Agadir - Ceuta

Ab jetzt ist Rückreise, so deutlich muss man es sagen. Gut 1.000 km gilt es bis Ceuta zu überbrücken, und das in zwei Tagen inklusive Übersetzung nach Spanien - der Zeitplan steht. Zwei Stops gibt es aber direkt am Morgen noch: Im riesigen Supermarkt Marjane mit seiner Parkfläche groß wie ein Flugfeld, kurz vor Agadir, werden die Vorräte aufgefüllt, und im nördlichen Buchtabschnitt bei Tarhazoute, wo die "Platte" langsam zu Ende ist, halten wir an einem Strand. Ein schnelles Bad im Meer ist das Einzige, was wir uns heute gönnen, und hier in der Bucht lugt sogar die Sonne hervor. Wie überhaupt das schöne Wetter der einzige Grund ist, um hier ein paar Tage zu verbringen; vom Cap Rhir bis hin zu Sidi Ifni bewirken die Strömungs- und Windverhältnisse einfach ein angenehmeres Klima als nördlich davon.

Aber Achtung: Selbst so eine banale Badepause kann hier in der Gegend bös´ ins Auge gehen: Auf dem ganzen Straßenabschnitt längs der "Platte" treibt sich ein merkwürdiges Gesindel auf den Parkplätzen herum, und es ist eigentlich egal, ob sie einem Kiff andrehen wollen oder nur auf den schnellen Bruch aus sind - die Gegend ist mit ihrem Besucherstrom aus ganz Europa wie geschaffen für den einen oder anderen Fischzug. Wir passen dementsprechend auf und sind froh, als wir um die Ecke am Cap Rhir abbiegen - Agadir ist eben nicht das Ziel, weswegen wir nach Marokko fahren.

Wir schaffen es an diesem Tag noch bis kurz vor Casablanca, mehr kann man auch nicht erwarten. Die küstenferne Hauptstraße P8 ist an sich gut zu befahren, nur wurde sie vor kurzem mit frischem Belag ohne Fahrbahnmarkierungen versehen, und es ist in der rabenschwarzen Nacht nicht erkennbar, wo die Trasse aufhört und der Graben anfängt. Da es schwierig ist die Fahrspur zu halten, ohne den Radfahrer vom Bock zu schießen oder in den Gegenverkehr zu geraten - Eselskarren, Pannen-LKW´s und ähnliche Selbstmörder - erfordert es Nerven und einigermaßen funktionstüchtige Augen (weil es nur zwei Sorten von nächtlichem Gegenverkehr gibt: den unbeleuchteten und den blendenden). Wie warnt jeder Reiseführer auf´s Eindringlichste: Vermeiden Sie Nachtfahrten in Afrika! Nach dieser Erfahrung kann ich dem beipflichten ...    

Auf der küstenfernen Hauptstraße zurück ...

Das Camp vor Casablanca verdient keine weitere Erwähnung. Kurz vorher fängt es an zu regnen, die Gegend ist dermaßen zersiedelt, dass an eine "Freischeißerübernachtung" nicht zu denken ist, und so checken wir ohne Alternative auf einem an der Straße ausgeschilderten Platz ein. Den Ausmaßen des Geländes nach zu urteilen wird er wohl im Sommer von Casa´s Einwohnern als Wochenendfrische genutzt, aber jetzt in diesem Winterdreck macht er einen eher unheimlichen Eindruck. Einzig positiver Aspekt: eine funktionstüchtige Steckdose.

Am nächsten Vormittag geraten wir durch eigene Dämlichkeit in das Verkehrschaos von Casa. Ein ätzendes Gegurke im Nieselregen, das uns dann auch noch quer durch die Slums führt. Zunächst werden wir es gar nicht gewahr, dass die Menschen an den Straßenrändern immer abgerissener aussehen und die Müllberge immer höher werden, und als das Elend immer augenscheinlicher wird, ist es bereits zu spät.

Ein Blick in die Hinterhöfe dieser Wirtschaftsmetropole gehört nicht unbedingt zu den Urlaubserlebnissen, die man mal gemacht haben sollte, und uns bleibt dann auch angesichts dieses unvorstellbaren Drecks und Elends der Schokoriegel quer im Hals stecken. Wellblechhütten und im Regensuddel aufgeweichte Pappwände, überall Matsch und Müllhalden, in denen Jung und Alt knietief umherwatet, Kühe und anderes Viehzeugs, die ihre Scheiße zwischen den spielenden Kindern fallenlassen, ausgeschlachtete Autowracks zwischen abgekippten, verfaulenden Apfelsinenbergen - man kann es nicht in Worte fassen. Irgendwann erwische ich den Zubringer zur Autobahn, und erst als unsere Kiste auf edelstem Asphalt Richtung Norden summt, löst sich die Beklemmung. Fast möchte ich unserem treuen T4 den Hals tätscheln - brav, Roter, gut gemacht - weil er uns im entscheidenden Moment nicht im Stich ließ. Eine Panne in dieser sozialen Hölle - die Folgen möchte ich mir nicht ausmalen ..!

Aber was soll man auch tun? Das Elend dieser Welt können wir nicht im Alleingang lösen, jeder für sich hat ohnehin sein Päckchen zu tragen, der eine ein kleineres, der andere eben ein großes. Man muss es so pragmatisch angehen, vielleicht noch begleitet von der naiven Erkenntnis Forrest Gumps, dass das Leben wie eine Pralinenschachtel sei - man wisse nie, was man kriegt! Die Stadtväter und die bessere Gesellschaft Casablancas hätten die Möglichkeit, diese Ungerechtigkeiten zu mildern, nicht wir. Was uns bleibt, ist der moralische Auftrag, dass wir unser Privileg - die Geburt auf der für uns richtigen Seite des Mittelmeeres - wieder mehr zu schätzen lernen und nicht länger über jeden eingewachsenen Zehnagel zu jammern. Es gibt wahrlich Übleres auf der Welt, und einen Blick darauf durften wir tun. Punkt.

Hinter Asilah verlassen wir die Autobahn; Sie ist bezahlbar, gut in Schuss und man kann ordentlich Kilometer kloppen - was wollen wir mehr? Gegen 16:00 Uhr sind wir an der Grenze, und obwohl es dort wie auf dem Volksfest zugeht, sind wir nach einer Stunde durch, ohne Filze oder sonstige Schikanen. Es ist nochmal ein richtiger afrikanischer Abschied: Tumult, Geschrei, Gehupe, Getriller, Autos kreuz und quer, Menschen vor Schaltern wie die Ameisen, Dutzende von wartenden Taxen - schlichtweg ein brodelndes Völkergemisch.

Die spanische Enklave Ceuta hat für uns nur zwei wichtige Funktionen: Tank vollhauen bis zum Anschlag, Tickets abstempeln lassen und Bordkarten besorgen, und warten auf den nächsten Dampfer. Nicht mehr und nicht weniger. Und so unspektakulär gelangen wir denn auch wieder nach Europa, werden vom Hafengelände direkt auf die Autobahn ausgespuckt und geben Gas. 

Unspektakulär wieder zurück nach Europa ... Bei Granada haben wir keinen Bock mehr, fahren ab und klappen in einem Olivenhain unser Dach auf. Es ist sternklar in der Sierra Nevada, eiskalt, und erst jetzt wird uns so richtig bewusst, dass Marokko zumindest für diesen Urlaub Vergangenheit ist. Bei nicht wenigen Pastis´ ziehen wir ein Resümée, das sich in etwa mit diesem Reisebericht deckt, und sind stimmungsmäßig schon zu Hause, obwohl noch zwei Gewaltetappen mit insgesamt 2.300 km vor uns liegen. Peanuts ...

Nachtrag

Es wurde dann doch noch ein Spießrutenlauf mit der Kälte, nachdem schon die Übernachtung bei Granada einem Überlebenstraining gleichkam. In Südfrankreich fiel das Thermometer noch erheblich unter Null, und da unsere Heizung ohne Strom nicht mehr gestartet werden konnte, klapperten wir ein "Aire" nach dem anderen ab, um ein Klohäuschen mit Steckdose zu finden. Nervig zwar, aber beim Vierten sind wir fündig geworden. Gegen Mitternacht hatten wir uns mittels Verlängerungskabel am Klohaus angestöpselt und erlebten eine mollige Nacht. Allah hat´s gerichtet!

(Daten der Tour: Gesamtkilometer 7700, davon in MA 2700; Kosten etwa 900 EUR, ohne Abnutzung/Wertverlust des Autos und ohne vorher eingekauften Proviant ...)

Zweiter Nachtrag, August 2006

Ich möchte noch mal auf unsere Zweifel bei der verfrühten Abreise von den "Peintures" eingehen: Vieles auf einer solchen Reise ist eine Bauchentscheidung, und auch wenn man nie oder erst sehr viel später gewahr wird, ob diese Entscheidung gut oder schlecht war, muss man in diesen Momenten der Unwissenheit einfach sagen: "Wer weiß, wofür es gut war ...". Und damit Schluss.

Den Beweis, dass man so verkehrt mit seinen Bauchentscheidungen nicht liegen kann, erhielt ich vor wenigen Tagen im Internet, als ich über einen Bericht von der lokalen Flutkatastrophe in Merzouga beim Erg Chebbi stolperte: Da wird relativ deutlich veranschaulicht, was ein kräftiger Gewitterguss in der Wüste verursachen kann. So ein Ding in unserer Silvesternacht im Antiatlas, und wir hätten ziemlich alt ausgesehen.

Fazit: Selbst in solch einem harmlosen Land wie Marokko sollte man ständig Augen und Ohren offen halten, und ein Gespür für sich anbahnende Gefahren gleich welcher Art entwickeln. Meine Devise ist, lieber einmal den Schwanz einkneifen als mit Vollgas in den Schlamassel. Dann ist man später eventuell nicht in der dummen Lage, konsularische Hilfe in Anspruch nehmen zu müssen, die u.U. auch sehr teuer werden kann; mal ganz von den Gefahren für Leib und Leben abgesehen ...


© 2006 Detlef Bauer


Anm. der Red.: Zwei weitere Berichte von Detlef Bauer führen uns ebenfalls nach Nordafrika: