Mexiko 2020
Gestrandet im Paradies ...
Kein CORONA in Mexico
Natürlich handelt es sich dabei nicht um das derzeit allgegenwärtige Virus, dieses hat auch vor dem südlichsten Staat des nordamerikanischen Kontinents nicht haltgemacht. Nein, einer der weltgrößten Getränkehersteller, die mexikanische Grupo Modelo mit über 40.000 Mitarbeitern, erzeugt in einer ihrer Brauereien das weltbekannte Gebräu "Corona" und hat dort seit dem 06. April 2020 die Produktion wegen der gleichnamigen Pandemie eingestellt. Keine gute Idee wie sich zeigt, sind doch inzwischen bereits über 100 Tote durch selbstgebrannten Schnaps zu beklagen …
Die beste Entscheidung unseres Lebens
Im Jahr 2016 hörten wir - mein Mann und ich - frühzeitig mit dem Arbeiten auf, um endlich mehr Zeit zum Reisen zu haben. Die Firmenanteile waren verkauft, die Ersparnisse zusammengekratzt, das Haus für diese geplante dreijährige Reise vermietet und schon konnten wir bis zum Erreichen unseres Pensionsalters zwar mit etwas weniger, aber doch gut über die Runden kommen. Es war wohl die beste Entscheidung unseres Lebens ..!
So sind wir nun mit unserem treuen Reisegefährten, dem Land Rover Defender "The Rusty Legend" (), vor über zwei Jahren aufgebrochen, um den amerikanischen Doppelkontinent zu bereisen und haben auf unserem Road Trip bis dato über 80.000 km zurückgelegt. Entlang der endlosen Highways von Kanada bis zum Polarmeer, über die Sommermonate 2018 in Alaska, und ganze zwölf Monate lang durch die Vereinigten Staaten durften wir uns an den traumhaften Landschaften, der faszinierenden Tierwelt und den freundlichen Menschen erfreuen. Vor über sieben Monaten ging es dann über die Grenze nach Mexiko und nach 10.500 km in diesem Land, kurz vor der Grenze zu Belize, sind wir nun gestrandet: Die Räder stehen still. Corona hat uns eingeholt!
"Nach spätestens zwei Wochen seid ihr tot!"
Diese und ähnliche Prophezeiungen wurden uns, vor allem von Amerikanern, mit auf die Reise gegeben, sollten wir tatsächlich in dieses gefährliche Mexiko reisen. Jeder kennt jemanden, dessen Arbeitskollege seiner Schwester jemanden kennt, der gehört hat, dass jemandem etwas passiert ist. Außerdem berichten die Medien täglich über Mord und Totschlag zwischen Drogenkartellen und in Mexico City weiß man ohnehin nicht mehr, wohin mit den ganzen Toten …
Keiner der Leute, die solche Ratschläge geben, waren jemals dort … "Gott bewahre"! Zum Glück sind wir aber immer in Kontakt mit anderen Overlandern, die bereits Monate in diesem vielseitigen Land verbracht und es ohne irgendwelche Probleme bereist haben. Keine Frage, ich möchte nichts beschönigen, wir sprechen hier nur aus eigener Erfahrung. Es ist immer Vorsicht angebracht beim Reisen, es ist immer gut, ein wachsames Auge zu haben und seinem gesunden Menschenverstand zu vertrauen. "Zur falschen Zeit am falschen Ort" - dagegen ist man leider machtlos. Das kann dir aber jederzeit und überall auf der Welt passieren. Den guten Rat eines in Mexiko lang gereisten Paares können wir nur weitergeben: "Solange du nicht auf der Suche nach Drogen oder Prostitution bist, hast du in diesem Land nichts zu befürchten" ...
Land der positiven Überraschungen
Schon die völlig unbürokratische und einfache Einreise im Norden Mexikos überrascht uns. In der Grenzstadt Tijuana sowie während der ersten Tage im Norden der Baja California werden wir noch von völlig vermüllten schlechten Straßen, finster und ärmlich aussehenden Menschen empfangen und die guten Ratschläge der Amerikaner setzen unseren ängstlichen Gefühlen noch eines drauf.
Doch je weiter wir in den Süden kommen, umso mehr schwinden diese negativen Gefühle. Tagelange Fahrten und Nächtigungen in menschenleeren Kakteenwüsten, einsame Strände, gutes, frisches und günstiges Essen sowie freundliche und hilfsbereite Menschen, wo immer wir Halt machen.
In Zentralmexiko angekommen, besuchen wir die kolonialen Städte, weiter im Süden die prähistorischen Stätte und Pyramiden, um dann endlich, ganz im Südosten, die Karibik zu erreichen und unserem Hobby, dem Tauchen, zu frönen. Auf der gesamten Strecke werden wir mehr als dreißigmal von der Polizei oder an Checkpoints auch vom Militär angehalten. Immer werden wir freundlichst zu Herkunft und Ziel befragt, unser Auto mehr aus Neugierde begutachtet. Ohne jegliche Beanstandung und immer mit besten Glückwünschen sowie guten Ratschlägen werden wir weitergewinkt und in keiner Weise ist jemals Korruption ein Thema. Zur Erinnerung: Wir befinden uns in Mexiko!
Eine Zahnbehandlung verlängert schließlich den Aufenthalt in Cancún um einen Monat. Und auch hier wieder eine Überraschung: Die aufwändigen chirurgischen Eingriffe bei Parodontitis werden hier mit Materialien aus der Schweiz fachgerecht und kompetent durchgeführt und ermöglichen uns eine Weitereise ohne Komplikationen. Also, nun auf in das 400 km südlich gelegene Belize!
Schluss mit lustig!
Doch ca. 15 km vor der Grenze ist Schluss mit lustig. Die Motorkontrolle leuchtet auf und wir beschließen, die Nacht auf einem nahe liegenden, relativ teuren Campingplatz zu verbringen, um der Sache auf den Grund zu gehen. Ursache: Wir hatten beim letzten Ölwechsel in Cancun acht Liter Öl geordert (ca. 7,2 Liter passen maximal hinein) und da es sich um eine Fachwerkstätte handelte, haben wir die Nachkontrolle vernachlässigt. Sie haben aber alle acht Liter eingefüllt, ganz nach dem Motto "Wer gut schmiert, der fährt gut" ...
Soweit kein Problem, bei der nächsten Werkstatt das überflüssige Öl abgelassen und fertig. Inzwischen treffen Freunde von uns aus Luxemburg ein - von Belize kommend - und erzählen uns, dass das Land sehr heruntergekommen ist, die Infrastruktur schlecht und die touristischen Einrichtungen wie Bootsausflüge und Besichtigungen wegen der Pandemie bereits gesperrt seien. Sie haben sich in dieser Situation in Belize nicht wohlgefühlt. Weitere Kontakte mit anderen Overlandern in Guatemala, Costa Rica und Kolumbien bestätigen auch dort gesperrte Grenzen vor allem für europäische Touristen. So entscheiden wir uns schließlich, den Campingplatz hier nördlich von Chetumal im Bundesstaat Quintana Roo als unser Exil zu wählen ...
Ohne Schlange kein Paradies ...
Somit war für uns die Entscheidung getroffen: Abwarten und Teetrinken bis sich der ganze Spuk wieder beruhigt. Wir haben ja alles bei uns, was wir benötigen und zurzeit hier mehr "Zuhause" als Daheim. Verhandlungen über einen besseren Preis für den Campingplatz bei einer Vorauszahlung für jeweils eine Woche werden geführt und wir besorgen uns einen zweiten Kühlschrank, um Lebensmittel für längere Zeit zu bunkern und weniger oft einkaufen zu müssen.
In den letzten beiden Märzwochen gibt es noch regen Wechsel der Mitbewohner am Campingplatz: Unsere Freunde aus Luxemburg bekommen noch einen Flug in ihre Heimat und stellen ihr Fahrzeug in der Nähe von Cancun unter. Schweizer und Franzosen machen es ihnen gleich und zu guter Letzt verbleiben wir mit drei weiteren Fahrzeugen aus Mexiko City, Kalifornien und einem Truck aus Deutschland in unserem selbstauferlegten Exil. Ab nun ist unser Campingplatz offiziell gesperrt wie auch alle Hotels und Motels in ganz Mexiko. Wie dies der Besitzer mit den Behörden jetzt abhandelt, ist eine andere Sache ...
Unser Exil mit dem klingenden Namen "YaxHa" ist etwa so groß wie ein Fußballfeld und liegt direkt am karibischen türkisfarbenen Meer. Wir stehen mit unserem Fahrzeug teilweise im Schatten von einigen der mehr als achtzig Kokospalmen. Ein Pool lädt zum Schwimmen ein, die Toiletten und warmen Duschen sind gepflegt, wir haben regelmäßig Strom und stabiles WiFi. Die ersten sieben Wochen Sonnenschein mit einer Brise, die Tagestemperaturen bis zu 35°C gut erträglich machen. Wenn es gegen Mittag zu heiß wird, legen wir uns in die Hängematte im Schatten und genießen das Rauschen der Wellen.
Je länger wir hier verweilen, desto bewusster wird uns, dass wir hier im Paradies gestrandet sind: Kein einziger Platz der letzten zwei Jahre - und es waren über 500 (!) - hätte dies bieten können. Denn was nutzen Plätze an traumhaften Seen, an Buchten inmitten weißer Sanddünen mit Blick auf z.B. den Denali oder in die Schluchten des Grand Canyon ohne Zugang zu Lebensmitteln, Trinkwasser, Strom, WiFi und warmen Duschen über mehrere Wochen oder gar Monate ..?!
Und um den Gesamteindruck noch zu unterstreichen, schlängelt sich plötzlich früh am Morgen eine Boa Constrictor Imperator an unserem Fahrzeug vorbei - das Paradies ist komplett! Naja, auf den einen oder anderen Skorpion könnte man verzichten. Und da ist noch ein Punkt, den wir zu Beginn bereits angesprochen haben: Seit Anfang Mai gibt es in ganz Mexiko kein Bier mehr zu kaufen und das trübt Bernhards Vorstellung vom Paradies doch ein wenig. Aber das nennt man dann wohl "Jammern auf hohem Niveau"!
Wir zahlen für den Campingplatz umgerechnet knapp 400 Euro. Wenn man noch Lebensmittel, Trinkwasser und kleinere Besorgungen hinzurechnet, kostet uns das Leben momentan rund 900 Euro pro Monat ... so günstig kann es im Paradies sein!
Fernsehen für die Schule
Aber zurück zu den Überraschungen: Wir hatten das Problem, dass die Aufenthaltsgenehmigung für unser Auto ablief. Das war bei der Einreise nach Mexiko temporär eingeführt worden und bedingte eine Kaution von 400 US $. Würde das Fahrzeug anschließend nicht binnen 180 Tagen wieder ausgeführt, verfiele diese Kaution und das Auto könnte beschlagnahmt werden.
Es gibt nur zwei Bundesstaaten, wo es keine Einfuhr zu bezahlen gibt: "Baja California" und eben "Quintana Roo", wo wir ja gerade festsitzen. Also fahren wir zum Zoll und wieder werden wir schnell, freundlich und unbürokratisch bedient, das Auto wird offiziell ausgeführt und wir erhalten den Betrag zurück. Solange wir also den Bundesstaat nicht wechseln, haben wir mit dem Auto kein Problem mehr. Sollte es jedoch wieder Richtung Norden gehen, müssten wir es allerdings erneut temporär einführen und das Ganze ginge von vorn los. Für uns stellt sich die Frage nach Verlängerung des Visums aber erst Mitte Juli, da wir über Weihnachten kurz einen Heimaturlaub eingelegt hatten.
Die Osterferien sind vorbei und die Schule beginnt: Allerdings gibt es nur virtuellen Unterricht. Da aber hier in Mexiko bei weitem nicht alle über einen Internetzugang verfügen, wird er über das öffentliche Fernsehen abgehalten. Ein Kanal sendet den ganzen Tag abwechselnd für jede Schulstufe den Lehrstoff. Wie lange das so gehen wird, weiß man noch nicht. In den Geschäften herrscht Maskenpflicht, pro Familie darf nur eine Person eintreten, man bekommt Hand-Gel und auch die Einkaufswagen werden vor Gebrauch desinfiziert ...
Plan F: Wo stellen wir am Campingplatz den Weihnachtsbaum hin?
Nie hätten wir uns träumen lassen, dass wir es länger als zwei Wochen auf einem Urlaubsplatz aushalten. Wir führen ein so aktives Leben, und doch genießen wir es hier immer mehr. Es gibt genug zu tun im Paradies! Roststellen am Fahrzeug werden beseitigt und lackiert, kleine anstehende Reparaturen durchgeführt und wir beginnen mit dem Erarbeiten unserer Vorträge. Dabei erweist sich das Internet als wahrer Segen: Nicht nur dass wir ständig Kontakt zur Familie und Freunden haben, über diverse Nachrichtensender sind wir immer auf dem Laufenden. Nicht nur was die Pandemie betrifft, auch das Wetter mit Regenzeit und baldiger Hurrikan-Saison behalten wir im Auge.
Nach neun Wochen kommen die ersten Bedenken, ob wir die Reise in den Süden wie geplant durchführen können. Die Infos über die Maßnahmen sprechen von immer längeren Zeiten, härteren Maßnahmen. Langsam sehen wir unsere verbleibende Zeit dahinschwinden. Wir denken bereits über einen Plan B nach, bei dem wir nur bis Paraguay weiterfahren und das Auto dort unterstellen, um dann im nächsten (europäischen) Winter die Reise fortzusetzen und zu beenden. Aber was, wenn man überhaupt nicht Richtung Süden weiterfahren kann, weil es durch die nun noch größere Armut zum Beispiel zu Unruhen kommt? Plünderungen und Unzufriedenheit sind keine guten Bedingungen zum Reisen. Also Plan C, wir könnten wieder über die USA nach Kanada reisen und dort überwintern. Eine Hütte, im Kamin prasselt das Feuer, die Schneeschuhe stehen vor der Türe - stellen wir uns auch schön vor. Es folgen Plan D, E, F… auf alle Fälle wollen wir Ende März 2021 nach insgesamt drei Jahren wieder in Österreich sein.
"Glück ist, wenn sich das Leben stimmig anfühlt und äußere Umstände nur bedingt Einfluss nehmen!"
Was für ein wunderschöner Satz, den man neulich in einem Interview in der Kleinen Zeitung Kärnten finden konnte - Internet macht´s möglich! Er trifft unseren Gefühlszustand zu hundert Prozent. Trotz der ungewissen Zukunft genießen wir hier jeden Tag - komme was wolle!
Anm. der Red.: Wer weitere fantastische Bilder der mehrjährigen Reise unserer Autoren sehen möchte, dem empfehlen wir ihre wirklich eindrucksvolle Reiseseite. Mehr dazu unter Bilderreisen Info!
© 2020 Bernhard Ornig & Sandra Camaioni-Ornig