Treffen in Polen
Wegen der befürchteten motorsportlichen Abenteuer kündigte meine Frau ihren Copilotenjob fristlos. Auch mein Bruder hatte null Interesse an Schlammschlacht oder Bergeabenteuer. Deshalb mailte ich einen flüchtigen Bekannten an, der mich wenige Wochen vorher nach Kontaktaufnahme über das Viermalvier-Forum besucht hatte, um eine Probefahrt mit meinem Bremach zu absolvieren. Martin hatte auf dem Weg in die Mongolei mit seinem Citroen 4x4 (baugleich mit Fiat Ducato) schwer Schiffbruch erlitten, weil die unterdimensionierte Allradtechnik den Belastungen in keiner Weise gewachsen war, und so wollte er nun ein "richtiges" Auto kaufen, eben einen Bremach: Eine gute Entscheidung, wie ich fand ..!
Mein überraschendes Mitreiseangebot kam Martin zwar etwas ungelegen, doch er setzte in seiner Firma Himmel und Hölle in Bewegung und bekam letztendlich die Woche frei. Ich musste ihn aber am Samstagvormittag von einem letzten Besprechungstermin in Cottbus abholen. Von dort nahmen wir schließlich den kürzesten Weg zum abendlichen Treffpunkt auf dem Campingplatz in Tarnow, Südostpolen.
Diese Strecke verläuft über die A15 bis zur Grenze und in Polen geradeaus weiter die 18 entlang - alles "schnelle" Autobahnen, wie wir dachten. Aber entweder haben wir uns direkt nach der Grenze verfahren oder es ist wirklich so: Dieses erste Autobahnstück in Polen hat einen derart schlechten Straßenbelag, dass unser Fahrzeug in riesigen Sprüngen von einer Welle zur anderen hüpfte und die Federung, nein eher die Dämpfung, ihren Namen nicht verdiente.
Dieses Erlebnis hat meinen T-Rex-Neuinteressenten seinerzeit schwer erschüttert in seiner Absicht, Bremachbesitzer zu werden. Heute weiß ich, dass die Dämpfung der schwerer beladenen Hinterachse damals dem hohen Gewicht nicht angepasst war, ein inzwischen behobenes Problem ...
Abends auf dem Campingplatz mitten in der Stadt trafen sich acht neugierige Reisende in vier sehr verschiedenen Fahrzeugen und mussten sich erst einmal ein wenig beschnuppern: Die Reiseleitung im wendigen Landrover Disco, die Abordnung aus Nordfriesland im dicken Unimog und die fränkische Delegation mit der kreativen ExKab-Kabine auf dem Mercedes G.
Dass ich mit meinem Bremach T-Rex aus dem äußersten Süden der Republik stamme, dürfte den Lesern des Explorer Magazins inzwischen bekannt sein. Und bezüglich Martins Herkunft soll sich Tante Google die Zähne ausbeißen ...
Der G wurde von zwei gefährlichen Terrier-Hündinnen auf das Schärfste bewacht und beim ersten Kontakt meines Schutzhundes Kasper mit diesen Bestien wurde die Rangordnung ein für allemal geklärt: Wie im richtigen Leben hatte auch hier der Mann nichts zu sagen und musste das Maul halten.
Beim morgendlichen Frühstück war die Kommunikationsdistanz noch recht groß - doch das besserte sich bald!
Schrauben und Kulinarik ...
Die erste Fahretappe am Sonntag sollte von Tarnow aus etwa 150 km nach Südosten bis an den Stausee Jezioro Solinskije führen, anfangs alles auf Hauptverbindungsstraßen, um an die interessanten Gebiete erst mal ran zu kommen. Trotz dieser sauberen Straßen: Meine einzige Panne passierte eben hier. Nachdem mein Fahrer Martin vormittags vor einem Café zu einer kleinen Pause eingeparkt hatte, fand sich eine Schraube im rechten Vorderreifen. So lange die Schraube drin steckte, hielt die Luft ja noch. Aber sofort nach Entfernen zischte es unüberhörbar: Das fing ja gut an!
Der nun folgende Reifenwechsel ging ruck-zuck: Martin und ich waren zwar kein eingespieltes Team, unter den Blicken der Mitreisenden taten wir aber so. Während der eine die rechte Vorderachse hochbockte und die Radmuttern löste, hatte der andere das Ersatzrad schon vom Heckträger abmontiert. Der eine nahm das defekte Rad ab, der andere setzte das Ersatzrad auf und fixierte die Muttern. Gemeinsam wuchteten wir dann das defekte Rad auf den Ersatzreifenhalter, und als der Rest der Gruppe den Kaffee gerade ausgetrunken hatte, waren auch wir wieder startklar. Wie beim Boxenstopp auf dem Nürburgring! Okay, bei der Formel Eins geht es noch einen Tick schneller, aber mit Formel V hätten wir leicht mithalten können ...
Weiter ging es auf den geteerten, aber langweiligen Haupt- und Nebenstrecken. Doch vor einer Brücke über einen Bach fand der Guide eine kleine Stichstraße ins Bachbett hinunter zu einem kleinen Rastplatz: Dort konnten wir endlich und zur Einstimmung auf größere Abenteuer ein wenig spielen und den Bach etliche Male hin und zurück furten. Offroad eben!
Am Stausee angekommen schlenderten wir gemütlich durch die idyllische Ufergasse mit Verkaufsständen, die Spürhunde voraus. Am späten Nachmittag fanden wir ein nettes ruhiges Plätzchen am Ufer des Flüsschens San, wenige Meter neben der fast nicht befahrenen (aber schön geteerten) Gemeindestraße, wo wir uns gemütlich einrichteten.
Sabine zeigte uns, wie man mit ihrer großen Eisenpfanne namens Muurikka praktisch und sehr lecker braten kann ...
Martin und ich nutzten die Zeit zur Reparatur des Reifens: Es war das erste Mal, dass wir diese Reparaturtechnik angewandt haben, und es erwies sich als einfach auszuführen und absolut haltbar. Inzwischen sind wir schon fast Profis darin und wissen längst, dass man das Rad zu dieser Reparatur nicht einmal abnehmen muss. Die üblichen kleinen Löcher auf der Reifendecke haben ihren Schrecken absolut verloren ...
Von der Muurikka bis zum "Virus unimogiensis" ...
Jürgen war früher ein alter Reisehase und vor allem ein Feuerteufel. Er sammelte noch bei Tageslicht fleißig alles, was an brennbarem Holzmaterial herumlag, und schichtete absolut fachmännisch einen Stapel auf. So dauerte es nicht lange, bis wir uns gemütlich am Lagerfeuer wärmen konnten, denn die Abende Mitte September waren schon ziemlich kalt. Nachdem wir vorher Sabine an ihrer Muurikka bestaunen und das leckere Ergebnis kosten konnten, erzählte uns Tom nach Eintritt der Dunkelheit vor den knisternden Flammen eine "wahre" Geschichte, wie diese finnische Eisenpfanne ihren Namen erhielt. Tom muss es wissen, er kommt aus dem hohen Norden Deutschlands und hat einen regionalen Bezug zu Seemannsgarn und Skandinavien, also auch zu wahren finnischen Geschichten ...
(Anm. der Red.: Da sie bereits in diversen Foren kursiert, verzichten wir an dieser Stelle auf die vollständige Lagerfeuergeschichte. Nur soviel: Es ist dort von "unzähligen Fjorden Finnlands" die Rede und die Finnen unterhalten sich in norwegischer Sprache. Vermutlich sollte man die Geschichte erst dann lesen, wenn der dazu passende Alkoholpegel erreicht ist.
Wir wollen nur soviel verraten, dass die Bezeichnung Muurikka aus der Kombination von Teilen des Frauennamens "Erika", eines langezogenen "Mmmmmmmms" und dem "uuuuuu"-Geräusch vor Aufprall der Pfanne am Kopf der Hauptfigur, eines Finnen natürlich, entstanden sein soll ... ).
Für den nächsten Tag hatte Renate, unsere Navigatorin, zur Einstimmung ein paar abgelegene Straßen ausgekundschaftet und unsere Fahrzeuge durften auf grobschottrigem Belag und über Schlaglöcher rollen sowie kühle Waldluft atmen. Wir kamen an einer verlassenen Köhlerei vorbei und querten kleine Bächlein, bis wir gegen Mittag eine Lichtung mit Wendeplatz erreichten, die zur Mittagspause einlud.
Kurz nach dieser Pause bremste uns ein Schild vor einem kleinen Bauernhof: In bestem "grafischen Polnisch", einer Fremdsprache, die wir wie viele andere auch gut beherrschen (), wurden wir durch das Bild einer Ziege und das Symbol von Käse auf den Hofladen des Ziegenpeters aufmerksam gemacht. Diese nette Ablenkung bescherte uns die Bekanntschaft eines alternativen polnischen Biobauern und diesem den Absatz einiger Portionen seines begehrten Produkts.
Erst später erfuhr ich aus dem Bericht von Tom über diese Reise, wo wir uns da befanden - am Rande des Nationalparks Bieszczady (wie spricht man das gleich wieder aus?). Interessenten an weiteren Details der Gegend und unserer damaligen gemeinsamen Reise empfehle ich unbedingt, bei Toms Geschichte mal "virtuell" vorbei zu schauen: Seine Homepage wird sich über die Klicks freuen ...
Idyllisch, aber technisch anspruchslos ging es weiter und wir tauschten zwischendurch auch mal die Fahrzeuge: Martin setzte sich an das Steuer des Unimogs von Tom und der wies ihn vom Beifahrersitz aus ein. Dass Martin an diesem Tag von einer gefährlichen und bis heute unheilbaren Krankheit infiziert wurde, war uns damals allen noch nicht klar.
Tom hatte diesen Erreger schon in sich und steckte Martin mit dem "Virus unimogiensis" an. Die Folgen, soweit sie drei Jahre später schon in vollem Ausmaß erkennbar sind, finde ich schlimm: Martin kam vom rechten Glauben an den Bremach ab und kaufte sich bald nach dieser Reise einen Unimog der schweren Baureihe, einen 10-Tonner ...
Dafür musste er zunächst den fast 3.000 Euro teuren Führerschein machen und anschließend einige weitere dicke Scheine für Dies und Das hinlegen. Inzwischen ist die Krankheit noch weiter fortgeschritten und er sogar dem Glauben verfallen, der Trend ginge hin zum Zweit-Mog: Deshalb hat er sich zusätzlich zum größten auch noch den kleinsten Unimog gekauft, letzterer gleich groß und schwer wie mein Bremach (Warum eigentlich nicht gleich den Bremach? )
Nun führen wir endlose Glaubenskriege, verbal natürlich nur. Und wie Tom damals hat Martin inzwischen auch versucht, diesen Virus auf andere, auf "Glaubensgesunde" zu übertragen (z.B. auf mich, aber siehe dazu meinen Reisebericht Island 2015).
Fast wäre es ihm auch gelungen: Island mit seinen tiefen Furten ist nämlich wirklich ein Unimog-Terrain. Aber auf meinem Stellplatz vor dem Haus passt ein Unimog definitiv nicht hin - natürliche Resistenz nennt man das in der Virologie ...
Aber zurück zu unserer Offroadsuche in Polen: Vom Unimogfahren angeturnt, aber äußerlich gesund wirkend, steuerte Martin anschließend meinen Bremach weiter bis zu einem Campingplatz mit Feuerstelle, wo wir die Nachmittagssonne genießen konnten, bevor das anspruchsvolle abendliche Kochprogramm begann ...
© 2016 Sepp Reithmeier