1. Tag, 06.10.94: Abreise Haßfurt, Österreich, Ungarn
Start morgens um 04:18 Uhr mit VW Taro Pick-Up 4x2 und Skoda als Notarztwagen auf unserem Plattformhänger im Schlepp. Außerdem Mitsubishi L 200 Pick-Up mit Expeditionsaufbau und geländegängigem Wohnanhänger der Firma Aero Plast im Schlepp. Wir, die Mannschaft: Josef und ich, zwei Ingenieure, meine Frau Astrid und Igor, Sportlehrer und gebürtiger Ukrainer.
Über die Autobahn via Nürnberg Regensburg, Passau (erste Tankpause) nach Österreich. Problemlos in wenigen Minuten mit den Gespannen über die deutsch-österreichische Grenze. An der östereichisch-ungarischen Grenze erste Kontakte mit der Ostblockmentalität.
Nachdem der L200 mit Hänger sofort und ohne Probleme passieren darf, muß der Taro mit dem Notarztwagen in den geschlossenen Zollbereich.
Aufgrund der Summe der Botschaftspapiere für den Hilfstransport wird jedoch dann zur Weiterfahrt gewunken. Aber die Schranke öffnet sich nicht. Jetzt ist trotz eifrigen Feilschens mit dem zuständigen Offizier nichts mehr zu machen. Einreihen in die Schlange der Wartenden am Schalter, Laufzettel von der Spedition besorgen, 12,- DM, Schlange, 1/2 Stunde, Stempel, ok...
Sofort hinter der ungarischen Grenze spürt man den "Hauch" des Ostens. Entlang der Straße endlose Schlangen von Kiosken, die allerlei notwendiges und vor allem viele unsinnige Mitbringsel gegen Devisen an die Touristen verkaufen wollen. Auffällig, daß an jeder Ecke mehrfach für Zahnkliniken und günstigen Zahnersatz geworben wird. Das ist wohl in Ungarn der Renner. Überhaupt, unser Weg führt entlang der Europastraße Richtung Budapest und wir fahren offenbar auf der Touristik- und Handels-Rennstrecke, weitestgehend schon als moderne Autobahn ausgebaut.
Leider erreichen wir Budapest nach einem selbstverschuldeten Ausflug über die Dörfer zwecks Tankens erst in der Dämmerung und stecken natürlich prompt in der Rushhour. 1 Stunde benötigen wir für die Durchfahrt durch die Stadt. Eine Umgehung gibt es nicht, auch nicht für LKW. Auffällig hier neben der Schönheit der alten Bauten vor allem ein absolut westlicher Autoverkehr, sowohl hinsichtlich der Dichte als auch der Fahrzeugtypen. Hier ist der Anschluß an die westliche Wirtschaftsweise schon vollzogen.
Hinter Budapest wird der Verkehr dann sehr schnell geringer und wir durchfahren auf sehr guten Straßen (leider im Dunkeln) die Puszta. Abendessen nachts gegen 23:00 Uhr in einem recht guten ungarischen Restaurant mit Hotel und Reithalle. Hier fällt uns auf, daß das Mobiltelefon in Ungarn schon seinen Siegeszug angetreten hat und an fast allen Tischen einer der Gäste sein Handy neben sich liegen hat.
2. Tag, 07.10.94: Ukraine - Mukatschowo
Gegen 02:00 Uhr nachts erreichen wir ziemlich geschafft unseren vereinbarten Treffpunkt. MOL-Tankstation am Rande der Stadt Zahoni. Dort schlafen wir zum ersten Mal in unseren Fahrzeugen und erwachen morgens gegen 07:00 Uhr im strömenden Regen. Der LKW aus Schweinfurt, den wir erwarten, ist nicht angekommen! Aber wenigstens finden wir gute Waschmöglichkeiten. Unser Abholer ist auch um 09:00 Uhr noch nicht da und Igor versichert uns energisch, es werde wohl auch niemand kommen, er kenne das, wir seien wohl einfach genarrt worden.
Als treuer, verantwortungsbewußter Deutscher kann ich als Organisator unserer Reise das zwar absolut nicht glauben, aber ich lasse mich schließlich doch überzeugen, daß wir mit unseren Papieren wohl auch alleine über die Grenze kommen und dann die Abholer ja wohl auch an der Grenze in der Schlange sehen werden. Der Kampf beginnt. Nach ca. 1/2 Stunde hin und her mit unseren Pässen und dem Sammelvisum wird schließlich beschlossen, wir müssten doch im Hauptbüro noch weitere Papiere ausfüllen. Wir hätten wohl sofort etwas mehr mit kleinen Geschenken winken sollen, also dann los. Viel Hin und Her folgt, denn niemand weiß genau, was man eigentlich von uns wollen soll. Wir füllen wir schließlich wieder einen Laufzettel aus - 5 Dollar - und dann sind wir zurück bei den Fahrzeugen. Jetzt wird gezielt noch nach etwas Lebensmittelspende gefragt und dann geht endlich die Schranke für uns hoch.
Über eine halbverfallene Brücke mit katastrophalem Restasphalt auf der Fahrbahn überqueren wir den jetzt vom Regen braungelb angeschwollenen Grenzfluß und sind auf ukrainischem Boden. Ohne Einschränkungen, ohne Auflagen könnten wir jetzt unsere Rundreise in die Karpaten beginnen, wenn, ja wenn wir wüssten wohin mit unserem Notarztwagen.
Igor hat mit dem verantwortlichen Bürgermeister Vogel aus Unterschönborn (z.Zt. noch Nove Selo) schon von Deutschland aus telefoniert. Auf dem Auto steht aber in kyrillischer Schrift "Krankenhaus Mukatschowo". Igor ist sich aber sicher, daß das Auto, wenn überhaupt, nicht sofort dort hingebracht werden soll. Wir fragen also zunächst einen Passanten nach den "Fränkischen Dörfern". Der weiß zwar nicht Bescheid, versucht uns aber sofort erst einmal Diesel zu verkaufen. Wir haben nicht vor, uns bei ihm aufzuhalten, schreiben aber vorsorglich mal die Adresse auf.
Ich werde immer nervöser, denn da wir unsere Abholer auch an der Grenze nicht getroffen haben, bin ich nicht mehr sicher, ob wir nicht vielleicht am falschen Übergang sind und man an anderer Stelle verzweifelt auf uns wartet. Igor behauptet steif und fest, wir würden garantiert überhaupt nicht erwartet, sondern man habe uns nur benutzt, um bequem ein Auto für ein gutes Geschäft überbracht zu bekommen. Ich bin zwar über diese These entsetzt, aber was solls. Wir starten Richtung Mukatschowo und Krankenhaus.
Unterwegs, am Stadtrand fragen wir erneut nach dem Weg zu den deutschen Dörfern und ein grüner Skoda führt uns auf abenteuerlichen Schleichwegen durch die Stadt und auf den Weg dorthin. Nach ca. 2 Stunden durch abenteuerliche Landschaft und auf morastigen Wegen erreichen wir schließlich das uns angegebene Dorf. Hier sind wir falsch. Alle sprechen nur ungarisch. Mühsam versuchen wir neue Informationen zu bekommen, aber wir müssen zurück.
Telefonieren geht auch nicht. Inzwischen benötigt der L200 unbedingt Diesel. Man will innerhalb von einer halben Stunde etwas beschaffen, aber ich habe jetzt absolut keine Ruhe mehr und will unbedingt endlich sicherstellen, daß wir nicht irgendwo sehnlichst erwartet werden.
Außerdem haben wir für den Notfall Reservekanister am Hänger. Nun, nach weiteren 2 Stunden sind wir da. Gewartet hat niemand. Unser deutscher Kontaktmann begrüßt uns so, als kämen wir gerade über die Straße vom Brotzeitholen nebenan. Das wars dann. Der beschenkte Bürgermeister läßt uns erstmal auf der Straße stehen und erst nach etwas Nachschieben werden wir zum Kaffee gebeten.
Inzwischen kommt auch seine Frau von der Arbeit und nun ist das Eis gebrochen. Wir sitzen bei einer typischen Brotzeit, der Regen hat schon länger aufgehört, unsere Fahrzeuge stehen unter der weinüberrankten Hofeinfahrt und das mitgelieferte Auto wird schon auffällig begutachtet. Igor ist sich sicher: "Das sind Russen, die verhandeln schon, das wird heute noch weiterverkauft, glaubt mir". Es wird ein interessanter Abend mit heißen Diskussionen um die Zukunft der deutschen Dörfer hier und mit einem ausführlichen Ausflug zur Schnapsbrennerei des Schwagers eben um die Ecke. Zwei von uns schlafen im Haus, meine Frau und ich im Hänger. Direkt vor dem Hofhund und unter Aufsicht der Hausschweine.
3. Tag, 08.10.94: Ushgorod, Truskavetz
Toilette über den Hof als Plumpsklo. Händewaschen an einem alten Waschkessel mit Auslaufhahn und Blechschüssel darunter. Aber im Haus gibt es auch ein Badezimmer, abenteuerlich mit hochgepumptem Wasser aus dem Brunnen. Badeofen mit Holz geschürt und fester Dusche hoch über der Wanne, die natürlich alles unter Wasser setzt. Typisches Frühstück mit Bratkartoffeln, Blutwurst und allerlei weiteren fettigen Sachen. Tee, der obligatorische Wodka und auch etwas Nescafé. Wir revanchieren uns aus unseren Vorräten. Dann wird getankt.
Abenteuerlich lassen wir aus einem großen rechteckigen, rostigen Gemeindetank im Nachbarsgarten Diesel in einen dreckigen Blecheimer, von dort in Kanister und dann in die Tanks. Allgemeines Erstaunen, daß wir beim Einfüllen in die Tanks durch unseren Siebtrichter filtern wollen. So wird uns klar, wie hier die Motorpannen vorprogrammiert werden. Die ganze Aktion zieht sich über mehr als eine Stunde hin, dann folgt ein ausführlicher Abschied mit Foto und Adressentausch. Endlich sind wir frei, jetzt kanns losgehen: Endgültig Start unserer Rundreise zur Vertiefung der Eindrücke über Menschen und Wirtschaft der Ukraine.
Abfahrt Richtung Ushgorod. Mittags dort, interessante Stadt, viel Verkehr, gutes Wetter, aber wir fühlen uns unsicher, unsere Fahrzeuge unbeaufsichtigt stehen zu lassen. Da der Himmel so aussieht, als ab sich das Wetter später wieder verschlechtern würde, beschließen wir jetzt sofort in Richtung Lvov in die Karpaten hineinzufahren.
Schon nach wenigen Kilometern entlang dem Fluß Ush (Schlange, Ushgorod - Stadt der Schlange) umfängt uns das Flair der ländlichen Ukraine und wir haben an einer Parkbucht beim Kartenstudium den ersten erfrischenden Kontakt zur einheimischen Bevölkerung.
Nachdem wir einem kleinen Jungen zugewinkt haben, der uns vorsichtig aus seinem Garten auf der anderen Straßenseite beobachtet, kommt nach einigen Minuten die Oma zu uns herüber mit einem Korb Äpfeln. Sie bietet zunächst meiner Frau einen Apfel an und ist erfreut, ja fast gerührt, als Astrid annimmt und sofort hineinbeißt. Wir werden aufgefordert, doch unbedingt den ganzen Inhalt des kleinen Korbs als Geschenk anzunehmen. Es ist für die Frau sichtbar ein ganz besonderes Glücksgefühl, daß wir Ihr Geschenk annehmen sowie als Ausländer sie freundlich behandeln und bereit sind, sie als Menschen unseresgleichen zu akzeptieren. Dieses Erlebnis werden wir auf der Reise noch öfter haben. Es ist für uns ein ganz besonderes Erlebnis zu spüren, wie Menschen es genießen, von uns (für sie "hochstehende Persönlichkeiten") als gleichberechtigte Mitmenschen akzeptiert zu werden.
Nachdem wir uns mit kleinen Gegengeschenken revanchiert haben, folgen wir jetzt dem Fluß Ush weiter talaufwärts. Langsam kommen wir in weniger erschlossene Regionen mit romantischen Dörfern und harmonisch funktionierendem Dorfleben mit selbstverständlichem Miteinander von Mensch und Tier auch auf den Durchgangsstraßen.
Die Straße verläuft dicht entlang der slowakischen, später der polnischen Grenze. Wir erreichen schließlich die Paßhöhe und haben hier eine unbeschreibliche Rundumsicht von der Straße aus, die sich über etliche Kilometer genau auf dem Grat hinzieht. Bis hierher haben wir zwei unverhoffte Straßensperren mit Polizeikontrollen passiert, wobei die erste uns fast 1/2 Stunde Aufenthalt kostet, bis wir schließlich den richtigen "Ton" treffen und mit ein paar geschickt plazierten Geschenken den Durchlaß erkaufen. An der 2. Sperre treffen wir auf einen Polizeioffizier, der uns erklärt, daß es sich um cholerabedingte Kontrollen handelt, und der fast entrüstet angebotene Geschenke zurückweist.
Nachdem wir die Passhöhe überquert haben zeichnet sich die erwartete Wetterverschlechterung ab. Nach ca. 30 km durch wunderschöne Mittelgebirgslandschaft mit schmucken Dörfern und schön restaurierten Kirchen wird es langsam dunkler und es beginnt zu regnen.
Wir beschließen ein Restaurant zu suchen und stellen fest, daß das nicht so einfach ist wie erwartet. Nachdem wir es in mehreren großen Orten erfolglos versucht haben und der Regen uns sehr zu schaffen macht, beschließen wir nicht bis Lvov, sondern nach Truskavetz zu fahren und am dortigen Krankenhaus zu übernachten. Die Straßen erweisen sich bei Regen und Dunkelheit als extrem heimtückisch und anstrengend. Kein Mittelstreifen, kein Randstreifen, die meisten Fahrzeuge ohne Licht, dazwischen Pferdefuhrwerke und Fußgänger.
Wir geben die Suche nach einem Restaurant auf und kämpfen uns durch den Regen weiter bis Truskavetz. Das Krankenhaus ist verhältnismäßig schnell gefunden. Der diensttuende Arzt kennt Haßfurt, da der Haßfurter Hilfsverein für Truskavetz bereits die gesamte Einrichtung für eine Intensivstation gespendet und installiert hat. Man läßt uns gerne im Hof übernachten, aber es gibt angeblich selbst in der Kurstadt Truskavetz nur ein Restaurant und das in einem großen Hotel mit Weststandard. Wir kuppeln ab und fahren in die Innenstadt.
Samstagabend, einige Spaziergänger im Regen (Autos sind rar und teuer), Tanz im Freizeitcenter in der Nähe des Kurhauses. Wir bummeln im Nieselregen durch den Kurgarten und fragen dann nach Restaurants. Resultat wie vorhergesagt, wir enden im Hotel mit modernem westlichen Stil. Gutes Essen und für unsere Verhältnisse billig, für die Einheimischen aber nicht bezahlbar, es sei denn, in Verbindung mit westlichen Geschäftsbeziehungen.
4. Tag, 09.10.94: Lvov
Morgens nach durchregneter Nacht "Empfang" im Arztzimmer des Krankenhauses. Saubere, aber äußerst primitive Möglichkeiten, sich zu waschen. Wir werden eingeladen zum Frühstück, es gibt Tee und Brot mit Butter. Teller, Tassen, Stühle, alles ist knapp. Wir ergänzen aus unseren Vorräten den Lebensmittelbestand der Station und haben über ca. eine Stunde eine interessante Gesprächsrunde. Dann Aufbruch nach Lvov. Dort unmittelbar am Stadtrand steht eine riesige Trabantenstadt aus Betonplattenbauten im Stil der ehemaligen DDR. Igor sucht und findet dort alte Freunde aus seiner Studienzeit und wir werden selbstverständlich zu Kaffee und Imbiss in die Wohnung eingeladen. Unsere Fahrzeuge stehen mitten in der Siedlung, aber niemand hat Bedenken.
Große Gastfreundschaft. Minimale Möglichkeiten sowie eine 5köpfige Familie, die sich mit einem Raum, einer Kochnische und einem einfachen Bad begnügen muß. Zwei erwachsene Söhne sind inzwischen aus dem Haus, einer wohnt noch bei den Eltern. Er ist Zahntechniker, der Vater ehemaliger Sovietischer Boxmeister und Sporttrainer an der Hochschule, die Mutter im Büro beschäftigt.
Alle drei zusammen verdienen nicht einmal 40 DM im Monat. Allerdings kostet auch die Miete nur 3,00 DM pro Monat (Ein Sack Zement aber immerhin 35 Dollar). Mit Igor als Übersetzer erzählen wir stundenlang und beschließen dann zunächst einen Stadtrundgang, um anschließend um 16:00 Uhr im Hotel in der Innenstadt unsere zukünftigen Geschäftspartner für Touristenreisen in die Karpaten zu treffen. Die Stadt ist beeindruckend, vor allem auch durch die Gegensätze.
Wir besichtigen eine Kirche, das Apothekenmuseum und finden schließlich ein hübsches Restaurant, wo wir uns für ein gemeinsames Abendessen mit unseren neuen Freunden anmelden. Es wird ein festliches Ereignis, für uns extrem preiswert, für die Einheimischen teuerer als ein Monatsverdienst. Verrückte Welt. Auch in der Stadt Straßensperren, und Igor, der seine Papiere bei seinen Freunden gelassen hat, wird prompt ohne Führerschein erwischt. Drastische Geldbuße! - "Straf" - (umgerechnet 1,- DM). Abends spät sitzen wir dann alle in der Einzimmerwohnung und schließlich kommt der Wohnungsnachbar zu Besuch. Er ist Organisator für alles, kann sofort alles besorgen, kennt alle Preise und alle einflußreichen Leute und gehört für uns zur "Schwarzmarkt-Mafia".
Astrid und ich werden eingeladen, bei ihm zu übernachten und die Gastgeberin redet Astrid dringend zu. Wir sind aber skeptisch und außerdem schlafen wir sowieso lieber in unserem Trailer. Die Stimmung scheint jedoch hierdurch zu leiden und schließlich sagen wir doch zu, weil uns immer wieder beteuert wird, es mache keine Mühe, die Putzfrau müsse eh alles richten usw. Es wird uns klar, daß es ihm eine besondere Ehre ist, uns beherbergen zu dürfen und so entschuldigen wir uns für unser Zögern.
Es geht mit der Nachbarin zur Wohnungsbesichtigung und jetzt kommt der Schock. Tür an Tür mit unseren Freunden bewohnt der Nachbar alleine 4 Zimmer, große Küche, komfortables Bad im westlichen Stil, überall Holzvertäfelungen an Wänden und Decke, das meiste noch im Bau, kurz vor der Fertigstellung. Offener Kamin fast fertig. Der Balkon als Wintergarten ausgebaut und gleichzeitig Vorratskammer. Schmale Abstiegsluke zum Balkon der Wohnung darunter, dort die Sauna. Was für Gegensätze! Und keine Mißgunst zu erkennen bei der Frau des ehemaligen Sovietischen Boxmeisters mit einem Zimmer. So ist das Leben in den Oststaaten. Weil unsere Freunde eingebürgerte Polen sind, konnte ein Sovietmeister nicht weiterkommen. Es geht nicht an, daß ein Ex-Pole die Sovietunion international vertritt. Dann lieber Verzicht auf einen Titel.
5. Tag, 10.10.94: Ivano-Frankovsk, Jeremtsa/Vorochta
Wir stehen zeitig auf, Igor, Josef und Igors ehemaliger Studienkollege haben in den Fahrzeugen geschlafen und sind schon in der Wohnung. Gemeinsam mit den russischen Freunden frühstücken wir unter intensiver Einbeziehung unserer Vorräte und am improvisierten Tisch, denn einen Eßtisch gibt es nicht in der Einzimmerwohnung. Ukraine pur!
Gegen 10:00 Uhr brechen wir auf, Richtung Ivano-Frankovsk. Rund 100 km teils entlang dem Dnjestr, östlich parallel zu den Hügeln der Karpaten durch leicht welliges Hügelland und vorbei an meist durch Viehwirtschaft genutztem Land mit wenig Industrie.
Im weiteren Verlauf der Reise werden uns die Polizeikontrollen zu Routine, die wir problemlos meistern bis auf einen Kampf um unseren Film. Weil Astrid während einer Kontrolle fotographiert hat und der Beamte nicht zu überzeugen ist, daß er nicht mit auf dem Foto zu sehen ist, gibt es eine Diskussion über fast 1/2 Stunde und trotz einiger Geschenke haben wir Mühe, unseren Film zu retten.
Inzwischen haben wir unsere Kraftstoffvorräte verbraucht und 3 Versuche, an Tankstellen Diesel zu tanken, schlagen fehl. Der vierte Versuch am Rande der Stadt Ivano-Frankovsk ist erfolgreich, sogar ohne lange Schlange. Das Phänomen dabei ist, erst muß bezahlt werden unter Angabe der gewünschten Menge, dann wird diese Menge freigegeben. Wer sich verschätzt, hat Pech gehabt. Alle haben aber sowieso Reservekanister dabei. Trotzdem schwimmt rund um die Säulen alles in Diesel.
Wir umfahren die Stadt und streben wieder westwärts in Richtung der größeren Höhen und zum wilderen Teil der Karpaten. Abstecher ins Wintersportgebiet Jeremtsa/Vorochta. Große Olympia-Sprungschanzen. Wir beschließen, am Fuße der Sprungschanzen vor dem Sporthotel zu Picknicken. Strahlender Sonnenschein und ca. 15-18 Grad. Unerwartet tauchen einige Skifahrer auf und wir wissen sofort, warum vorher fleißig das Sägemehl im Auslauf der Schanzen bewässert wurde. Der Lift fährt an, es beginnt ein olympisches Sprungtraining mit fernsehreifen Sprüngen und Weiten von 94m und sogar noch mehr. Auch das ist die Ukraine! Dem wildromantischen Tal des unmittelbar neben uns fließenden kleinen Gerbirgsflusses folgend fahren wir zurück zur Hauptstraße und schlängeln uns in endlosen Kurven talabwärts in die Dämmerung und schließlich in die Nacht.
Unerwartet lange zieht sich die Querung des Karpatenmassivs hin. Die Straße, ständig durch hübsch anzuschauende Dörfer gesäumt, erlaubt nur max. 40-50 km/h auf der Tachoanzeige. Die Durchschnittsgeschwindigkeit ist nicht über 30 km/h zu bringen ohne Gefahr für die anderen Verkehrsteilnehmer oder auch für die Technik unserer Gespanne. Gegen 20:00 Uhr erreichen wir wieder das offene Tal vor Mukatschovo und suchen wieder einmal mühsam nach einem Restaurant. Wir entdecken deutsche Reklameschilder mit Schultheiß Bräu. Guter Parkplatz, alles prima, aber nichts zu essen. Also weiter auf Empfehlung des Wirtes zum nächsten Ort. Nur finden wir die empfohlene Stelle leider nicht. Also fragen. -Volltreffer!- Wir werden von einem eiligen Fußgänger, der nicht mitfahren will, aber sofort umdreht, um uns zu führen, in ein typisch Ex-Sovietisches Restaurant geleitet und dort wider Erwarten recht ordentlich versorgt.
Wo schlafen? Unten vor dem Restaurant ein großer Hof, Platz genug. Im Parterre ein Lebensmittelladen. Wann der wohl öffnet? Wir fragen, ob wir dort stehen können. Keine Einwände, aber auch keine Begeisterung. Man möchte uns gerne etwas Besseres bieten. Unser Führer, der in der Küche wohl einen kleinen Flirt eingelegt hat, wird wieder aktiviert. Es stellt sich heraus, daß er Mitglied der Feuerwehr ist und man uns gerne dort zu Gast hätte. Also Aufbruch, unser Führer natürlich wieder unbedingt zu Fuß vorweg.
Die gesamte Feuerwache ist sofort begeistert, uns zu beherbergen und trotz unserer heftigen Proteste werden alle Fahrzeuge ausgeräumt und unsere Gespanne müssen in die Halle. Nach vielem Hin und her ist schließlich alles geregelt und mit ein paar abschließenden Schlucken Wodka werden wir über alle Details aufgeklärt. Wir sind in einem Ort mit Salzbergwerk und die Feuerwache hat sowohl den Feuerschutz, als auch die eventuelle Bergrettung zu gewährleisten. Tag und Nacht ist Einsatzbereitschaft von 2min. gefordert. Inzwischen beschlagen draußen die Scheiben der Einsatzfahrzeuge, was nun doch ein wenig Unruhe und Sorge vor einer eventuellen Standpauke durch den Chef verbreitet.
6. Tag, 11.10.94: Ukraine-Ungarn-Österreich
Punkt 06:00 Uhr werden wir geweckt und gemeinsam stellen wir zuerst den Urzustand der Halle wieder her. Vorsichtshalber, vielleicht steht ja der Chef zufällig früh auf, weil ihm unsere Anwesenheit gemeldet wurde. Es kommt jedoch niemand, der sich beschwert und nach einer Katzenwäsche aufgrund "optimaler Möglichkeiten" gibt es zum Frühstück Tee aus einer alten, stark in Mitleidenschaft gezogenen Emailleschüssel. Dank unserer Vorräte fällt das Frühstück durchaus akzeptabel aus. Eine umfangreiche Lebensmittelspende löst allgemeine Freude aus und prompt bekommen wir im Gegenzug zu unserer guten Flasche Wodka vom Abend dann eine Flasche des üblichen Haustrunks (in der Sprudelflasche mit Kronenkorken) als Morgengabe.
Nachdem Adressen getauscht und 3-5 to Diesel für unsere nächste Tour in Aussicht gestellt sind, geht es weiter und gegen 10:00 Uhr erreichen wir (mit Hilfe unserer Papiere vom "Hilfstransport" zügig an der Schlange der Wartenden vorbei) die ukrainisch-ungarische Grenze. Gewaltiger Andrang, da auf ungarischer Seite Markttag ist. O Gott. Prospekte über unsere Fahrzeuge haben aber Schlüsselwirkung. Fünf Zolloffiziere diskutieren und gestikulieren über das, was Sie in den Prospekten sehen und was Dank "go slow" der Ungarn ca. 20 min. direkt vor ihren Augen steht und abgefertigt werden möchte. Die Wirkung der Prospekte ist hervorragend. Keine Fragen, keine Kontrollen und wir passieren problemlos die ukrainische und dann auch die ungarische Grenze ...
Zurück im fast schon "Westen": Ungarn ist um sicher 20 Jahre näher an der westlichen Wirtschaft als die Ukraine. Die Länder trennen "Welten".
Wir rollen zügig über recht gute Straßen durch die Puszta. Weite, nur Weite. Wenig Abwechslung im Landschaftsbild, einige riesige Schafhöfe, kleine Orte und geschäftige Städte mit umfangreichem Warenangebot und deutlich erkennbarer Orientierung auf westliche Touristen und westliche Wirtschaftsstrukturen.
Wir essen zu Mittag in einem gepflegten Rasthaus, alle Gäste haben ihre "Handys" neben sich liegen. DM oder Forinth ist egal, die Preise sind unseren schon recht nahe. Bis zum Abend erreichen wir wieder Budapest. Fast genau zur gleichen Zeit wie auf der Hinfahrt, nur diesmal natürlich auf der anderen Seite der Stadt. Da die Autobahn mitten hinein führt und dann endet, gibt es keine Chance, der "Rushour" auszuweichen und so frißt die Stadtdurchfahrt beide Male mehr als eine Stunde.
Es geht zügig weiter über hervorragend ausgebaute neue Autobahnen bis kurz vor die österreichische Grenze und dann die letzten Kilometer vorbei an endlosen Kioskschlangen, wo Tag und Nacht um DM gekämpft wird, zum hochmodernen Autobahnzollamt, das leider noch nicht an die Autobahn angeschlossen ist. Sowohl auf ungarischer, als auch auf österreichischer Seite fehlen noch etwa 20 km. Wir sind geschafft.
Josef besteht auf Hotelbett und Dusche und wir suchen ein Hotel - kein Problem! Abendessen Fehlanzeige. Es gibt um 22:00 Uhr nur noch eine Gulaschsuppe in Österreich und natürlich Apfelstrudel. Na dann man ran. Wir schlafen vor dem Rasthaus an der Straße. Die ganze Nacht eine wilde Jagd von PKW und LKW durch den Ort. Wir sind wieder in gewohnter hektischer Verkehrsatmosphäre. Die Karpaten mit Ihrem Entwicklungsstand von 1950 sind keine 500 km von uns weg. Eine völlig andere Welt, nicht zu beschreiben, nur zu erleben.
7. Tag, 12.10.94
Morgens kurzes Picknik vor unseren Fahrzeugen. Dann rauf auf die Autobahn, erfreulich zügig vorbei an Wien, zweites Frühstück an einer österreichischen Raststätte. Welch ein Preisschock! Dann wieder Passau, deutsche Grenze. Keine Fragen, keine Kontrolle. Wir sind wieder auf deutschen Autobahnen. Der Rest ist Routine. Leider ...
© 1997 Alfred Schmitz, c/o Aero-Plast Engineering GmbH, Haßfurt, Bild Puszta: Explorer Magazin