7. Tag

Die Residence Nejma de Rif scheint hauptsächlich für einheimische Gäste konzipiert zu sein. Denn heute morgen, im strahlenden Sonnenlicht, sieht man zwar wie liebevoll alles getüncht ist, und auch die großformatige Wandmalerei beeindruckt. Aber wenn man hinter die Kulissen blickt, sprich in´s Innere der Appartements, dann kommt einem angesichts des dort verbauten Sanitärstandards schon mal das Frühstück hoch. Notdurft im wahrsten Sinne des Wortes ..!

Aber die Bediensteten sind nett und sehr bemüht, uns unseren kurzen Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen. Auch die drei Kinder, die heute zu Besuch sind und sich mächtig in Schale geschmissen haben, sind total lieb und beäugen uns neugierig, aber zurückhaltend. Sie machen einen sehr gepflegten und gut situierten Eindruck, und nur deshalb fallen sie uns auf, so dass wir den Kontakt selber suchen und sie ein paar Dinge fragen. Ernüchtert stelle ich fest, dass wir auf diese sonst allgegenwärtigen kleinen Nervensägen mit ihrem permanenten Stylo-Bonbon-Dirham-Geschrei gar nicht mehr reagieren - schade eigentlich, dass man schon nach wenigen Tagen soweit ist ...

Jedenfalls verschenken wir aus unserem verbliebenen Spielzeugvorrat einige große Stofftiere, und wenn wir auch froh sind, diese platzraubenden Teile endlich los zu sein, so ist es dennoch schön zu sehen, wie die Kiddies ihre Geschenke an sich drücken und den Rückzug antreten, ehe wir es uns anders überlegen - so große, dankbare Augen gibt´s zu Hause noch nicht mal nach einem neuen Nintendo-Game, das ist sicher! Wir werden herzlich verabschiedet, und trotz aller Unzulänglichkeiten war es eine schöne Übernachtung in ruhiger Atmosphäre, ohne großes Tamtam oder sonstige Aufdringlichkeiten.

Vor Tarfaya ...Auf nach Tarfaya, unserem wahrscheinlich südlichsten Punkt der Reise. Gerne wäre ich noch ein wenig weiter bis zum Camp Le Roi du Bedouin gefahren, aber es lässt sich bereits jetzt absehen, dass die Zeit dafür nicht reichen wird. Dass die Zeit noch nicht mal für Tarfaya reichen wird, ahnen wir noch nicht, als plötzlich kurz hinter dem Ortsende die Warnleuchte der Ladekontrolle zu flackern beginnt: Erst halte ich es für eine Reflexion oder Sinnestäuschung, aber als es dann doch böse Gewissheit ist, halten wir einige Kilometer hinter El Ouatia erstmal am Straßenrand an, um uns darüber klar zu werden, dass sich hier eine Panne mit einer Tragweite abzeichnet, die es keinesfalls erlaubt, bedenkenlos weiter in die Wüste zu fahren. "Houston, wir haben ein Problem!"

Es ist also passiert, was nicht passieren soll, wovor wir immer einen höllischen Schiss haben und wofür ich - wäre ich gläubig - des abends auch gerne beten würde: Lieber Gott, lass´ unser Auto ohne Defekt und ohne sonstige Maleschen weiter fahren, damit es uns heil wieder nach Hause bringen kann - Amen! 

Ob es genutzt hätte, ist rein spekulativ - so aber ist klar, dass ich nicht erhört wurde: Allah mag keine Atheisten. Nachdem der göttliche Beistand also ausbleibt, ist jetzt umso mehr klarer Verstand gefragt, und der sagt uns: zurück nach El Ouatia, wo mit Sicherheit eine Werkstatt aufzutreiben ist und dort checken lassen, wo der Fehler liegt - Batterie, LiMa oder eine Anfälligkeit in der Abteilung Kabel/Stecker/Sicherung. Mit Sicherheit ausschließen kann ich lediglich einen Keilriemendefekt, aber dann hören meine Technikkenntnisse zwecks sicherer Diagnosestellung auch schon auf.

Zunächst geht es jetzt darum, keinem Halsabschneider in die Arme zu laufen, der das Geschäft des Jahres wittert und uns den Kocher auseinander schraubt, den Fehler nicht findet, zehn Schrauben übrig hat und uns auch noch derbe abkassiert. Die Gefahr, dass es so oder so ähnlich abläuft, ist gar nicht mal so gering, überall auf der Welt wird man abgezockt, wenn man 1. fremd, 2. auf sofortige Hilfe ohne Alternative angewiesen ist und sich 3. bestimmt nicht mehr über den Weg läuft! Aber das ist normal, nur sind wir eben absolut nicht in der Lage, uns hier im Geröll auch noch Werkstattmurks leisten zu können. So geht es erstmal vorsichtshalber zum Nejma de Rif zurück, und nach Schilderung der Situation geleitet uns ein Pickup zur Werkstatt des Vertrauens des Patrons. Immerhin: Wir sollen ihm Bescheid geben, wenn wir uns über´s Ohr gehauen fühlen, und damit haben wir den ersten Stolperstein schon mal genommen, mehr kann man nicht erwarten.

Wir werden zu einer unscheinbaren Garageneinfahrt in einem vermüllten Seitenweg gelotst, und in dem dunklen Verlies dahinter wird gerade ein Uralt-VW-Golf zurechtgeschweißt und ein ausgemusterter Kühlschrank abgeschliffen - ein Laden also, dem man auf den ersten Blick keinesfalls mehr als eine Auspuffreparatur zutrauen würde. Unser Auto bleibt vor der Einfahrt stehen, und zwei Minuten später liegen ein paar Mechaniker im Straßendreck unterm Motor. Wir tauschen hoffnungsfrohe Blicke aus ...

Das Wichtigste in Kürze: Mangels vorhandener Diagnosegeräte tippt die Mehrheit der Mechaniker auf eine defekte LiMa und der halbe Motorraum muss ausgeräumt werden, um sie ausbauen zu können. Ab und zu fallen Schrauben und Werkzeug nach unten durch, und als auch noch die grüne Kühlflüssigkeit literweise herabrauscht, wird mir ganz übel. Dann wird die LiMa auf dem Garagenboden in alle Einzelteile zerlegt, und als der "Électricien" keinen Defekt entdecken kann, kratzt er sich den Kopf - kein gutes Zeichen. Es wird dann noch dieses und jenes mit Klingeldraht, Glühbirne und 12V-Akku geprüft, alles geschieht auf eine unglaublich einfache und fast naive Art und Weise, die mehr an ein Experiment eines Physik-Baukastens für Schüler erinnert als an eine erfolgversprechende Autoreparatur.

Helfer in der Not: Garage Massira ...Nach vier Stunden wird letztendlich durch Ausschlussverfahren der Übeltäter gefunden: Ein verstecktes Kabel hatte sich am Auspuffkrümmer blank gescheuert. Ein Pfennigdefekt, der uns aber mit der Zeit eine leergenudelte Aufbaubatterie beschert hätte - also kein Licht, keine Wasserpumpen, keine Heizung mehr. So gesehen war die Entscheidung einer schnellst möglichen Reparatur richtig, auch wenn wir aktuell wohl nicht liegengeblieben wären.

Es folgt dann noch eine Probefahrt nach erneuter Kabelverlegung, es wird eine ordnungsgemäße Rechnung erstellt, die wir sogar in Euro begleichen können, und nach insgesamt sechs Stunden "rollen wir vom Hof" - nicht ohne Erinnerungsfoto aller Beteiligten und Cadeau für den Mitarbeiter vom Camp. Wir stellen fest, dass Afrika wieder einmal gezeigt hat, wie man mit Improvisation, Zeit und Geschick das wettmachen kann, was wir technologischen Vorsprung nennen. In wie weit das "Auge des Patrons" vom Nejma de Rif über uns wachte, entzieht sich zwar unserer Erkenntnis, aber Halsabschneider waren die Jungs von der Garage Massira keinesfalls, und ihre Kompetenz und ihre Schlitzohrigkeit dem Fehlerteufel gegenüber lassen sich durchaus weiter empfehlen.

Der Tag ist für uns natürlich gelaufen, und da wir die Wartezeit nicht in einer klimatisierten Hotelhalle verbringen durften und durch die Anspannung auch zu wenig gegessen und getrunken haben, fühlen wir uns alle nicht in Hochform. Wir beschließen daher für heute nur noch eine verkürzte Etappe bis Akhfenir, wo wir die Courbine d´Argent zur Übernachtung aufsuchen wollen. Das ist eine Herberge mit Campmöglichkeit, von der aus Hochsee-Fischereitörns und Angelfahrten gebucht werden können. Die haben eine gutgemachte Website, die wunderbar die Stimmung an dieser fischreichen Küste wiedergibt und uns zumindest Lust auf dieses Camp im Vorfeld gemacht hat.

Die ersten 50 Kilometer allerdings fahren wir mit eingeschaltetem "Popometer", um eventuelle Versäumnisse beim Motor-Zusammenschrauben schon im Ansatz zu registrieren. Radio aus, Fenster zu und Lauscher auf Empfang - aber alles läuft im grünen Bereich. Langsam weichen die Sorgenfalten, die Laune bessert sich zunehmend und die gute Erkenntnis, dass die Massira-Jungs keinen Murks gemacht haben, beginnt den ganzen Scheißtag zu überlagern. Nach und nach lasse ich mich auch wieder auf die Landschaft ein, die uns draußen begleitet ohne sich großartig zu verändern. Das warme Licht des späten Nachmittags lässt die Plateauberge links noch dunkelbrauner erscheinen, und genau darüber kondensiert ein watteweißer Wolkenstrang. Rechts über die Abbruchkante der Küste bietet sich ein Dauerblick in den gleißenden Atlantik, der wie immer majestätisch und endlos hier anbrandet ...

Die Straße führt ziemlich nahe an dieser Felskante entlang, schnurgerade und sehr eben, und ist nur von vier oder fünf Ouedmündungen unterbrochen, die breite Täler in den Küstenfelsen gefräst haben. Am Oued A Ma Fatma gibt es eine kleine Camperkolonie oberhalb des Strandes, am Oued Louaar sieht man vor der Brücke zwei Steinkamele, und das war´s dann auch schon mit der Abwechslung. Umso mehr fallen die steinernen Fischerhütten an der Steilkante auf, deren Zahl seit El Ouatia wohl in die Hunderte geht. Obwohl "Hütten" nicht ganz richtig ist, denn im Grunde handelt es sich hierbei eher um mit Lumpen und verrotteten Zeltbahnen verhängte Ruinenreste, die dem Fischer wohl nichts bieten außer Schlafstatt, Gaskocher und Dach überm Kopf. Allein die Vorstellung, tagelang in dieser feuchten Atlantiksuppe hier oben zu hausen mit der einzigen Option, per Zehn-Meter-Angelrute den einen oder anderen zappelnden Fisch zu ergattern, lässt einem das Rheuma die Knochen hochziehen - und wie viele Wochen oder Monate sitzen die hier? Bonjour, tristesse ...

Später erreichen wir dann die ersten Tankstellen, die verbilligten Sprit anbieten, obwohl wir die ehemalige geografische Grenze zur Westsahara noch längst nicht erreicht haben (gefühlsmäßig sind wir aber seit Tan-Tan schon im Westsaharagebiet). Egal, der Tank wird vollgeknallt und die Rechnung fällt moderat aus: umgerechnet etwa 40 Cent der Liter. Tanken macht hier noch sehr viel Spaß, zumal angesichts der gleichmäßigen, defensiven Fahrweise auch der Durchnittsverbrauch in den Keller geht. Kurz danach wird Akhfenir passiert, ein typisches Straßendorf an der N1, das jetzt in den violetten Schatten des Abends eine morbide Traurigkeit verbreitet. Die Menschen haben hoch zugeknöpfte Jacken an, die Kamine qualmen kokelnd vor sich hin, und die Rauchfahnen werden von der Meeresbrise zerfleddert. Abendstimmung am Ozean ist immer irgendwie ein kleiner Tod ...

La Courbine d'Argent ...

Hochwertige Salonausstattung ...

Lauschiger Aufenthalt im Windschutz der Mauern ...

Umso mehr erfreut sich unser Auge an der "ersten Blume" seit Guelmim, denn die orangefarbene Mauer der Courbine d´Argent leuchtet uns im Abendrot förmlich an. Rechts zwischen Straße und Atlantik liegt sie wie ein kleiner Palast auf dem Strand, man fährt durch zwei Tore und sucht sich einen Platz innerhalb des Mauergevierts. Wir sind die einzigen Campergäste, und einige Franzosen genießen im luftigen Innenhof die letzten Sonnenstrahlen, die schräg durch die seeseitigen Fenster hereinfallen. Vor diesem Riad, in dem sogar grünes Gras und Blumen wachsen, parkt ein weißer UN-Toyota und andere dicke Geländewagen mit Angelequipment. Man lebt hier vom Hochseefisch und seinem Tourismus, soviel ist klar.

Dem zu Folge ordern wir eine Fischplatte für das Diner, zu dem wir uns nach Einbruch der Dunkelheit mit den Franzosen im Salon einfinden. Ein richtiges Gespräch kommt natürlich mangels Sprachverständnis nicht zu Stande, aber wir verstehen zumindest so viel, dass es sich um Freizeitangler handelt, die sich alle aus verschiedenen beruflichen Gründen in Marokko aufhalten und sich hier am Osterwochenende zum Fischen zusammengefunden haben. Zum Aperitif gehen diverse Flaschen mit Hochprozentigem herum, dazu Eis, Nüsse und eingelegte Oliven, und wenigstens diese Sprache ist international. Es lebt sich nicht schlecht hier am Ende der Welt, und gottseidank verstehen wir nichts von dem Anglerlatein, mit dem abends geprahlt wird; zu vorgerückter Stunde werden die Fische immer größer!

Die Ausstattung des Salons und überhaupt der ganzen Anlage macht einen hochwertigen und soliden Eindruck, das fängt bei der Möblierung an und hört bei der Verarbeitung des Wandputzes auf. Doch ohne regelmäßige Investitionen in die Erhaltung lässt sich ein Bau so nah am Atlantik wohl nicht durch die Jahreszeiten bringen, und auch deshalb gehört die Courbine nicht zu den ganz günstigen Herbergen. Aber man bekommt einen Gegenwert, und es hat schon was, sich in der Dusche heiß "abzukochen" und aus dem Fenster nach Lanzarote zu blicken.

Nachts vorm Auto ist es noch sehr lauschig im Windschutz der Mauer, die Kiddies schlafen tief und fest nach den Strapazen des Tages, wir genießen den Sternenhimmel, und die marokkanische Flagge auf dem Dach knattert im Wind. Draußen vor dem Tor rappelt ab und zu ein LKW vorbei, und gegen Mitternacht erstirbt das permanente Geballer des Dieselgenerators außerhalb der Mauer. Versonnen knacken wir die letzte Bierdose des Tages und genießen die Nacht in diesem sehr eindrucksvollen Gemäuer mit seinem ganz speziellen Reiz, der sich so gar nicht konkret an irgendetwas festmachen lässt - man muss es halt fühlen können ...

8. Tag

Heute morgen ist der Himmel leider grau: Schade, denn wenn das Sonnenlicht fehlt, sieht es hier in der Westsahara doch sehr einfarbig aus. Man stellt sich manchmal schon die Frage, warum man überhaupt durch diese triste Landschaft fahren soll - außer zum Transit nach Mauretanien. Es gibt keine Kamele, weder Palmen noch Kakteen, nichts Blühendes, kaum Sand und nicht nennenswerte Dünen, keine farbenfrohen Märkte - es fehlt einfach alles, was dem Auge schmeicheln könnte.

Das Sebkha Debira liegt auf dem Kurs ...Darauf gibt es keine allgemein verbindliche Antwort, jeder muss für sich selber entscheiden, ob er etwas Interessantes an der Westsahara findet oder nicht. Ich zum Beispiel habe gerade in der Abgeschiedenheit hier am Rand des afrikanischen Kontinents den eigentlichen Reiz dieser Region verspürt - die Reduzierung der Welt auf den Ozean, auf den Himmel, auf den Geröllboden und auf die Straße als einziges alles verbindende Element, die mit ihren regelmäßigen Distanzangaben per Kilometerstein den Strohhalm darstellt, an den man sich klammert ...

Es hat einerseits etwas Bedrückendes, andererseits zeigt es dem Individuum aber auch seine Grenzen auf. Kann man zu Hause im Alltagsleben schon mal Höhenflüge bekommen, begründet oder nicht, bei denen man sich auch schon mal gerne selber auf die Schulter klopft, so wird man hier in der Weltordnung wieder auf das entsprechende Maß zurecht geschrumpft. Ball flach halten, Respekt allem anderen gegenüber wahren und sich generell zur Ruhe zwingen - das macht diese Weite auch für uns Europäer erträglich.

Das Sebkha Debira liegt auf unserem Kurs, eine Salztonsenke mit Sandfeldern und Dünengürtel am Rand. Von diesem aus kann man in die Ebene blicken und Hunderte von Salzhaufen ausmachen; scheinbar wird das Salz hier tatsächlich abgebaut und anschließend vermarktet. Es grenzt aber schon an Sisyphosarbeit, wenn mitten im hektargroßen Gebiet ein einzelner Mensch mit Schubkarre Salz schaufelt, und die Frage darf gestattet sein, ob der Salzabbau hier wirklich effektiv genug betrieben wird?

Ansonsten ist die Aussicht weit weniger spektakulär, als wir uns das vorgestellt hatten, alles erinnert mehr an eine Abraumhalde oder eine vom Tagebau verschandelte Landschaft. Wir sind ein wenig enttäuscht, wozu aber auch der ziemlich wolkige Himmel beiträgt, und fahren noch weiter bis an die Südflanke des Sebkhas. Dort endlich reichen die Sandverwehungen und Dünensicheln bis an die Straße heran, ab und zu steht am Rand schweres Gerät, um wahrscheinlich nach Sandstürmen schnell die Trasse wieder freiräumen zu können, aber eine gefahrlose Möglichkeit, mal rechts ab weiter in den Sand zu gelangen, gibt es für uns leider nicht. Neben dem Asphalt ist sofort Weichsand, und ich habe schon Schwierigkeiten, das Auto so neben der Straße zu parken, dass wir auch wieder losfahren können. Auf der Straße stehen zu bleiben wäre völlig utopisch, denn der LKW-Verkehr würde in diesem Kurvengeschlängel unser Auto zu Schrott fahren; jeder schranzt hier über die Piste, als gäbe es keine Bremsen (vielleicht ist dem manchmal ja auch so). 

Wir setzen uns auf einen Dünenkamm und beratschlagen das weitere Vorgehen. Der Junior wühlt wie ein Hund im Sand, jeder dritte LKW hupt beim Vorbeifahren (wobei nicht klar wird, ob das ein netter Gruß oder eine Drohgebärde sein soll?!), und es fällt die große Zahl von Wasserlastern auf, die Richtung Süd fahren, wen oder was sie dort auch immer beliefern. Wir überlegen: Der letzte Kilometerstein zeigte noch 50 km bis Tarfaya an, und wir haben nicht das Gefühl, dass sich dieses Dünengebiet noch zum zweiten Erg Chebbi mausert. Was bleibt also? Auf der folgenden Strecke werden noch einige gestrandete Frachter zu sehen sein, wobei man trefflich darüber streiten könnte, wie sehenswert denn so ein rostiger Kahn sein mag? Und Tarfaya selbst? Nach Studium des Reiseführers dürfte uns nichts als eine in die "Pleine" gestampfte Garnisonsstadt erwarten, angereichert mit einem Denkmal für St. Ex, den poetischen Postflieger des Zweiten Weltkriegs.

Ok, sind wir realistisch: Der gestrige Tag hat uns jeden zeitlichen Spielraum gekostet, selbst wenn er zuletzt auch nur noch theoretischer Natur war. Unser Zeitplan hängt schon einen Tag, und somit muss irgendwo mal ein Schlussstrich unter den Südwestkurs der letzten Tage gezogen werden. Wir befinden, dass diese Dünen ein schöner Platz zur Umkehr sind, genießen noch ein wenig, dass zum ersten Mal heute dauerhaft die Sonne hervorlugt, und drehen um. Schweigend - grübelnd - kopfschüttelnd - aber entschieden. Als will das Wetter nicht alles noch schlimmer machen, wird der Himmel immer blauer, und als wir uns dem Naturschutzgebiet um das Sebkha Naila nähern, beschließen wir den Abzweig Richtung Meer zu nehmen, um dort eine Pause zu machen ...

Naturschutzgebiet ... ... am Sebkha Naila ...

Man parkt am offiziellen Häuschen eines Uniformierten, und einige Franzosen campen hier scheinbar schon einige Tage - dem Equipment nach zu urteilen. Ein kühler Wind fegt über das Plateau und nach wenigen Schritten blickt man auf ein schilfumsäumtes Flussdelta, das sich als 180°-Panorama wie eine Miniaturlandschaft darbietet. Vereinzelt stehen Flamingos im Schilf, und tölpelartige Vögel zischen mit erhabener Schwingenbewegung am Ufer entlang. Eine Treppe führt hinab, unten liegen ein paar Holzboote schräg im Schlamm, und die ganze Szene macht in ihrer Schönheit einen etwas künstlichen Eindruck, so als habe sie ein Bühnenbildner extra für ein Theaterstück geschaffen. Das ist doch mal was im Gegensatz zu dem dämlichen Salzabbau von vorhin, und man könnte sich einfach auf eine Felsplatte setzen und die ruhig daliegende Landschaft in sich aufsaugen.

"Könnte" -, wenn da nicht der oben erwähnte "Milizionär" seine Mission pflichtbewusst erfüllen wollte, die da heißt: Wer kein Permit von der Polizei in Akhfenir vorweisen kann, fliegt raus! Ich versuche es mit Doofstellen, aber der Meister zeigt sich gnadenlos und deutet mit dem krummen Finger zur Straße. Keine Ahnung, ob der Angst hat, dass wir Flamingos klauen oder in´s Wasser pinkeln wollen, es ist jedenfalls eine zu alberne Situation, als dass man sich mit einem Parkwächter herumstreiten sollte. So ein Blödsinn. Wir kommen wieder, Junge, irgendwann, und zwar mit einem Permit mit Sondervollmachten, dann campen wir hier vor deiner Hütte fett wie eine Qualle und grillen die Felsplatten schwarz!!

Mangels Alternativrouten müssen wir jetzt wohl oder übel die selbe Straße zurückfahren, und damit es nicht langweilig wird, legen wir einen kleinen Zwischenspurt ein: Das abendliche Ziel heißt Fort Bou Jerif, und es ist nicht so abwegig es heute noch zu erreichen, wie es sich spontan anhört. Mit dieser geplanten Gewaltetappe können wir auch unseren hängenden Zeitplan wieder in´s Lot bringen, ohne irgendetwas Wichtiges an der Strecke zu verpassen. Wir geben Gas.

Bei Tan-Tan ...Alle bekannten POI´s fliegen am Fenster vorbei, nur dass wir jetzt alles in schönerem und wärmerem Licht als auf der Hinfahrt sehen können - der Effekt vom Paradise-Valley wiederholt sich auf´s Neue. Keine schlechte Sache, und die Fahrt in den Abend hinein ist alles andere als gähnend langweilig. Leider ist die Gendarmerie wieder zahlreich vertreten, und als wir am Flugplatz zwischen El Ouatia und Tan-Tan den vierten Polizeiposten im Schneckentempo passieren, reicht´s mir bald mit den Kontrollen - wenn man es eilig hat, sind sie sehr kontraproduktiv.

Beim Ortsausgang von Tan-Tan kurz hinter den Kamelen bin ich dann für einen Moment unvorsichtig: Nach kurzer Fotopause mit laufendem Motor beschleunige ich aus dem Straßenrand heraus ziemlich zügig, um den lahmen Peugeot nicht vor mir zu haben, der da angekrochen kommt. Was ich nicht ahne ist, dass es sich um eine Polizeistreife im Zivilauto handelt, die jetzt angesichts meines Alarmstarts Blut geleckt hat und mir nachsetzt. Der Beifahrer peilt mich dann aus dem fahrenden Auto heraus durch seine Frontscheibe mit der Radarpistole an, nach erfolgter Messung überholen sie uns und stellen sich hinter der nächsten Kurve mitten auf die Straße. Immer noch nichtsahnend werden wir gestoppt, der eine fuchtelt wild mit seinem Radargerät herum und kommt ohne Umschweife zur Sache. "Bonsoir, Monsieur, s´il vous plaît: Permis de conduire, Carte grise et quatt´ cent Dirham!"

Auf mein blödes Gesicht hin zeigt er mir zum Beweis die LCD-Anzeige seiner Pistole, die eine 75 zeigt, und die ganze Apparatur sieht aus wie ein Billignachbau aus China, mit dem man in Europa bestenfalls Leute erschrecken könnte. Niemals würde diese Messung einer gerichtlichen Prüfung standhalten, aber wir sind hier in Afrika und deshalb stimmen die 75 km/h. Ich fühle mich völlig elend, als ich mit fliegenden Fingern vergeblich versuche, die gewünschten Papiere zu finden; da wo sie sonst sind, sind sie jetzt jedenfalls nicht. Ich zwinge mich zur Ruhe und überlege. Mal abgesehen von der möglichen Fehlerhaftigkeit der Messmethode - da können viele Faktoren das Ergebnis verfälschen - und vielleicht auch zugegeben, dass wir tatsächlich zu schnell waren, aber in Anbetracht der Hinterhältigkeit der Radarfalle hatte ich auch nicht den Hauch einer Chance dieser zu entkommen. Ich resümiere, dass unsere gewohnt zügige Fahrweise ganz schön ins Geld geht, ohne jedoch ein Patentrezept zu haben, wie man so etwas für die Dauer des Resturlaubs vermeiden könnte. So langsam und vorsichtig braucht kein Mensch zu fahren, um sich verkehrssicher zu verhalten ...

Und jetzt passiert Glück im Unglück: Zu beiden Seiten der Kontrolle haben sich lange Schlangen gebildet, irgend jemand hupt wie wild, irgendwo pfeifen die Reifen, es ist eine etwas unübersichtliche Stelle, wo man uns "aus dem Verkehr ziehen will". Die Bullen haben plötzlich alle Hände voll zu tun, und weil ich immer noch nach den Papieren suche, wird´s dem einen langsam zu blöd, und mit einer lässigen Handbewegung, etwa so wie man ein Insekt verscheucht, bedeutet er mir zu fahren: "Allez!"

Hä? Überfordert würge ich die Kiste ab, starte erneut, kann unser Glück kaum fassen und bemühe mich, ruhig und gemessen die Fahrt langsam wieder aufzunehmen. Das war sehr knapp, zumal wir später feststellen - als ich mein Portmonee wiederfinde - dass wir nur noch fünfzig Dirham gehabt hätten. Weiß der Henker, wie wir aus dieser Nummer wieder herausgekommen wären ..!

Guelmim erreichen wir im glutroten Abendlicht, und der ganze Antiatlas scheint mit dem kräftigsten Rotbraun, was ich jemals sah, alles in seiner Nähe verbrennen zu wollen. Das Spektrum besteht nur noch aus Orange- und Rottönen, während die Inschrift am Berg strahlt, als wäre sie mit Phosphorfarbe gemalt. Bevor uns also der Atlas verdampft, bedienen wir uns im Stadtzentrum rasch im Vorbeifahren aus einem Bankomat, und biegen dann scharf links ab, direkt in den Sonnenuntergang hinein. FBJ ist gut ausgeschildert, die Straße ist schmal, aber gut zu befahren, und kurze Zeit später ist die urbane Betriebsamkeit vorbei und wir fahren wieder einsam in die Wüstenei - breitbeinig wie Lucky Luke auf seinem Jolly Jumper.

Berberzelte zum Mieten ...

Dann kommt endlich die Abzweigung nach rechts - geradeaus geht es wunderbar asphaltiert weiter zum Plage Blanche - und eine Schotterpiste führt in die Berge. Ab und zu gibt es ein aufmunterndes Schild, damit man nicht die Lust am Weiterfahren verliert, und nach elend langen neun Kilometern übelsten Schotters gehen plötzlich hinterm letzten Hügel die Lichter an: Fort Bou Jerif ist erreicht. Das Camp ist gut ausgeleuchtet und erscheint uns in dieser nächtlichen Steppe wie eine Mischung aus Basislager, Ritterburg und Oase, und die ganze Anlage verströmt ein sehr heimeliges Gefühl, obgleich außer ein paar Offroadern und Enduros nicht viel los ist. Genau das brauchen unsere geschundenen Körper jetzt: ein Millionen-Sterne-Himmelbett für uns und unser Auto. Bier raus, Schicht für heute, der Tag "hat fertig" ...


© 2007 Detlef Bauer