Mariupol, wie Dresden 1945 ...
Weiter ging es nach Mariupol, wie Dresden nach dem Bombenangriff völlig zerstört, parallel dazu die intensiven Reparatur- und Baumaßnahmen, um einige Gebäude wieder herzustellen.
Kein Hotel, aber ein Restaurant, in dem wir etwas aßen: Übrigens dieselbe Art "grusinisches" Schaschlik, wie ich es auch in Odessa gegessen habe. Die Kellnerin war sehr freundlich und geduldig erklärte sie uns, was es an Auswahl zum Essen gab. Dabei stellte ich fest, dass sie auch Englisch sprach und verstand, so kamen wir weiter ins Gespräch. Sie war Ukrainerin und meinte, nun würde sie auch etwas diskriminiert unter russischer Herrschaft ...
In dem Geschäft, wo sie vorher gearbeitet hatte, wurde selten auch mal ein ukrainisches Lied gespielt. Eine Frau hatte sich dort beschwert, was das für eine unverständliche Musik sei, so etwas sollte man nicht spielen. Oder, wenn sie mit Bekannten ukrainisch sprach, meinten die anderen Gäste im Restaurant, was sie eigentlich für eine unverständliche Sprache spreche. Olga war ihr Name, sie hatte einen ukrainischen und einen russischen Pass. Vier Monate hatte sie es in Mariupol ausgehalten, oft im Keller. Sie weiß nicht mehr, wie sie das Notwendigste zum Überleben organisiert hatte. Ihr Apartment in einem halbzerstörten Hochhaus, wo eine Wand nach außen völlig fehlte, bauten sie selber wieder auf, es gab keine Unterstützung vom russischen Staat. Und warum floh Olga nicht vor dem Krieg? Sie sagte, dass diese Stadt ihr Lebensmittelpunkt sei, ihre Familie, ihr Mann lebten hier, deshalb hätte sie alles ausgehalten. Auf meine Frage, ob sie glaube, dass die Stadt noch einmal ukrainisch würde, wusste sie keine Antwort. Auf die Frage, ob sie es will, sagte sie ja ...
Abends machten wir uns auf den Weg aus der Stadt heraus Richtung
Melitopol, wir
kamen an einen weiteren Militärkontrollpunkt mit vielen Fragen: Aber nach 15 Minuten konnten wir weiterfahren, auch wenn unsere
Angaben, dass wir auf einer touristischen Reise zur Krim seien,
offenbar etwas
unglaubwürdig wirkten.
Wir wurden aber noch darauf hingewiesen, dass
nach 21 Uhr Ausgangssperre herrsche, also wir das Fahrzeug neben der
Straße abzustellen hätten, falls wir im Fahrzeug übernachteten. Dass wir
als westeuropäische Ausländer überhaupt hier reinfahren konnten,
war schon seltsam. Also suchten wir eine Stelle in der Nähe vom Meer und
übernachteten dort ungestört. Ein Hotel suchen in Mariupol, ein Witz
..!
Siehe dazu auch mein Video
...
Immer wieder die Frage "otkuda, kuda", "woher, wohin" ...
Mit Waffen kann man diesen, im gewissen Sinne auch "ethnischen" Krieg nicht lösen, er wird weiter eskalieren und weiter Hass verbreiten und keine unserer sogenannten klugen, ausgebildeten Diplomaten sind in der Lage oder zeigen den Wunsch, dieses zu beenden. Weil sie ihren "eigenen", von Oligarchen bezahlten Interessen, im Westen wie im Osten folgen. Der Sturm kommt auf am Asowschen Meer ... Auf die in der Bibel von Nikodemus an Jesus gerichtete Frage, was die Wiedergeburt bedeute, antwortete der, dass der Wind von hier nach dort blase - eine saloppe Antwort, ohne etwas zu sagen als: Wir überlassen alles dem Wandel der Zeit. Was tun sich die Menschen gegenseitig an? Auf Befehl von oben, von Regierungen, von durch Konzerne und geopolitische Interessen gesteuerten Politikern, welche nur ihren Vorteil und Gewinn suchen auf Kosten der einfachen Menschen ...
08. Okt.: Am Asowschen Meer sahen wir an der Küste alte Schützengräben und Bunker wie solche am Atlantikwall. Dann machten wir uns nochmal auf den Weg zurück nach Mariupol, der Militärposten kannte uns noch vom Abend zuvor und winkte uns durch, in der Stadt erwartete uns wieder ein scharfer Kontrast zwischen Beauty Salon, Rich Bar und Trümmern ...
Einige Leute wirkten sehr verwirrt am Strand, ein alter Mann mit einem Stück zerbrochenem Holz von einer Sitzbank in der Hand, schimpfte lauthals, dass es kaputt sei, derweil die gesamte Stadt in Trümmern liegt. Wir verlassen Mariupol wieder, nachdem wir noch einen traurigen Blick auf den einsamen Strand geworfen haben ...
Auf dem Weg Richtung Krim folgten weitere Militärkontrollen. Vor Berdjansk stießen wir auf ein neues Objekt (Bilder oben rechts), finanziert von den USA vor 2022, es sind ein paar Bänke und eine kleine Hütte sowie eine Tafel, auf der in Ukrainisch und teils Englisch ein Fahrradweg von der Krim bis in das Donezkgebiet skizziert ist, mit dem Gedanken der Verbindung der getrennten ukrainischen Bereiche.
Mit einem gewissen Humor haben die Russen das Objekt stehen gelassen, denn die Verbindung wurde, anders als von der Ukraine und den USA gedacht, tatsächlich wieder geschaffen ...
An der nächsten Militärkontrolle fragte einer der Soldaten uns, wie denn die Stimmung in Deutschland sei in Sachen Ukraine Frage. Ich antwortete ihm, ungefähr 40% seien pro- und 60% antirussisch, in Lettland dagegen wäre das Verhältnis 20 zu 80.
Später, auf einer ziemlich zerstörten und unbefahrbaren ukrainischen alten Teerstraße, der man nur über ein Feld ausweichen konnte, standen auf einmal fünf bis sechs getarnte Panzer, die Geschütztürme in Frontrichtung zielend.
Angekommen in Berdjansk fanden wir schließlich eine kleine Pension. Die Stadt war völlig unbeschädigt, es regnete ununterbrochen und es war kalt wie im tiefsten Norden. Abends sind wir trotz Kälte und Nässe noch einmal ins Zentrum spazieren gegangen - auffällig im gesamten "neuen" Russland, dass es überhaupt keine einfachen Arbeiterkneipen oder billigen Restaurants gibt ...
Aber letztlich fanden wir doch noch ein kleines Restaurant, wo es Bier in mit Blech geschlossenen Einmachgläsern gab. Ich konnte den Verschluss nicht finden und kam mit einer jungen Frau ins Gespräch, die mir behilflich war: Sie kam aus Luhansk, war 19 Jahre alt und hatte seit dem 14. Lebensjahr nur den Krieg als "normale" Wirklichkeit erlebt.
Die Entwicklung in Luhansk hätte sich unter russischer Herrschaft deutlich verbessert, ein Park wurde angelegt, Straßen wurden gebaut und Gebäude renoviert. Unter ukrainischer Herrschaft wäre dagegen alles immer mehr verfallen. Was den Krieg betraf, zeigte sich die junge Frau neutral, beide Seiten hätten Schuld, sie wollte einfach nach den vielen Kriegsjahren nur Frieden ...
Sie hatte sich autodidaktisch Englisch so gut angeeignet, dass sie als Übersetzerin arbeiten konnte. Allerdings nicht offiziell, da sie keinen Uni Abschluss hatte und somit auch nicht viel verdiente. Auf meine Frage, ob sie nicht nach Westeuropa flüchten möchte, meinte sie, dass sie keinen ukrainischen Pass hätte, weil sie zu Beginn des Konflikts noch zu jung war und jetzt keine Möglichkeit mehr hätte, so einen zu bekommen.
Auf dem Rückweg schaute ich noch in einen kleinen Laden, um eine Flasche russischen Wein zu kaufen, sah aber nichts, fragte schließlich nach einem halbsüßen Weißwein. Die Frau im Laden ging nach hinten ins Lager und kam mit einer Flasche spanischem Weißwein zurück. Wie viel soll der kosten, fragte ich, 1.200 Rubel die Antwort. Gibt es denn keinen russischen Weißwein (der kostet so zwischen 4 bis 6 Euro), war meine Frage: Nein, den hätten sie nicht. Dann vergesst es ...
Weiter ging es: In einem neu gebauten, modernen Lebensmittelgeschäft, das ein wenig dünn bestückt schien, gab es zahlreiche Westprodukte, besonders Süßigkeiten, Kinderschokolade, Milka, Schogetten, Rittersport Schokolade mit deutscher Beschriftung, ob Nachbau oder echt, schwer zu ermitteln. Diesel war im besetzten Gebiet ca. 10 Rubel teurer als im Kernland.
Das Aus- und Eingrenzen von Menschen, sie zu sortieren, zu katalogisieren, zu Befehlsempfängern und Robotern machen, so etwas funktioniert hervorragend: Alle wollen in ihrer kleinen Gewohnheit verbleiben, egal was um sie herum vorgeht. Die Menschen leben irgendwie auch hier vor sich hin, fragen wenig, passen sich der Situation an. Der Wille eines größeren Teils der Bevölkerung zu irgendetwas ist kaum zu verspüren, außer, lasst es Frieden werden. Doch Frieden ist weder im kapitalistischen System gewinnbringend, noch im gegenwärtigen verblichenen Sozialismus.
Der Kampf ums Dasein sei erforderlich, sagte Darwin, doch wir Menschen kämpfen nicht mehr nur ums Dasein, sondern für immer mehr, die Gier schafft Monopole, Kriege, Vertreibung und politische Oligarchie. Und Demokratie ist ein Auslaufmodell, da sie nicht mehr praktiziert wird, sondern nur alle paar Jahre symbolisch wie in einem Kreuzworträtsel angekreuzt werden darf ...
Melitopol
09. Okt.: Am nächsten Morgen dann weiter, immer wieder sah man Werbetafeln für den Eintritt in den Militärdienst und für den russischen Pass, daneben auch sogar Windräder, vermutlich noch aus ukrainischer Zeit, nur wenige davon drehten sich ...
In einem kleinen Café haben wir die Backwaren besichtigt und etwas ausgewählt: Die Preise waren nicht besonders niedrig, ein Stück kostete umgerechnet rund einen Euro.
In Melitopol wollte ich die Universität besuchen, insbesondere die philosophische Fakultät. Am Eingang sagte man mir, dass diese sich außerhalb des Hauptgebäudes befände. Sie wollten mir auf der Karte zeigen, wo das ist, aber fanden zu viert nicht die Straße auf meinem Tablet, da die meisten umbenannt worden waren. Man schrieb mir die Straße in Russisch und Lateinisch auf einen Zettel, ich habe später mehrere Leute auf der Straße gefragt, aber die wussten auch nicht weiter.
Dann habe ich das KPD Parteibüro in der Stadt per Zufall gefunden, bin hinein und habe dort eine interessante Unterhaltung geführt. Hier im Gebäude hing auch natürlich Stalin neben Lenin, und ich meinte, Stalin wäre ein Verbrecher, er hätte unzählige Menschen getötet und nach Sibirien deportiert, unter anderem auch die Wolgadeutschen. Das wurde zugegeben, es wäre auch nicht richtig gewesen, sondern ein großer Fehler, denn zum einen hätten die Deutschen in Russland gewaltige Aufbauarbeit geleistet, und zum anderen sich immer loyal verhalten. Insbesondere die Wolgadeutschen hätten ein System gegenseitiger Hilfe praktiziert, was dem Kommunismus ähnlich gewesen sei. Aber ansonsten wäre Stalin ein guter Mann für Russland gewesen, seine Biographie und die Geschichte würde nur verfälscht dargestellt ...
Bei einer Bank in Melitopol wollten wir Geld wechseln: Martin legte 250 Euro hin und die Kassiererin betrachtete die Geldscheine, untersuchte sie ausgiebig, gab schließlich alle fünf wieder zurück und meinte, davon wäre keiner in Ordnung. Also zog Martin andere 50 Euro Scheine heraus und legte sie hin, einen davon akzeptierte sie. Er meinte dann zu ihr, ob er in Deutschland wohl nur Falschgeld aus dem Automaten bekommen hätte, und es vielleicht gleich hier verbrennen solle. Ich guckte ihn an und sagte, dann schmeiß doch das ganze Geld gleich in die Schalterschublade, dann soll sie sich das raussuchen, was sie gebrauchen kann. So machte es Martin dann auch und bekam letztlich 250 Euro gewechselt ...
Ich versuchte es nun auch mit drei 50 Euro Scheinen, einer davon wurde akzeptiert. Martin meinte, das wird ja dann schwierig mit dem Geldwechseln demnächst. Ich sagte, dass es sicher nur hier in Melitopol bei der bekloppten Tante in der Bank so wäre, woanders würde das sicher kein Problem sein. Später auf der Krim hat sich gezeigt, dass ich recht hatte ...
Weiter ging es Richtung Krim nach Henitschesk: Unmengen von Material rollten 24 Stunden am Tag aufs Festland zur Verteidigung oder auch zum weiteren Vormarsch. Siehe dazu auch mein Video!
© 2023 Michael Gallmeister