Das volle Offroad-Programm ...

Durch die teils gemächliche Fahrweise hatten wir genügend Zeit, einiges am Rande der Strecke zu entdecken. Unzählige Storchennester an den unmöglichsten Stellen, auf Masten, Häusern - ja sogar auf einem alten Hebelbrunnen. Immer wieder Ruinen und Steinhaufen mit den noch erkennbaren Grundrissen ganzer Siedlungen. Kirchen, Schulen, Gemeindehäuser wurden hier dem Verfall preisgegeben, berichteten unsere Tourbegleiter Öjars und Martins. Interessant waren auch die verfallenen Zeugen der kommunistischen Gigantomanie in der Landwirtschaft: Riesige Stallungen und Lagergebäude, die jetzt Stück für Stück von der Natur zurückgeholt werden ...

Mittags erwartete uns ein Picknick am See mit gedünsteten Kartoffeln, Krautsuppe, auf offenem Feuer gebratenen Würstchen und einem obligatorischen Tee mit Wodka. Nicht nur bedingt durch die frische Luft schmeckte es toll.

Unser Team nutzte die Rast, um erste Schäden am Disco zu beheben. Der Druckschlauch der ARB-Sperre war am Differenzial abgerutscht. Der erste Tag endete wie die folgenden, mit einem üppigen Abendessen und anschließender Videovorführung von "Kamerakind Maiky".

Die Tageswertung war noch recht locker, jeder gab sein persönliches Ranking für die beste Bewältigung der gestellten Aufgaben oder einfach nur seine Sympathiewertung ab.

Am kommenden Tag wurden die Bandagen schon enger geschnürt: Es galt, 4 Etappen in einer jeweils vorgegebenen Zeit zu fahren. Angesichts der vereisten Pisten und verschneiten Wiesenpfade keine leichte Aufgabe. Jede noch so kleine Unaufmerksamkeit wurde mit einem heftigen Ausschlag des "Popometers" quittiert.

Durch Schlamm ... ... und vereiste Pisten ...

Strafpunkte gab es bei Zeitüberschreitung, Unterbietungen wurden jedoch nicht belohnt. Auch in Lettland steht Sicherheit an oberster Stelle. Dennoch wurde schon bei dieser Wertung deutlich, dass es Einigen gehörigen Spaß machte, richtig schnell unterwegs zu sein. Nur die Senioren der Tour in ihrem Buschtaxi ließen sich in keiner Weise vom Rallyefieber anstecken und nutzten jede Gelegenheit, Land und Leute kennen zu lernen. 

Der dritte Tag offenbarte eine neue Herausforderung: Zeitfahren mit GPS-Routenführung und -zeitnahme. Nach einem morgendlichen  Crashkurs in Sachen GPS und Navigation wagten sich Anke und Helen als Beifahrerinnen auf neues Terrain. Maiky und Robby hatten jede Menge theoretische Kenntnisse mitgebracht. Sie hatten sich auf der Messe in Bad Kissingen beim Team vom Explorer Magazin zu einem GPS-Kurs angemeldet und gaben nun ihr Wissen weiter.

Die drei Discobesatzungen nutzen ihre GPS-Geräte schon seit einigen Jahren. Konnten sie diesen Vorteil nutzbringend einsetzen? Maiky meisterte ihren Navigatorjob an diesem Tag am besten. Es war nur dem Umstand zu verdanken, dass wir wenig Rücksicht auf unser doch wettkampferprobtes Material nehmen mussten, dass wir ihren Pajero knapp schlagen konnten.

Besonders tückisch waren immer wieder die Knüppeldämme, über die wir fahren mussten: Sich aufstellende Äste drohten ständig, Kraftstoff- oder Bremsleitungen zu beschädigen. Das Pajero-Team hatte darüber hinaus noch den Nachteil, als erstes gestartet zu sein und so ständig erst den günstigsten bzw. einzig fahrbaren Weg suchen zu müssen. Erst als der an Nr. 5 gestartete Disco sie eingeholt hatte und zeitweise das Scouten übernahm, war kurzzeitig die Anspannung genommen.

Ohne Sandbleche ... ... geht und fährt nichts ...

Da sich notgedrungen auch schnell Zweckpartnerschaften bildeten, wurden einige Hindernisse im Team bezwungen. So wurden an einer zerfurchten Flussdurchfahrt kurzerhand einige Bäume gefällt und in die Spurrinnen gelegt. Jedes Team hatte seine eigene Strategie voran zu kommen. Während Camel seine Erfahrung und seine Warn-Winch nutzte, drehte Robby am Schwungrad seines V6. Souverän nutzten die Toyotas die ihnen zur Verfügung stehenden Sperren. Fehlende Sperre und Bodenfreiheit zwangen Sven und Peter mit ihrem Disco oft ans Seil ihrer Gefährten oder zum Montieren ihrer Winde.

Wir waren stolz, dass wir nie durch fremde Hilfe geborgen werden mussten. Einzig ein zu schneller Ritt über eine zerfallene "Brücke" wäre uns fast zum Verhängnis geworden: Hoffnungslos aufsitzend und mit der Gefahr, seitlich ins schwarze Wasserloch zu kippen, mussten wir uns mit dem Greifzug bergen. Die Action kostete gut 15 Minuten und gefährdete fast den Eatappensieg. Aber der Trainingsfaktor für kommende Wettbewerbe war dafür sehr positiv zu bewerten.

Am Abend erfuhren wir dann, dass die Teams vor uns diese Brücke erst instand gesetzt und das Hindernis gemeinsam überwunden hatten. Wir hatten diese Hürde bei Dunkelheit einfach unterschätzt. Auch der J90 blieb dort erbärmlich sitzen und wurde vom Buschtaxi geborgen ...

Der vierte Offroadtag hatte gleich zwei Leckerbissen parat: Zuerst durchquerten wir den Fluss Venta. Dies war ein derartiges Erlebnis, dass unsere Tourguides uns direkt zu einer weiteren Furt lotsen mussten und wir erneut in die Fluten fuhren. So hatten wir dann noch ein drittes Mal die Gelegenheit der Flussdurchfahrt, diesmal wieder in Furt Nr.1. Schließlich wollten wir ja doch aufs gegenüberliegende Ufer.

Furten bis zum Abwinken ... Spaß im Wasser ...

Der zweite Teil des Tages sah wieder eine Wertungsprüfung: Jedes Fahrzeug bekam am Start eine Karte mit Koordinatengitter und eine Liste mit 16 Zielpunkten. Diese waren mit Karten- und GPS-Koordinaten definiert und es galt, sie nun innerhalb von 5 Stunden zu finden.

Am jeweiligen Kontrollpunkt war eine Tafel angebracht, unter der die Fahrzeuge fotografiert werden sollten. Eine Zahlen/Buchstabenkombination auf den Tafeln musste ebenfalls notiert werden. Wichtig für den Fall, wenn man keine Möglichkeit sah, mit dem Auto bis an den Kontrollpunkt zu fahren. Die Reihenfolge und die Anfahrtsroute musste sich jedes Team selbst wählen. 

Angesichts der unbewirtschafteten Wälder, zahlreicher Wasserläufe und Sumpfgebiete eine sehr reizvolle Aufgabe. Ohne gelegentliche Zuhilfenahme der Motorsäge wären die direkten Verbindungen nicht befahrbar und große Umwege die Folge gewesen.

Diese Etappe brachte auch einige technische Ausfälle: Uns riss durch die schon genannten Knüppel die Dieselleitung ab, der Schlauchanschluss der Sperre brach und die Bremsleitung wurde von der Achse gezogen. Nach ersten Gedanken an Aufgabe waren die Schäden aber nach wenigen Minuten mit bordeigenen Mitteln, hauptsächlich einem Leatherman und Panzerband, repariert ...

Nur Heikos Toyota erlitt einen gröberen Schaden: Das Kreuzgelenk am vorderen Antrieb war bei dem Versuch gebrochen, eine tückische Durchfahrt zu überwinden. Noch am Abend wurde sein Auto nach Saldus in die Werkstatt geschleppt. Diese arbeiten in Lettland bis 23:00 Uhr!

Am kommenden Tag wurde ein neuwertiges Teil aus Riga geholt und noch am Abreisetag eingebaut. Ersatzteile sind in Lettland zwar teurer als in Deutschland, dafür liegt der Stundenlohn aber bei unter 1,- Euro! Notwendige, nicht zu vermeidende Kleinreparaturen an den Fahrzeugen wurden entweder selbst oder unter Mithilfe eines "Menschen mit goldenen Händen" in der campeigenen, warmen Werkstatt in den Abendstunden durchgeführt.

Abschiedsfoto: Das Team "Lettland 2002" ...Zur Verfügung stand ein großes Arsenal von Werkzeug, angefangen bei Schlüsseln aller Couleur bis zu sämtlichen Maschinen inklusive Autogenschweißgerät mit Schweißer (richtig urig - mit Wattejacke und Filzstiefeln).

Am 5. Tag der Reise war Kultur angesagt: In einem Kleinbus des Radi-Camps fuhr die Gruppe nach Riga und besichtigte die geschichtsträchtige Hansestadt. Interessant war auch der Besuch im Audi-Museum und ein kurzer Abstecher an die Ostseeküste.

Am Abend wurde alles für die Heimreise gepackt. Als Abschiedsgeschenk gab es noch ein original lettisches Malzbrot, was angeblich jahrelang frisch bleibt. Es schmeckte aber auch sofort.

Die Rückfahrt erfolgte nicht mehr in Konvoi, sondern in kleinen Gruppen mit verschieden Reisestilen, was Tempo und Pausenintervalle anbetraf.  Gut angekommen sind letztendlich alle wieder.

Ach so, die kleine Radi-Trophy haben wir gewonnen - aber was bedeutet das schon ...


© 2002 Silvio Roßberg