, die sich die mitgebrachten Modelle ansehen und verwundert fragen: "Ist das wirklich alles aus Papier ..?"

U.S.S. SAN FRANCISCO

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Immer wieder hört man auch den Satz "Das hab ich früher auch mal gemacht"! Bei manchem Besucher hat es dann auch dazu geführt, sich erneut mit diesem Hobby auseinanderzusetzen. Neue Verlage wurden gegründet, viele neue Modelle erschienen. Bei den Treffen haben Verlage neue Konstrukteure gefunden und haben sich Anregungen für neue Modelle geholt. Neue Techniken hielten Einzug in unser Hobby, wie zum Beispiel die Einführung von Fotoätzteilen und Lasercuts als Ergänzung zum Baubogen. Die Modelle werden heute am Computer konstruiert, während sie früher von Hand gezeichnet wurden. Die Auswahl und auch die Qualität der erhältlichen Modelle war noch nie so gut wie heute. Die in den letzten Jahren entwickelten Zusatzteile ermöglichen es, Modelle in "Museumsqualität" zu bauen. Sie ersetzen Bauteile, die sich nur schwer aus Karton herstellen lassen oder die zum Ausschneiden zu filigran sind, wie zum Beispiel Radarschirme oder Lüftungsgitter ...

Als es diese Möglichkeiten noch nicht gab, hat man sich anders geholfen und zum Beispiel eine Reling mit Heftklammern und Nähgarn dargestellt. Masten und Ladebäume wurden mit Besenborsten oder Zahnstochern hergestellt.

Der Einsatz von Fotoätzteilen oder Lasercuts ist unter den Modellbauern nicht unumstritten: Es wurde auch schon bewiesen, dass man eine Reling durch Ausstanzen der Zwischenräume einer gedruckten Reling herstellen kann, aber diesen Ehrgeiz besitze ich nicht. Es gibt einige, die es generell ablehnen, anderes Material als Karton zu verwenden. Aber letztendlich muss das jeder für sich entscheiden.

Für mich ist das Endergebnis wichtig - wie ich dahin komme, ist für mich nicht unbedingt entscheidend. Ich für mein Teil bin froh, dass mir die Zusatzteile zur Verfügung stehen ich nutze sie je nach Bedarf. Auf jeden Fall bin ich der Ansicht, dass ein gut gebautes Kartonmodell mit jedem Modell aus anderen Sparten konkurrieren kann.

Der Kartonmodellbau wurde durch die Aktivitäten des DSM und Herrn Dr. Stölting aus der "Spielecke" herausgeholt. Ich bin sicher, dass dieser Modellbauzweig sonst längst "ausgestorben" wäre ...

H.M.S. SPEY ...

Schlachtschiff BISMARCK, Hinterer Aufbau ... H.M.S. SPEY, Maßstab 1:400 Truppentransporter BATORY und Begleitschiffe ...

Durch die Schaffung einer eigenen Wertungsklasse kann man heute zum Beispiel mit Kartonmodellen auch an internationalen Modellbauwettbewerben teilnehmen. Im Internet haben sich Foren gebildet, wo man sich informieren und vor allem mit anderen Modellbauern austauschen kann. Allein in einem der bestehenden Foren sind über 9.000 Nutzer weltweit registriert ...

In den Foren gibt es oft auch die Möglichkeit, sich legal Modelle herunterzuladen. Man kann diese dann zu Hause ausdrucken und bauen. Je nach vorhandenem Drucker kann es beim Bau dieser Modelle allerdings zu Problemen kommen, wenn der Drucker die Dateien nicht exakt verarbeitet. Wenn man mit dem Kartonmodellbau beginnen möchte, sollte man sich als erstes Modell nicht unbedingt ein umfangreiches und kompliziertes aussuchen, weil man sonst im Falle des Scheiterns die Lust am Hobby wieder verlieren kann. Wichtig ist auch, dass man sich vorher die allgemeinen Hinweise gut durchliest und sich mit den Liniencodes vertraut macht. Diese Codes zeigen an, ob ich ein Bauteil nach vorne oder nach hinten knicken oder wo ich etwas ausschneiden muss. Ich studiere, bevor ich ein Modell anfange, zuerst die Bauskizzen und die Baubogen und mache mich mit dem Modell vertraut. Man könnte fast sagen, ich baue das Modell im Kopf.

Oft muss man sich schon am Anfang für Alternativen entscheiden: Baue ich zum Beispiel ein Schiffsmodell mit oder ohne Unterwasserschiff. Baue ich Funktionen ein wie zum Beispiel einen Kran, der sich drehen, heben und senken kann. Gut ist es auch, wenn man zusätzliche Informationen über das Vorbild sammelt: Fotos, Bücher, Pläne - alles kann hilfreich sein. Eine gute Quelle ist natürlich auch das Internet: War man früher mit seinen Modellen und den Problemen beim Bau alleine gelassen, gibt es heute die Möglichkeit, in den Foren, die sich mit dem Thema Kartonmodellbau befassen, Rat und Hilfe zu bekommen. Hier ist man gerne bereit, auch einem Neuling "unter die Arme zu greifen".

Was ist nun das faszinierende an diesem Hobby? Für mich ist es, dass man aus einem bedruckten Blatt Papier etwas dreidimensionales schaffen kann. Teil für Teil formt sich das Modell, bis es schließlich fertig da steht. Man fügt nicht nur vorgefertigte Teile aneinander, man ist von Anfang bis Ende an der Entstehung und am Endprodukt beteiligt, dem fertigen Modell. Was nachher in der Vitrine steht, ist zu 100 Prozent mit eigenen Händen geschaffen.

Obwohl ich im Laufe der vielen Jahre, die ich Modelle baue, auch mal Ausflüge in andere Bereiche gemacht habe, bin ich immer wieder zum Kartonmodellbau zurückgekehrt. Gegenwärtig fehlt mir allerdings einfach die Zeit, mich mit meinem Hobby noch intensiver zu beschäftigen.

Ich schaffe es derzeit vielleicht gerade mal, ein Modell im Jahr zu bauen. Aber das wird sich in naher Zukunft wahrscheinlich ändern, wenn ich aus dem Berufsleben ausscheide. Auf jeden Fall werde ich weiter Modelle bauen und auch weiter am Virus Kartonicus "leiden". Und: Gäbe es eine Medizin dagegen, ich würde sie nicht nehmen ...


© 2014 Text / Bilder Günter Plath