Unter dem Vulkan: Silvester im Land der Winter-Trolle ...
Keflavik, Ende Dezember 96: Über Kopenhagen führt der Linienflug das Explorer Team diesmal nach Keflavik - unseren Mietwagen (einen stinknormalen PKW - wenn auch mit Spikes! ) übernehmen wir schon am Flughafen. Das Scandic Hotel Esja, das wir in Reykjavik anfahren, erweist sich im Vergleich zu sonstigen Explorer Touren als echter Luxus - allerdings zeigen die Bigfoots vor der Tür, dass wir dennoch wieder da sind - in Island ...
Kein Vergleich zu unserem letzten Aufenthalt vor Ort: War es doch Sommer bei unserer Tour Island 95 und eine völlig andere Stimmung im Lande. Diese ist jetzt überall gänzlich verschieden - der frühe Einbruch der Dunkelheit erwartet uns schon am Flughafen, nun ist es bereits völlig dunkel draußen, und das am Nachmittag!
Wir haben viel vor bei diesem Kurztrip von nur wenigen Tagen, wir wollen nicht nur einen Rundflug über Islands jüngst ausgebrochenen Vulkan unternehmen, sondern auch die Vulkanshow in Reykjavik besuchen, mit Villi Knudsen ist bereits alles abgesprochen ... Weiterhin wollen wir einige Rundfahrten in der Umgebung machen, um uns von der vollständig anderen Winterstimmung Islands zu überzeugen und nicht zuletzt - auch Silvester 1996/97 hier feiern!
Die Autofahrten ...
Vor unserem Rundflug zu Silvester stehen uns noch zwei Tage zur Verfügung, die wir mit Rundfahrten füllen wollen - mit unserem Pkw wollen wir Exkursionen in Reykjavik und der Umgebung machen ...
Aufgrund der kurzen Spanne Tageslicht bleiben wir in der Gegend um Reykjavik und fahren wie schon im Sommer des Vorjahres erneut in Richtung zum Geothermalgebiet von Krisuvik und zum See Kleifarvatn. Die von uns im damaligen Sommer befahrene Straße 427 ist bereits geschlossen. Ein kurzer Abstecher mit unserem Auto zeigt uns, warum: Auf einem Untergrund von Schlamm und Fahrrillen liegt eine Schmierseifenoberfläche, die wir unserem Vorderradantrieb nur sehr kurz zumuten, bevor wir vorsichtig wieder umdrehen ...
Das Geothermalgebiet von Krisuvik ist dagegen attraktiv wie eh und je: Jetzt im Winter noch viel auffälliger sind die Dampfwolken, die hier aus unzähligen Öffnungen entweichen, sich als Eis überall niedergeschlagen haben und der ganzen Umgebung im fahlen Tageslicht eine fantastische Atmosphäre geben ...
Wieder zieht es uns auch zum Gatter des Kjölur-Anfangs, wie ebenfalls bereits im Sommer des Vorjahres. Die Piste ist nicht als geschlossen markiert und so fahren wir auf ihr eine kurze Strecke, bis wir anhalten. Schon ein merkwürdiges Gefühl: Sonst im Sommer nur mit Allradfahrzeug auf diesen Pisten unterwegs, und jetzt im Winter - ausgerechnet mit einem normalen Pkw! Wir wollen es nicht übertreiben mit dem Snobismus, eine Hochlandpiste im Winter mit Pkw zu fahren und kehren nach kurzer Fahrt auf dem verschneiten Kjölur um ...
Wie hatten wir in unserem Bericht Island 95 geschrieben: "Vom Gatter aus ist es nur noch eine kurze Strecke zum Gullfoss, einem der größten und imposantesten Wasserfälle Islands, den wir uns nun auch zum zweiten Mal anschauen und den wir ebenfalls zu Silvester 1996 wieder aufsuchen werden - dann ein traumhafter Anblick in neblig verhangener, vereister Atmosphäre und mit Ausnahme von uns ohne jeden Touristen!" Dem ist hier und heute nichts hinzuzufügen!
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Auf der Rückfahrt sehen wir sie dann: Im diffusen Restlicht, noch entfernt vom Scheinwerferkegel scheint immer wieder irgendwer oder irgendwas am Pistenrand zu stehen - wieder und wieder entfernt es sich, als wir näher kommen. Die Trolle des Zwielichts waren noch bei keiner unserer Touren so greifbar nahe wie heute, bei dieser Rückfahrt, in diesem Winter in Island - wir glauben an diesem Abend zu erkennen, warum Trollgeschichten so bedeutend sind auf dieser Insel, für Sommer-Touristen allerdings wohl kaum je erkennbar ...
Der Flug zum Vulkan ...
Am Abend vor seiner Vulkanshow treffen wir Villi Knudsen bereits in einem nahen Lokal, ohne jede Beschreibung wissen wir, dass er es ist - und es trifft zu: So erkennt man sich in Reykjavik! Wir besuchen seine Vulkanshow, vieles hat er heute zu erzählen, bereits sein Vater war einer der bekanntesten Vulkan-Filmer des Landes. Die weltberühmten Bilder vom jüngsten Ausbruch auf der Hauptinsel Heimaey der Westmänner-Inseln, der 1973 erfolgte, sowie auch die vom Ausbruch zehn Jahre früher, der zur Entstehung der Insel Surtsey führte, stammen allesamt aus dieser Familie - wahrhaft echte Filmer-Legenden!
Am heutigen Vortragsabend weiß er uns und den anderen begeisterten Besuchern seiner Show viel zu berichten. Sehr beeindruckend auch seine Aussage, dass Island keine Rücksicht auf Krafla-Touristen nimmt, die jederzeit von der Oberfläche getilgt werden können - aber es nicht wissen! Schaudernd nehmen wir zur Kenntnis, dass auch wir zu diesen Krafla-Touristen gehört haben, die jederzeit in einer großen Rauchwolke verschwinden können, und das erst im Vorjahr!
Aber heute ist es soweit: Noch vor Sonnenaufgang meldet sich Leiguflug telefonisch bei uns im Hotel: Der Flug kann wider Erwarten stattfinden, das Wetter wird es zulassen! Mit gemischten Gefühlen begeben wir uns zum Flugplatz von Reykjavik, wo wir starten werden - außer uns wird noch eine ostdeutsche Familie an Bord der zweimotorigen Partenavia sein. Die Leute wissen offensichtlich gar nicht, wohin wir heute wollen, da sie wohl keine Vereinbarungen bezüglich des Flugziels getroffen hatten. Ebenso erstaunt scheinen sie, dass jemand aus dem Explorer Team auf dem Copilotensitz Platz nimmt und dort den rechten Höhenmesser bedient: Wir hatten bereits vor Tagen unseren Vulkan-Rundflug organisiert!
Der Pilot zeigt sein GPS - er hat die exakte Position des neuen Kraters erfasst und genau dorthin wollen wir!
Wir starten und verlassen Reykjavik in östlicher Richtung. Der Flug an diesem Vormittag kurz nach Sonnenaufgang ist mehr als beeindruckend: Im Schein der tief stehenden Sonne ist jede Erhebung in der Landschaft genauestens zu erkennen und es bieten sich atemberaubende Anblicke, als wir in Richtung zum Sprengisandur fliegen, den wir im Vorjahr befahren haben. Und wie der Zufall es will, fliegen wir genau über unseren "wilden" Campingplatz vom Vorjahr am Stausee abseits von der Piste - wie hatten wir noch in unserem Bericht Island 95 geschrieben:
"Als wir die Staumauer verlassen, werfe ich ihr noch einen langen Blick zu. Niemand ahnt in diesem Moment, dass wir ca. 16 Monate später an Silvester 1996 genau über diese Staumauer zum vulkanischen Eruptionsgebiet auf dem Vatnajökull mit einer Partenavia der Leiguflug fliegen werden. Der Berichterstatter, dann auf dem Copilotensitz dieser Maschine sitzend, wird seinen Augen nicht trauen und von Rührung schier übermannt werden, wenn die Maschine über die tief verschneite Piste und die zugefrorene Talsperre in östlicher Richtung weiterfliegt und die tiefstehende Sonne unten jedes Detail bis hin zur winzigen Messstation auf dem Damm erkennbar macht ..."
Schnell ist die Talsperre unter uns verschwunden und die Weite des isländischen Hochlands ist zu dieser Jahreszeit aus dieser Perspektive noch beeindruckender als aus dem Cockpit eines Fahrzeugs, dass sich im Sommer hier eigentlich problemlos entlang bewegen kann - jetzt ist deutlich zu sehen, dass die Piste meterhoch mit Schnee bedeckt und dort unten sicher kein Vorankommen mehr ist ...
Unser GPS geleitet uns exakt bis zum Ausbruchskrater, und unter uns erstreckt sich nun die so oft beschworene und unbeschreibliche Landschaft aus "Feuer und Eis" - der Gletscher und sein Einbruchgraben im Eis sind das Erlebnis des Silvesternachmittags ...
Der Silvesterabend ...
Wir landen am späten Silvesternachmittag, nicht ohne vorher noch an der Hekla vorbeigeflogen zu sein, einem der anderen wichtigen Vulkane Islands, in deren wüstem Lavaumfeld wir noch vor zwei Jahren herumgefahren sind und die ebenfalls jederzeit wieder "hochgehen" kann (Anm. der Red.: Der nächste Ausbruch erfolgte gut 3 Jahre später, Ende Februar 2000 war es wieder so weit ...).
Nach der herzlichen Verabschiedung vom Piloten stürzen wir uns in das weitere Reykjavik-Geschehen: Wie einem Aushang im Scandic Hotel Loftleidir zu entnehmen ist, von wo aus wir unsere "Luftfahrt" begonnen und auch wieder beendet haben, findet heute Abend noch ein volles Programm statt:
Eine Busrundfahrt soll von"Bonfire" zu "Bonfire" führen, also zu den wirklich bemerkenswerten isländischen Silvester-Events: Alles brennbare wird schon seit Tagen an zig Stellen in der Stadt meterhoch aufgeschichtet, um dann in der Silvesternacht in beeindruckenden Feuern abgefackelt zu werden - mittlerweile sind diese Bonfire sogar in einem besonderen Stadtplan verzeichnet ...
Wir fahren herum, geraten in "schweres Feuer", bei dem sogar Mütter ihre Kinder beim Anblick unserer (vom Bustour-Veranstalter mitgelieferten) Feuerwerkskörper wegziehen (die waren übrigens in nur wenigen Sekunden abgebrannt und weitgehend ungefährlich!). Beim "gegnerischen" Feuer wird sogar ein Brandloch in der Goretex-Jacke eingefangen - wirklich schweres Geschütz für den unvorbereiteten Silvester-Touri, was sich hier heute Nacht abspielt!
Die Straßen von Reykjavik sind zeitweise leer am späteren 31.12. Kaum jemand unterwegs, Lokale geschlossen. Doch dann sind sie wieder auf der Straße, die Einwohner, schubweise in Gruppen - zuhause "ansaufen" ist deutlich billiger als dies in den Lokalen der Stadt zu tun ...
Ein einziges Lokal finden wir im Laufe des späteren Silvesterabends (deutlich vor Mitternacht) in der Fußgängerzone Reykjaviks, man hat hier offenbar Mitleid mit Heimatlosen wie uns. Wir können mit einigen wenigen anderen Gästen dort etwas essen - unglaublich, aber wahr!
Irgendwann an diesem späteren Abend scheint dann aber doch noch jeder unterwegs zu sein mit seinem Bigfoot, unterwegs auf den Öskjulid, Austurstraeti, und wie sie heißen mögen, die Innenstadt-Straßen von Reykjavik - und zugegeben: Hier wirken sie sicherlich am imposantesten, draußen im Hochland sind sie halt nur Bigfoots, die sich in der Landschaft verlieren ...
Das Feiern in Etappen nimmt seinen Fortgang, irgendwann wird es Mitternacht. Eine geschlagene Stunde Feuerwerk, volles Programm wie bei uns undenkbar. Auch am Hafen, wo wir nun stehen, verschießen alle Schiffe ihre abgelaufenen Signalraketen, man glaubt es kaum, aber der Verkauf dieser "Feuerwerkskörper" dient hier einem guten Zweck und kommt gemeinnützigen Zwecken zugute ...
Die Rohre unter den Bürgersteigen mit Dampf aus dem nahen Geothermalkraftwerk sorgen auch heute Nacht für entsprechende Fußgängertemperaturen, morgens um 1:30 Uhr kann die volle Action in Reykjavik beginnen ...
Und unser Fazit: Silvester in Reykjavik - ein Erlebnis der besonderen Art, zur Nachahmung empfohlen!
Nachtrag, November ´04: Und wieder meldet sich der Grimsvötn ...
In den ersten Tagen des Novembers 2004 kommt die Meldung: Wieder einmal ist der Grimsvötn ausgebrochen. Diesmal speit der Vulkan seine Asche fast 14 km hoch in die Atmosphäre. Und weil es in diesen Tagen heftig stürmt, wird die Asche ungeheuer weit getrieben, bis hinein nach Finnland sogar.
Dies hat Konsequenzen für die Luftfahrt, weil die Aschepartikel nicht nur die Sicht behindern, sondern auch noch Schäden an den Triebwerken erzeugen können: Viele transatlantische Flüge werden deshalb nach Süden umgeleitet, manche Flieger dürfen überhaupt nicht starten. In Amsterdam sitzen vorübergehend 400 Passagiere fest, weil ihre Flüge abgesagt und ihnen kein Platz in Hotels beschafft werden kann.
Mitte November ´04 erreicht uns folgende Mail aus Island:
Greetings from Iceland!
Just wanted to tell you about our company and point out to you our website http://www.icelandrovers.is and my friend Fred Kamphues, a Land Rover enthusiast who has been travelling a lot with us taking some incredible pictures for his articles.
We recently took a trip to the Vatnajokull glacier to view an ongoing eruption coming from below the icecap as you can see on his website. I thought that this might be something that interests you for your magazine.
Best Regards,
Kristjan Petur Vilhelmsson
Manager
Iceland Rovers - P.O. Box 8950
128 Reykjavik - Iceland
Wir bedanken uns für diese Infos und das Bild der obigen Exkursion ins Grimsvötn-Gebiet, das uns Fred Kamphues zur Verfügung gestellt hat!
Neugierig auf noch mehr Island-Berichte im Explorer Magazin?
Folgende weitere Berichte vom Explorer Team gibt es im Magazin:
- Dänemark-Faröer-Island 2003: 10 Jahre danach ...
- Faröer/Island 97 mit Pickup-Camper Explorer
- Island 95 mit Pickup-Camper: Wie alles anfing ...
und noch Berichte anderer Autoren:
© Text/Bilder 1996-2005 J. de Haas, Foto Nachtrag aus: Fred Kamphues, Eruption on the Vatnajokull, 4 nov. 2004