F-104 G: Zwanzig Jahre nach dem letzten Absturz ...
Erinnerungen an die "Mission Planning Section" ...
Zwanzig Jahre ist es nun schon her: Im April 1989 verlor die Bundeswehr ihren letzten Starfighter, es war eine TF-104 G (Trainer fighter), eine der wenigen zweisitzigen Exemplare dieses Strahlflugzeuges, vorgesehen für Trainingszwecke.
Dieser letzte abgestürzte Starfighter war die 292. Maschine des Typs, bei allen Abstürzen waren dabei insgesamt 116 Piloten tödlich verunglückt - eine in ihrer Art einzigartige Bilanz. Anlässlich des 20. Jahrestags des letzten Absturz widmete sogar die Süddeutsche Zeitung diesem Anlass und der "Gustav", wie die F-104 G (Germany) auch genannt wurde, eine komplette Seite in ihrer Wochenendausgabe. Selbstverständlich wurden da auch Bezeichnungen erwähnt, die der "bemannten Rakete" in all den Jahren verliehen worden waren: So tauchte der "Witwenmacher" genau so auf wie der "Sargnagel" und natürlich auch der damalige Witz, wie man am schnellsten an einen Starfighter käme: Ein Grundstück kaufen und warten ...
All diese Geschichten sind Hinweise auf das, was dieses berühmte Kampfflugzeug tatsächlich war: Ein technisch hochgezüchtetes Gerät, das von seinem Piloten ein Höchstmaß an Konzentration verlangte und in seiner Sensibilität keinen Fehler verzeihte.
Als überwiegend einsitziges Flugzeug mit einem maximalen Startgewicht von ca. 13 Tonnen konzipiert und ausgestattet mit einem General Electric J-79 Triebwerk, das 7.167 kp Schub lieferte, war die F-104 G ein 2,2 Mach schneller Überschall Mehrzweck-Kampfjet. Mit zur Bewaffnung gehörte eine 2 cm Bordkanone, zwei Luft-Luft-Raketen vom Typ "Sidewinder" und verschiedene weitere Außenlasten mit bis zu 2 Tonnen Gewicht, darunter auch die bekannten Tip-Tanks, also Zusatztanks an den Tragflächenenden.
Ursprünglich vorgesehen als reiner Tag- und Abfangjäger, wurde sein Einsatzprofil in Deutschland schließlich insoweit abgeändert, dass er zuletzt als Allwetter-Jagdbomber verwendet wurde - auch einer der Gründe für die katastrophale Unfallbilanz der Maschine. Die Umstände der Beschaffung führten in den sechziger Jahren zum Lockheed-Skandal; die Akten über die in Deutschland unter Verteidigungsminister Franz Josef Strauß beschafften Flugzeuge verschwanden seinerzeit spurlos aus dem Verteidigungsministerium.
Fliegerisch stellte die Maschine an ihren Piloten höchste Ansprüche: Die kurzen Tragflächen erforderten eine hohe Landegeschwindigkeit, der Starfighter konnte nach einem Triebwerksausfall entsprechend nur schwer gelandet werden.
Bei einem einseitigen Ausfall von Landeklappen kam es zu unkontrollierbaren Rollbewegungen, die nicht durch die Querruder kompensiert werden konnten. Auch die Startgeschwindigkeit von rund 400 km/h war extrem hoch und führte dazu, dass das Fahrwerk innerhalb von 2 Sekunden nach dem Abheben eingezogen werden musste, um zu verhindern, dass es wegen des hohen Luftwiderstandes verklemmte oder beschädigt wurde.
Erst die Einführung des "Martin-Baker" Schleudersitzes, eines "Zero/Zero"-Sitzes, der bei einer Höhe und Geschwindigkeit von 0 noch den Piloten retten sollte, brachte eine Senkung der tödlichen Unfallzahlen mit sich.
Eingesetzt wurden die berühmten Maschinen bei der Luftwaffe und der Marine, bei letzterer bekannt z.B. das Marinefliegergeschwader 1 (MFG 1) vom Fliegerhorst Schleswig/Jagel oder das Marinefliegergeschwader 2 (MFG 2) aus Eggebek. Bei der Luftwaffe sind folgende bekannte Jagdbombergeschwader besonders zu nennen, in denen die F-104 G zum Einsatz kam:
- JaboG 31 "Boehlke" Nörvenich
- JaboG 33 Büchel
- JaboG 34 "Allgäu" Memmingen
- JaboG 36 "Westfalen" Rheine-Hopsten.
Im letzteren, dem JaboG 36 Rheine-Hopsten, war Ende der sechziger Jahre auch der Verfasser tätig: U.a. in einer Wachstaffel und später im "Stab Fliegende Gruppe" in der so genannten "Mission Planning Section" (MPS), wo Navigationsunterlagen für die Piloten einer Staffel des Fliegerhorstes erstellt wurden ...
Das Geschwader war ab 1965 schrittweise auf die F-104 G Starfighter umgerüstet worden und kam ab Ende 1967 unter NATO-Oberbefehl. Durch die geltende "Flexible Response"-Doktrin der NATO sollten bei einem Angriff des Warschauer Paktes mit Atomwaffen bestückte Starfighter eingesetzt werden, wobei in einem extra gesicherten Bereich der Basis, dem "Quick Reaction Alert"-Bereich (QRA), ständig zwei Maschinen innerhalb von 15 Minuten nach Alarmierung startbereit gehalten wurden.
Mehr als 100 US-amerikanische Soldaten befinden sich in diesen Zeiten auf der Basis Hopsten, unter denen sich auch die Spezialisten für die "Sonderwaffen" befanden, die taktischen Atombomben der QRA-Maschinen. Der mit Doppelzaun und strengsten Einlasskontrollen hermetisch abgeriegelte Bereich durfte nur von wenigen Personen betreten werden. Die Atombomben wurden quartalsmäßig ausgetauscht und im Munitionslager Uthuisen eingelagert. Der monatliche und 3 km lange Transport von hier zur Basis Hopsten war eine spezielle Drillübung von mehr als 100 Wachsoldaten, darunter auch solcher der "Sicherungsstaffel-S" des Geschwaders.
Die mit "Sonderwaffe" und vier Zusatztanks beladene F-104 G "Starfighter" hatte dann einen Radius von nahezu 1.300 km unter Tiefflugbedingungen oder eine Flugdauer von knapp 1,5 Stunden. Die taktischen Einsatzziele, etwa Truppenkonzentrationen im Bereich des ehemaligen Gebiets des Warschauer Pakts, wurden in einer benachbarten Abteilung der "Mission Planning Section" erstellt, während in der MPS nur Trainingsflüge bearbeitet wurden, etwa solche mit simulierten Bombenangriffen auf Brücken etc.
Noch während der Dienstzeit im JaboG 36 wurde der Autor auch mit tödlichen Unfällen konfrontiert, so z.B. dem eines Piloten des eigenen Geschwaders, der kurz vor dem Aufprall mit seiner Maschine dem Hörensagen nach im Rückenflug über die am Manöver teilnehmenden Panzer geflogen sein soll. Oder da war auch das Erlebnis, nach einem Starfighter-Absturz bei der Bergung der Trümmer beteiligt gewesen zu sein: Im Oktober 1968 stürzte bei schlechtem Wetter eine Maschine des JaboG 31 in der Nähe des westfälischen Ortes Ottmarsbocholt ab. Die Bergungsmannschaft, zu der auch der Verfasser gehörte, hatte dabei neben den Trümmerteilen der Maschine auch die Reste des tödlich verunglückten Piloten einzusammeln - niemals vergessen wird der Autor den von ihm gefundenen abgetrennten Finger des Piloten mitsamt dessen Ehering ...
Es verwundert sicher nicht, wenn nach diesen Erlebnissen auch ein Modell der F-104 G im Modellkeller des Explorer Magazins zu finden ist: In diesem Fall ein rund 1 kg schweres Fertigmodell aus der Franklin Mint Armour Collection, das für rund 70,- EUR z.B. bei Modellbau König zu haben ist.
Das hervorragend gearbeitete und detaillierte Modell im Maßstab 1:48 hat eine Länge von 35 cm und rund 15,5 cm Spannweite inkl. Tip-Tanks. Abgesehen vom Wappen des Geschwaders, das ein wenig frei nachempfunden zu sein scheint (siehe Bild), enthält das Modell viele Details des berühmten Kampfflugzeuges: Neben den Tip- und Zusatztanks hat es auch zwei Sidewinder-Raketen und ein detailliertes Cockpit und Fahrwerk.
Das Modell stellt eine F-104 G von einem des wohl bekanntesten Geschwaders der Bundeswehr dar, dem Marinefliegergeschwader 1 (MFG 1) vom Fliegerhorst Schleswig/Jagel. Mit der Auflösung des Verbandes im Jahre 1993 ging ein Stück Marine-Geschichte zu Ende. Die F-104 G wurde beim MFG 1 von November 1963 bis zum Oktober 1981 eingesetzt, wobei rund 132.000 Gesamtflugstunden erbracht wurden. Unfälle/Abstürze/Verluste werden mit mindestens 19 Maschinen von diesem Geschwader angegeben - auch das eine bezeichnende Bilanz für ein einzelnes Geschwader.
Im Jahre 1991 schließlich wurde der Starfighter bei der Bundeswehr endgültig außer Dienst gestellt ...
Nachtrag, Mai ´11: Was hat der Starfighter mit der Sicherheit von Atomkraftwerken im Jahr 2011 zu tun?
Dumme Frage, sollte man meinen, natürlich nichts, denn das Flugzeug gibt es ja seit über 20 Jahren im Flugbetrieb nicht mehr, siehe oben. Dennoch aber tauchte er im Jahr 2011 ganz plötzlich wieder auf, und zwar in einem Bericht der "Experten-Kommission" zur Sicherheit deutscher Kernkraftwerke, die nach dem Atom-Desaster im japanischen Fukushima dazu aufgerufen war, die Risiken deutscher AKWs neu zu bewerten.
In deren Bericht vom Mai 2011 nun finden sich im Kapitel 6.6.1 Flugzeugabsturz unter "Mechanischer Schutzgrad 1" Aussagen zum "Erhalt der vitalen Funktionen beim Absturz eines Militärflugzeugs vom Typ Starfighter" sowie unter "Thermischer Schutzgrad 1" zu "Erhalt der vitalen Funktionen bei unterstellten Freisetzungen und Brand von Treibstoffen beim Absturz eines Militärflugzeugs mindestens vom Typ Starfighter."
Der Leser reibt sich die Augen und fragt sich, welche "Experten" hier ganz offiziell Volksverdummung in großem Stil betreiben: Als Maßstab und Kenngröße für Sicherheitsberechnungen von Reaktor Containments wird hier im Jahr 2011 tatsächlich ein Flugzeug aufgeführt, das seit 20 Jahren ausgemustert ist in Deutschland und mit 13 Tonnen (siehe oben) weniger als die Hälfte des maximalen Startgewichts hatte vom z.B. heute noch eingesetzten Mehrzweckkampfflugzeug Tornado (ca. 28 Tonnen)?!
Was von einem derartigen Kommissionsbericht zu halten ist, muss wohl in Anbetracht dieser Fakten nicht mehr kommentiert werden - das Ergebnis, seine Macher und vermutlich auch seine Intentionen sprechen offensichtlich für sich!
Aber wir haben es schon länger geahnt und wissen schon seit langem, dass nicht nur alte Militärjets eine Gefahr sind, die seit 20 Jahren nicht mehr fliegen, sondern natürlich auch Privatpiloten. Und vor deren Gefahren haben wir bereits vor etlichen Jahren vorausschauend eindringlich gewarnt: Es stört mich nicht, wenn Sie rauchen, oder: Wie schützt man ein Atomkraftwerk vor Privatpiloten ..?
© 2009-2011 Jürgen de Haas
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