1. Tag (So, 20.08.95, 07:00 Uhr Abflug München)
Abflug in München nach Frankfurt im August: Staunen bei den Mallorca-Urlaubern über Passagiere mit Bergschuhen, dicken Isländerpullovern und Goretex-Jacken. Auch beim Sicherheits-Check wird mit Kennermiene vermutet, dass man wohl weiter als Frankfurt fliegen wird. Richtig! Gut dass niemand weiß, dass ich Rumpelstilzchen heiß und nahezu nur Dosenbier im Handgepäck hab für zwei Wochen Island ...
Die Ankunft des Fluges Frankfurt-Keflavik gestaltet sich stürmisch: Der Lufthansa-Kapitän wünscht (noch stolz nach gelungener Landung trotz heftigstem Seitenwind) allen denen gutes Segelwetter, die heute noch zu den Westmänner-Inseln weiter müssen ...
Unser Autovermieter holt uns wie per Fax vereinbart am Flughafen ab mit durchaus "südlichem" Verständnis von Pünktlichkeit. Gegen den Sturm fahren wir nach Kopavogur, einem Vorort von Reykjavik. Hier betreibt unser Autovermieter eine Garage, in der neben unserem (sehr garagenfüllend wirkenden) Camper auch ein liebevoll gepflegter Oldtimer zu bewundern ist - sicherlich nichts für Islands Straßen.
Die Einweisung in unseren Mazda 4WD-Pickup mit der Scamper-Kabine aus den USA mit Parallel-Hubdach bringen wir hinter uns, ebenso die Warnungen vor den Straßenverhältnissen im Hochland.
Voller Respekt lesen wir das Merkblatt über "The Art of Driving on Icelandic Roads" und in der Tat erscheint es als Kunst, das hier abgebildete, halb im Fluss versunkene Allradfahrzeug wieder flott zu machen. Auch das fast armdicke Seil ("für Notfälle"), das unser Vermieter in das Fahrzeug legt, erscheint ehrfurchtsgebietend, ebenso der gewaltige Ersatzkanister.
Der Vermieter ist beruhigt, als wir ihm klarmachen, dass wir bereits im Vorjahr in Island waren und ihm unsere geplante Route erläutern, die zwar durchs Hochland führen soll, jedoch gefährliche Ecken ausspart (Auflaufen wie einst mit dem Boot in Irlands Lough Ree mit dem Kabinenkreuzer wollten wir schließlich auf Islands Straßen nicht).
Wir machen uns auf den Weg aus Reykjavik heraus mit dem noch ungewohnten Fahrzeug über die Ringstraße 1 in südöstlicher Richtung nach Hveragerði, dem uns bereits bekannten Ort mit dem vielgepriesenen "südlichem" Treibhaus-Flair.
Bei Sichten um 50 Meter, sturm- und regenumtost wird die Kabine zu einer Last, die den Pickup nur noch kaum über 60 km/h beschleunigen lässt. Ist es nur ein Fehler der Treibstoffanzeige oder tatsächlich der Gegenwind, dass der Tank auf dieser Strecke zusehends leerer wird? Unsere zugegebenermaßen panischen Verbrauchsrechnungen über den Daumen lassen zwischen 20l und 40l auf 100 km alles möglich erscheinen.
Wir fahren bei unverändertem Wetter vorbei am ganz und gar nicht südlich wirkenden Hveragerði weiter auf der Ringstraße. Unsere Absicht, wegen des extrem schlechten Wetters bereits einen der ersten Campingplätze auf unserer Karte bei Selfoss aufzusuchen, lassen wir fallen, als wir uns auch hier sturmumtost einsam und allein auf einem trostlosen aufgeweichten, wiesenähnlichen Gelände wiederfinden. Also weiter!
Das Wetter bessert sich geringfügig. Als wir Hella erreichen und nach Überquerung der Hólsa den vergleichsweise einladenden Campingplatz südlich der Ringstraße sehen, beschließen wir unsere erste Nacht hier zu verbringen.
Das Hubdach wird hochgekurbelt und es folgen erste Versuche, die Gasheizung zu Höchstleistungen zu bringen. Die Kabine wandelt sich zur gemütlichen Wohnküche. Das auf dem Gaskocher zubereitete Abendessen (Abgeschmelzte mit Brot) schmeckt uns hervorragend, während es draußen ununterbrochen regnet und auch noch gehörig bläst.
Wir wechseln mit zwei der sorgsam abgezählten und mitgebrachten Dosen bayerischen Biers in den verglasten Aufenthaltsraum des Campingplatzes und beobachten eine Touristengruppe beim fast unmöglichen Unterfangen, ihre Zelte im Sturm aufzubauen. Am späteren Abend vielleicht ein grober Fehler: In den Schlafsack geht es relativ leicht bekleidet, eine Mütze wird nicht über die Ohren gezogen. Die erste Nacht im Pickup-Camper nimmt ihren Lauf, Wind und Regen sorgen für mehr als zünftige Begleitmusik ...
2. Tag (Mo, 21.08.95)
Geduscht wird nach der ersten Übernachtung im Camper noch nicht, trotz der guten sanitären Anlagen des Campingplatzes. Das Wetter hat sich etwas beruhigt. Ein erstes Frühstück in der Kabine sorgt für offroad- und outdoor-feeling zugleich.
Wir folgen der Ringstraße 1 weiter nach Südosten. Am nördlichen Horizont wird ein gewaltiger Wasserfall sichtbar und ein wunderbares Gefühl macht sich breit: Man ist wieder in Island und hat noch fast alles vor sich! Der Seljalandfoss ist in der Tat ein Erlebnis, das auszusteigen lohnt. Aufgeregt fotografierend ist man bemüht, den Zauber der Lichteffekte richtig einzufangen ...
Jeder Foss hat sein eigenes Flair: Der nächste Wasserfall beeindruckt durch seine Wucht. Wir stehen am Fuße des Skogafoss, der verlassene Campingplatz dort lässt frösteln. All das hindert eine offensichtlich geladene (einheimische) Gesellschaft nicht, am Fuße des Wasserfalls bei Sekt- und Schnapsausschank einem Konzert von zwei Trompetenspielern zuzuhören (Kommentar der Besatzung: "Da blasen sich zwei einen ..." ).
Wir dagegen wandern auf die Höhe neben dem Skogafoss und werden mit einem wunderschönen Blick in die Landschaft belohnt. Lange schauen wir den laut schreienden Möwen zu, die sich mit offensichtlichem Vergnügen vor dem Wasserfall in die Tiefe stürzen um sich dann mit atemberaubenden Flugmanövern abzufangen.
Nun geht es weiter gen Südosten die Ringstraße entlang, südlich von dem unübersehbar nahen Myrdalsjökull, einem der vier großen isländischen Gletscher. Obwohl Islands Hauptstraße auch für normale Pkws befahrbar ist, begegnen wir jedoch nur ab und zu anderen Fahrzeugen auf unserem Weg nach Vik.
Der kleine Ort hat ein gut sortiertes Geschäft, das wir für den Einkauf unserer Essensvorräte nutzen. Doch auch den Touristen wird was geboten: u.a. kann von der Tankstelle aus mit Amphibienfahrzeugen zu den Basalthöhlen von Reynisfjall und insbesondere zur charakteristischen Felsenspitze von Dyrhólaey gefahren werden, einem der südlichsten Punkte der Insel.
Aufgrund des Wetters werden jedoch keine derartigen Fahrten durchgeführt und wir werden auf "maybe tomorrow" (= isländisches mañana-Prinzip) vertröstet. So begnügen wir uns, die zwei nahe der Straße stehenden "Wheelboats" anzuschauen. Besonders vertrauenserweckend wirken die mächtigen Gefährte mit ihren Vollgummireifen und dem Bootsrumpf nicht, eines scheint außer Betrieb zu sein und eher als "Vorratslager" für das andere zu dienen.
Wir fahren auf den naheliegenden Campingplatz und können noch einen kleinen Spaziergang auf die dahinter gelegene Anhöhe machen, während uns Wind und Wetter wieder wie üblich heftig begleiten ...
Eine Reisegruppe mit den später noch häufig zu sehenden Zugfahrzeugen mit Anhängern und darin befindlichem Campingkram baut in geübter Weise ihre Zelte auf. Während bei uns der Haddock (Schellfisch) auf dem Gemüsereis gart, zeigt das Radioprogramm von heute und den folgenden Abenden, dass die Isländer es anstelle von Musik vorziehen, sich auf allen Kanälen "dauerzuunterhalten". Dass man kaum ein Wort versteht, erleichtert es ungemein, gänzlich ohne Radio auszukommen ...
Abends im Aufenthaltsraum (wieder mit unseren sorgsam abgezählten Dosen Bier) treffen wir die Reisegruppe wieder, während sie triefendnasse Sachen zum Trocknen aufhängen und von erlebten Abenteuern auf der F22 berichten. Meine Frage nach der Anzahl der uns dort erwartenden Furten wird jedoch von ihnen nur vage beantwortet - es müssen unzählige sein!
© Text/Bilder 1996, 1997 J. de Haas